In a new retelling of the romantic rationalist adventure of ideas that is Hegelâ s classic The Phenomenology of Spirit, Robert Brandom argues that when our self-conscious recognitive attitudes take Hegelâ s radical form of magnanimity and trust, we can overcome a troubled modernity and enter a new age of spirit.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungWer ist bloß dieser Geist?
Ein Drehbuch für Hegel von Robert B. Brandom
Ein Bewusstsein kann ein anderes anerkennen, ein Buch ein anderes erklären. Damit geschieht weit mehr als die Übertragung eines Vokabulars in ein von ihm verschiedenes. Übersetzungen nämlich legen fest und reduzieren damit Freiheitsgrade der Deutung; aber Erklärungen müssen das nicht, so wenig wie Anerkennungsakte. Sie können im Gegenteil Freiheiten öffnen, Alternativen wecken.
Der amerikanische Philosoph Robert B. Brandom, einer der originellsten und produktivsten lebenden Systematiker seines Fachs, denkt über derlei Fragen in pointenreichen Texten voll episch ausgreifender Gedankenerzähllaune nach. Er verfolgt dabei ein großes Projekt, dessen zwei einander stützende Teile abschreckend anspruchsvolle Namen haben. Der erste heißt "inferentielle Semantik", der zweite "normative Pragmatik". Der eine Ausdruck soll sagen, dass die Bedeutungen von Zeichen (etwa Wörtern) durch die Rollen bestimmt sind, die sie in Folgerungen ("Inferenzen") spielen; der andere postuliert, dass Handeln (auch Sprechen und Schreiben) etwas sei, das dies oder jenes "soll" und dass man sich dabei deshalb auf Sätze einigen kann wie "wenn dies oder das gälte, müsste man dies oder das tun".
Brandom glaubt, philosophische Begriffe seien dazu da, den Gebrauch anderer Begriffe zu ordnen; sie sind ihm "Metabegriffe". Eins der größten Bücher der Metabegriffsgeschichte ist seiner Ansicht nach Hegels "Phänomenologie des Geistes" von 1807. Das hat Brandom jetzt voller Respekt und daher sehr sorgfältig in einem eigenen Buch ausgelegt, nach jahrzehntelanger Arbeit: "A Spirit of Trust".
Bei Hegel findet er die Worte "Verstand" und "Vernunft", das erste soll laut Brandom das darstellende, das zweite das begriffliche Denken sein. Der Verstand folgert statisch ("dies ist ein Tisch"), die Vernunft dynamisch (sie vergleicht und unterscheidet). Beide sind nötig für die "recollective rationality", die Hegel in Brandoms Lesart herstellt. Da heißt "sich erinnern" das Gleiche wie "verstehen", wobei im Kofferwort "recollective" außerdem das "Kollektiv" steckt, das Brandom mit Hegels "Geist" identifiziert, der abstrakten Gestalt, deren Schicksal die "Phänomenologie" erzählt.
Diese Bestimmung von Hegels "Geist" als Gesellschaft gehört Brandom nicht allein. Auch Adorno hat sich in diesem Sinn geäußert - Substrat des Hegelschen Geistes, so das Haupt der Frankfurter Schule, sei "die gesellschaftliche Arbeit". Beide, Adorno wie Brandom, sind damit angreifbar für einen Vorwurf, der dem sprichwörtlichen an gewisse Denker ähnelt, sie übersetzten unser Alltagsdenken "statt in den Begriff ins Lateinische". Man könnte sagen, Brandom übersetze Hegel ins Inferentialistische und Adorno ins Kritische, ohne ihre Entlarvung des Geistes als "das Soziale" anders zu begründen als mit ihrem Vertrauen zu eigenen Theorien. Beides ist immerhin nicht so ungelenk wie Heideggers blamable Versuche, Hegels Stahlkonstruktion in morschem Holz nachzuzimmern.
Die Stärke der Versuche Adornos wie Brandoms, Hegels Arbeit auf einem ihm fremden Terrain willkommen zu heißen und damit anzuerkennen, ist wesentlich eine ästhetische: Diese Interpreten können als Schriftsteller, nicht nur als Denker mit einem Autor mithalten, der in der Nachbarschaft der deutschen Klassik (und in der "Phänomenlogie" auch in einer eher gestischen als inhaltlichen Nähe zur Romantik) daheim war.
Man hat die "Phänomenologie" einen Roman genannt, bei dem man (wie bei Vladimir Nabokovs "Pale Fire" oder Anne Garrétas "Sphinx") nicht so genau weiß, wer die Hauptfigur eigentlich ist. Dadurch, dass Brandom diese Hauptfigur nicht mit überhaupt allen denkbaren Stufen "gesellschaftlicher Arbeit" oder irgendeinem beliebigen Gemeinwesen, sondern derjenigen Gesellschaft identifiziert, die ihre Traditionen verliert und an deren Stelle Selbstreflexion setzen muss, also mit der modernen, wird er Hegels Betonung der Historizität seines Subjekt-Objekts gerecht, dem Fließen, der Bewegung - in abermals Adornos Worten: "Mit einem anachronistischen Vergleich sind Hegels Publikationen eher Filme des Gedankens als Texte. Wie das ungeschulte Auge Details eines Films nie so festhalten wird wie die eines stillgestellten Bildes, so ergeht es mit seinen Schriften."
Sofern das wahr ist, muss man Brandoms "A Spirit of Trust" bewundern als den Versuch, im Nachhinein ein Drehbuch für diesen Film namens "Phänomenologie des Geistes" vorzulegen, das (wie etwa Stanley Kubricks "Barry Lyndon" nach Thackeray oder David Cronenbergs "Naked Lunch" nach William S. Burroughs) als Werk eigener Geltung neben der Inspirationsquelle bestehen kann. Indem es sie in der Deutung anerkennt, wird es selbst von ihr über die Zeiten hinweg beglaubigt.
DIETMAR DATH
Robert B. Brandom:
"A Spirit of Trust".
A Reading of Hegel's Phenomenology.
Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge 2019. 768 S., geb., 39,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Drehbuch für Hegel von Robert B. Brandom
Ein Bewusstsein kann ein anderes anerkennen, ein Buch ein anderes erklären. Damit geschieht weit mehr als die Übertragung eines Vokabulars in ein von ihm verschiedenes. Übersetzungen nämlich legen fest und reduzieren damit Freiheitsgrade der Deutung; aber Erklärungen müssen das nicht, so wenig wie Anerkennungsakte. Sie können im Gegenteil Freiheiten öffnen, Alternativen wecken.
Der amerikanische Philosoph Robert B. Brandom, einer der originellsten und produktivsten lebenden Systematiker seines Fachs, denkt über derlei Fragen in pointenreichen Texten voll episch ausgreifender Gedankenerzähllaune nach. Er verfolgt dabei ein großes Projekt, dessen zwei einander stützende Teile abschreckend anspruchsvolle Namen haben. Der erste heißt "inferentielle Semantik", der zweite "normative Pragmatik". Der eine Ausdruck soll sagen, dass die Bedeutungen von Zeichen (etwa Wörtern) durch die Rollen bestimmt sind, die sie in Folgerungen ("Inferenzen") spielen; der andere postuliert, dass Handeln (auch Sprechen und Schreiben) etwas sei, das dies oder jenes "soll" und dass man sich dabei deshalb auf Sätze einigen kann wie "wenn dies oder das gälte, müsste man dies oder das tun".
Brandom glaubt, philosophische Begriffe seien dazu da, den Gebrauch anderer Begriffe zu ordnen; sie sind ihm "Metabegriffe". Eins der größten Bücher der Metabegriffsgeschichte ist seiner Ansicht nach Hegels "Phänomenologie des Geistes" von 1807. Das hat Brandom jetzt voller Respekt und daher sehr sorgfältig in einem eigenen Buch ausgelegt, nach jahrzehntelanger Arbeit: "A Spirit of Trust".
Bei Hegel findet er die Worte "Verstand" und "Vernunft", das erste soll laut Brandom das darstellende, das zweite das begriffliche Denken sein. Der Verstand folgert statisch ("dies ist ein Tisch"), die Vernunft dynamisch (sie vergleicht und unterscheidet). Beide sind nötig für die "recollective rationality", die Hegel in Brandoms Lesart herstellt. Da heißt "sich erinnern" das Gleiche wie "verstehen", wobei im Kofferwort "recollective" außerdem das "Kollektiv" steckt, das Brandom mit Hegels "Geist" identifiziert, der abstrakten Gestalt, deren Schicksal die "Phänomenologie" erzählt.
Diese Bestimmung von Hegels "Geist" als Gesellschaft gehört Brandom nicht allein. Auch Adorno hat sich in diesem Sinn geäußert - Substrat des Hegelschen Geistes, so das Haupt der Frankfurter Schule, sei "die gesellschaftliche Arbeit". Beide, Adorno wie Brandom, sind damit angreifbar für einen Vorwurf, der dem sprichwörtlichen an gewisse Denker ähnelt, sie übersetzten unser Alltagsdenken "statt in den Begriff ins Lateinische". Man könnte sagen, Brandom übersetze Hegel ins Inferentialistische und Adorno ins Kritische, ohne ihre Entlarvung des Geistes als "das Soziale" anders zu begründen als mit ihrem Vertrauen zu eigenen Theorien. Beides ist immerhin nicht so ungelenk wie Heideggers blamable Versuche, Hegels Stahlkonstruktion in morschem Holz nachzuzimmern.
Die Stärke der Versuche Adornos wie Brandoms, Hegels Arbeit auf einem ihm fremden Terrain willkommen zu heißen und damit anzuerkennen, ist wesentlich eine ästhetische: Diese Interpreten können als Schriftsteller, nicht nur als Denker mit einem Autor mithalten, der in der Nachbarschaft der deutschen Klassik (und in der "Phänomenlogie" auch in einer eher gestischen als inhaltlichen Nähe zur Romantik) daheim war.
Man hat die "Phänomenologie" einen Roman genannt, bei dem man (wie bei Vladimir Nabokovs "Pale Fire" oder Anne Garrétas "Sphinx") nicht so genau weiß, wer die Hauptfigur eigentlich ist. Dadurch, dass Brandom diese Hauptfigur nicht mit überhaupt allen denkbaren Stufen "gesellschaftlicher Arbeit" oder irgendeinem beliebigen Gemeinwesen, sondern derjenigen Gesellschaft identifiziert, die ihre Traditionen verliert und an deren Stelle Selbstreflexion setzen muss, also mit der modernen, wird er Hegels Betonung der Historizität seines Subjekt-Objekts gerecht, dem Fließen, der Bewegung - in abermals Adornos Worten: "Mit einem anachronistischen Vergleich sind Hegels Publikationen eher Filme des Gedankens als Texte. Wie das ungeschulte Auge Details eines Films nie so festhalten wird wie die eines stillgestellten Bildes, so ergeht es mit seinen Schriften."
Sofern das wahr ist, muss man Brandoms "A Spirit of Trust" bewundern als den Versuch, im Nachhinein ein Drehbuch für diesen Film namens "Phänomenologie des Geistes" vorzulegen, das (wie etwa Stanley Kubricks "Barry Lyndon" nach Thackeray oder David Cronenbergs "Naked Lunch" nach William S. Burroughs) als Werk eigener Geltung neben der Inspirationsquelle bestehen kann. Indem es sie in der Deutung anerkennt, wird es selbst von ihr über die Zeiten hinweg beglaubigt.
DIETMAR DATH
Robert B. Brandom:
"A Spirit of Trust".
A Reading of Hegel's Phenomenology.
Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge 2019. 768 S., geb., 39,- [Euro].
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