Die Erinnerungen von Ex-FBI-Chef James B. Comey sind aktuell, brisant und spannend wie ein Krimi. 2017 von Präsident Trump gefeuert, schreibt Comey einen fesselnden Insider-Bericht über politische Machenschaften und das von Donald Trump korrumpierte System.
Ein Sachbuch wie ein Kriminalroman der Extraklasse: James Comeys brisante Erinnerungen an die vergangenen 20 Jahre im Zentrum der Macht zeigen ihn als unbeugsamen Ermittler, der gegen die Mafia, gegen CIA-Folter und NSA-Überwachung, und zuletzt im Wahlkampf 2016 gegen Hillary Clintons Umgang mit dienstlichen Emails und Donald Trumps Russland-Verbindungen vorgegangen ist. Der Weg des parteilosen New Yorker Vorzeigejuristen gleicht einer politischen Achterbahnfahrt: stellvertretender Justizminister unter George W. Bush, zum FBI-Direktor ernannt von Barack Obama und gefeuert von Donald Trump wegen angeblicher Illoyalität. Sein Buch ist ein eindrückliches Lehrstück über den aufrechten Gang in einer verantwortungslosen Regierung.
Ein Sachbuch wie ein Kriminalroman der Extraklasse: James Comeys brisante Erinnerungen an die vergangenen 20 Jahre im Zentrum der Macht zeigen ihn als unbeugsamen Ermittler, der gegen die Mafia, gegen CIA-Folter und NSA-Überwachung, und zuletzt im Wahlkampf 2016 gegen Hillary Clintons Umgang mit dienstlichen Emails und Donald Trumps Russland-Verbindungen vorgegangen ist. Der Weg des parteilosen New Yorker Vorzeigejuristen gleicht einer politischen Achterbahnfahrt: stellvertretender Justizminister unter George W. Bush, zum FBI-Direktor ernannt von Barack Obama und gefeuert von Donald Trump wegen angeblicher Illoyalität. Sein Buch ist ein eindrückliches Lehrstück über den aufrechten Gang in einer verantwortungslosen Regierung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2018Im Fernlicht und im Rotlicht
Der entlassene FBI-Chef James Comey hat sein Leben auf- und umgeschrieben
Die Autobiographie des ehemaligen FBI-Chefs James Comey ist ein Produkt Donald Trumps. Dieses Buch, "A Higher Loyalty", über das seit Tagen diesseits und jenseits des Atlantiks aufgeregt geschrieben und geredet wird, weil es der nächste heiße Insiderbericht aus dem Washington von heute ist: Es wäre, in dieser Form und mit diesem Spannungsbogen, undenkbar ohne den amerikanischen Präsidenten. Es gäbe "A Higher Loyalty" nicht ohne ihn.
Na ja, klar, eine banale Erkenntnis, könnte man sagen, weil Comey vermutlich gar nicht darauf gekommen wäre, ein Buch zu schreiben, nicht jeder ehemalige FBI-Chef tut das - hätte Trump ihn nicht vor bald einem Jahr so spektakulär hinausgeworfen. Ein spektakulärer Rauswurf von vielen - und immer traf es jene Untergebenen des Präsidenten, von denen man denken konnte, dass sie Trump nicht in allem folgen.
Es gibt also ein enormes Interesse an einem solchen Insiderbericht, man verspricht sich was und kriegt es auch, und das bestätigt sich gerade, Comey tourt durch Talkshows. Aber im Falle von "A Higher Loyalty" geht der Einfluss Trumps auf dieses Buch in die Tiefe: Der Präsident hat es nicht nur angestoßen, er hat Comeys Leben umgeschrieben.
"A Higher Loyalty" ist der Bericht eines Aufsteigers im Apparat. Comey zählt seine Stationen und Vorbilder und Gegner auf, er beschwört die Suche nach Wahrheit als vornehmstes Ziel und die korrekte Einhaltung bürokratischer Abläufe als höchste Maxime, alles brav und fleißig und gut und schön - aber würde Comey nicht behaupten, dass es da noch Material gäbe, aus dem man folgern könnte, die damalige demokratische Justizministerin Loretta Lynch hätte auf FBI-Ermittlungen gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton Einfluss zu nehmen versucht, mehr dürfe er aber nicht sagen: Das Buch würde nur anschaulicher machen, was ohnehin schon sichtbar ist an Trumps Regime.
Aber "A Higher Loyalty" zeigt eben noch etwas anderes, Beunruhigenderes: Wie tief nämlich Trump, im Guten wie im Schlechten, in die Einbildungskraft seiner Fellow Americans eingedrungen ist, wie stark er sie in seinen Bann gezogen hat, wie sehr sie sich selbst nicht mehr vorstellen können ohne den Umstand, dass dieser Mann ihr Präsident werden konnte.
Trump tritt zwar erst spät in Comeys Lebensbeschreibung auf, ändert aber von den ersten Seiten an nachträglich, was vorher geschah. Er ist das große, böse Ereignis, das seinen Schatten vorauswirft. Was Comey auf seinem Weg aus dem kleinen Allendale in New Jersey über New York nach Washington geschehen ist, was ihn prägte, was er lernte, das ist im Rückblick nur ein Vorschein auf die Realität des Donald Trump als amerikanischer Präsident. Comeys Erinnerungen klingen deswegen oft wie ein Kommentar zur Lage, selbst dort, wo sie nicht von Trump handeln.
Das ist nicht ungewöhnlich für dieses Genre, aber im Falle Comeys ist es etwas anderes und wirkt irgendwann beinahe penetrant. Sonst finden große Männer und Frauen im Rückblick Spuren ihrer späteren Größe: Daran, dass ich Klassensprecher war, könnt ihr erkennen, dass ich die Truppen in die Schlacht führen konnte. Comey dagegen findet Lektionen für das Drama, welches sich akut in Washington ereignet. Er liest sein eigenes Leben als Suche nach etwas, das er "ethical leadership" nennt, integre Amtsführung - weil es daran im Augenblick im Weißen Haus so mangelt.
Comey, so erzählt er sich, hat gelernt, dass es, um ein guter Anführer zu sein, auf genau das ankommt, was Trump nie tut, nicht will, hasst, fördert, betreibt oder vermeidet. Egal, ob es um Basketball im Schulsport geht, um einen Schülerjob im Supermarkt oder den Kampf des jungen Mitarbeiters der New Yorker Staatsanwaltschaft gegen die Mafia, oder ob Comey, aufgestiegen zum stellvertretenden Justizminister unter George W. Bush, sich dagegen wehrt, Waterboarding zu legitimieren: Kaum eine Lektion aus dieser langen Karriere, in der nicht Donald Trump durchschimmert. Oder das, wofür Trump steht: Lügen, Dominanzverhalten, Patronage, bullying.
Es ist, als hätte Comey seine Lebensbeschreibung als Schlüsselroman der Ära Trump angelegt, und daher kommt dann wohl auch der hohe Ton: Integre Anführer, schreibt Comey einmal, "sagen die Wahrheit, und sie wissen, dass sie Menschen um sich herum brauchen, die die Wahrheit sagen, um weise Entscheidungen treffen zu können." Oder: "Was ein einziger Mensch anrichtet, kann zunichtemachen, was Hunderte Menschen über Jahre aufgebaut haben", und da geht es jetzt nicht um das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Europa oder des amerikanischen Präsidenten zur freien Presse, sondern um das korrekte Führungsverhalten in Comeys Behörde, damals war es das Justizministerium.
Ob Comey nun lernt, dass man Mitschüler nicht ärgern darf oder dass man nicht lügt, nur weil man beim Basketball im Schulsport unbedingt dazugehören will: Das Echo der Gegenwart hört man aus diesen Anekdoten immer. Es ist, als könnte Comey heute sein Leben nicht mehr betrachten, ohne sich Trump im Weißen Haus vorzustellen.
Dabei ist es wohl eher umgekehrt: Es spricht einiges dafür, dass ohne den FBI-Chef James Comey gar kein Präsident Trump im Weißen Haus säße. Comeys Behörde hatte mitten im Wahlkampf gegen die demokratische Kandidatin Hillary Clinton zu ermitteln begonnen, weil die in ihrer Zeit als Außenministerin einen privaten E-Mail-Account und Server für die dienstliche Kommunikation genutzt hatte. Comey war im Sommer 2016 eigenmächtig an die Presse gegangen, um zu erklären, dass seine Behörde kein kriminelles Verhalten erkennen könne und die Untersuchungen deswegen eingestellt würden. Zwei Wochen vor der Wahl am 8. November 2016 aber teilte Comey plötzlich dem Kongress mit, dass sie doch wieder aufgenommen würden: Weil ein Laptop des demokratischen Politikers Matthew Weiner aufgetaucht sei, auf dem sich - aus Gründen, die Comey bis heute nicht erklären kann - Tausende dienstliche E-Mails von Hillary Clinton befänden. Zwei Tage vor der Wahl erklärte der FBI-Chef die Untersuchungen dann abermals für eingestellt.
Doch die Gegner und Feinde Clintons hatten sich längst einen Schlachtruf ausgedacht, den man bis heute hören kann, wenn Trump auftritt und über seine unterlegene Konkurrentin spricht, und wenig tut er lieber: "Lock her up!" Sperrt sie ein! Zum Scheitern der demokratischen Kandidatin mag vieles beigetragen haben, diese E-Mail-Affäre und ihr nochmaliger Ausbruch, so kurz vor der Wahl, aber ganz sicher.
Comeys Behörde hatte im Sommer 2016 aber nicht nur gegen Clinton ermittelt: Gleichzeitig untersuchte das FBI, welche Verbindungen zwischen dem republikanischen Wahlkampfteam und den russischen Behörden bestanden haben könnten. In seinem Buch (wie schon bei seiner Anhörung im Senat im März 2017) behauptet Comey, er habe im Falle Clintons, unter Zeitdruck, vor der Wahl gestanden, an die Öffentlichkeit zu gehen oder die neuen Entwicklungen geheim zu halten, "speak or conceal", so spitzt er es damals wie heute zu. Comey habe sich dann aber entschieden, zu reden - um einerseits den Ruf seiner Behörde zu wahren, andererseits zu verhindern, dass nach einer Wahl Clintons plötzlich ein Verfahren gegen die neue Präsidentin eingeleitet werden müsste.
Sorge ums Vaterland und dessen höchstes Amt: nachvollziehbar, ehrenwert. Warum Comey diese Skrupel dann aber nicht im gleichen Maße bei den FBI-Ermittlungen einer russischen Einflussnahme auf den Wahlkampf zuungunsten Clintons verspürt hat, Ermittlungen, deren Ende damals ja genauso offen war und es immer noch ist, warum der FBI-Chef sich also im Falle Clintons sozusagen für speak und im Falle Trumps für conceal entschied: Dazu äußert sich James Comey im Buch nicht. Dafür hat das Hillary Clinton in ihrem Wahlkampfbuch "What Happened" im Winter 2017 getan: "Es ist äußerst unangenehm", schreibt sie dort, tief verletzt, aber ohne ausfällig zu werden, "wie peinlich genau Comey es zur gleichen Zeit vermieden hat, überhaupt irgendetwas zu den Ermittlungen über mögliche Verbindungen zwischen dem Trump-Wahlkampfteam und dem russischen Nachrichtendienst zu sagen. Warum hier zweierlei Maß herrschte, ist immer noch nicht adäquat erklärt worden, und es verblüfft mich."
Längst hat sich die Lage aber gewandelt, vor allem für den gefeuerten Comey. Und deswegen kann der jetzt gar nicht oft genug von diesen Ermittlungen über Trumps Team und die Russen sprechen, weil seine Reputation daran hängt, dass sein FBI ermittelt hat und das auch auf Druck des Präsidenten nicht einstellte - weil es Comeys Unbestechlichkeit zeigt und die seiner Behörde. (Eigentlich auf einem republikanischen Ticket unterwegs, schwärmt Comey in höchsten Tönen von Barack Obama und beteuert, er habe 2016 nicht gewählt, weil, wie er in der Talkshow von Stephen Colbert erklärte, er ja der FBI-Chef gewesen sei.) Comey zählt genau auf, wie oft ihn Trump zu sich geholt oder angerufen habe, um ihn einzunorden oder gute Stimmung zu machen - und wie Comey aber immer widerstanden habe, die Untersuchungen fallen zu lassen oder dem Präsidenten seine Loyalität zu erklären. Das hat Comey am Ende vermutlich den Job gekostet, deswegen halten ihn manche für eine Art Märtyrer.
Und natürlich stürzen sich jetzt die Talkshows auf die schillernden Details des Buchs: wie Comey die Orangenhaut des Präsidenten beschreibt und die Größe der Hände, wie er andeutet, dass Trump nicht weiß, was Kalligraphie ist. Und wie Trump wieder und wieder beteuert, an dem geheimen Material, er habe russische Prostituierte dazu gebracht, auf ein Moskauer Hotelbett zu urinieren, in dem zuvor das Präsidentenpaar Obama geschlafen habe, sei nichts dran, und überhaupt, dass ein Typ wie Trump doch keine Prostituierten nötig hätte!
Er habe nur versucht, wie ein Autor zu schreiben, hat Comey in Colberts Talkshow zu diesen Passagen erklärt, aber wie passt das zum hohen Ernst dieses Buchs? Dazu, wie Comey die Integrität seiner Behörde bis heute vor Trump zu verteidigen versucht, vor jeglicher politischen Inanspruchnahme? "Das FBI muss das ,Andere' in diesem Land sein, oder wir sind verloren", ruft Comey - um dann genüsslich aufzuzählen, dass er bei einem Dinner im Weißen Haus zwei Kugeln Eis zum Dessert bekam, obwohl bekannt ist, dass angeblich nur Trump immer zwei bekommt.
Comey kann nichts für die Geschmacklosigkeiten im Leben Trumps, aber man wundert sich doch, es wirkt kindisch und beifallsheischend ohne Not. "Er hat sich selbst von einem entscheidenden Zeugen zu einer Figur im seriellen Melodrama von Trumps Leben herabgesetzt", hat jetzt Frank Bruni in der "New York Times" über James Comey geschrieben, und das passt zu dieser Lebensnacherzählung im Fernlicht Trumps. Und im Rotlicht. Aus dem keiner, so scheint es, entkommt, selbst brave Beamte nicht.
TOBIAS RÜTHER.
James Comey: "A Higher Loyalty. Truth, Lies, and Leadership". MacMillan, 304 Seiten, um 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der entlassene FBI-Chef James Comey hat sein Leben auf- und umgeschrieben
Die Autobiographie des ehemaligen FBI-Chefs James Comey ist ein Produkt Donald Trumps. Dieses Buch, "A Higher Loyalty", über das seit Tagen diesseits und jenseits des Atlantiks aufgeregt geschrieben und geredet wird, weil es der nächste heiße Insiderbericht aus dem Washington von heute ist: Es wäre, in dieser Form und mit diesem Spannungsbogen, undenkbar ohne den amerikanischen Präsidenten. Es gäbe "A Higher Loyalty" nicht ohne ihn.
Na ja, klar, eine banale Erkenntnis, könnte man sagen, weil Comey vermutlich gar nicht darauf gekommen wäre, ein Buch zu schreiben, nicht jeder ehemalige FBI-Chef tut das - hätte Trump ihn nicht vor bald einem Jahr so spektakulär hinausgeworfen. Ein spektakulärer Rauswurf von vielen - und immer traf es jene Untergebenen des Präsidenten, von denen man denken konnte, dass sie Trump nicht in allem folgen.
Es gibt also ein enormes Interesse an einem solchen Insiderbericht, man verspricht sich was und kriegt es auch, und das bestätigt sich gerade, Comey tourt durch Talkshows. Aber im Falle von "A Higher Loyalty" geht der Einfluss Trumps auf dieses Buch in die Tiefe: Der Präsident hat es nicht nur angestoßen, er hat Comeys Leben umgeschrieben.
"A Higher Loyalty" ist der Bericht eines Aufsteigers im Apparat. Comey zählt seine Stationen und Vorbilder und Gegner auf, er beschwört die Suche nach Wahrheit als vornehmstes Ziel und die korrekte Einhaltung bürokratischer Abläufe als höchste Maxime, alles brav und fleißig und gut und schön - aber würde Comey nicht behaupten, dass es da noch Material gäbe, aus dem man folgern könnte, die damalige demokratische Justizministerin Loretta Lynch hätte auf FBI-Ermittlungen gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton Einfluss zu nehmen versucht, mehr dürfe er aber nicht sagen: Das Buch würde nur anschaulicher machen, was ohnehin schon sichtbar ist an Trumps Regime.
Aber "A Higher Loyalty" zeigt eben noch etwas anderes, Beunruhigenderes: Wie tief nämlich Trump, im Guten wie im Schlechten, in die Einbildungskraft seiner Fellow Americans eingedrungen ist, wie stark er sie in seinen Bann gezogen hat, wie sehr sie sich selbst nicht mehr vorstellen können ohne den Umstand, dass dieser Mann ihr Präsident werden konnte.
Trump tritt zwar erst spät in Comeys Lebensbeschreibung auf, ändert aber von den ersten Seiten an nachträglich, was vorher geschah. Er ist das große, böse Ereignis, das seinen Schatten vorauswirft. Was Comey auf seinem Weg aus dem kleinen Allendale in New Jersey über New York nach Washington geschehen ist, was ihn prägte, was er lernte, das ist im Rückblick nur ein Vorschein auf die Realität des Donald Trump als amerikanischer Präsident. Comeys Erinnerungen klingen deswegen oft wie ein Kommentar zur Lage, selbst dort, wo sie nicht von Trump handeln.
Das ist nicht ungewöhnlich für dieses Genre, aber im Falle Comeys ist es etwas anderes und wirkt irgendwann beinahe penetrant. Sonst finden große Männer und Frauen im Rückblick Spuren ihrer späteren Größe: Daran, dass ich Klassensprecher war, könnt ihr erkennen, dass ich die Truppen in die Schlacht führen konnte. Comey dagegen findet Lektionen für das Drama, welches sich akut in Washington ereignet. Er liest sein eigenes Leben als Suche nach etwas, das er "ethical leadership" nennt, integre Amtsführung - weil es daran im Augenblick im Weißen Haus so mangelt.
Comey, so erzählt er sich, hat gelernt, dass es, um ein guter Anführer zu sein, auf genau das ankommt, was Trump nie tut, nicht will, hasst, fördert, betreibt oder vermeidet. Egal, ob es um Basketball im Schulsport geht, um einen Schülerjob im Supermarkt oder den Kampf des jungen Mitarbeiters der New Yorker Staatsanwaltschaft gegen die Mafia, oder ob Comey, aufgestiegen zum stellvertretenden Justizminister unter George W. Bush, sich dagegen wehrt, Waterboarding zu legitimieren: Kaum eine Lektion aus dieser langen Karriere, in der nicht Donald Trump durchschimmert. Oder das, wofür Trump steht: Lügen, Dominanzverhalten, Patronage, bullying.
Es ist, als hätte Comey seine Lebensbeschreibung als Schlüsselroman der Ära Trump angelegt, und daher kommt dann wohl auch der hohe Ton: Integre Anführer, schreibt Comey einmal, "sagen die Wahrheit, und sie wissen, dass sie Menschen um sich herum brauchen, die die Wahrheit sagen, um weise Entscheidungen treffen zu können." Oder: "Was ein einziger Mensch anrichtet, kann zunichtemachen, was Hunderte Menschen über Jahre aufgebaut haben", und da geht es jetzt nicht um das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Europa oder des amerikanischen Präsidenten zur freien Presse, sondern um das korrekte Führungsverhalten in Comeys Behörde, damals war es das Justizministerium.
Ob Comey nun lernt, dass man Mitschüler nicht ärgern darf oder dass man nicht lügt, nur weil man beim Basketball im Schulsport unbedingt dazugehören will: Das Echo der Gegenwart hört man aus diesen Anekdoten immer. Es ist, als könnte Comey heute sein Leben nicht mehr betrachten, ohne sich Trump im Weißen Haus vorzustellen.
Dabei ist es wohl eher umgekehrt: Es spricht einiges dafür, dass ohne den FBI-Chef James Comey gar kein Präsident Trump im Weißen Haus säße. Comeys Behörde hatte mitten im Wahlkampf gegen die demokratische Kandidatin Hillary Clinton zu ermitteln begonnen, weil die in ihrer Zeit als Außenministerin einen privaten E-Mail-Account und Server für die dienstliche Kommunikation genutzt hatte. Comey war im Sommer 2016 eigenmächtig an die Presse gegangen, um zu erklären, dass seine Behörde kein kriminelles Verhalten erkennen könne und die Untersuchungen deswegen eingestellt würden. Zwei Wochen vor der Wahl am 8. November 2016 aber teilte Comey plötzlich dem Kongress mit, dass sie doch wieder aufgenommen würden: Weil ein Laptop des demokratischen Politikers Matthew Weiner aufgetaucht sei, auf dem sich - aus Gründen, die Comey bis heute nicht erklären kann - Tausende dienstliche E-Mails von Hillary Clinton befänden. Zwei Tage vor der Wahl erklärte der FBI-Chef die Untersuchungen dann abermals für eingestellt.
Doch die Gegner und Feinde Clintons hatten sich längst einen Schlachtruf ausgedacht, den man bis heute hören kann, wenn Trump auftritt und über seine unterlegene Konkurrentin spricht, und wenig tut er lieber: "Lock her up!" Sperrt sie ein! Zum Scheitern der demokratischen Kandidatin mag vieles beigetragen haben, diese E-Mail-Affäre und ihr nochmaliger Ausbruch, so kurz vor der Wahl, aber ganz sicher.
Comeys Behörde hatte im Sommer 2016 aber nicht nur gegen Clinton ermittelt: Gleichzeitig untersuchte das FBI, welche Verbindungen zwischen dem republikanischen Wahlkampfteam und den russischen Behörden bestanden haben könnten. In seinem Buch (wie schon bei seiner Anhörung im Senat im März 2017) behauptet Comey, er habe im Falle Clintons, unter Zeitdruck, vor der Wahl gestanden, an die Öffentlichkeit zu gehen oder die neuen Entwicklungen geheim zu halten, "speak or conceal", so spitzt er es damals wie heute zu. Comey habe sich dann aber entschieden, zu reden - um einerseits den Ruf seiner Behörde zu wahren, andererseits zu verhindern, dass nach einer Wahl Clintons plötzlich ein Verfahren gegen die neue Präsidentin eingeleitet werden müsste.
Sorge ums Vaterland und dessen höchstes Amt: nachvollziehbar, ehrenwert. Warum Comey diese Skrupel dann aber nicht im gleichen Maße bei den FBI-Ermittlungen einer russischen Einflussnahme auf den Wahlkampf zuungunsten Clintons verspürt hat, Ermittlungen, deren Ende damals ja genauso offen war und es immer noch ist, warum der FBI-Chef sich also im Falle Clintons sozusagen für speak und im Falle Trumps für conceal entschied: Dazu äußert sich James Comey im Buch nicht. Dafür hat das Hillary Clinton in ihrem Wahlkampfbuch "What Happened" im Winter 2017 getan: "Es ist äußerst unangenehm", schreibt sie dort, tief verletzt, aber ohne ausfällig zu werden, "wie peinlich genau Comey es zur gleichen Zeit vermieden hat, überhaupt irgendetwas zu den Ermittlungen über mögliche Verbindungen zwischen dem Trump-Wahlkampfteam und dem russischen Nachrichtendienst zu sagen. Warum hier zweierlei Maß herrschte, ist immer noch nicht adäquat erklärt worden, und es verblüfft mich."
Längst hat sich die Lage aber gewandelt, vor allem für den gefeuerten Comey. Und deswegen kann der jetzt gar nicht oft genug von diesen Ermittlungen über Trumps Team und die Russen sprechen, weil seine Reputation daran hängt, dass sein FBI ermittelt hat und das auch auf Druck des Präsidenten nicht einstellte - weil es Comeys Unbestechlichkeit zeigt und die seiner Behörde. (Eigentlich auf einem republikanischen Ticket unterwegs, schwärmt Comey in höchsten Tönen von Barack Obama und beteuert, er habe 2016 nicht gewählt, weil, wie er in der Talkshow von Stephen Colbert erklärte, er ja der FBI-Chef gewesen sei.) Comey zählt genau auf, wie oft ihn Trump zu sich geholt oder angerufen habe, um ihn einzunorden oder gute Stimmung zu machen - und wie Comey aber immer widerstanden habe, die Untersuchungen fallen zu lassen oder dem Präsidenten seine Loyalität zu erklären. Das hat Comey am Ende vermutlich den Job gekostet, deswegen halten ihn manche für eine Art Märtyrer.
Und natürlich stürzen sich jetzt die Talkshows auf die schillernden Details des Buchs: wie Comey die Orangenhaut des Präsidenten beschreibt und die Größe der Hände, wie er andeutet, dass Trump nicht weiß, was Kalligraphie ist. Und wie Trump wieder und wieder beteuert, an dem geheimen Material, er habe russische Prostituierte dazu gebracht, auf ein Moskauer Hotelbett zu urinieren, in dem zuvor das Präsidentenpaar Obama geschlafen habe, sei nichts dran, und überhaupt, dass ein Typ wie Trump doch keine Prostituierten nötig hätte!
Er habe nur versucht, wie ein Autor zu schreiben, hat Comey in Colberts Talkshow zu diesen Passagen erklärt, aber wie passt das zum hohen Ernst dieses Buchs? Dazu, wie Comey die Integrität seiner Behörde bis heute vor Trump zu verteidigen versucht, vor jeglicher politischen Inanspruchnahme? "Das FBI muss das ,Andere' in diesem Land sein, oder wir sind verloren", ruft Comey - um dann genüsslich aufzuzählen, dass er bei einem Dinner im Weißen Haus zwei Kugeln Eis zum Dessert bekam, obwohl bekannt ist, dass angeblich nur Trump immer zwei bekommt.
Comey kann nichts für die Geschmacklosigkeiten im Leben Trumps, aber man wundert sich doch, es wirkt kindisch und beifallsheischend ohne Not. "Er hat sich selbst von einem entscheidenden Zeugen zu einer Figur im seriellen Melodrama von Trumps Leben herabgesetzt", hat jetzt Frank Bruni in der "New York Times" über James Comey geschrieben, und das passt zu dieser Lebensnacherzählung im Fernlicht Trumps. Und im Rotlicht. Aus dem keiner, so scheint es, entkommt, selbst brave Beamte nicht.
TOBIAS RÜTHER.
James Comey: "A Higher Loyalty. Truth, Lies, and Leadership". MacMillan, 304 Seiten, um 20 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main