Eine Unschuldsvermutung?
Gleich vorweg – das Buch wurde als Roman geschrieben, obwohl es viele Sachbuchelemente aufweist und durch die hervorragende Recherchearbeit des Autors ein Zeitdokument darstellt. Die Frage „Opfer oder Täter?“ steht hier im Mittelpunkt. Erfuhren nach 1945 die Opfer
Gerechtigkeit oder kamen die Täter ungeschoren davon? Menschen, die sich nie ihrer Verantwortung stellen…mehrEine Unschuldsvermutung?
Gleich vorweg – das Buch wurde als Roman geschrieben, obwohl es viele Sachbuchelemente aufweist und durch die hervorragende Recherchearbeit des Autors ein Zeitdokument darstellt. Die Frage „Opfer oder Täter?“ steht hier im Mittelpunkt. Erfuhren nach 1945 die Opfer Gerechtigkeit oder kamen die Täter ungeschoren davon? Menschen, die sich nie ihrer Verantwortung stellen müssen, gibt es zuhauf, doch Menschen, die den Mut aufbringen, genau darauf zu pochen sind äußerst selten.
Kapfenberg, Steiermark 1957: Anna Koinegg zeigt im Zuge eines Sorgerechtsstreites den Vater ihres Kindes, einen ehemaligen SS-Mann, als Judenmörder an. Anfang 1945 soll er an der Erschießung von 29 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern beteiligt gewesen sein. Die Anzeige wird „verschlampt“ und verschwindet in den Untiefen der unzähligen Aktenberge (bewusst oder unbewusst, das wird hier nicht erläutert). Mehr oder weniger durch Zufall fällt dieser Akt 1966 dem Kriminal-Bezirksinspektor Hans Landauer in die Hände, der selbst KZ-Insasse in Dachau war und der es nicht fassen kann, was nach 1945 alles verdrängt und verschleiert wurde. Landauer und einige Juristen fahren an den Ort des Geschehens nach Jennersdorf und versuchen Licht ins Dunkel zu bringen. Doch dies ist gar nicht so einfach, denn plötzlich kann sich keiner erinnern …
Jennersdorf galt bereits früh als Nazi-Hochburg und blieb dies im Geheimen auch während des Verbotes der NSDAP, auch konnten nach dem Krieg ehemalige Sympathisanten dieser Partei ein gutbürgerliches Leben führen, ohne für ihre Verbrechen belangt zu werden – das war jetzt nicht nur in Jennersdorf so, sondern in sehr, sehr vielen Orten.
Der Autor Manfred Wieninger wählte eine sehr ungewöhnliche Darstellungsweise des Geschehens. Er bettet seine historischen Recherchen in einen Roman und verbindet reale Personen mit fiktiven Charakteren während sich langsam die Hintergründe dieses Dramas auftun. Wieninger trifft die österreichischen Gepflogenheiten auf den Punkt, Menschen, die plötzlich an Erinnerungslücken leiden, keiner weiß was, keiner hat diese schrecklichen Dinge wahrgenommen, aber der und der könnte vielleicht … usw.
Eine Opferrolle ist einfach zu übernehmen, doch die Mitschuld an einem Verbrechen sich und der Öffentlichkeit einzugestehen, ist natürlich nicht ganz so einfach. Erst heute wissen wir, dass Österreich sich nicht nur unter dem Opfer-Deckmantel verstecken darf.
Das Buch liest sich beinahe wie ein Krimi, wenn nicht die grausamen Begebenheiten dermaßen bedrückend wären …
Ein wichtiges Buch gegen das Vergessen über die Schrecklichkeiten dieser Zeit, wie selbstverständlich Morden gelebt wurde und wie Antisemitismus und Ausgrenzung von Minderheiten zum guten Ton gehörten. Es gilt die Unschuldsvermutung – aber längst nicht für alle.