NATIONAL BESTSELLER NATIONAL BOOK CRITICS CIRCLE WINNER With music pulsing on every page, this startling, exhilarating novel of self-destruction and redemption "features characters about whom you come to care deeply as you watch them doing things they shouldn't, acting gloriously, infuriatingly human" (The Chicago Tribune).
Bennie is an aging former punk rocker and record executive. Sasha is the passionate, troubled young woman he employs. Here Jennifer Egan brilliantly reveals their pasts, along with the inner lives of a host of other characters whose paths intersect with theirs.
Pitch perfect.... Darkly, rippingly funny.... Egan possesses a satirist s eye and a romance novelist s heart. The New York Times Book Review
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Bennie is an aging former punk rocker and record executive. Sasha is the passionate, troubled young woman he employs. Here Jennifer Egan brilliantly reveals their pasts, along with the inner lives of a host of other characters whose paths intersect with theirs.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2012Das Signal der Stille
Das Schönste im Leben sind die Pausen: Jennifer Egans neuer Roman "Der größere Teil der Welt"
Sie sagt, sie fände diese Debatten langweilig: die um die Zukunft des Romans zum Beispiel oder die darum, ob es Kinder verdirbt, wenn sie ständig auf ihre Smartphones starren. Sie hat einen Roman geschrieben, "Der größere Teil der Welt" heißt er, der dreizehn Kapitel (und ungefähr genauso viele Erzähler) hat, eines ist dabei, das wie eine Powerpoint-Präsentation abläuft, ein anderes spielt in der Zukunft, wo die Leute dann ständig sehr kunstfertige SMS verschicken. Man könnte also denken, dass die amerikanische Schriftstellerin Jennifer Egan doch irgendwie mitten drinsteckt in diesen Debatten um die Technologien von heute und die Romane von morgen.
Aber das denkt man genau so lange, bis man diesen neuen Roman zu lesen beginnt - und merkt, dass es das eine ist, darüber zu debattieren, welche Relevanz Romane noch haben können, wenn die anderen Formate (und deren Geräte) die kulturelle Imaginationskraft der Gegenwart so in Beschlag genommen haben; Debatten, an denen sich Jennifer Egans Kollegen Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides und Gary Shteyngart schon beteiligt haben - und das andere, eine Erzählung von Menschen im Laufe der Zeit hinzulegen, die nur in dieser Form zu haben ist: nämlich als Roman. "Lasst uns", sagt Jennifer Egan, "mit dieser wahnsinnig flexiblen Form Dinge tun, die man anders nicht hinbekommt - dann müssen die Leute eben lesen, weil sie diese Art von Genuss nirgendwo sonst kriegen."
Aber der Reihe nach: Jennifer Egan, geboren 1962, aufgewachsen in San Francisco, heute lebt sie mit einem Mann und zwei Söhnen in Brooklyn, schreibt seit 1993 Romane, Erzählungen und Reportagen und hat für "Der größere Teil der Welt" 2011 den Pulitzer-Preis bekommen (und noch ein paar andere, sehr renommierte mehr). Ein Buch, dessen Geschichte zur Zeit des Punk beginnt und in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts endet und diesen Weg aber nicht linear geht, sondern in Sprüngen, vorwärts, rückwärts, seitwärts: Den Anfang - der aber nicht der Anfang des Buches ist - machen ein paar Teenager, die eine Band gründen, The Flaming Dildos, in Kalifornien, es ist 1979.
Einer von den Flaming Dildos, Benny, macht Karriere in der Musik, ein anderer, Scotty, strauchelt, stürzt und fängt sich wieder. Ein Mädchen, Jocelyn, lernt einen reichen Plattenboss kennen: Lou, der sechs Kinder mit drei Frauen hat, und wie dieser Lou, ein Kind der amerikanischen Sixties, mit seinen Kindern und seinen Frauen mehr verfährt als lebt, das erfährt man auch in einem Kapitel des Romans - und genauso, wie Jules, der Bruder von Bennys späterer Frau Stephanie, bei einem Interview über eine Schauspielerin herfällt und dafür ins Gefängnis geht, und wie diese Schauspielerin, Kitty Jackson, dann mit einem Bananenrepubliksgeneral für ein paar schöne Paparazzi-Bilder verkuppelt wird, damit der General, ein Völkermörder, bessere Presse kriegt. Das wiederum war die Idee einer PR-Agentin namens Dolly, deren Tochter, Lulu, am Ende der Geschichte, also in der Zukunft, die Assistentin von Benny ist.
Und da gibt es auch noch Sasha, die auch mal Bennys Assistentin war, und ihre Tochter Allison, ihren Onkel Ted und ihren Zuhälter Lars, und Bosco, noch ein gestrandeter Musiker, und die Republikanerin Cathy, die mit Bennys Frau Stephanie Tennis spielt und mit Benny schläft - im Grunde besteht "Der größere Teil der Welt" nur aus Nebenfiguren, zusammengehalten von einer Idee - der Zeit und was sie aus uns macht, wenn wir versuchen, einen Ort in ihr zu finden - und einer Form, die sich als extrem dehnbar und belastbar herausstellt.
Also reden wir am Ende doch über die Form dieses neuen Romans, auch wenn Jennifer Egan die Romanformdebatte langweilt und sie das bei bester Laune sagt. Sie hat, siehe oben, eine angenehm pragmatische Art, mit ihrem Beruf umzugehen, ohne jetzt dabei anti-akademisch oder anti-intellektuell zu werden, was ja genauso langweilig wäre. Aber während Jeffrey Eugenides zuletzt in Interviews darüber nachgedacht hat, ob es in seinen Romanen "Signale" gibt, "dass die Geschichte vom Erzähler erfunden wird" (was der große Wolfgang Herrndorf in seinem Blog mit "Signale, daß die Geschichte vom Erzähler erfunden wird - Wahnsinn. Was werden sie als nächstes herausfinden?" sehr lustig abmoderierte), sagt Jennifer Egan: "Ich glaube, man liest doch, um unterhalten zu werden und der Gegenwart zu entfliehen. Deswegen lese ich jedenfalls. Mich interessiert es nicht, auf Kosten einer guten Geschichte vorgeführt zu bekommen, wie schlau jemand ist."
Aber sie experimentiert im neuen Roman selbst doch auch herum, wenn sie mit Powerpoint arbeitet? "Warum ich am Ende in diese ungewöhnlichen Erzählformen hineingestolpert bin", sagt Jennifer Egan, "hat nur damit zu tun, dass man oft interessantere und komplexere Geschichten erzählen kann, wenn man sich außerhalb von dem bewegt, was man konventionell nennt."
Und dann sagt sie etwas, dass einem wieder mal dieses Gefühl gibt, amerikanische Autoren hätten doch irgendwie ein paar mehr Tassen im Schrank als manche ihre Kollegen aus der alten Welt, ein Gefühl, das einem dieses phantastische Buch sowieso schon gibt: "Besseres kann doch gar nicht passieren, als dass der Roman sich gegen so viel Konkurrenz zur Wehr setzen muss wie jetzt. Aber die Leute werden keine Bücher lesen, wenn wir ihnen sagen, dass sie gut für sie sind und sie klüger machen, als wären sie Vitamine. In dem Moment, wo Bücher zu einer lästigen Pflicht werden, sind wir am Ende." Also, was tun wir dagegen? "Let's have some fun!"
Sie lacht. Sie meint das so. Jennifer Egan hat sich hingesetzt und diesen Roman geschrieben, mit der Hand, auf Papier, wie alle ihre Bücher davor. Sie brauche, sagt Jennifer Egan, ein Gefühl von Abenteuer und Ungewissheit beim Schreiben, diesen Überraschungsmoment - angeblich soll Balzac ja auch immer sofort vom Mittagessen aufgesprungen und zu seinem Manuskript auf dem Schreibtisch zurückgerannt sein, weil er wissen wollte, wie es weitergeht. Selbst das Powerpoint-Kapitel mit seinen Kreisen, Pfeilen, Schnittmengen und Diagrammen sei handschriftlich entstanden, Jennifer Egan hatte das Programm nicht mal auf ihrem Computer: Da war nur diese Idee, etwas mit Powerpoint zu schreiben, das in der Wüste spielt.
Allison, die Tochter von Sasha, erzählt in diesem Kapitel die kleine Geschichte ihrer Familie: der Vater ein erschöpfter Arzt, die Mutter eine Frau mit Geheimnissen, die in ihrer Vergangenheit liegen, der Bruder, Lincoln, dokumentiert die Pausen in Popsongs: "Roxanne", von Police, zwei Sekunden zwischen Minute 1:57 und 1:59, anderthalb Sekunden bei "Bernadette" von den Four Tops, zwei bei "Foxy Lady" von Jimi Hendrix. Ein Tic, der seinen Vater wahnsinnig macht, warum nur, fragt er, warum hat Lincoln keine Freunde, sondern sammelt Stille? "Die Pause lässt einen glauben, dass der Song zu Ende ist", antwortet Sasha ihm. "Und dann ist der Song gar nicht richtig zu Ende, deshalb ist man erleichtert. Aber dann endet er doch, denn jedes Lied hat natürlich ein Ende, und DIESMAL - IST - ENDGÜLTIG - ALLES - VORBEI."
In einem Roman, der kein Zentrum hat, um das er kreist, ist dieser Satz, diese eine Seite in Allisons Powerpoint-Präsentation so etwas wie die Schlüsselstelle. Jennifer Egan hat ein Buch geschrieben, das natürlich, und es macht großen Spaß, von Musik handelt. Und vom Augenblick im Leben des 20. Jahrhunderts, als Punk und postmoderne französische Theorie die Ästhetik veränderten. Plötzlich ging es ums Umbauen und Auslachen, um mehr ironische Distanz und weniger Bekenntnis - ein Augenblick, von dem auch Jonathan Franzen in "Freiheit" und Jeffrey Eugenides in der "Liebeshandlung" erzählt haben. Da ist offenbar noch etwas ungeklärt an dieser Phase, das noch geklärt werden muss, überhaupt verbindet man Punk ja eher mit England als mit Kalifornien oder New York, woher er aber ja eigentlich kam.
Doch die Musikwelt ist im Grunde nur der Vordergrund für Jennifer Egan, die selbst, am Ende der Siebziger, ein spätes Hippiemädchen gewesen sei, sagt sie, und zu den Leuten, über die sie jetzt geschrieben hat, gar nicht gehörte. Punk, das habe sie aber trotzdem kapiert, war der Augenblick, an dem es wieder losging, das Gefühl wieder einsetzte, dass doch noch etwas zu bewegen sei, dass Aufbruch und Veränderung nicht mit den Sixties ein für alle Mal vorbei war.
Nach einer Pause geht es weiter, um dann irgendwann, unweigerlich, aufzuhören - diese Pausen zu erforschen hieße dann eigentlich, das Leben zu erforschen: Hoffen, Neuerfinden, Kraftschöpfen, Durchkommen, Innehalten, Aussetzen, Aufgeben. Weitermachen, aber wie, während die Uhr läuft. Nicht alle von Jennifer Egans Figuren schaffen es, den Punkt zu überwinden. Eine nimmt sich das Leben, eine andere stirbt öffentlich, eine dritte zieht sich zurück. Oder kehrt noch einmal wieder.
Dieser Augenblick aber, an dem sich das entscheidet, der Richtungswechsel, die Grenze, diese Pause in der Bewegung scheint wichtiger als die Bewegung selbst. Dass Jennifer Egan im blöden Powerpoint-Programm eine grafische Metapher für ihren eigenen Roman und das Leben gefunden hat, ist einigermaßen genial. Dass er, trotz dieser Smartheit, am Ende ein zutiefst menschliches Dilemma behandelt, könnte man dabei fast übersehen. Es macht diesen Roman aber so bewegend.
TOBIAS RÜTHER
Jennifer Egan: "Der größere Teil der Welt". Übersetzt von Heide Zeltmann. Schöffling & Co., 392 Seiten, 22,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das Schönste im Leben sind die Pausen: Jennifer Egans neuer Roman "Der größere Teil der Welt"
Sie sagt, sie fände diese Debatten langweilig: die um die Zukunft des Romans zum Beispiel oder die darum, ob es Kinder verdirbt, wenn sie ständig auf ihre Smartphones starren. Sie hat einen Roman geschrieben, "Der größere Teil der Welt" heißt er, der dreizehn Kapitel (und ungefähr genauso viele Erzähler) hat, eines ist dabei, das wie eine Powerpoint-Präsentation abläuft, ein anderes spielt in der Zukunft, wo die Leute dann ständig sehr kunstfertige SMS verschicken. Man könnte also denken, dass die amerikanische Schriftstellerin Jennifer Egan doch irgendwie mitten drinsteckt in diesen Debatten um die Technologien von heute und die Romane von morgen.
Aber das denkt man genau so lange, bis man diesen neuen Roman zu lesen beginnt - und merkt, dass es das eine ist, darüber zu debattieren, welche Relevanz Romane noch haben können, wenn die anderen Formate (und deren Geräte) die kulturelle Imaginationskraft der Gegenwart so in Beschlag genommen haben; Debatten, an denen sich Jennifer Egans Kollegen Jonathan Franzen und Jeffrey Eugenides und Gary Shteyngart schon beteiligt haben - und das andere, eine Erzählung von Menschen im Laufe der Zeit hinzulegen, die nur in dieser Form zu haben ist: nämlich als Roman. "Lasst uns", sagt Jennifer Egan, "mit dieser wahnsinnig flexiblen Form Dinge tun, die man anders nicht hinbekommt - dann müssen die Leute eben lesen, weil sie diese Art von Genuss nirgendwo sonst kriegen."
Aber der Reihe nach: Jennifer Egan, geboren 1962, aufgewachsen in San Francisco, heute lebt sie mit einem Mann und zwei Söhnen in Brooklyn, schreibt seit 1993 Romane, Erzählungen und Reportagen und hat für "Der größere Teil der Welt" 2011 den Pulitzer-Preis bekommen (und noch ein paar andere, sehr renommierte mehr). Ein Buch, dessen Geschichte zur Zeit des Punk beginnt und in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts endet und diesen Weg aber nicht linear geht, sondern in Sprüngen, vorwärts, rückwärts, seitwärts: Den Anfang - der aber nicht der Anfang des Buches ist - machen ein paar Teenager, die eine Band gründen, The Flaming Dildos, in Kalifornien, es ist 1979.
Einer von den Flaming Dildos, Benny, macht Karriere in der Musik, ein anderer, Scotty, strauchelt, stürzt und fängt sich wieder. Ein Mädchen, Jocelyn, lernt einen reichen Plattenboss kennen: Lou, der sechs Kinder mit drei Frauen hat, und wie dieser Lou, ein Kind der amerikanischen Sixties, mit seinen Kindern und seinen Frauen mehr verfährt als lebt, das erfährt man auch in einem Kapitel des Romans - und genauso, wie Jules, der Bruder von Bennys späterer Frau Stephanie, bei einem Interview über eine Schauspielerin herfällt und dafür ins Gefängnis geht, und wie diese Schauspielerin, Kitty Jackson, dann mit einem Bananenrepubliksgeneral für ein paar schöne Paparazzi-Bilder verkuppelt wird, damit der General, ein Völkermörder, bessere Presse kriegt. Das wiederum war die Idee einer PR-Agentin namens Dolly, deren Tochter, Lulu, am Ende der Geschichte, also in der Zukunft, die Assistentin von Benny ist.
Und da gibt es auch noch Sasha, die auch mal Bennys Assistentin war, und ihre Tochter Allison, ihren Onkel Ted und ihren Zuhälter Lars, und Bosco, noch ein gestrandeter Musiker, und die Republikanerin Cathy, die mit Bennys Frau Stephanie Tennis spielt und mit Benny schläft - im Grunde besteht "Der größere Teil der Welt" nur aus Nebenfiguren, zusammengehalten von einer Idee - der Zeit und was sie aus uns macht, wenn wir versuchen, einen Ort in ihr zu finden - und einer Form, die sich als extrem dehnbar und belastbar herausstellt.
Also reden wir am Ende doch über die Form dieses neuen Romans, auch wenn Jennifer Egan die Romanformdebatte langweilt und sie das bei bester Laune sagt. Sie hat, siehe oben, eine angenehm pragmatische Art, mit ihrem Beruf umzugehen, ohne jetzt dabei anti-akademisch oder anti-intellektuell zu werden, was ja genauso langweilig wäre. Aber während Jeffrey Eugenides zuletzt in Interviews darüber nachgedacht hat, ob es in seinen Romanen "Signale" gibt, "dass die Geschichte vom Erzähler erfunden wird" (was der große Wolfgang Herrndorf in seinem Blog mit "Signale, daß die Geschichte vom Erzähler erfunden wird - Wahnsinn. Was werden sie als nächstes herausfinden?" sehr lustig abmoderierte), sagt Jennifer Egan: "Ich glaube, man liest doch, um unterhalten zu werden und der Gegenwart zu entfliehen. Deswegen lese ich jedenfalls. Mich interessiert es nicht, auf Kosten einer guten Geschichte vorgeführt zu bekommen, wie schlau jemand ist."
Aber sie experimentiert im neuen Roman selbst doch auch herum, wenn sie mit Powerpoint arbeitet? "Warum ich am Ende in diese ungewöhnlichen Erzählformen hineingestolpert bin", sagt Jennifer Egan, "hat nur damit zu tun, dass man oft interessantere und komplexere Geschichten erzählen kann, wenn man sich außerhalb von dem bewegt, was man konventionell nennt."
Und dann sagt sie etwas, dass einem wieder mal dieses Gefühl gibt, amerikanische Autoren hätten doch irgendwie ein paar mehr Tassen im Schrank als manche ihre Kollegen aus der alten Welt, ein Gefühl, das einem dieses phantastische Buch sowieso schon gibt: "Besseres kann doch gar nicht passieren, als dass der Roman sich gegen so viel Konkurrenz zur Wehr setzen muss wie jetzt. Aber die Leute werden keine Bücher lesen, wenn wir ihnen sagen, dass sie gut für sie sind und sie klüger machen, als wären sie Vitamine. In dem Moment, wo Bücher zu einer lästigen Pflicht werden, sind wir am Ende." Also, was tun wir dagegen? "Let's have some fun!"
Sie lacht. Sie meint das so. Jennifer Egan hat sich hingesetzt und diesen Roman geschrieben, mit der Hand, auf Papier, wie alle ihre Bücher davor. Sie brauche, sagt Jennifer Egan, ein Gefühl von Abenteuer und Ungewissheit beim Schreiben, diesen Überraschungsmoment - angeblich soll Balzac ja auch immer sofort vom Mittagessen aufgesprungen und zu seinem Manuskript auf dem Schreibtisch zurückgerannt sein, weil er wissen wollte, wie es weitergeht. Selbst das Powerpoint-Kapitel mit seinen Kreisen, Pfeilen, Schnittmengen und Diagrammen sei handschriftlich entstanden, Jennifer Egan hatte das Programm nicht mal auf ihrem Computer: Da war nur diese Idee, etwas mit Powerpoint zu schreiben, das in der Wüste spielt.
Allison, die Tochter von Sasha, erzählt in diesem Kapitel die kleine Geschichte ihrer Familie: der Vater ein erschöpfter Arzt, die Mutter eine Frau mit Geheimnissen, die in ihrer Vergangenheit liegen, der Bruder, Lincoln, dokumentiert die Pausen in Popsongs: "Roxanne", von Police, zwei Sekunden zwischen Minute 1:57 und 1:59, anderthalb Sekunden bei "Bernadette" von den Four Tops, zwei bei "Foxy Lady" von Jimi Hendrix. Ein Tic, der seinen Vater wahnsinnig macht, warum nur, fragt er, warum hat Lincoln keine Freunde, sondern sammelt Stille? "Die Pause lässt einen glauben, dass der Song zu Ende ist", antwortet Sasha ihm. "Und dann ist der Song gar nicht richtig zu Ende, deshalb ist man erleichtert. Aber dann endet er doch, denn jedes Lied hat natürlich ein Ende, und DIESMAL - IST - ENDGÜLTIG - ALLES - VORBEI."
In einem Roman, der kein Zentrum hat, um das er kreist, ist dieser Satz, diese eine Seite in Allisons Powerpoint-Präsentation so etwas wie die Schlüsselstelle. Jennifer Egan hat ein Buch geschrieben, das natürlich, und es macht großen Spaß, von Musik handelt. Und vom Augenblick im Leben des 20. Jahrhunderts, als Punk und postmoderne französische Theorie die Ästhetik veränderten. Plötzlich ging es ums Umbauen und Auslachen, um mehr ironische Distanz und weniger Bekenntnis - ein Augenblick, von dem auch Jonathan Franzen in "Freiheit" und Jeffrey Eugenides in der "Liebeshandlung" erzählt haben. Da ist offenbar noch etwas ungeklärt an dieser Phase, das noch geklärt werden muss, überhaupt verbindet man Punk ja eher mit England als mit Kalifornien oder New York, woher er aber ja eigentlich kam.
Doch die Musikwelt ist im Grunde nur der Vordergrund für Jennifer Egan, die selbst, am Ende der Siebziger, ein spätes Hippiemädchen gewesen sei, sagt sie, und zu den Leuten, über die sie jetzt geschrieben hat, gar nicht gehörte. Punk, das habe sie aber trotzdem kapiert, war der Augenblick, an dem es wieder losging, das Gefühl wieder einsetzte, dass doch noch etwas zu bewegen sei, dass Aufbruch und Veränderung nicht mit den Sixties ein für alle Mal vorbei war.
Nach einer Pause geht es weiter, um dann irgendwann, unweigerlich, aufzuhören - diese Pausen zu erforschen hieße dann eigentlich, das Leben zu erforschen: Hoffen, Neuerfinden, Kraftschöpfen, Durchkommen, Innehalten, Aussetzen, Aufgeben. Weitermachen, aber wie, während die Uhr läuft. Nicht alle von Jennifer Egans Figuren schaffen es, den Punkt zu überwinden. Eine nimmt sich das Leben, eine andere stirbt öffentlich, eine dritte zieht sich zurück. Oder kehrt noch einmal wieder.
Dieser Augenblick aber, an dem sich das entscheidet, der Richtungswechsel, die Grenze, diese Pause in der Bewegung scheint wichtiger als die Bewegung selbst. Dass Jennifer Egan im blöden Powerpoint-Programm eine grafische Metapher für ihren eigenen Roman und das Leben gefunden hat, ist einigermaßen genial. Dass er, trotz dieser Smartheit, am Ende ein zutiefst menschliches Dilemma behandelt, könnte man dabei fast übersehen. Es macht diesen Roman aber so bewegend.
TOBIAS RÜTHER
Jennifer Egan: "Der größere Teil der Welt". Übersetzt von Heide Zeltmann. Schöffling & Co., 392 Seiten, 22,95 Euro
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