Produktdetails
  • Verlag: Allen Lane / Penguin Books UK
  • Erscheinungstermin: Oktober 2007
  • Englisch
  • Gewicht: 788g
  • ISBN-13: 9780713997248
  • ISBN-10: 0713997249
  • Artikelnr.: 20899369
Autorenporträt
J. Craig Venter, geb. 1947, studierte Biochemie, Physiologie und Pharmakologie in San Diego, USA, und lehrte danach an der State University of New York at Buffalo sowie am Roswell Park Cancer Institute. 1984 wechselte er an die National Institutes of Health und gründete 1992 das Institute for Genomic Research (TIGR). Nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms leitet er heute das J. Craig Venter Institut für Genom-Forschung in Rockville und San Diego. Sein neues Forschungsziel ist die Herstellung künstlicher Organismen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.05.2008

Sein Reich ist von dieser Welt
Der einzigartig entschlossene und findige Craig Venter, der Leibhaftige der Genforschung, hat seine Autobiographie geschrieben
Eine unerhörte Autobiographie. Verfasst hat sie Craig Venter, der nicht zufällig bis heute maßlosen Zorn auf sich zieht. „Craig Venter ist ein Arschloch”, mit diesem Zitat hatte Richard Preston sein Porträt eingeleitet, das er im Jahre 2000, dem berühmten „Genom-Jahr”, im New Yorker gezeichnet hat. Ein Kollege, der wie Venter an der Entzifferung des menschlichen Genoms forschte, sprach vielen in der Zunft aus dem Herzen, als er bekannte, er sei bei einer Tagung kurz davor gewesen, Venter „mit der Faust das Mundwerk zu stopfen”. Andere Forscher haben Venter geringschätzig als den „Poster-Boy der Kommerzialisierung der Wissenschaft” geschmäht. Solche Wut und Verachtung löst man nicht aus als provokanter Außenseiter der Biowissenschaft. Dazu gehört mehr.
In der Tat, Craig Venter als das großmäulige Enfant terrible seines Metiers abzutun, das er stets auch war, wäre unklug. Er hat das Zeug zu einer sehr viel größeren, in Deutschland wohlbekannten Figur, der Figur des Dr. Faustus. „Craig”, kommentierte James Watson, der gemeinsam mit Francis Crick 1953 das Doppelhelixschema der DNS entdeckt hatte und dafür mit dem Nobelpreis belohnt worden war, „Craig wollte sich das menschliche Genom aneignen, wie Hitler sich die Welt unterwerfen wollte.” Zu einem höheren Ehrentitel der Dämonisierung kann man es schwerlich bringen. Ob er nun einen Pakt mit dem Teufel einging oder, wie Watson unterstellt, am Ende selbst der Leibhaftige der Genforschung ist: Venter hat dieser Forschung epochale Triumphe verschafft. Aber er tat dies dadurch, dass er das wissenschaftliche Ethos beim Entziffern des menschlichen Codes unheilbar mit dem Virus des privaten Profitstrebens infiziert hat. Vom Goldfieber hatte man gehört; dass es aber ein Genom-Fieber gibt, das echten Erkenntnisdrang nach den Geheimnissen der menschlichen Biologie mit hartem Gewinnkalkül verbindet, das war neu. Venter darf sich als Entdecker und erster Wirt dieses Virus verstehen.
Als ebenfalls im Jahre 2000, aber noch vor der Bekanntgabe der Entschlüsselung des Humangenoms, Präsident Bill Clinton und Premierminister Tony Blair in einer gemeinsamen Erklärung forderten, dass jegliches Wissen über das genetische Alphabet offen und jedermann kostenlos zugänglich sein müsse, stürzten die Aktien der einschlägigen Biotech-Unternehmen ab. Einem Reporter, der Venter fragte, wie er sich angesichts des Kurssturzes fühle, entgegnete er bündig: „Ärmer.” Sein Anteil, den er an dem Unternehmen besaß, für das er die Gen-Entzifferung vorantrieb, war mit einem Schlag 300 Millionen Dollar weniger wert.
Eine gewaltige Fallhöhe, zumal für einen, der ganz unten, bei null, angefangen hatte. Aber Venter ist nicht gefallen, trotz dieses Wertverlustes, sein Projekt kam noch nicht einmal ins Stocken. Und darauf kam es ihm an, nicht darauf – das darf man seiner Autobiographie abnehmen –, im persönlichen Wohlstand zu schwelgen. Der Pakt mit dem Teufel, mit dem Geld, ist kein Luxusvergnügen . . .
Der tiefere Gehalt seiner Autobiographie liegt darum auch nicht in der persönlichen Erfolgsgeschichte, so abenteuerlich und ungewöhnlich sie sein mag: Der Kalifornier Craig Venter hat es vom antriebsschwachen, desinteressierten Schüler und Studenten, der seine Zeit am liebsten mit Surfen verbrachte und nur mittelmäßige Noten erzielte, zum zielstrebigen, durchsetzungsstarken und so überaus produktiven Wissenschaftler und Professor gebracht. Seine Zeit als Soldat im Vietnamkrieg hatte die Wende eingeleitet. Venter diente dort als Sanitäter, musste in Da Nang verstümmelte und zerfetzte GIs versorgen, versank in Schwermut, beging einen Selbstmordversuch und kam schließlich, um diese Seelenlast reicher, nach Amerika zurück.
Wie er diesen Krieg durchlitt und mit welchem Ernst er dann daran ging, sein Leben in die Hand zu nehmen und, nachholend, Medizin zu studieren, ist bewegend. Doch entscheidend ist es für das öffentliche Phänomen Craig Venter nicht. Auch nicht, wie ungeniert der Autor durch das ganze Buch hindurch Superlative über seine einzigartige Leistung für die Genomforschung ausschüttet. Derlei penetrantes Selbstlob mag die kolossale Eitelkeit verraten, die Venter mit wachsendem Erfolg an den Tag legt. Ja, es mag für die Psychopathologie eines Egomanen stehen, für seinen galoppierenden Narzissmus – wie die Tatsache, dass das erste Humangenom eines Individuums, das je voll entschlüsselt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, das von Craig Venter ist. Trotzdem, all dies sind oberflächliche Merkmale, die die historische Rolle dieses Forscher-Unternehmers nicht wirklich charakterisieren.
Was Venter vielmehr auszeichnet, ist seine Begabung, ein wissenschaftsgeschichtliches Momentum zu identifizieren, beim Schopfe zu packen und es mit einem Drive sondergleichen in die Zukunft zu katapultieren. Die zweieinhalb Jahrzehnte von 1975 bis zur Jahrhundertwende, in denen er zum schillernden Star des Genom-Projekts aufstieg, war dieselbe Zeit, in der nicht mehr nur die angewandten Naturwissenschaften, sondern auch die biologische Grundlagenforschung in das Blickfeld des privaten unternehmerischen Investments geriet. Noch sahen sich die meisten Forscher der klassischen akademischen Askese verpflichtet, doch der Paradigmenwechsel nahm in diesen Jahren Gestalt an, je deutlicher sich in der Agrarwirtschaft, Pharmazeutik und Medizin ökonomisch verwertbare Erkenntnisse aus der Genforschung abzuzeichnen begannen.
Nicht zufällig hielten sich die stärksten Vorbehalte in der Humangenetik. Nicht nur, weil, von wenigen kleinen Segmenten des Genoms abgesehen, eine merkantile Verwertbarkeit im größeren Stil noch weit entfernt lag. Sondern vor allem natürlich wegen der nur allzu begründeten Skrupel, den menschlichen Code, sollte man ihn dechiffrieren, dem Markt auszuliefern. Aber genau für das wissenschaftliche, technische und moralische Chiascuro dieser Übergangsjahre war Craig Venter die passende Figur.
Denn er war der Mann, der sich zwischen alle Stühle zu setzen und gerade in dieser ungemütlichen Lage bravourös zu bewegen wusste. Zunächst hatte er, wie fast alle seine Kollegen und späteren Erzfeinde, über Jahre für die öffentliche Zell- und Genforschung gearbeitet, vor allem für die in den USA alle staatlichen Projekte dominierenden und finanzierenden National Institutes of Health (NIH). Erst als er dort immer wieder gegen bürokratische Wände lief (aber auch weil es die NIH waren, die gegen seinen Willen ihrerseits auf die Patentierung der ersten Genom-Erkenntnisse drangen), sprang Venter ab und nahm das Angebot eines Investors an, die Genom-Forschung mit vielen Millionen Dollar privat zu finanzieren. Von diesem Moment an führte Venter einen Zweifrontenkampf.
Er hatte nun nicht nur die universitäre Forschung und das – wenn auch längst nicht mehr eindeutige – akademische Ethos gegen sich. Er kämpfte vielmehr ebenso, und das war häufig der sehr viel härtere, bösere Kampf, mit der rabiaten Geschäftsmoral seines eigenen Geldgebers. Venter wollte das Unmögliche, und auf Dauer bekam er es: private profitorientierte Forschung und öffentlich zugängliche Erkenntnisse über das menschliche Genom. Monopol-Wissen und freie universelle Verwendung. Seine Kompromisse brachten beide Seiten gegen ihn auf – und machten ihm den Weg frei.
Eine Reflexion darüber, was die sich nun öffnende ungeheuerliche Möglichkeit für die Menschheit bedeutet, die mit einem Mal ihr biologisches Schöpfungsgesetz entziffert und damit die Option erhält, ihre eigene Evolution in die Hand nehmen zu können – ein solches Nachdenken, das über die Wiederholung allfälliger Schlagworte hinausginge, offenbart Venter in seinem Buch an keiner Stelle. Welche Instanz befindet über diese Möglichkeiten, welche ist ihr gewachsen? Welche längerfristigen Folgen hat es, wenn die beiden auch in Venters Augen ethisch so unverträglichen Forschungsstrategien, die privat und die öffentlich finanzierte, miteinander vermischt werden, wie er es tat?
Aber wo Venter es an Besinnung vermissen lässt, glänzt er durch ingeniöse Tatkraft. Sein Erfolgsgeheimnis besteht weniger in seiner wissenschaftlichen Kompetenz, auch wenn er zu den innovativen Köpfen der Genom-Branche gezählt wird, als vielmehr in seiner organisatorischen Phantasie, seiner strategischen Intuition, seiner unbändigen Konfliktbereitschaft und seiner unerschöpflichen Energie und Motivationskraft. Es waren nicht die vielen Millionen Dollar, die ihm seine Investoren überließen: Das öffentlich finanzierte Human-Genom-Projekt, sein großer Rivale in dem historischen Wettrennen, verfügte über ein Mehrfaches an Mitteln, von der riesigen amerikanischen und europäischen Manpower der beteiligten Institute ganz zu schweigen. Venter ist ein Genie in der Erfindung und in der Durchsetzung eines effizienten institutionellen Settings – zumal für ein Projekt von dieser Größe.
Für das Vorhaben, alle menschlichen Gene mit ihren drei Milliarden Basenpaaren zu entschlüsseln und zu sequenzieren, hatte die Fachwelt 1997/98 noch Jahrzehnte veranschlagt, auch die NIH. Venter schaffte es von da an in weniger als drei Jahren. Nicht zu unterschätzen ist dabei der unwiderstehliche Zeitdruck des privaten Investments. Doch ausschlaggebend waren die Entschlossenheit und die Findigkeit Venters. Tatsächlich spottete seine Vorgehensweise jeder bisherigen wissenschaftlichen Methodik, weil er nicht wie alle traditionell-vernünftig Denkenden das Genom Schritt für Schritt, Chromosom für Chromosom, Genabschnitt für Genabschnitt zu entziffern trachtete, sondern es in Millionen willkürlicher Partikel zerschredderte, um dann die zerlegten und chaotisch durcheinandergehäuften Teile durch Vergleich der jeweiligen Endsequenzen wieder in eine Ordnung zu bringen: „shotgun sequencing”. So können die Bestimmungsprozesse synchron durchgeführt werden. Mit intelligenten Algorithmen und sagenhafter Rechenleistung – Venter versorgte sein Institut mit der weltweit größten Rechnerkapazität auf dem zivilen Markt – bewältigte sein Team diese verrückte herkuleische Aufgabe.
Seit der triumphalen Bekanntgabe der (nahezu) vollständigen Entschlüsselung am 26. Juni 2000 schießen privat finanzierte Genom-Institute in allen Industrieländern aus dem Boden. Venters Gene sind nicht nur decodiert, ihn gibt es nun in vielfach geklonter Form. Für die meisten gilt als ausgemacht, dass sich der wissenschaftliche Sinn und die pekuniäre Logik der Genomforschung ohne weiteres vertragen. Wie in allen anderen Fällen epochaler wissenschaftlicher Durchbrüche macht auch hier der gedankenlose Pragmatismus vor Menschheitsfragen nicht halt. Bei jedem Erfolg von Dr. Faustus steht die Euphorie vor dem Erwachen. ANDREAS ZIELCKE
J. CRAIG VENTER: A Life Decoded. My Genome: My Life. Viking, New York 2007. 390 Seiten, 25,95 US-Dollar. In Deutschland wird das Buch im Sommer 2009 bei Fischer erscheinen.
Vom schwachen Schüler zum Vietnamsoldaten zum Superforscher
Bei jedem Erfolg von Dr. Faustus steht Euphorie vor dem Erwachen
J. Craig Venter, Jahrgang 1946, machte im Jahr 2000 das Rennen bei der Entzifferung des menschlichen Codes. Nötig war dazu ein Zweifrontenkampf zwischen Wissenschafts-Ethos und der Geschäftsmoral privater Geldgeber. Foto: Getty Images
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