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Er ist einer der grandiosesten Naturlyriker weltweit. Einer, der genau beobachtet, sich in das, was er sieht, versenkt und eine Sprache für das Gesehene findet, ja, manchmal erfindet: John Clare (1793-1864). Seine Verse scheinen der Natur abgelauscht - "gulsh" ist für ihn das Geräusch eines fallenden Baumes, "crumping" das der Schritte in frischem Schnee. Zugleich ist er einer der ersten, der die Veränderung der Natur durch den Menschen als das wahrnimmt, was sie auch damals schon ist: eine Bedrohung.John Clares Eltern sind des Schreibens und Lesen kaum mächtig. Als Junge ist er Feldarbeiter -…mehr

Produktbeschreibung
Er ist einer der grandiosesten Naturlyriker weltweit. Einer, der genau beobachtet, sich in das, was er sieht, versenkt und eine Sprache für das Gesehene findet, ja, manchmal erfindet: John Clare (1793-1864). Seine Verse scheinen der Natur abgelauscht - "gulsh" ist für ihn das Geräusch eines fallenden Baumes, "crumping" das der Schritte in frischem Schnee. Zugleich ist er einer der ersten, der die Veränderung der Natur durch den Menschen als das wahrnimmt, was sie auch damals schon ist: eine Bedrohung.John Clares Eltern sind des Schreibens und Lesen kaum mächtig. Als Junge ist er Feldarbeiter - und wird zum Prototyp des "peasant poet", des ungebildeten Landmanns, der anrührende Dichtung schreibt. An dem Zwiespalt zwischen vergeistigter Dichterexistenz in London und ärmlicher Provinzwelt daheim wird er schließlich zerbrechen. Die letzten 27 Jahre seines Lebens verbringt John Clare - dichtend - in einer psychiatrischen Anstalt.In England gilt er längst als einer der Großen, in Deutschland dagegen ist er skandalträchtig unbekannt - von seiner Lyrik war bisher kaum etwas übersetzt. Erstmalig gibt es nun hierzulande einen ganzen Band mit Clares Gedichten,zweisprachig englisch und deutsch, ediert, übersetzt und kommentiert von Manfred Pfister.Ein Großereignis für die Poesie im deutschen Sprachraum!
Autorenporträt
John Clare (1793-1864) wurde in Helpston, Northamptonshire, in der Mitte Englands, geboren und wuchs in Armut auf. Sein erster Gedichtband Poems Descriptive of Rural Life and Scenery erschien 1820. Drei weitere Bände folgten, bevor er sich 1837 in psychiatrische Behandlung begab.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Thomas Steinfeld liest die Gedichte von John Clare in der neuen, von Manfred Pfister besorgten Ausgabe mit Freude. Clares tragische Geschichte, er verbrachte einen Großteil seines Lebens in der Psychiatrie und fand nur im Dichten einen verständlichen Ausdruck, spiegeln die Texte nicht. Dafür erzählen sie laut Rezensent vom ländlichen Proletariat, dem Clare entstammte. Die "persönliche" Grammatik der Gedichte, ihr romantischer, bisweilen naiver Ton täuschen den Rezensenten nicht darüber hinweg, dass der Autor stets weiß, was er tut. Pfisters Übersetzung von Versmaß und Reim überzeugt Steinfeld hingegen nicht vollends. Die Leichtigkeit und Genauigkeit des Originals geht mitunter verloren, findet er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.07.2021

Vermächtnis eines Bauerndichters

John Clares Gedichte einer verschwindenden ländlichen Welt erscheinen erstmals in deutscher Auswahl. Aber was geschieht mit ihrer Musikalität?

Weite Ebenen mit Mooren und Marschen, Ostengland am Vorabend der Industrialisierung. Hier, in Helpstone, "einem düstern Dorf in Northamptonshire, am Rand der Fenns von Lincolnshire", wurde im Sommer 1793 John Clare, der Sohn eines Landarbeiters, geboren. "Mein Vater war einer jener Zufallsbälge welche ohne den Segen der Ehelichkeit in die Welt gefallen kommen" (so in einer frühen autobiographischen Skizze, erschienen unter dem Titel "Raunen des Winds und bebende Distel" im Verlag Goldene Luft, von Esther Kinsky unter Beibehaltung von Clares orthographischem Eigensinn übersetzt). Clare bezeichnet hier seine Eltern als "des Lesens und Schreibens weitgehend unkundig". Aber der Vater habe an die hundert Balladen auswendig zu singen oder zu sagen gewusst und in Kneipen vorgetragen, er entzifferte Passagen aus der Bibel und Geschichten in Groschenheften, die auf den Jahrmärkten angeboten wurden.

Und abends erzählte die Mutter Märchen und Fabeln, wie sie sie gehört hatte. Selbst beim Jäten im Korn wurde erzählt. Die alten Frauen "versäumten es nie sich auf immer neue Geschichten zu besinnen, so dass jeden Tag neue Risen, Ungehäuer und Elfen auftraten, uns die Zeit zu vertreiben". Das Reimen und Singen, das mündliche Fabulieren prägte den Jungen, wie die geliebte Landschaft ihn prägte, deren zunehmende Zerstörung er mitansehen musste. Im Rahmen der "Enclosures"-Bodenreform wurde das einst allen zugängliche freie Gemeindeland zugunsten von Großgrundbesitzern eingezäunt und für ertragreichere Agrarbetriebe, meist Viehfarmen, genutzt.

John Clare ging bis zum zwölften Lebensjahr zur Schule; er las, was er bekommen konnte, lernte am Küchentisch. Von klein an war er auf den Feldern und in den Höfen da, wo man ihn brauchen konnte; er half auch in der Dorfwirtschaft aus. Doch das Beobachten der Natur, das Hören, was da summte, plätscherte, rauschte, knirschte, ging bald über in das eigene Beschreiben und Reimen. So öffnete ihm Sprache Heimat in der Welt. Es wurde ihm "zur Gewohnheit, zum Zeitvertreib und zum Verscheuchen einer Melanchollie mit mir selbst zu sprechen und vor mich hin zu murmeln, und für mich Dinge zu singen, die ich Lieder nannte und zu versuchen mir selbst Dinge zu beschreiben, die mir ins Auge fielen". Er schrieb heimlich, versteckte seine Gedichte auch aus Angst vor Spott.

John Clare war ein Verfechter eines durch keine Grammatik normierten, quasi natürlichen Schreibens, "denn ich wusste doch sehr wohl, dass ich so sprechen konnte, dass man mich verstand und ich meinte auf demselben Wege müsste doch mein Schreiben als richtig und ordentlich verstanden sein". Er, der mit 71 Jahren starb, veröffentlichte zu Lebzeiten rund vierhundert Gedichte; in seinem Nachlass fanden sich etwa dreitausend weitere. Die meisten entstanden in psychiatrischen Anstalten, in denen er die letzten 27 Jahre seines Lebens verbrachte.

Nun ist erstmals eine Auswahl seiner Verse auf Deutsch erschienen. Manfred Pfister, deren Herausgeber und Übersetzer, hat sie mit einem kundigen Vorwort eingeleitet und in sorgfältigen Kommentaren jedes Gedicht in den Lebenszusammenhang Clares gestellt. Wir erfahren von seinem Lavieren zwischen zwei Frauen, die sich ihm vermischen konnten, seinem Protest gegen die "Enclosures", seinem kometenhaften Aufstieg als Bauerndichter auf dem Literaturmarkt (eine Zeit lang verkauft sein renommierter Londoner Verleger John Taylor seine Gedichte besser als die von Keats), von seinen Vorbildern, seinem Fall.

Die Ausgabe "A Language That is Ever Green" versammelt 53 Gedichte aus allen Lebensphasen. Sie gibt Zugang in den Kosmos eines erstaunlich modernen und selbstkritischen Poeten des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Gerade im 21. Jahrhundert, das zunehmend auf die Zerstörung von Lebensräumen sensibilisiert ist, erhalten die liebevollen, ja andächtigen Naturbeschreibungen eine neue Evidenz. Nichts ist John Clare zu klein: kein Mäusenest und keine Schnepfe, kein Marienkäfer und kein Moor. Er beschreibt den Tagesablauf des Schäfers in den wechselnden Jahreszeiten und, unendlich berührend, ein sterbendes Kind. Er schreibt Satiren auf sein Dorf und Liebesgedichte, widmet Verse verehrten Dichterkollegen oder denkt, vor allem in Versen aus der Psychiatrie, über sich selbst nach. John Clare schreibt unmittelbar aus dem Augenblick heraus und nimmt uns so mit in eine verschwindende ländliche Welt, die er damit auch bewahrt.

Manfred Pfister hat sich entschlossen, den englischen Texten deutsche Verse beizugeben, die ebenfalls gereimt sind, aber auf die Wiedergabe von Clares regelmäßigen jambischen Metren verzichten. Vielleicht war das eine falsche Entscheidung. Marguerite Duras hat einmal gesagt, die schlimmsten Übersetzungsfehler seien musikalische. Das ist eine schöne polemische Spitze. Bei einem Dichter aber, der so sehr auf Klang (nicht nur Endreim!) und singenden Rhythmus setzt wie John Clare, wäre dies Wort zu bedenken. Clare will genau und dabei einfach schreiben, so, wie man aus dem Erleben heraus spricht. Er arbeitet mit dialektalen Wendungen, strebt nach Natürlichkeit. Clares Lied ist selbstverständlicher Gesang. Seine Sprache sollte "immer grün" sein: "a language that is ever green". Frisch also.

Bei Pfister scheinen Clares Verse oft manieriert, bieder, belegt mit einer bildungsbürgerlichen Patina. Und leider macht dann gerade der erzwungene Endreim das rhythmische Holpern auffällig. Dessen ungeachtet bleibt Pfisters Clare-Ausgabe unbedingt ein Ereignis. Für das ihm zu danken ist!

ANGELIKA OVERATH

John Clare: "A Language That is Ever Green". Gedichte englisch/deutsch.

Hrsg. und aus dem Englischen von Manfred Pfister. Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2021. 272 S., geb., 28,- [Euro].

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