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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2008

Wissen, was man nicht weiß

Banker, Islamisten und konkurrierende Geheimdienste in Hamburg - John Le Carrés neuer Roman "Marionetten" ist viel smarter, als es sein Titel vermuten lässt

Als Donald Rumsfeld vor Jahren einmal zum Briefing vor Journalisten trat, war hinterher die ganze Welt verblüfft von seinen philosophischen Talenten: "Berichte über etwas, das nicht passiert ist, sind für mich interessant", dozierte der Verteidigungsminister, "denn wie wir wissen, gibt es Dinge, die wir wissen. Wir wissen auch, dass es Unbekanntes gibt, von dem wir wissen, dass es unbekannt ist. Wir wissen, dass es Dinge gibt, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen." Das war geradezu sokratisch im Tonfall, hegelianisch in der Dialektik, und womöglich wusste Rumsfeld selbst nicht, wie genau er mit seinem kleinen Exkurs die Logik der Geheimdienste auf den Punkt gebracht hatte.

In John Le Carrés neuem Roman heißt es, ganz rumsfeldsch, über einen britischen Agenten: "Nach der Logik seines Metiers war Wissen das, was man vorgab, nicht zu wissen. Daher die Demonstration seines Nichtwissens." Diese Dialektik gehört zu einem Geschäft, in dem nicht bloß mit Informationen, sondern auch mit Fiktionen gehandelt wird, in dem nicht nur simple Lockvögel und falsche Pässe kursieren, sondern der Westen auch seine eigenen Dschihadisten in die Welt setzt, wie man derzeit im Kino in Ridley Scotts Agententhriller "Der Mann, der niemals lebte" sehen kann. Le Carrés Roman bewegt sich in diesem neuen Feld, in den Undurchsichtigkeiten und Unbestimmtheiten, zwischen Unschärfen und Ungewissheiten, die zum Alltag im Kampf gegen den Terror gehören, und man spürt, dass der Brite mit 77 Jahren dabei ist, zu alter Form zurückzufinden.

Das Ende des Kalten Krieges hatte ja nicht nur die kalten Krieger arbeitslos gemacht, auch Schriftsteller wie Le Carré hatten ihre Inspirationsquelle verloren. Er ist nach Afrika ("Der ewige Gärtner") ausgewichen und nach Panama ("Der Schneider von Panama"), er hat dabei ein wenig den Fokus verloren, um jetzt in der Welt nach dem 11. September wieder vorsichtig Fuß zu fassen.

Man kann wohl davon ausgehen, dass der ehemalige Germanistikstudent Le Carré den deutschen Titel "Marionetten" autorisiert hat. Auch wenn er ganz beflissene Rezensenten gleich "Kleist!" ausrufen ließ, wirklich treffend ist er nicht. Ihm fehlt die feine Ironie, welche im Originaltitel "A Most Wanted Man" steckt; stattdessen verweist er aufs Theater, auf Bühne, Puppenspieler und einen, der alle Fäden in der Hand hat, und das ist eine ziemlich verbrauchte Metaphorik, welche das Szenario des Romans überhaupt nicht illustriert.

Ein junger, sehr frommer, sehr gequälter Muslim, er nennt sich Issa, taucht in Hamburg-Altona auf, bei einer türkischen Familie, die sich das nicht erklären kann. Eine junge Anwältin, die bei einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge arbeitet, nimmt sich Issas an, ein schottischer Bankier, dessen noble Hamburger Privatbank in schwere See geraten ist, tritt auf, weil Issa den Code zu einem Konto hat, das unter dem Decknamen Lipizzaner geführt wird - was eine großartige Geldwäsche-Metapher ist, da die Pferde mit dunklem Fell geboren und erst nach Jahren zu Schimmeln werden.

Längst hat auch eine Sondergruppe des deutschen Geheimdienstes Witterung aufgenommen, die gewissermaßen ihren eigenen Schläfer in die Reihen der Terroristen einschleusen will - und deshalb auch gar nicht wissen muss, ob der junge Tschetschene der ist, welcher er zu sein vorgibt, oder ob ein Dschihadist hinter der Tarnung des Flüchtlings steckt, weil es nur darauf ankommt, ob er sich "umdrehen" lässt.

Die Reibungsverluste und die Zwänge, die Intrigen, welche die erwartbaren Gegenintrigen schon in ihre Strategie eingearbeitet haben, die kollidierenden Interessen und unwahrscheinlichen Allianzen, welche sich aus dieser Konstellation ergeben, inszeniert Le Carré wie ein versierter Ingenieur, der minutiös einen schweren Unfall plant. Und natürlich führt auch hier eine Spur zurück in den Kalten Krieg, zur Privatbank, die früher in Wien ansässig war und beim Fall des Eisernen Vorhangs dunkle Geschäfte mit realsozialistischem Beutegut machte, indem sie Geld für alte Kader wusch. Am Ende haben Verlauf und Ergebnis der ineinandergreifenden und konkurrierenden Operationen verschiedener Geheimdienste den Titel des Buches gründlich demontiert. Niemand hält die Fäden in der Hand; kein Dienst, keine Privatperson hat kalkulieren können, welche Friktionen und Rückkopplungen ihre Pläne und Strategien auslösen würden, weil es nun mal Dinge gibt, "von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen".

In all seiner Undurchsichtigkeit ist das sehr transparent konstruiert. Nur der Ton, in dem Le Carré erzählt, ist arg behäbig, die Charaktere sind zu flächig, so dass sie mit der Komplexität des Plots nie mithalten können. Vor allem mit den Frauengestalten tut sich Le Carré schwer. Die junge Anwältin wird lieblos mit Idealismus, wetterfester Montur, Rennrad und Kratzbürstigkeit ausgestattet, und es ist auch fraglich, ob sie sich in einer stillen Stunde fragen muss: "Und wie kommt es, dass ich mich als den sprichwörtlichen Schmetterling in Australien sehe, der nur mit den Flügeln schlagen muss, und am anderen Ende der Welt bebt die Erde?"

Der Bankier dagegen ist duldsamer und gemütlicher, als es die Bankenaufsicht erlaubt, und die Agentengestalten bleiben so blass, als könnte nicht mal ein erfahrener Erzähler herausfinden, was in dem Kopf unterm sogenannten Schlapphut vor sich geht. Dass man das Buch dennoch nicht eher weglegt, als bis auch die letzte Verästelung aufgespürt ist, versteht sich bei einem Mann wie John Le Carré von selbst.

PETER KÖRTE

John Le Carré: "Marionetten". Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth und Regina Rawlinson. Ullstein-Verlag, Berlin 2008, 368 Seiten, 22,90 Euro

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