A title in which, a waiter divulges a shocking life of crime to his ex-wife; a woman repeats the story of her parents' unstable marriage after a horrible tragedy; a schoolgirl regrets gossiping about the cuckolded man who tutors her; and, a middle-aged accountant offers his reasons for ending a love affair.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2005Fremde im Zug
William Trevor erzählt die allertraurigsten Geschichten
Wer auf der Suche nach dem Glück ist, muß höllisch aufpassen, um es auch mitzubekommen, wenn es einmal kurz auftaucht: "Als sie sich umarmten, spiegelte sich ihr Bild im Schaufenster eines Kaufhauses wider. Sie sahen nicht die Eleganz, die dieses Bild vorübergehend einfing, und hätten nie behauptet oder geahnt, daß auch ihre Affäre diese Eleganz besessen hatte."
Der Ire William Trevor, mit siebenundsiebzig Jahren in Großbritannien seit langem der unangefochtene Meister der short story, beschwört in seinen neuen Erzählungen vor allem das Abwesende, das, was fehlt - und den Lebenssinn, der sich in der Hoffnung und der Sehnsucht danach finden läßt. Da ist etwa Pater Clohessy, der an seiner Berufung zweifelt, weil sich ihm das Göttliche nie mitteilt. Zudem verwirren und bestürzen ihn die ständigen substanzlosen Beichten der jungen Justina Casey. Doch schließlich verheißt ihm die fast fanatische Ergebenheit, mit der sie den Altar pflegt, die Präsenz Gottes. Dann sind da Fina und John Michael, die aus dem selben Dorf stammen, gemeinsam zur Schule gegangen sind und heiraten wollen. Vor allem aber teilen sie den Traum von Amerika, von einer Zukunft mit Arbeit, Einkommen und Sofagarnitur. John Michael geht vor, um eine Anstellung zu finden; später will er seine Braut holen kommen. Doch als seine spärlicher werdenden Briefe nur beweisen, wie schwer es ihm fällt, im Gelobten Land Fuß zu fassen, und er schließlich lieber zurückkehren und den Hof des Onkels übernehmen möchte, merkt Fina, daß sie gar nicht John Michael, sondern einzig den Traum eines anderen Lebens geliebt hat.
Von einer Trennung erzählt auch die titelgebende Geschichte "Seitensprung". Ein Paar trifft sich jeden Morgen vor der Arbeit, in der Mittagspause und am Abend. Obwohl er die Frau liebt, beendet der Mann die Affäre - aus Ehrgefühl. Er kann die abschätzigen Blicke nicht mehr ertragen: "Überall, auch hier, sahen die Leute nur eins: Sie ist für ihn nicht mehr als ein Seitensprung." Diese Geringschätzung seiner Liebe zermürbt ihn.
Obwohl die Geschichten an unterschiedlichen Orten spielen, mal in London, mal in Italien und mal auf dem irischen Land, sind Trevors Figuren wie Passanten, die einem auf der Straße entgegenkommen, konzentriert, oft auch verwundert dem unverständlichen Weg des eigenen Lebens folgend, einige sich vorsichtig entlangtastend, andere entschlossen ausschreitend. So unmittelbar der Eindruck ist im Moment des Blickkontakts, so schnell verschwinden sie wieder in der Menge. Arrangiert von einer Partnerschaftsagentur, verbringen Evelyn und Jeffrey einen unbehaglichen "Abend zu zweit". Obwohl sie sich nichts zu sagen haben, überstehen sie die mißliche Situation: Er hofft auf eine kostenlose Mahlzeit, sie fürchtet die Einsamkeit ihrer Wohnung. "Daß sie einander benutzt hatten, war von größerer Würde als alles, was ihrer Begegnung hätte folgen sollen." Dann warten zwei Menschen wieder auf zwei verschiedenen Bahnsteigen auf Züge, die in unterschiedliche Richtungen fahren.
Es sind die flüchtigen Momente, die William Trevor aufspürt, in denen Mißverständnisse, geplatzte Träume und Verzweiflung zutage treten - unausweichlich, doch ohne jede Tragik. Gleich in der ersten der zwölf Geschichten, "In einem Totenhaus" überschrieben, bekommt die frisch verwitwete Emily Besuch von den Geraghty-Schwestern, zwei Frauen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, "den Sterbenden Beistand zu leisten". Erst will sie die Damen abweisen, doch dann, bei Tee, Früchtebrot und höflichem Geplauder, platzt es auf einmal aus ihr heraus: die unglückliche Ehe, der gleichgültige Mann, die Einsamkeit zu zweit, all das, was sie jahrzehntelang gefühlt, doch nie ausgesprochen hat. Wiederum sind es die kleinen, scheinbar nebensächlichen Details, in denen Trevor das verschobene Gefüge der Figuren zeigt: Ohne zu fragen, macht eine der Schwestern eine neue Kanne Tee und schneidet noch etwas Kuchen auf. Emily ist machtlos, in ihrem verwahrlosten Haushalt ebenso wie zuvor in ihrer Ehe.
Es sind aus der bodenlosen Tiefe des Alltags heraufgezogene Geschichten, Begebenheiten, die von Mißverständnissen, verpaßter Liebe und Verlust geprägt sind. Daß die Figuren diese Enttäuschung akut fühlen, doch für sich behalten, hebt sie wohltuend von den zwanghaften Selbstbeobachtern der Moderne ab. William Trevor ist kein altmodischer Erzähler, sondern ein zeitloser - ganz wie Ford Madox Ford, dem er in "Einsamkeit" seine Hommage erweist. Und auch wenn seine Figuren den Moment, in dem ihr Leben eine wichtige Wendung nimmt, nicht immer erkennen, sorgt er doch dafür, daß seine Leser es tun. In "Heiligenfiguren" will eine junge Frau trotz ärmlichster Verhältnisse nicht, daß ihr Mann einen Job als Straßenarbeiter annimmt, sondern daß er eine unbezahlte Lehre bei einem Steinmetz macht, um sein bildhauerisches Talent zu fördern. Das Dilemma von Geldnot und Liebe treibt sie zu einem schrecklichen Lösungsversuch. Als dieser scheitert, tröstet William Trevor sie und uns mit der Gewißheit: "Die Welt, nicht sie, hatte versagt."
William Trevor: "Seitensprung". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Jakobeit. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2005. 237 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
William Trevor erzählt die allertraurigsten Geschichten
Wer auf der Suche nach dem Glück ist, muß höllisch aufpassen, um es auch mitzubekommen, wenn es einmal kurz auftaucht: "Als sie sich umarmten, spiegelte sich ihr Bild im Schaufenster eines Kaufhauses wider. Sie sahen nicht die Eleganz, die dieses Bild vorübergehend einfing, und hätten nie behauptet oder geahnt, daß auch ihre Affäre diese Eleganz besessen hatte."
Der Ire William Trevor, mit siebenundsiebzig Jahren in Großbritannien seit langem der unangefochtene Meister der short story, beschwört in seinen neuen Erzählungen vor allem das Abwesende, das, was fehlt - und den Lebenssinn, der sich in der Hoffnung und der Sehnsucht danach finden läßt. Da ist etwa Pater Clohessy, der an seiner Berufung zweifelt, weil sich ihm das Göttliche nie mitteilt. Zudem verwirren und bestürzen ihn die ständigen substanzlosen Beichten der jungen Justina Casey. Doch schließlich verheißt ihm die fast fanatische Ergebenheit, mit der sie den Altar pflegt, die Präsenz Gottes. Dann sind da Fina und John Michael, die aus dem selben Dorf stammen, gemeinsam zur Schule gegangen sind und heiraten wollen. Vor allem aber teilen sie den Traum von Amerika, von einer Zukunft mit Arbeit, Einkommen und Sofagarnitur. John Michael geht vor, um eine Anstellung zu finden; später will er seine Braut holen kommen. Doch als seine spärlicher werdenden Briefe nur beweisen, wie schwer es ihm fällt, im Gelobten Land Fuß zu fassen, und er schließlich lieber zurückkehren und den Hof des Onkels übernehmen möchte, merkt Fina, daß sie gar nicht John Michael, sondern einzig den Traum eines anderen Lebens geliebt hat.
Von einer Trennung erzählt auch die titelgebende Geschichte "Seitensprung". Ein Paar trifft sich jeden Morgen vor der Arbeit, in der Mittagspause und am Abend. Obwohl er die Frau liebt, beendet der Mann die Affäre - aus Ehrgefühl. Er kann die abschätzigen Blicke nicht mehr ertragen: "Überall, auch hier, sahen die Leute nur eins: Sie ist für ihn nicht mehr als ein Seitensprung." Diese Geringschätzung seiner Liebe zermürbt ihn.
Obwohl die Geschichten an unterschiedlichen Orten spielen, mal in London, mal in Italien und mal auf dem irischen Land, sind Trevors Figuren wie Passanten, die einem auf der Straße entgegenkommen, konzentriert, oft auch verwundert dem unverständlichen Weg des eigenen Lebens folgend, einige sich vorsichtig entlangtastend, andere entschlossen ausschreitend. So unmittelbar der Eindruck ist im Moment des Blickkontakts, so schnell verschwinden sie wieder in der Menge. Arrangiert von einer Partnerschaftsagentur, verbringen Evelyn und Jeffrey einen unbehaglichen "Abend zu zweit". Obwohl sie sich nichts zu sagen haben, überstehen sie die mißliche Situation: Er hofft auf eine kostenlose Mahlzeit, sie fürchtet die Einsamkeit ihrer Wohnung. "Daß sie einander benutzt hatten, war von größerer Würde als alles, was ihrer Begegnung hätte folgen sollen." Dann warten zwei Menschen wieder auf zwei verschiedenen Bahnsteigen auf Züge, die in unterschiedliche Richtungen fahren.
Es sind die flüchtigen Momente, die William Trevor aufspürt, in denen Mißverständnisse, geplatzte Träume und Verzweiflung zutage treten - unausweichlich, doch ohne jede Tragik. Gleich in der ersten der zwölf Geschichten, "In einem Totenhaus" überschrieben, bekommt die frisch verwitwete Emily Besuch von den Geraghty-Schwestern, zwei Frauen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, "den Sterbenden Beistand zu leisten". Erst will sie die Damen abweisen, doch dann, bei Tee, Früchtebrot und höflichem Geplauder, platzt es auf einmal aus ihr heraus: die unglückliche Ehe, der gleichgültige Mann, die Einsamkeit zu zweit, all das, was sie jahrzehntelang gefühlt, doch nie ausgesprochen hat. Wiederum sind es die kleinen, scheinbar nebensächlichen Details, in denen Trevor das verschobene Gefüge der Figuren zeigt: Ohne zu fragen, macht eine der Schwestern eine neue Kanne Tee und schneidet noch etwas Kuchen auf. Emily ist machtlos, in ihrem verwahrlosten Haushalt ebenso wie zuvor in ihrer Ehe.
Es sind aus der bodenlosen Tiefe des Alltags heraufgezogene Geschichten, Begebenheiten, die von Mißverständnissen, verpaßter Liebe und Verlust geprägt sind. Daß die Figuren diese Enttäuschung akut fühlen, doch für sich behalten, hebt sie wohltuend von den zwanghaften Selbstbeobachtern der Moderne ab. William Trevor ist kein altmodischer Erzähler, sondern ein zeitloser - ganz wie Ford Madox Ford, dem er in "Einsamkeit" seine Hommage erweist. Und auch wenn seine Figuren den Moment, in dem ihr Leben eine wichtige Wendung nimmt, nicht immer erkennen, sorgt er doch dafür, daß seine Leser es tun. In "Heiligenfiguren" will eine junge Frau trotz ärmlichster Verhältnisse nicht, daß ihr Mann einen Job als Straßenarbeiter annimmt, sondern daß er eine unbezahlte Lehre bei einem Steinmetz macht, um sein bildhauerisches Talent zu fördern. Das Dilemma von Geldnot und Liebe treibt sie zu einem schrecklichen Lösungsversuch. Als dieser scheitert, tröstet William Trevor sie und uns mit der Gewißheit: "Die Welt, nicht sie, hatte versagt."
William Trevor: "Seitensprung". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Jakobeit. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2005. 237 S., geb., 22,- [Euro].
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