Helmut Dietls letzter Film ist dieses Buch
Bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr hat der große Filmregisseur Helmut Dietl an seiner Autobiografie gearbeitet. Das Ergebnis ist ein Buch, mit dem Helmut Dietl uns noch einmal überrascht - als exzellenter Schriftsteller.
Brillant und auf genau die hintergründig-komische Art, die wir von ihm als Regisseur von »Kir Royal« oder »Rossini« kennen, erzählt Helmut Dietl hier über seine bayerisch-münchnerische Kindheit und seine Aufbrüche ins Leben. Da sind die Großväter, der eine Kommunist und KZ-Häftling, der andere Stummfilmstar. Da sind die sich ewig bekämpfenden Großmütter. Ein undurchsichtiger Vater und eine tapfere Mutter, die sich für ihren Sohn aufopfert. Wir erleben ein Feuerwerk von Liebes-, Trennungs- und Reisegeschichten, seine turbulente Zeit bei den Feldjägern und die ersten Schritte in die Welt des Films an der Seite schillernder Figuren wie Elfie Pertramer oder Walter Sedlmayr. Vor allem aber ist dies eine Hommage an all die Frauen, die Helmut Dietl bereits als junger Mann verzaubert haben. Schon früh wird hier sichtbar, was Helmut Dietl sein ganzes Leben war: ein Mann, der die Frauen liebte. Selten sind die spießigen Fünfziger- und Sechzigerjahre und die frühen Gegenwelten der Schwabinger Boheme sokomisch und unterhaltsam geschildert worden wie in diesem Buch, das von seiner Frau Tamara Dietl herausgegeben wird.
Mit einem Nachwort von Patrick Süskind.
Bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr hat der große Filmregisseur Helmut Dietl an seiner Autobiografie gearbeitet. Das Ergebnis ist ein Buch, mit dem Helmut Dietl uns noch einmal überrascht - als exzellenter Schriftsteller.
Brillant und auf genau die hintergründig-komische Art, die wir von ihm als Regisseur von »Kir Royal« oder »Rossini« kennen, erzählt Helmut Dietl hier über seine bayerisch-münchnerische Kindheit und seine Aufbrüche ins Leben. Da sind die Großväter, der eine Kommunist und KZ-Häftling, der andere Stummfilmstar. Da sind die sich ewig bekämpfenden Großmütter. Ein undurchsichtiger Vater und eine tapfere Mutter, die sich für ihren Sohn aufopfert. Wir erleben ein Feuerwerk von Liebes-, Trennungs- und Reisegeschichten, seine turbulente Zeit bei den Feldjägern und die ersten Schritte in die Welt des Films an der Seite schillernder Figuren wie Elfie Pertramer oder Walter Sedlmayr. Vor allem aber ist dies eine Hommage an all die Frauen, die Helmut Dietl bereits als junger Mann verzaubert haben. Schon früh wird hier sichtbar, was Helmut Dietl sein ganzes Leben war: ein Mann, der die Frauen liebte. Selten sind die spießigen Fünfziger- und Sechzigerjahre und die frühen Gegenwelten der Schwabinger Boheme sokomisch und unterhaltsam geschildert worden wie in diesem Buch, das von seiner Frau Tamara Dietl herausgegeben wird.
Mit einem Nachwort von Patrick Süskind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.09.2016Alles, mindestens aber nichts
"A bissel was geht immer", verspricht der Titel der unvollendeten Erinnerungen des großen Regisseurs Helmut Dietl. Es geht aber um viel mehr. Es ist der Roman einer Jugend
Zu den vielen Mutmaßungen über Helmut Dietl, welche auch durch allergenaueste Betrachtungen des Werks weder bewiesen noch widerlegt werden können, gehörte immer auch die, dass Dietl zwar ein sehr guter Drehbuchautor gewesen sei, Schöpfer unvergessener Figuren - dass aber der sprachliche Feinschliff, die erstaunliche und in Deutschland absolut ungewohnte Präzision noch der nebensächlichsten Nebensätze eher ein Werk Patrick Süskinds gewesen sei, Dietls Co-Autors, jenes Mannes also, dem man nicht zu nahe tritt, wenn man ihm unterstellt, dass sein Gehör für Sprache fast genauso sensibel sei wie der Geruchssinn des Mörders Grenouille in Süskinds Roman "Das Parfum".
Zu den vielen Erkenntnissen, die einem bleiben, wenn man Dietls unvollendete Memoiren gelesen hat, gehört auch die, dass es weiterhin keinen Grund gibt, an Patrick Süskinds Genie zu zweifeln; dass aber Helmut Dietl ein Schriftsteller aus eigenem Recht gewesen ist, ein Autor, dessen Können und Stil sich nicht bloß im sprachlichen Detail offenbaren: Sondern, vor allem, in der Art, wie er seinen Stoff und seinen Helden, das Kind, den Jungen, schließlich den jungen Mann, aus dem einmal der berühmte Helmut Dietl werden wird, in den Griff bekommt; wie er der eigenen Erinnerung eine Form abringt, die literarisch ist, ohne dass sie die Wirklichkeit zurechtbiegen müsste.
Man weiß ja, auch als Kenner des Werks und Bewunderer von dessen Schöpfer, nicht besonders viel über jenen Helmut Dietl, den seine Stilisierungen und Selbstinszenierungen überdeutlich sichtbar machten. Und unsichtbar zugleich. Schon klar, die fünfzig Schattierungen von Weiß, die er meistens trug, der dunkle Vollbart unter der markanten, italienischen Nase und jener typisch münchnerische, ein bisschen arrogante Grant, der die Schwätzer, Schleimer, Nervensägen auf Distanz hielt - das alles machte Helmut Dietl schon aus der Ferne immer als Helmut Dietl erkennbar. Man hatte von ein paar Ehen und Liebschaften gehört, von der Angewohnheit, möglichst immer im selben Restaurant zu essen, von einem gewissen Eigensinn, mit dem Dietl einen Film lieber nicht drehte, als dass er irgendetwas inszeniert hätte, das er sich selbst nicht glauben wollte - die "Unendliche Geschichte" ist da nur das bekannteste Beispiel. Wer mehr von ihm wissen wolle, hat Dietl immer wieder gesagt, solle seine Serien und Filme schauen: Da stecke alles von ihm drin.
Und so ist die erste Erkenntnis bei der Lektüre dieses Buches, dass man gar nicht wusste, was man alles nicht wusste über diesen Helmut Dietl, über die Herkunft, die Kindheit, die Motive, die ihn trieben und bewegten. Die zweite Erkenntnis ist die, dass man nach spätestens fünfzig Seiten weiß, dass der Titel in die Irre führt. "A bissel was geht immer", das ist ja ein Satz, den schon der Monaco-Franze nur ironisch zitiert, um nicht all zu deutlich auszusprechen, dass er sehr viel mehr will von dieser Frau, der Elli, zu der er das sagt. Der junge Dietl, wie ihn der alte Dietl beschreibt, hatte nicht nur einen Abscheu gegenüber allem, was nur nett und harmlos münchnerisch war. Er wollte alles, und wenn nicht das, dann mindestens nichts, aber ganz bestimmt von niemandem bloß "a bissel was".
Die dritte Erkenntnis, vielleicht die interessanteste, ist die, dass in dem Buch, in welchem sich Dietl vor aller Augen als Schriftsteller beweist (seine pointiert und elegant geschriebenen Exposés und Entwürfe richteten sich ja nie ans allgemeine Publikum), er sich zugleich dazu bekennt, dass er, praktisch vom Moment an, da er schreiben konnte, ein Literat, ja ein Dichter werden wollte. Dass er als Schüler kleine Theaterstücke schrieb und inszenierte, um an ein bisschen Geld und die Mitschülerinnen heranzukommen, hat er gelegentlich angedeutet in Interviews. Dass er sich selbst sehr ernst nahm als Lyriker; dass er durchaus damit rechnete, im Insel-Verlag zu publizieren, und zerstört war, als Fritz Arnold, der Verleger, den der junge Dietl aus Schwabinger Lokalen kannte, ihm einen Absagebrief schickte: Das ist nicht nur neu, das ist auch so genau und literarisch anspruchsvoll beschrieben, als müsste noch der alte Dietl den jungen Lyriker rehabilitieren. Eine der schönsten und poetischsten Szenen aus dem Leben des Lyrikers spielt am Strand, irgendwo in Frankreich; der 16-jährige, noch unschuldige Helmut hat Elke getroffen, ein sachliches Mädchen aus Norddeutschland. Beide wollen Sex miteinander, aber der Junge hat kaum die Badehose ausgezogen, da kommt es ihm schon. Sie versucht ihn zu trösten, er weiß gar nicht, weshalb: "Es lag ja nicht an Elke aus Ostholstein, dass ich diesen Praecox hatte. Es lag an mir, meiner sexuellen Fantasie, die mich in diesem Moment überwältig hatte. (. . .) Jetzt, da ich meiner Fantasie sicher war, da mir ein Praecox quasi bewiesen hatte, dass ich ein Dichter war, war wieder alles in Ordnung. Ich war Elke nachträglich dankbar, dass sie mir durch diesen Vorfall ermöglicht hatte, endlich einen unverstellten Blick auf meine eigene Persönlichkeit richten zu können."
Es wird trotzdem dann besser klappen mit Louise aus Wien, mit der Lili aus dem Erdinger Moos, mit dem Dorle aus Nymphenburg, schließlich mit Elfie, Dorles Mutter, die dem jungen Mann die ersten Engagements beim Fernsehen verschafft. Danach bricht die Erzählung ab, fünf, sechs Jahre bevor dieser Helmut Dietl zur öffentlichen Figur wird mit seiner ersten Fernsehserie, den "Münchner Gschichten" - und dass Dietl eigentlich weiterschreiben wollte, den vollständigen Roman seines Lebens, ist bekannt und dem Text auch anzumerken.
Dass er abbricht in der Zeit, als die Jugend zu Ende geht und der Traum von der Dichterexistenz langsam verblasst, liegt wohl daran, dass Helmut Dietl, krankheitsbedingt, nicht weiterschreiben konnte (Fragmente dessen, was kommen sollte, sind angehängt an den Text). Es hat aber eine große Stimmigkeit. Denn so erzählt dieses Buch nicht nur die Vorgeschichte einer Karriere; es ist auch der Roman einer Jugend, eine Coming-of-Age-Erzählung, zu deren Reizen auch der gehört, dass sie nicht in irgendeiner trost- und geistlosen Provinz spielt, welcher der Held möglichst schnell entrinnen will. Sondern in München, im Schwabing der späten Fünfziger und der Sechziger. Und entsprechend ist nicht nur die Grundstimmung urbaner, nervöser, frivoler. Auch die Rollen sind interessanter besetzt.
Das fängt schon bei der Familie an. Dietls Vater war mehr Strizzi als Stenz, ein Checker, Gschaftler, notorischer Bankrotteur (und insofern Modell für viele Filmfiguren), Fremdgeher, Trinker, ein Mann, der nie viel zu Hause, schließlich ganz verschwunden und wahrscheinlich gar nicht der wirkliche Vater war, wie der junge Dietl, als er sich endlich zu fragen traut, von der Mutter erfährt. Es war wohl ein Italiener, wie bei Franz Münchinger, genannt Monaco, der auch insofern ein Selbstporträt seines Autors ist.
Die Mutter war schön, warmherzig, fürsorglich, Tochter eines kommunistischen Schneidermeisters und seiner katholisch-frömmelnden Frau. Der Großvater lebte nicht mehr, die Großmutter schon, und dann lebte auch noch die andere Großmutter, Witwe Fritz Greiners, der in den Zwanzigern fast ein Star war im deutschen Stummfilm und den Andreas Hofer und den Wallenstein spielte. Mit diesen drei Frauen wächst Helmut Dietl auf, wird geliebt und verwöhnt, das prägt auch die emotionale Perspektive. Wie man überhaupt in der Schilderung dieser Kindheit und Jugend mal wieder erfahren kann, wie gut es für Geist, Charakter und Karriere ist, wenn ein Kind genug Zuwendung, Interesse, Sympathie bekommt, auch diese Sache, die man wohl Herzensbildung nennen muss. Aber, weil der Vater nichts hat und die Mutter im Büro sehr wenig verdient: nie genug Geld - was den Ehrgeiz, die Ambition, den Wunsch, die Welt oder zumindest München zu erobern, gewaltig befeuern kann.
Ja, ehrgeizig ist dieser junge Mann, und zugleich fällt ihm so vieles ganz einfach zu; er sieht gut aus, er hat offensichtlich Verstand und Witz und eine Art, wie die Frauen sie mögen. Er ist ein Günstling des Glücks, und man darf, um diese Figur literarisch einzuordnen, ruhig Maß nehmen an Julien Sorel, dem Helden in Stendhals "Rot und Schwarz", der ja auch am Anfang des Romans noch nicht zynisch ist, nur erstaunt darüber, wie leicht es sich auf dem Weg nach oben geht, wenn man ein Mann ist, dem die Frauen nicht widerstehen wollen. Was diese beiden Männer unterscheidet, ist nicht nur der glückliche Umstand, dass Helmut Dietl der Untergang Sorels erspart geblieben ist. Es ist vor allem die Tatsache, dass es nicht Stendhal ist, der diese Geschichte erzählt, kein Autor, der aus angemessenem Abstand die Bilder scharf stellen und den Kontext überblicken kann. Es ist der Held selber, der hier erzählt, und was das für eine Leistung ist, wird einem spätestens dann bewusst, wenn man bedenkt, wie dumm und peinlich, wie großspurig und angeberisch man all das, wovon hier berichtet wird, hätte schildern können. Es ist das Glück des Autors Dietl, dass sein Held zwar viel Glück hat, aber keinerlei Talent zur Zufriedenheit, schon gar nicht mit sich selbst.
Wie das funktioniert, dieses Glück (oder soll man Schicksal sagen?), erfährt der junge Dietl, als er im Atelier seines Freundes, des Malers Ugo Dossi, ein Mädchen kennenlernt, von dem er sofort hingerissen ist. Sie ist dunkel und schön, er hält sie erst für eine Italienerin, aber für den Weg zu ihr nach Hause nimmt man die Trambahnlinien 3 oder 21 zum Romanplatz, und dann steht der Junge vor dem Haus, in dem Dorle wohnt; es gehört ihrer Mutter Elfie Pertramer, einer schönen, erwachsenen Frau, Schauspielerin und Kabarettistin und in den frühen Sechzigern einer der populärsten Stars des bayerischen Fernsehens. Im Garten steht ein grimmiger junger Mann, der Hausfreund und Vertraute; es ist Walter Sedlmayr. Und als die Mutter den Freund ihrer Tochter sieht, fängt sie sofort zu flirten an, was, wie Dietl erzählt, auch daran gelegen haben mag, dass sie eben erst verlassen worden ist von ihrem jugendlichen Geliebten, einem Arzt, der Filmregisseur werden will und sich dann in eine sehr schöne, viel jüngere Schauspielerin aus Wien verliebt hat. Wir kennen die beiden heute noch; es sind Senta Berger und Michael Verhoeven - und der Reiz einer solchen Episode liegt nicht nur darin, dass das alles erstklassiger Gossip ist.
Eher darf man das so lesen, dass da das Schicksal dem jungen und noch immer sehr erfolglosen Dichter einen Streich spielt und er, der in dieser Hinsicht keinerlei Ambitionen hat, verlockt und verführt wird in jene Welt, in welcher er dann sein Talent, von dem er noch nichts zu wissen scheint, entfalten kann.
Helmut Dietl, der Mann, der die besten deutschen Fernsehserien geschrieben und inszeniert hat, ist nicht zum Fernsehen gekommen. Das Fernsehen ist zu ihm gekommen. Damit endet das Buch, was sehr stimmig ist. Man hätte trotzdem gern noch alles andere gelesen.
CLAUDIUS SEIDL
Helmut Dietl: "A bissel was geht immer. Unvollendete Erinnerungen". Kiepenheuer & Witsch, 348 Seiten, 22,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"A bissel was geht immer", verspricht der Titel der unvollendeten Erinnerungen des großen Regisseurs Helmut Dietl. Es geht aber um viel mehr. Es ist der Roman einer Jugend
Zu den vielen Mutmaßungen über Helmut Dietl, welche auch durch allergenaueste Betrachtungen des Werks weder bewiesen noch widerlegt werden können, gehörte immer auch die, dass Dietl zwar ein sehr guter Drehbuchautor gewesen sei, Schöpfer unvergessener Figuren - dass aber der sprachliche Feinschliff, die erstaunliche und in Deutschland absolut ungewohnte Präzision noch der nebensächlichsten Nebensätze eher ein Werk Patrick Süskinds gewesen sei, Dietls Co-Autors, jenes Mannes also, dem man nicht zu nahe tritt, wenn man ihm unterstellt, dass sein Gehör für Sprache fast genauso sensibel sei wie der Geruchssinn des Mörders Grenouille in Süskinds Roman "Das Parfum".
Zu den vielen Erkenntnissen, die einem bleiben, wenn man Dietls unvollendete Memoiren gelesen hat, gehört auch die, dass es weiterhin keinen Grund gibt, an Patrick Süskinds Genie zu zweifeln; dass aber Helmut Dietl ein Schriftsteller aus eigenem Recht gewesen ist, ein Autor, dessen Können und Stil sich nicht bloß im sprachlichen Detail offenbaren: Sondern, vor allem, in der Art, wie er seinen Stoff und seinen Helden, das Kind, den Jungen, schließlich den jungen Mann, aus dem einmal der berühmte Helmut Dietl werden wird, in den Griff bekommt; wie er der eigenen Erinnerung eine Form abringt, die literarisch ist, ohne dass sie die Wirklichkeit zurechtbiegen müsste.
Man weiß ja, auch als Kenner des Werks und Bewunderer von dessen Schöpfer, nicht besonders viel über jenen Helmut Dietl, den seine Stilisierungen und Selbstinszenierungen überdeutlich sichtbar machten. Und unsichtbar zugleich. Schon klar, die fünfzig Schattierungen von Weiß, die er meistens trug, der dunkle Vollbart unter der markanten, italienischen Nase und jener typisch münchnerische, ein bisschen arrogante Grant, der die Schwätzer, Schleimer, Nervensägen auf Distanz hielt - das alles machte Helmut Dietl schon aus der Ferne immer als Helmut Dietl erkennbar. Man hatte von ein paar Ehen und Liebschaften gehört, von der Angewohnheit, möglichst immer im selben Restaurant zu essen, von einem gewissen Eigensinn, mit dem Dietl einen Film lieber nicht drehte, als dass er irgendetwas inszeniert hätte, das er sich selbst nicht glauben wollte - die "Unendliche Geschichte" ist da nur das bekannteste Beispiel. Wer mehr von ihm wissen wolle, hat Dietl immer wieder gesagt, solle seine Serien und Filme schauen: Da stecke alles von ihm drin.
Und so ist die erste Erkenntnis bei der Lektüre dieses Buches, dass man gar nicht wusste, was man alles nicht wusste über diesen Helmut Dietl, über die Herkunft, die Kindheit, die Motive, die ihn trieben und bewegten. Die zweite Erkenntnis ist die, dass man nach spätestens fünfzig Seiten weiß, dass der Titel in die Irre führt. "A bissel was geht immer", das ist ja ein Satz, den schon der Monaco-Franze nur ironisch zitiert, um nicht all zu deutlich auszusprechen, dass er sehr viel mehr will von dieser Frau, der Elli, zu der er das sagt. Der junge Dietl, wie ihn der alte Dietl beschreibt, hatte nicht nur einen Abscheu gegenüber allem, was nur nett und harmlos münchnerisch war. Er wollte alles, und wenn nicht das, dann mindestens nichts, aber ganz bestimmt von niemandem bloß "a bissel was".
Die dritte Erkenntnis, vielleicht die interessanteste, ist die, dass in dem Buch, in welchem sich Dietl vor aller Augen als Schriftsteller beweist (seine pointiert und elegant geschriebenen Exposés und Entwürfe richteten sich ja nie ans allgemeine Publikum), er sich zugleich dazu bekennt, dass er, praktisch vom Moment an, da er schreiben konnte, ein Literat, ja ein Dichter werden wollte. Dass er als Schüler kleine Theaterstücke schrieb und inszenierte, um an ein bisschen Geld und die Mitschülerinnen heranzukommen, hat er gelegentlich angedeutet in Interviews. Dass er sich selbst sehr ernst nahm als Lyriker; dass er durchaus damit rechnete, im Insel-Verlag zu publizieren, und zerstört war, als Fritz Arnold, der Verleger, den der junge Dietl aus Schwabinger Lokalen kannte, ihm einen Absagebrief schickte: Das ist nicht nur neu, das ist auch so genau und literarisch anspruchsvoll beschrieben, als müsste noch der alte Dietl den jungen Lyriker rehabilitieren. Eine der schönsten und poetischsten Szenen aus dem Leben des Lyrikers spielt am Strand, irgendwo in Frankreich; der 16-jährige, noch unschuldige Helmut hat Elke getroffen, ein sachliches Mädchen aus Norddeutschland. Beide wollen Sex miteinander, aber der Junge hat kaum die Badehose ausgezogen, da kommt es ihm schon. Sie versucht ihn zu trösten, er weiß gar nicht, weshalb: "Es lag ja nicht an Elke aus Ostholstein, dass ich diesen Praecox hatte. Es lag an mir, meiner sexuellen Fantasie, die mich in diesem Moment überwältig hatte. (. . .) Jetzt, da ich meiner Fantasie sicher war, da mir ein Praecox quasi bewiesen hatte, dass ich ein Dichter war, war wieder alles in Ordnung. Ich war Elke nachträglich dankbar, dass sie mir durch diesen Vorfall ermöglicht hatte, endlich einen unverstellten Blick auf meine eigene Persönlichkeit richten zu können."
Es wird trotzdem dann besser klappen mit Louise aus Wien, mit der Lili aus dem Erdinger Moos, mit dem Dorle aus Nymphenburg, schließlich mit Elfie, Dorles Mutter, die dem jungen Mann die ersten Engagements beim Fernsehen verschafft. Danach bricht die Erzählung ab, fünf, sechs Jahre bevor dieser Helmut Dietl zur öffentlichen Figur wird mit seiner ersten Fernsehserie, den "Münchner Gschichten" - und dass Dietl eigentlich weiterschreiben wollte, den vollständigen Roman seines Lebens, ist bekannt und dem Text auch anzumerken.
Dass er abbricht in der Zeit, als die Jugend zu Ende geht und der Traum von der Dichterexistenz langsam verblasst, liegt wohl daran, dass Helmut Dietl, krankheitsbedingt, nicht weiterschreiben konnte (Fragmente dessen, was kommen sollte, sind angehängt an den Text). Es hat aber eine große Stimmigkeit. Denn so erzählt dieses Buch nicht nur die Vorgeschichte einer Karriere; es ist auch der Roman einer Jugend, eine Coming-of-Age-Erzählung, zu deren Reizen auch der gehört, dass sie nicht in irgendeiner trost- und geistlosen Provinz spielt, welcher der Held möglichst schnell entrinnen will. Sondern in München, im Schwabing der späten Fünfziger und der Sechziger. Und entsprechend ist nicht nur die Grundstimmung urbaner, nervöser, frivoler. Auch die Rollen sind interessanter besetzt.
Das fängt schon bei der Familie an. Dietls Vater war mehr Strizzi als Stenz, ein Checker, Gschaftler, notorischer Bankrotteur (und insofern Modell für viele Filmfiguren), Fremdgeher, Trinker, ein Mann, der nie viel zu Hause, schließlich ganz verschwunden und wahrscheinlich gar nicht der wirkliche Vater war, wie der junge Dietl, als er sich endlich zu fragen traut, von der Mutter erfährt. Es war wohl ein Italiener, wie bei Franz Münchinger, genannt Monaco, der auch insofern ein Selbstporträt seines Autors ist.
Die Mutter war schön, warmherzig, fürsorglich, Tochter eines kommunistischen Schneidermeisters und seiner katholisch-frömmelnden Frau. Der Großvater lebte nicht mehr, die Großmutter schon, und dann lebte auch noch die andere Großmutter, Witwe Fritz Greiners, der in den Zwanzigern fast ein Star war im deutschen Stummfilm und den Andreas Hofer und den Wallenstein spielte. Mit diesen drei Frauen wächst Helmut Dietl auf, wird geliebt und verwöhnt, das prägt auch die emotionale Perspektive. Wie man überhaupt in der Schilderung dieser Kindheit und Jugend mal wieder erfahren kann, wie gut es für Geist, Charakter und Karriere ist, wenn ein Kind genug Zuwendung, Interesse, Sympathie bekommt, auch diese Sache, die man wohl Herzensbildung nennen muss. Aber, weil der Vater nichts hat und die Mutter im Büro sehr wenig verdient: nie genug Geld - was den Ehrgeiz, die Ambition, den Wunsch, die Welt oder zumindest München zu erobern, gewaltig befeuern kann.
Ja, ehrgeizig ist dieser junge Mann, und zugleich fällt ihm so vieles ganz einfach zu; er sieht gut aus, er hat offensichtlich Verstand und Witz und eine Art, wie die Frauen sie mögen. Er ist ein Günstling des Glücks, und man darf, um diese Figur literarisch einzuordnen, ruhig Maß nehmen an Julien Sorel, dem Helden in Stendhals "Rot und Schwarz", der ja auch am Anfang des Romans noch nicht zynisch ist, nur erstaunt darüber, wie leicht es sich auf dem Weg nach oben geht, wenn man ein Mann ist, dem die Frauen nicht widerstehen wollen. Was diese beiden Männer unterscheidet, ist nicht nur der glückliche Umstand, dass Helmut Dietl der Untergang Sorels erspart geblieben ist. Es ist vor allem die Tatsache, dass es nicht Stendhal ist, der diese Geschichte erzählt, kein Autor, der aus angemessenem Abstand die Bilder scharf stellen und den Kontext überblicken kann. Es ist der Held selber, der hier erzählt, und was das für eine Leistung ist, wird einem spätestens dann bewusst, wenn man bedenkt, wie dumm und peinlich, wie großspurig und angeberisch man all das, wovon hier berichtet wird, hätte schildern können. Es ist das Glück des Autors Dietl, dass sein Held zwar viel Glück hat, aber keinerlei Talent zur Zufriedenheit, schon gar nicht mit sich selbst.
Wie das funktioniert, dieses Glück (oder soll man Schicksal sagen?), erfährt der junge Dietl, als er im Atelier seines Freundes, des Malers Ugo Dossi, ein Mädchen kennenlernt, von dem er sofort hingerissen ist. Sie ist dunkel und schön, er hält sie erst für eine Italienerin, aber für den Weg zu ihr nach Hause nimmt man die Trambahnlinien 3 oder 21 zum Romanplatz, und dann steht der Junge vor dem Haus, in dem Dorle wohnt; es gehört ihrer Mutter Elfie Pertramer, einer schönen, erwachsenen Frau, Schauspielerin und Kabarettistin und in den frühen Sechzigern einer der populärsten Stars des bayerischen Fernsehens. Im Garten steht ein grimmiger junger Mann, der Hausfreund und Vertraute; es ist Walter Sedlmayr. Und als die Mutter den Freund ihrer Tochter sieht, fängt sie sofort zu flirten an, was, wie Dietl erzählt, auch daran gelegen haben mag, dass sie eben erst verlassen worden ist von ihrem jugendlichen Geliebten, einem Arzt, der Filmregisseur werden will und sich dann in eine sehr schöne, viel jüngere Schauspielerin aus Wien verliebt hat. Wir kennen die beiden heute noch; es sind Senta Berger und Michael Verhoeven - und der Reiz einer solchen Episode liegt nicht nur darin, dass das alles erstklassiger Gossip ist.
Eher darf man das so lesen, dass da das Schicksal dem jungen und noch immer sehr erfolglosen Dichter einen Streich spielt und er, der in dieser Hinsicht keinerlei Ambitionen hat, verlockt und verführt wird in jene Welt, in welcher er dann sein Talent, von dem er noch nichts zu wissen scheint, entfalten kann.
Helmut Dietl, der Mann, der die besten deutschen Fernsehserien geschrieben und inszeniert hat, ist nicht zum Fernsehen gekommen. Das Fernsehen ist zu ihm gekommen. Damit endet das Buch, was sehr stimmig ist. Man hätte trotzdem gern noch alles andere gelesen.
CLAUDIUS SEIDL
Helmut Dietl: "A bissel was geht immer. Unvollendete Erinnerungen". Kiepenheuer & Witsch, 348 Seiten, 22,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Helmut Dietl, der große Salonmelancholiker unter den Filmemachern, ist in jeder Hinsicht zu früh gestorben. Auch seine Memoiren hat er nicht mehr fertigstellen können, warnt Manuel Brug vor, der hier vor allem ungekürzte Tagebuchaufzeichnunen aus Dietls Kindheit und Jugend gelesen hat. Also "Weibergeschichten". So charmant und authentisch diese auch herüberkommen, gehen Brug die Abenteuer des Westentaschen-Casanovas doch bald auf die Nerven. Schmerzlich vermisst er etwas Substanzielles über die Entstehung von Dietls großen Spielfilmen, immerhin stößt er neben Fragementen zu "Monace Franze" auf ein paar Seiten zu "Kir Royal".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Fein gezeichnet, mit Münchner Historie untermalt, eingebettet in das damalige Zeitkolorit [...] und in die Topografie Münchens.« Bayern 2 Kulturwelt