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'Delves into the very essence of being a fan, while seamlessly exploring Italian history, politics, culture and society,' GuardianIs Italy a united country, or a loose affiliation of warring states?

Produktbeschreibung
'Delves into the very essence of being a fan, while seamlessly exploring Italian history, politics, culture and society,' GuardianIs Italy a united country, or a loose affiliation of warring states?
Autorenporträt
Tim Parks
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2004

34 Spieltage Inferno
Ihr, die Ihr in der Südkurve steht, lasst alle Hoffnung fahren: Tim Parks’ hinreißendes Fußball-Buch „Eine Saison mit Verona”
Gäbe es nicht Tim Parks, wem wäre je die Strukturhomologie zwischen Dantes „Inferno” und dem Spielplan der italienischen „Serie A” aufgefallen? 34 heißt hier wie da die magische Zahl: aus 34 Gesängen setzt sich das „Inferno” zusammen, aus 34 Spieltagen die italienische Fußballsaison. Es gab eine Zeit, so erinnert sich Parks am Ende seines einzigartigen Fußballbuches, da spielte er mit dem Gedanken, die Ähnlichkeiten zwischen der Hölle und der Serie A literarisch zu nutzen. Dann entschied er sich dagegen: „Warum sollte eine Mannschaft in der Serie A bleiben wollen, wenn sie das Inferno wäre?” Freilich gibt es Spieltage, an denen die Höllenqualen eines Fans mit denen im Inferno vergleichbar sind. Der einunddreißigste Spieltag der Saison 2000/2001, an dem Hellas Verona, Parks’ chronisch abstiegsgefährdeter Klub, auswärts in Neapel anzutreten hatte, war so ein Tag. „Ich schlug den einunddreißigsten Gesang auf und stieß auf diese Stelle: „. . .e fu tal ora ch’i’avrei voluto ir per altra strada (und derart war die Stunde, dass ich wünschte, ich wäre einen andren Weg gegangen.) Das war jedenfalls passend.” Verona verlor 0:2 und stand drei Spieltage vor Saisonende auf dem vorletzten Tabellenplatz.
Tim Parks, der englische Romancier mit italienischer Familie und Wohnsitz in Verona, hat mit „A Season with Verona” ein literarisches Fußballbuch geschrieben, so intelligent, so geistreich und authentisch, wie es bis jetzt noch keines gab. Oder hat sich je zuvor ein Schriftsteller seines Kalibers bereit gefunden, 34 Spieltage lang seinen Fußballverein physisch und literarisch zu begleiten, und zwar als Fan? Von Catania bis Udine, von Bergamo bis Reggio di Calabria ist Parks, meist im Fanbus der berüchtigten brigate gialloblù, hinter Hellas Verona hergefahren, um seine Mannschaft in aller Regel verlieren zu sehen. Das kränkt den Fan und macht ihn stark. Denn der Fan, soviel wird bald deutlich, ist bei aller Aggressivität und Militanz jemand, der das Leiden liebt. Und ein Fan von Hellas Verona hat viel zu leiden.
Alte Wappen, junge Söldner
Das Budget ist niedrig, die Mannschaft ein Konglomerat aus Nachwuchshoffnungen und billigen Zukäufen, die nach ein paar guten Spielen auf einen Vereinswechsel spekulieren. In der eigenen Stadt ist aus dem traditionslosen Vorstadtverein Chievo ein Rivale geworden, der Hellas in den Schatten zu stellen droht. Obendrein gibt es in Verona eine snobistische Spezies von Inter-Fans, die bei Heimspielen von Hellas gegen Inter Mailand die Gastmannschaft anfeuern.
Und schließlich ist man als Fan eines Provinzklubs ohnehin von Erzfeinden umstellt. Sie kommen aus der Nachbarschaft, aus Vicenza, aus Udine oder Bergamo, und im Grunde hat sich seit den Tagen der spätmittelalterlichen Stadtrepubliken nicht viel verändert. Mit dem Wappen der Scaliger, der alten Stadtherren von Verona, auf der Brust, kämpfen die Fußballsöldner aus Rumänien oder Dänemark einen atavistischen Städtekampf, dessen Vorgeschichte sie, anders als die Fans in der Südkurve, nicht kennen.
Tim Parks, seit langem treuer Gast auf Veronas Südkurve, macht aus seiner Sympathie für die landesweit verschrieenen Hellas-Fans kein Hehl. Er kennt und beschreibt ihren Fanatismus und Rassismus, aber er liebt sie für ihre Hingabe und für ihre Selbstironie. „Wir”, schreibt er, sich einschließend, „können uns selbst nicht hundertprozentig ernst nehmen. Oder vielleicht ist gerade dies das Ernste daran, diese Mischung aus Raserei und Ironie, dieses ungehemmte Zulassen starker Emotionen, von denen man sich dennoch nicht verzehren lässt.”
Parks’ Buch ist ein Meisterwerk teilnehmender Beobachtung, eine Ethnographie der Fußball-Leidenschaft in Italien. Halb wird der Autor selbst zur Beute der Raserei, halb noch behält er den Überblick, erschreibt sich nolens volens den Status eines semioffiziellen Klub-Chronisten, darf die Mannschaft im Flugzeug begleiten und mit der Vereinsführung Gespräche führen, wird von der römischen Diaspora von Hellas-Fans als Ehrengast begrüßt und schließlich sogar im Internet fälschlich als Anführer einer besonders militanten Fan-Fraktion geoutet. Die Langzeitbeobachtung, soviel wird deutlich, entwickelt sich unter der Hand zur öffentlichen Angelegenheit; und mehr als einmal fragt sich Parks, ob er, wenn er die ganze Wahrheit niederschreibt, auch in Zukunft ein Mitglied der Hellas-Familie bleiben kann.
34 Spieltage im Fanblock eines ziemlich unbedeutenden italienischen Fußballklubs, das könnte auf Dauer langweilig werden – wenn man ein schlechterer Schriftsteller wäre als Tim Parks. Abgesehen von der Regel, über alle Spieltage, -verläufe und -orte zu berichten und an jedes Kapitel den aktuellen Tabellenstand anzufügen, unterwirft sich Parks nämlich gar keiner Regel. Mal schaut er sehr genau aufs Spielfeld, dann wieder, vor allem, wenn ihn ein Spiel wirklich geärgert, ja gekränkt hat, schweifen seine Gedanken ab. Dann beschäftigt ihn die Theorie jenes Geschehens, das jeden Sonntag nahezu jeden männlichen Vertreter der italienischen Population (und ein paar Frauen außerdem) in Beschlag nimmt. Wie kann es etwa sein, fragt sich Parks, dass am 14. Januar 2001 eine Viertelstunde vor Schluss auf dem durchweichten Boden des Veroneser Stadions die Mannschaft von Napoli völlig unverdient in Führung geht? Ist es ein böser Zauber, ein Fluch?
Mit Masken gegen Napoli
Ähneln die Fans in diesem Moment nicht den „primitiven Heiden”, die Aby Warburg in den Pueblo-Indianern New Mexicos sah, wenn sie den Himmel um Regen anflehten? Sir Edward Burnett Tylor hat vom „Gegenzauber” gesprochen, Sir Alfred Radcliffe-Brown von der sozialen Funktion der Magie, vom Zauberkreis, den amerikanische Indianer um ihre „innersten Überzeugungen” ziehen, „insbesondere ihre Maskentänze”. „Masken!”, das ist das Stichwort dieses regnerischen Fußballnachmittags. Auf jeden Sitz in der Fankurve haben die brigate eine Atemschutzmaske gelegt, zum Schutz vor dem Gestank der Neapolitaner (dunkelhäutige Spieler werden regelmäßig mit kollektiven Affenlauten begrüßt).
Doch diesmal scheint der Gegenzauber nicht zu verfangen. Napoli führt noch immer, und sein Buch werde eines über Veronas Abstieg werden, schwant es Parks auf der Tribüne. Bis Hellas in den letzten fünf Minuten dann doch noch irgendwie zwei Tore schießt: „In Ekstase strömen die Massen aus dem Stadion. Zumindest heute hat der Zauber gewirkt. In der Stunde der höchsten Not. Hellas lebt.” Hellas lebt und überlebt wider Erwarten sogar die Saison in der Seria A, wenn auch erst nach zwei wahrhaft nervenzerfetzenden Relegationsspielen gegen Reggina. Das Inferno des Abstiegs ist abgewendet, das Purgatorio durchschritten, und kurz darf sich der Fan im Paradiso wähnen. Verona ist gerettet, aber niemals für lange.
Inzwischen sind viele Alpträume der gelb-blauen Brigaden wahr geworden. Hellas steht wieder auf einem Abstiegsplatz – diesmal in der Serie B. Von den Spielern der Saison 2000/2001 ist nur noch einer übrig; die Jungstars von damals spielen jetzt bei Chelsea oder Milan, und was noch viel schlimmer ist: Chievo Verona hat sich in der Serie A etabliert. Schwere Zeiten für einen Hellas-Fan, und das heißt: gute Zeiten. Und in der curva sud steht wohl immer noch: Tim Parks.
CHRISTOPH BARTMANN
TIM PARKS: Eine Saison mit Verona. Eine Reise durch Italien auf der Suche nach Träumen, Fußball und dem Herzen des Landes. Aus dem Englischen von Andreas Jäger. Wilhelm Goldmann Verlag, München 2003. 638 Seiten, 9,90 Euro.
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Addictive reading...each chapter is a short story, the whole book an epic Observer