A moving, unforgettable memoir of two lost men: a father and his child.
He had his final heart attack in the Silver Band Club in Corby, somewhere between the bar and the cigarette machine. A foundling; a fantasist; a morose, threatening drinker who was quick with his hands, he hadn't seen his son for years.
John Burnside's extraordinary story of this failed relationship is a beautifully written evocation of a lost and damaged world of childhood and the constants of his father's world: men defined by the drink they could take and the pain they could stand, men shaped by their guilt and machismo.
A Lie About My Father is about forgiving but not forgetting, about examining the way men are made and how they fall apart, about understanding that in order to have a good son you must have a good father.
Saltire Scottish Book of the Year and the Scottish Arts Council Non-Fiction Book of the Year.
He had his final heart attack in the Silver Band Club in Corby, somewhere between the bar and the cigarette machine. A foundling; a fantasist; a morose, threatening drinker who was quick with his hands, he hadn't seen his son for years.
John Burnside's extraordinary story of this failed relationship is a beautifully written evocation of a lost and damaged world of childhood and the constants of his father's world: men defined by the drink they could take and the pain they could stand, men shaped by their guilt and machismo.
A Lie About My Father is about forgiving but not forgetting, about examining the way men are made and how they fall apart, about understanding that in order to have a good son you must have a good father.
Saltire Scottish Book of the Year and the Scottish Arts Council Non-Fiction Book of the Year.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2011Das Gewebe der unsichtbaren Welt
In seinem Erinnerungsbuch „Lügen über meinen Vater“ und in seinen Gedichten deckt der schottische Schriftsteller John Burnside hinter jeder Gewissheit die Lüge auf
Es beginnt stets im Dunkeln. Mit einem Geräusch, als sei etwas aufs Bett gefallen. Ein Scharren wird hörbar, ein Huschen. Und plötzlich ist der Erzähler hellwach, sieht blaugraue Schatten und die Umrisse von Vögeln über die Wände ziehen. Der Schrecken dauert nie lange. Nach kaum einer Minute schüttelt der aus dem Schlaf Geholte den Kopf, verscheucht das Phantom – und weiß gleichwohl, die Erscheinung lässt sich nicht fortreden, zu tief wurzelt sie im Verstand, im Gedächtnis und in den Nervenbahnen. Doch die Morgenstunden kennen nicht nur das Entsetzen. Sie kennen auch feinere Erlebnisse, geschmeidig, durchsichtig fast. Dann verdichtet sich die Wahrnehmung zu kleinen Epiphanien, die sich später einmal in Verse verwandeln: „Wie ich wachst du manchmal / früh im Dunkeln auf / und glaubst du bist durch eine innere Landschaft / meilenweit gefahren, // spürst um dich herum die Bäume / noch tropfnass, die aufgescheuchten Wasservögel, / die sattgefressenen Rinder / im Kegel deiner Scheinwerfer taumeln.“
Wenn der schottische Schriftsteller John Burnside zu schreiben beginnt, erinnert er ein wenig an jene Doppelwesen aus dem Mythos, halb Mensch, halb Tier, halb gut, halb böse, die zwischen den Welten wandeln und alle Möglichkeiten in sich tragen. Seine Studien der Nacht faltet er mal in atmosphärisch gewundenen Prosasätzen aus. Dann wieder in Gedichten, die von einer Leere sprechen, die darauf wartet, gefüllt zu werden, von einem „Augenblick der Trennung, um sich / voneinander zu unterscheiden“. Hier wie dort entwirft er Orte, die zugleich gewöhnlich sind und doch der Zeit und der vertrauten Bedeutung enthoben. Und er entwirft Geschichten, die vom Verschwinden erzählen und von den Nachtseiten des Bewusstseins.
Das Sichtbare, so könnte man seine Ideen zusammenfassen, ist nur eine Handbreit vom Unsichtbaren entfernt, ja ist eigentlich mit ihm verschwistert. Oder anders gesagt: Was wir wissen, entspricht nie ganz der Summe dessen, was wir vorfinden. Alle unsere Begriffe, Vorstellungen und Perspektiven sind nur Setzungen, wie schon das Selbst nichts Gegebenes ist, sondern nur „jenes Bündel Erinnerung und Furcht, / das will, erinnert, versteht, leugnet“. Und es gibt immer eine Lücke, in der so etwas wie eine Abwesenheit spürbar, in der ein Gefühl von Transzendenz erahnbar wird. So webt John Burnside an jener Idee von „Welt“ weiter, die der australische Dichter Les Murray einmal in den luziden Vers geschnürt hat: „Eine Tatsache ist ein kleiner kompakter Glaube.“
Es ist schön zu sehen, wie Burnside für diese Verschränkung der Sphären immer neue literarische Formen findet. Nicht zu Unrecht erhält er deshalb an diesem Wochenende den Petrarca-Preis. Erst zwei seiner sieben Prosabücher sind bislang in deutscher Übersetzung erschienen, die Romane „Die Spur des Teufels“ und „Glister“. Sie verbinden auf je eigene Weise die Beschreibung der kargen schottischen Landschaft mit apokalyptischen Szenarien. Die Menschen in diesen Büchern sind misstrauisch und nur mit der Pflege ihrer Rollen und Masken beschäftigt. Die Suche nach Sinn haben sie noch nicht aufgegeben, doch Hass und Schuld weichen nach und nach jede Grenzziehung auf. In einem dunklen Kammerton erzählt Burnside davon, wie noch in den scheinbar harmlosen Alltagskulissen der Dörfer und kleinen Städte der Tod stets anwesend ist.
Für sein jüngst übersetztes Buch, dessen Original bereits vor den beiden Romanen erschienen ist, hat Burnside sich die eigene Geschichte zum Stoff genommen. Als gäbe es eine geheime Verbindung zwischen Fiktion und Leben, setzt „Lügen über meinen Vater“ dort ein, wo die Romane anschließen werden: bei der Beschwörung der Gestorbenen: „Mir wurde in meiner Kindheit nicht beigebracht, dass die Toten an Halloween wiederkehren, doch wurde die Möglichkeit auch nie ganz ausgeschlossen . . . da draußen geisterte die Seele in einer ihrer vielen Gestalten umher, als Gespenst oder Wiedergänger, als Lufthauch, Licht- oder Feuergespinst, vielleicht auch nur als unerklärliche Erinnerung.“ So macht Burnside gleich zu Beginn deutlich, welche Richtung er diesmal einschlagen will. Es geht zurück in die Vergangenheit, zurück zur eigenen Geburt, vor allem aber: zurück zur Geschichte seines Vaters.
Dieser Vater ist alles andere als der Idealvater, den der Erzähler sich als Kind erträumt. Kein Mann mit Bart und Pfeife, der hinter seiner Zeitung sitzt, nur dem Schweigen und der Unsichtbarkeit verpflichtet. Vielmehr eine „Naturgewalt“, wie es einmal heißt, einer, der säuft und die Frau und die Kinder miserabel behandelt, um das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit zu betäuben, das Gefühl „ein Niemand von nirgendwo“ zu sein, „ein uneheliches Kind und obendrein kein Katholik“. Während die Mutter sich aufreibt für die Familie, Restposten aus den Läden heimschleppt und immerzu strickt und stopft, damit die Kinder sich anständig kleiden können, vertrinkt der Vater das Gehalt in den Pubs der ständig wechselnden Wohnorte. Seine Stimme kann hart und dunkel werden – ein Vorbote von Schmerz und Entsetzen, wenn er den Kindern wieder einmal das Recht abspricht, überhaupt einen Platz in der Welt einzunehmen.
Doch die Erforschung der Geschichte des Vaters ist kein Selbstzweck. Sie ist Teil einer größeren Selbsterkundung. Schon in der ersten Hälfte des Buches skizziert der Erzähler, wie ihn die Gewalt und die Launenhaftigkeit des Vaters dazu bringen, die „heißen Freuden des Alleinseins“ zu entdecken. In den schottischen Wäldern schafft er sich eine phantastische Gegenwelt, ebenso in den Wörtern, die er in Büchern findet. Als sei es Notwehr, denkt er sich eigene Geschichten aus, um den Geschichten des Vaters zu begegnen, setzt dessen Halbwahrheiten „die reine Wirklichkeit der Fiktion“ gegenüber. Besser ließe sich die Geburt eines Schriftstellers kaum erfinden. Diese Selbstbeschreibung spitzt Burnside im zweiten Teil des Buches noch zu. In schimmernden Bildern erzählt er davon, wie sich der eigene Lebensweg der „via negativa“ des trinkenden Vaters angleicht, bis er sich zwischen LSD-Trips und tagelangen Alkoholträumen fast verliert.
Bei seiner umfassenden Recherche begnügt sich John Burnside nicht mit bloßem Erzählen. Immer wieder greift er zu Fotos und Geschichten aus der Familie, überblendet Erlebnisse aus der Kindheit mit heutigen Vorstellungen, denkt über das Erinnern nach. Der Übersetzer Bernhard Robben hat Burnsides Satzschleifen in ein mal dunkel raunendes, dann wieder zwischen „Hitze und Licht“ flirrendes Deutsch verwandelt. Bisweilen entkommt Burnside dem Moralisieren nicht ganz. Auch haben seine Worte eine nicht immer angenehme Tendenz, sich zu Weisheiten zu verdichten. Es mag dies die Kehrseite eines Schreibens sein, das eine klare Deutung der Welt entfaltet, „die Schwärze in allem“ sieht und jede Hülle, die man sich schafft, jede Vorstellung von Identität nicht einfach als Auslegung, sondern als „Lüge“ begreift.
Umso beeindruckender ist es, dass Burnside bei aller Skepsis nicht aufhört, das Licht zu feiern: das Licht, das sich an Weihnachten im Schnee spiegelt, das Licht der Kirchenkerzen oder der kleinen Höfe, die in den Furchen der Dunkelheit liegen. „Das Gewebe der unsichtbaren Welt aufzuzeigen“ – wenn ein Vater etwas für seinen Sohn tun könne, heißt es am Ende des Erinnerungsbuches, sei es dies. Treffender ließe sich auch die Poetik nicht beschreiben, die Burnside in seinen Gedichten entwirft. Immer wieder ist dort vom Verschwinden und von der Abwesenheit die Rede. Seine Verse sprechen von der Suche nach einem Leben jenseits des Lebens und zeigen uns, dass alles in Bewegung ist, „nicht ganz da, / doch auch nicht ganz abhanden“.
Wenn die Prosa das Schweigen und die Leere immer nur in ihren dunkelsten Ausformungen kennt, so wissen die Gedichte auch von Momenten der Erfüllung, die plötzlich aufscheinen können und ein Gefühl der Ganzheit herstellen. Es ist die schottische Küstenlandschaft mit ihren kräftigen Winden, mit ihren Meeresvögeln und dem Geruch unbekannten Wassers, die am Grund vieler Gedichte erahnbar wird. Dort, in einem kleinen Fischerdorf, wohnt Burnside seit einigen Jahren mit seiner Familie. Und dort findet er jene Bilder, die einen „Schimmer von Anderssein“ aussenden wollen. Manchmal, zu unserem Leseglück selten, erzählt er von diesen Momenten nur, anstatt sie in der Form seiner Texte auch spürbar zu machen. Meist aber schickt er die Verse in hypnotischen Langzeilen über die Seiten oder bricht sie so, dass die Bewegung der Wahrnehmung und die Bewegung des Denkens sich durchdringen.
Seine „Geschichte von Licht / und Schwerkraft“ hat Burnside in bislang elf Gedichtbänden ausgebreitet. Iain Galbraith hat in seiner klugen Auswahl fast alle berücksichtigt und die Texte chronologisch angeordnet. Leider lässt die Übersetzung dieses Feingefühl vermissen. Nicht selten ist Galbraith ungenau in der Satzstellung, macht zum Beispiel aus „the glide of skin and bone across a floor“ das ungut mehrdeutige „Gleiten über den Boden von Haut und Knochen“. Oder er gibt den Versen einen unnötig gestelzten Ton, etwa wenn er kleine „creatures“ in preziöses „Getier“ oder „stars“ in „Gestirn“ verwandelt. Wie gut, dass die Ausgabe zweisprachig ist und man jederzeit einen Blick auf den englischen Text werfen kann. So lässt sich etwas erhaschen von John Burnsides Kunst, mit Klängen oder rhythmischen Verschiebungen zu spielen. Und für Momente wird der Geist hellwach, ein Scharren ist hörbar – und Schatten huschen über die Wände.
NICO BLEUTGE
JOHN BURNSIDE: Lügen über meinen Vater. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Knaus Verlag, München 2011. 382 Seiten, 19,99 Euro.
JOHN BURNSIDE: Versuch über das Licht. Gedichte. Aus dem Englischen von Iain Galbraith. Hanser Verlag, München 2011. 144 Seiten, 14,90 Euro.
„Draußen geisterte die Seele
umher, als Lufthauch,
Licht- oder Feuergespinst“
Das Büchergebirge wächst, die Zimmerpflanze auch: John Burnside in seinem Haus in Pittenweem, Schottland. Foto: Rob McDougall/TSPL/Camera Press
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In seinem Erinnerungsbuch „Lügen über meinen Vater“ und in seinen Gedichten deckt der schottische Schriftsteller John Burnside hinter jeder Gewissheit die Lüge auf
Es beginnt stets im Dunkeln. Mit einem Geräusch, als sei etwas aufs Bett gefallen. Ein Scharren wird hörbar, ein Huschen. Und plötzlich ist der Erzähler hellwach, sieht blaugraue Schatten und die Umrisse von Vögeln über die Wände ziehen. Der Schrecken dauert nie lange. Nach kaum einer Minute schüttelt der aus dem Schlaf Geholte den Kopf, verscheucht das Phantom – und weiß gleichwohl, die Erscheinung lässt sich nicht fortreden, zu tief wurzelt sie im Verstand, im Gedächtnis und in den Nervenbahnen. Doch die Morgenstunden kennen nicht nur das Entsetzen. Sie kennen auch feinere Erlebnisse, geschmeidig, durchsichtig fast. Dann verdichtet sich die Wahrnehmung zu kleinen Epiphanien, die sich später einmal in Verse verwandeln: „Wie ich wachst du manchmal / früh im Dunkeln auf / und glaubst du bist durch eine innere Landschaft / meilenweit gefahren, // spürst um dich herum die Bäume / noch tropfnass, die aufgescheuchten Wasservögel, / die sattgefressenen Rinder / im Kegel deiner Scheinwerfer taumeln.“
Wenn der schottische Schriftsteller John Burnside zu schreiben beginnt, erinnert er ein wenig an jene Doppelwesen aus dem Mythos, halb Mensch, halb Tier, halb gut, halb böse, die zwischen den Welten wandeln und alle Möglichkeiten in sich tragen. Seine Studien der Nacht faltet er mal in atmosphärisch gewundenen Prosasätzen aus. Dann wieder in Gedichten, die von einer Leere sprechen, die darauf wartet, gefüllt zu werden, von einem „Augenblick der Trennung, um sich / voneinander zu unterscheiden“. Hier wie dort entwirft er Orte, die zugleich gewöhnlich sind und doch der Zeit und der vertrauten Bedeutung enthoben. Und er entwirft Geschichten, die vom Verschwinden erzählen und von den Nachtseiten des Bewusstseins.
Das Sichtbare, so könnte man seine Ideen zusammenfassen, ist nur eine Handbreit vom Unsichtbaren entfernt, ja ist eigentlich mit ihm verschwistert. Oder anders gesagt: Was wir wissen, entspricht nie ganz der Summe dessen, was wir vorfinden. Alle unsere Begriffe, Vorstellungen und Perspektiven sind nur Setzungen, wie schon das Selbst nichts Gegebenes ist, sondern nur „jenes Bündel Erinnerung und Furcht, / das will, erinnert, versteht, leugnet“. Und es gibt immer eine Lücke, in der so etwas wie eine Abwesenheit spürbar, in der ein Gefühl von Transzendenz erahnbar wird. So webt John Burnside an jener Idee von „Welt“ weiter, die der australische Dichter Les Murray einmal in den luziden Vers geschnürt hat: „Eine Tatsache ist ein kleiner kompakter Glaube.“
Es ist schön zu sehen, wie Burnside für diese Verschränkung der Sphären immer neue literarische Formen findet. Nicht zu Unrecht erhält er deshalb an diesem Wochenende den Petrarca-Preis. Erst zwei seiner sieben Prosabücher sind bislang in deutscher Übersetzung erschienen, die Romane „Die Spur des Teufels“ und „Glister“. Sie verbinden auf je eigene Weise die Beschreibung der kargen schottischen Landschaft mit apokalyptischen Szenarien. Die Menschen in diesen Büchern sind misstrauisch und nur mit der Pflege ihrer Rollen und Masken beschäftigt. Die Suche nach Sinn haben sie noch nicht aufgegeben, doch Hass und Schuld weichen nach und nach jede Grenzziehung auf. In einem dunklen Kammerton erzählt Burnside davon, wie noch in den scheinbar harmlosen Alltagskulissen der Dörfer und kleinen Städte der Tod stets anwesend ist.
Für sein jüngst übersetztes Buch, dessen Original bereits vor den beiden Romanen erschienen ist, hat Burnside sich die eigene Geschichte zum Stoff genommen. Als gäbe es eine geheime Verbindung zwischen Fiktion und Leben, setzt „Lügen über meinen Vater“ dort ein, wo die Romane anschließen werden: bei der Beschwörung der Gestorbenen: „Mir wurde in meiner Kindheit nicht beigebracht, dass die Toten an Halloween wiederkehren, doch wurde die Möglichkeit auch nie ganz ausgeschlossen . . . da draußen geisterte die Seele in einer ihrer vielen Gestalten umher, als Gespenst oder Wiedergänger, als Lufthauch, Licht- oder Feuergespinst, vielleicht auch nur als unerklärliche Erinnerung.“ So macht Burnside gleich zu Beginn deutlich, welche Richtung er diesmal einschlagen will. Es geht zurück in die Vergangenheit, zurück zur eigenen Geburt, vor allem aber: zurück zur Geschichte seines Vaters.
Dieser Vater ist alles andere als der Idealvater, den der Erzähler sich als Kind erträumt. Kein Mann mit Bart und Pfeife, der hinter seiner Zeitung sitzt, nur dem Schweigen und der Unsichtbarkeit verpflichtet. Vielmehr eine „Naturgewalt“, wie es einmal heißt, einer, der säuft und die Frau und die Kinder miserabel behandelt, um das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit zu betäuben, das Gefühl „ein Niemand von nirgendwo“ zu sein, „ein uneheliches Kind und obendrein kein Katholik“. Während die Mutter sich aufreibt für die Familie, Restposten aus den Läden heimschleppt und immerzu strickt und stopft, damit die Kinder sich anständig kleiden können, vertrinkt der Vater das Gehalt in den Pubs der ständig wechselnden Wohnorte. Seine Stimme kann hart und dunkel werden – ein Vorbote von Schmerz und Entsetzen, wenn er den Kindern wieder einmal das Recht abspricht, überhaupt einen Platz in der Welt einzunehmen.
Doch die Erforschung der Geschichte des Vaters ist kein Selbstzweck. Sie ist Teil einer größeren Selbsterkundung. Schon in der ersten Hälfte des Buches skizziert der Erzähler, wie ihn die Gewalt und die Launenhaftigkeit des Vaters dazu bringen, die „heißen Freuden des Alleinseins“ zu entdecken. In den schottischen Wäldern schafft er sich eine phantastische Gegenwelt, ebenso in den Wörtern, die er in Büchern findet. Als sei es Notwehr, denkt er sich eigene Geschichten aus, um den Geschichten des Vaters zu begegnen, setzt dessen Halbwahrheiten „die reine Wirklichkeit der Fiktion“ gegenüber. Besser ließe sich die Geburt eines Schriftstellers kaum erfinden. Diese Selbstbeschreibung spitzt Burnside im zweiten Teil des Buches noch zu. In schimmernden Bildern erzählt er davon, wie sich der eigene Lebensweg der „via negativa“ des trinkenden Vaters angleicht, bis er sich zwischen LSD-Trips und tagelangen Alkoholträumen fast verliert.
Bei seiner umfassenden Recherche begnügt sich John Burnside nicht mit bloßem Erzählen. Immer wieder greift er zu Fotos und Geschichten aus der Familie, überblendet Erlebnisse aus der Kindheit mit heutigen Vorstellungen, denkt über das Erinnern nach. Der Übersetzer Bernhard Robben hat Burnsides Satzschleifen in ein mal dunkel raunendes, dann wieder zwischen „Hitze und Licht“ flirrendes Deutsch verwandelt. Bisweilen entkommt Burnside dem Moralisieren nicht ganz. Auch haben seine Worte eine nicht immer angenehme Tendenz, sich zu Weisheiten zu verdichten. Es mag dies die Kehrseite eines Schreibens sein, das eine klare Deutung der Welt entfaltet, „die Schwärze in allem“ sieht und jede Hülle, die man sich schafft, jede Vorstellung von Identität nicht einfach als Auslegung, sondern als „Lüge“ begreift.
Umso beeindruckender ist es, dass Burnside bei aller Skepsis nicht aufhört, das Licht zu feiern: das Licht, das sich an Weihnachten im Schnee spiegelt, das Licht der Kirchenkerzen oder der kleinen Höfe, die in den Furchen der Dunkelheit liegen. „Das Gewebe der unsichtbaren Welt aufzuzeigen“ – wenn ein Vater etwas für seinen Sohn tun könne, heißt es am Ende des Erinnerungsbuches, sei es dies. Treffender ließe sich auch die Poetik nicht beschreiben, die Burnside in seinen Gedichten entwirft. Immer wieder ist dort vom Verschwinden und von der Abwesenheit die Rede. Seine Verse sprechen von der Suche nach einem Leben jenseits des Lebens und zeigen uns, dass alles in Bewegung ist, „nicht ganz da, / doch auch nicht ganz abhanden“.
Wenn die Prosa das Schweigen und die Leere immer nur in ihren dunkelsten Ausformungen kennt, so wissen die Gedichte auch von Momenten der Erfüllung, die plötzlich aufscheinen können und ein Gefühl der Ganzheit herstellen. Es ist die schottische Küstenlandschaft mit ihren kräftigen Winden, mit ihren Meeresvögeln und dem Geruch unbekannten Wassers, die am Grund vieler Gedichte erahnbar wird. Dort, in einem kleinen Fischerdorf, wohnt Burnside seit einigen Jahren mit seiner Familie. Und dort findet er jene Bilder, die einen „Schimmer von Anderssein“ aussenden wollen. Manchmal, zu unserem Leseglück selten, erzählt er von diesen Momenten nur, anstatt sie in der Form seiner Texte auch spürbar zu machen. Meist aber schickt er die Verse in hypnotischen Langzeilen über die Seiten oder bricht sie so, dass die Bewegung der Wahrnehmung und die Bewegung des Denkens sich durchdringen.
Seine „Geschichte von Licht / und Schwerkraft“ hat Burnside in bislang elf Gedichtbänden ausgebreitet. Iain Galbraith hat in seiner klugen Auswahl fast alle berücksichtigt und die Texte chronologisch angeordnet. Leider lässt die Übersetzung dieses Feingefühl vermissen. Nicht selten ist Galbraith ungenau in der Satzstellung, macht zum Beispiel aus „the glide of skin and bone across a floor“ das ungut mehrdeutige „Gleiten über den Boden von Haut und Knochen“. Oder er gibt den Versen einen unnötig gestelzten Ton, etwa wenn er kleine „creatures“ in preziöses „Getier“ oder „stars“ in „Gestirn“ verwandelt. Wie gut, dass die Ausgabe zweisprachig ist und man jederzeit einen Blick auf den englischen Text werfen kann. So lässt sich etwas erhaschen von John Burnsides Kunst, mit Klängen oder rhythmischen Verschiebungen zu spielen. Und für Momente wird der Geist hellwach, ein Scharren ist hörbar – und Schatten huschen über die Wände.
NICO BLEUTGE
JOHN BURNSIDE: Lügen über meinen Vater. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Knaus Verlag, München 2011. 382 Seiten, 19,99 Euro.
JOHN BURNSIDE: Versuch über das Licht. Gedichte. Aus dem Englischen von Iain Galbraith. Hanser Verlag, München 2011. 144 Seiten, 14,90 Euro.
„Draußen geisterte die Seele
umher, als Lufthauch,
Licht- oder Feuergespinst“
Das Büchergebirge wächst, die Zimmerpflanze auch: John Burnside in seinem Haus in Pittenweem, Schottland. Foto: Rob McDougall/TSPL/Camera Press
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Compelling and profoundly moving... This exquisitely written memoir is, literally, a journey into a heart of darkness - a darkness here lit up by beauty and truth Independent