Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2009Die Frau aus der Prärie
Sogar Scott Fitzgerald hat von ihr abgeschrieben: Der eigentümliche Zauber der Willa Cather.
Von Verena Lueken
Willa Cather ist bei uns immer noch viel zu wenig bekannt. In den Vereinigten Staaten gilt die 1873 geborene Autorin, die zur selben Zeit schrieb wie Upton Sinclair, Theodor Dreiser oder Sinclair Lewis, aber auch wie Gertrude Stein (ohne deren Interesse am Sprachexperiment zu teilen), immer schon nicht nur als deren Zeitgenossin, sondern mindestens ebenbürtige Vertreterin der literarischen Moderne. Sie schrieb zwölf Romane, zahlreiche Erzählungen, einen Band mit Essays, und sie hat den Pulitzer-Preis gewonnen. Im Rest der Welt aber blieb sie nahezu unbekannt. Auch bei uns, und diesem Befund widerspricht nicht, dass etwa ihr Roman "Die Frau, die sich verlor" bereits 1928 (unter dem Titel "Frau im Zwielicht") auf Deutsch erschien, nach dem Zweiten Weltkrieg mehrfach wiederaufgelegt und 1989 neu übersetzt wurde. Es ändert sich aber vielleicht nun, da dasselbe Buch erneut herausgekommen ist, und zwar sozusagen im Chor anderer großer Cather-Romane, die der Knaus Verlag in einer Serie von Neuausgaben ihrer Werke (in alten wie in neuen Übersetzungen) in kurzer Folge veröffentlicht, während bei Manesse ebenfalls einige ihrer Romane in neuen Ausgaben zu finden sind.
Nach den Romanen "Meine Antonia" und "Mein ärgster Feind" jetzt also "Die Frau, die sich verlor" - und immer noch entfaltet sich dieser eigentümliche Zauber der Naturbeschreibungen, mit denen Willa Cather innere Zustände sichtbar macht und eine Welt erfindet, die in ihren Bildern zum Leben erwacht. "Die schweren, gebeugten Gräser durchnässten ihn bis an die Knie. Über die ganze Marsch bildete tauumhülltes Bergkraut kühle Silberflächen, und die Sumpfwolfsmilch breitete ihre flachen himbeerfarbenen Büschel aus. Eine fast fromme Reinheit lag in der frischen Morgenluft" - das ist der (mit sinnlicher Delikatesse von Eva Brückner-Tuckwiller ins Deutsche übersetzte) Weg eines Verliebten zu der Frau, die begehrt.
Moderner kann Literatur nicht sein.
Und die Geschichte um diese Frau, Mrs. Forrester, schlägt einen immer noch in Bann. Mrs. Forrester führt mit einem sehr viel älteren Mann ein Haus, in dem eine Fröhlichkeit zu herrschen scheint, die einzig ihrem Wesen, ihrer Schönheit, ihrer ungebundenen Art zu verdanken ist. Doch dann verarmt Mrs. Forrester, nachdem ihr Mann gestorben ist, und sie beginnt, sich junge Männer zu halten oder sich von diesen aushalten zu lassen, was den verliebten Nachbarsjungen Niel, der uns durch die Geschichte führt, zutiefst enttäuscht und verbittert.
Willa Cather stammt aus Nebraska, und ihre Geschichten, auch die von Mrs. Forrester, spielen oft am Ende der Pionierzeit und dort, wo die Siedler kürzlich angekommen sind, wo gerade eben erst die Eisenbahnschienen gelegt wurden und Vermögen gemacht und, wie in diesem Fall, auch wieder verloren werden. Und die Frauen, die bei ihr immer im Mittelpunkt stehen, sind entsprechend handfeste Figuren, die arbeiten können und immer wieder der Illusion erliegen, dass Geld und Vermögen ganz unwesentliche Beigaben ihrer Existenz seien und dass vor allem die Liebe zähle. Was fast immer ein Irrtum ist.
Mrs. Forrester liebt ihren so viel älteren Mann aufrichtig, und sie pflegt ihn über zwei Schlaganfälle hinweg aufopfernd und gewissenhaft. Aber sie hat auch einen Liebhaber und später mehrere, sie trinkt, sie klagt nie, aber obwohl sie strahlt, im Mittelpunkt steht und spät im Leben noch einmal einen Mann in gehobener gesellschaftlicher Stellung findet, hat man nie den Eindruck, sie lebe in einer Welt, die die ihre sei. Sie liebt, und sie wird geliebt, aber die Liebe ist nicht das Glück, und die Liebe ist nicht genug.
Nicht genug aber sind auch Geld oder Vermögen. Willa Cather verachtet den Materialismus, der das Land zerstört, die Gier, die jedes Ehrgefühl verdrängt, das schnelle Geld, die Banken, und in der "Frau, die sich verliert" treibt eine veritable Finanzkrise die Forresters in den Ruin, während die "falschen Leute profitieren". Es gibt also gute Gründe zu sagen, dies sei ein Roman des Verlorenen in einer unwiederbringbaren Zeit. Aber das Vergangene, das Willa Cather vergehen lässt, ist nicht strahlend schön, es ist nur gewesen und hinterlässt eine Stimmung in der Gegenwart, in der Natur, in den Häusern, in der Tischwäsche, den Gläsern, und diese Spuren beschreibt Willa Cather auf eine Weise, dass man sich nicht wundert, dass F. Scott Fitzgerald einmal unbewusst bei ihr abgeschrieben hat (und sich dafür entschuldigte). Nichts ist eindeutig hier, es geht nicht um Wertungen, sondern um Zustände, die ineinanderfließen, Gefühle, die aufeinandertreffen, Bilder, die sich übereinanderlegen, Argumente, für und wider die vieles spricht. Auszuhalten, dass das Leben in der Schwebe stattfindet - moderner kann Literatur nicht sein.
Willa Cather: "Die Frau, die sich verlor". Roman. Aus dem Amerikanischen von Eva Brückner-Tuckwiller. Mit einem Nachwort von Sibylle Mulot. Knaus Verlag München, 2009. 160 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sogar Scott Fitzgerald hat von ihr abgeschrieben: Der eigentümliche Zauber der Willa Cather.
Von Verena Lueken
Willa Cather ist bei uns immer noch viel zu wenig bekannt. In den Vereinigten Staaten gilt die 1873 geborene Autorin, die zur selben Zeit schrieb wie Upton Sinclair, Theodor Dreiser oder Sinclair Lewis, aber auch wie Gertrude Stein (ohne deren Interesse am Sprachexperiment zu teilen), immer schon nicht nur als deren Zeitgenossin, sondern mindestens ebenbürtige Vertreterin der literarischen Moderne. Sie schrieb zwölf Romane, zahlreiche Erzählungen, einen Band mit Essays, und sie hat den Pulitzer-Preis gewonnen. Im Rest der Welt aber blieb sie nahezu unbekannt. Auch bei uns, und diesem Befund widerspricht nicht, dass etwa ihr Roman "Die Frau, die sich verlor" bereits 1928 (unter dem Titel "Frau im Zwielicht") auf Deutsch erschien, nach dem Zweiten Weltkrieg mehrfach wiederaufgelegt und 1989 neu übersetzt wurde. Es ändert sich aber vielleicht nun, da dasselbe Buch erneut herausgekommen ist, und zwar sozusagen im Chor anderer großer Cather-Romane, die der Knaus Verlag in einer Serie von Neuausgaben ihrer Werke (in alten wie in neuen Übersetzungen) in kurzer Folge veröffentlicht, während bei Manesse ebenfalls einige ihrer Romane in neuen Ausgaben zu finden sind.
Nach den Romanen "Meine Antonia" und "Mein ärgster Feind" jetzt also "Die Frau, die sich verlor" - und immer noch entfaltet sich dieser eigentümliche Zauber der Naturbeschreibungen, mit denen Willa Cather innere Zustände sichtbar macht und eine Welt erfindet, die in ihren Bildern zum Leben erwacht. "Die schweren, gebeugten Gräser durchnässten ihn bis an die Knie. Über die ganze Marsch bildete tauumhülltes Bergkraut kühle Silberflächen, und die Sumpfwolfsmilch breitete ihre flachen himbeerfarbenen Büschel aus. Eine fast fromme Reinheit lag in der frischen Morgenluft" - das ist der (mit sinnlicher Delikatesse von Eva Brückner-Tuckwiller ins Deutsche übersetzte) Weg eines Verliebten zu der Frau, die begehrt.
Moderner kann Literatur nicht sein.
Und die Geschichte um diese Frau, Mrs. Forrester, schlägt einen immer noch in Bann. Mrs. Forrester führt mit einem sehr viel älteren Mann ein Haus, in dem eine Fröhlichkeit zu herrschen scheint, die einzig ihrem Wesen, ihrer Schönheit, ihrer ungebundenen Art zu verdanken ist. Doch dann verarmt Mrs. Forrester, nachdem ihr Mann gestorben ist, und sie beginnt, sich junge Männer zu halten oder sich von diesen aushalten zu lassen, was den verliebten Nachbarsjungen Niel, der uns durch die Geschichte führt, zutiefst enttäuscht und verbittert.
Willa Cather stammt aus Nebraska, und ihre Geschichten, auch die von Mrs. Forrester, spielen oft am Ende der Pionierzeit und dort, wo die Siedler kürzlich angekommen sind, wo gerade eben erst die Eisenbahnschienen gelegt wurden und Vermögen gemacht und, wie in diesem Fall, auch wieder verloren werden. Und die Frauen, die bei ihr immer im Mittelpunkt stehen, sind entsprechend handfeste Figuren, die arbeiten können und immer wieder der Illusion erliegen, dass Geld und Vermögen ganz unwesentliche Beigaben ihrer Existenz seien und dass vor allem die Liebe zähle. Was fast immer ein Irrtum ist.
Mrs. Forrester liebt ihren so viel älteren Mann aufrichtig, und sie pflegt ihn über zwei Schlaganfälle hinweg aufopfernd und gewissenhaft. Aber sie hat auch einen Liebhaber und später mehrere, sie trinkt, sie klagt nie, aber obwohl sie strahlt, im Mittelpunkt steht und spät im Leben noch einmal einen Mann in gehobener gesellschaftlicher Stellung findet, hat man nie den Eindruck, sie lebe in einer Welt, die die ihre sei. Sie liebt, und sie wird geliebt, aber die Liebe ist nicht das Glück, und die Liebe ist nicht genug.
Nicht genug aber sind auch Geld oder Vermögen. Willa Cather verachtet den Materialismus, der das Land zerstört, die Gier, die jedes Ehrgefühl verdrängt, das schnelle Geld, die Banken, und in der "Frau, die sich verliert" treibt eine veritable Finanzkrise die Forresters in den Ruin, während die "falschen Leute profitieren". Es gibt also gute Gründe zu sagen, dies sei ein Roman des Verlorenen in einer unwiederbringbaren Zeit. Aber das Vergangene, das Willa Cather vergehen lässt, ist nicht strahlend schön, es ist nur gewesen und hinterlässt eine Stimmung in der Gegenwart, in der Natur, in den Häusern, in der Tischwäsche, den Gläsern, und diese Spuren beschreibt Willa Cather auf eine Weise, dass man sich nicht wundert, dass F. Scott Fitzgerald einmal unbewusst bei ihr abgeschrieben hat (und sich dafür entschuldigte). Nichts ist eindeutig hier, es geht nicht um Wertungen, sondern um Zustände, die ineinanderfließen, Gefühle, die aufeinandertreffen, Bilder, die sich übereinanderlegen, Argumente, für und wider die vieles spricht. Auszuhalten, dass das Leben in der Schwebe stattfindet - moderner kann Literatur nicht sein.
Willa Cather: "Die Frau, die sich verlor". Roman. Aus dem Amerikanischen von Eva Brückner-Tuckwiller. Mit einem Nachwort von Sibylle Mulot. Knaus Verlag München, 2009. 160 S., geb., 16,95 [Euro].
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She is undoubtedly one of the twentieth century's greatest American writers Observer