Sommer 1935, im Landhaus der Familie Tallis: Die 13-Jährige Briony, ein talentiertes junges Mädchen, plant zur Ankunft des Bruders ein Theaterstück, an dem die ganze Familie mitwirken soll. Als ihre Kusine überfallen wird, lenkt sie den Verdacht auf Robbie, einen Freund der Familie, der in ihre ältere Schwester verliebt ist. Obwohl sie sich eingesteht, keine Beweise zu haben, bleibt sie bei ihrer Anschuldigung und verändert damit für immer das Leben dreier Menschen.
buecher-magazin.deWenn ein Mädchen glaubt, Frau zu werden, dann weiß der lebenserfahrene Mitmensch, dass nun eine Zeit großer Unsicherheit und enormer emotionaler Schwankungen beginnt. Der 13-jährigen Briony geht das nicht anders, nur blendet sie - wie es sich nun mal gehört - Ersteres aus und quält mit Letzterem ihre Umgebung. Denn die Welt der Erwachsenen, die sich ihr in Form der amourösen Eskapade ihrer älteren Schwester ziemlich bildgewaltig vor ihr auftut, glaubt sie auf Anhieb zu verstehen. Und so wird sie zur selbst ernannten Rächerin - mit fatalen Folgen für ihre Umgebung.
Der Roman, mit dem sich McEwan endgültig auch im deutschsprachigen Raum etablierte, ist sein mikroskopischster. Jede hormonale Eruption scheint spürbar, jeder verquere Gedankengang eines, dem Alter entsprechend egozentrischen, Mädchens wird bis in den letzten Winkel erkundet, sodass ein Text von fast unerträglicher Intensität entsteht. Barbara Auer ist ganz dicht an dieser Briony. Verwunderung, gekränkte Eitelkeit und vor allem ihre Selbstgerechtheit erweckt sie mit leichter Stimme mehr als nur glaubwürdig zum Leben. Den hohen Grad an Introspektion dieser Gedankenwucht meistert sie mühelos.
© BÜCHERmagazin, Dirk Speckmann (ds)
Der Roman, mit dem sich McEwan endgültig auch im deutschsprachigen Raum etablierte, ist sein mikroskopischster. Jede hormonale Eruption scheint spürbar, jeder verquere Gedankengang eines, dem Alter entsprechend egozentrischen, Mädchens wird bis in den letzten Winkel erkundet, sodass ein Text von fast unerträglicher Intensität entsteht. Barbara Auer ist ganz dicht an dieser Briony. Verwunderung, gekränkte Eitelkeit und vor allem ihre Selbstgerechtheit erweckt sie mit leichter Stimme mehr als nur glaubwürdig zum Leben. Den hohen Grad an Introspektion dieser Gedankenwucht meistert sie mühelos.
© BÜCHERmagazin, Dirk Speckmann (ds)
»Ian McEwan gilt als einer der besten britischen Autoren der Gegenwart.« Thomas David / Stern Stern
Frühlingserwachen
Ian McEwans neuer Roman beginnt im Sommer 1935 mit der Schilderung eines folgenschweren Treffens der Familie Tallis auf ihrem südenglischen Landsitz. Im Mittelpunkt des Geschehens scheint die 13-jährige Briony zu stehen, die sich gerne mit philosophische Fragen auseinandersetzt, im Wörterbuch stöbert und in den letzten zwei Jahren zu einer eifrigen Schriftstellerin wurde. Gerade hat sie ein Theaterstück geschrieben, welches sie nun zur Rückkehr ihres älteren Bruders Leon zusammen mit ihren beiden Cousins und ihrer Cousine aufführen will. Doch zur Aufführung kommt es nicht. Denn Briony, versunken in ihren Fantasiewelten, die zuweilen keine Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion zulassen, macht eine Entdeckung, die ihr viel spannender erscheint als ihr Theaterstück. Noch weiß sie nicht, dass die Beobachtungen, die sie macht, und die sie dazu veranlassen sollten, Schicksal zu spielen, sie aus ihrer unschuldigen Kindheit herausreisen würden und sie mit einer kaum gut zu machenden Schuld beladen würden, die sie bis an ihr Lebensende tragen würde. Nun war sie "zur Mitspielerin in jenem Drama des Lebens geworden, das außerhalb der Kinderstube stattfand".
Schuld und Sühne
Wieder einmal besticht Ian McEwan durch seinen exzellenten Erzählstil. Es gelingt ihm, mikroskopisch genau die komplexen Charaktere seiner Protagonisten und deren Gefühle nachzuzeichnen.
Thema dieses sehr vielschichtigen Romans ist die Schuld, die aus der Macht des Unbewussten entstehen kann, und welche unweigerlich Reue und Sühne nach sich zieht, die schließlich ein ganzes Leben bestimmen. Briony, die lediglich aus einer kindlichen Unwissenheit heraus das Leben einer ganzen Familie entscheidend verändert, muss mit den folgenreichen Konsequenzen und einer kaum gutzumachenden Schuld leben. Durch ihr Wirken als Schriftstellerin leistet sie jedoch als erwachsene Frau für ihr furchtbares Vergehen gewissermaßen Abbitte.
(Wibke Garbarukow)
"Ein grandioses literarisches Panorama. Excellent geschrieben. Im Dunst des Sommers entsteht Bild um Bild, schmeichelt sich ein in die Vorstellungskraft des Lesers - und fordert sie heraus." (John Updike/The New Yorker)
"Eine ergreifende Liebesgeschichte." (De Morgen, Amsterdam)
"Wunderbare Sprache, wunderbare Figuren: der beste englische Roman seit Jahren." (The Times, London)
Ein grandioses literarisches Panorama. Excellent geschrieben. Im Dunst des Sommers entsteht Bild um Bild, schmeichelt sich ein in die Vorstellungskraft des Lesers - und fordert sie heraus." (John Updike/The New Yorker)
Ian McEwans neuer Roman beginnt im Sommer 1935 mit der Schilderung eines folgenschweren Treffens der Familie Tallis auf ihrem südenglischen Landsitz. Im Mittelpunkt des Geschehens scheint die 13-jährige Briony zu stehen, die sich gerne mit philosophische Fragen auseinandersetzt, im Wörterbuch stöbert und in den letzten zwei Jahren zu einer eifrigen Schriftstellerin wurde. Gerade hat sie ein Theaterstück geschrieben, welches sie nun zur Rückkehr ihres älteren Bruders Leon zusammen mit ihren beiden Cousins und ihrer Cousine aufführen will. Doch zur Aufführung kommt es nicht. Denn Briony, versunken in ihren Fantasiewelten, die zuweilen keine Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion zulassen, macht eine Entdeckung, die ihr viel spannender erscheint als ihr Theaterstück. Noch weiß sie nicht, dass die Beobachtungen, die sie macht, und die sie dazu veranlassen sollten, Schicksal zu spielen, sie aus ihrer unschuldigen Kindheit herausreisen würden und sie mit einer kaum gut zu machenden Schuld beladen würden, die sie bis an ihr Lebensende tragen würde. Nun war sie "zur Mitspielerin in jenem Drama des Lebens geworden, das außerhalb der Kinderstube stattfand".
Schuld und Sühne
Wieder einmal besticht Ian McEwan durch seinen exzellenten Erzählstil. Es gelingt ihm, mikroskopisch genau die komplexen Charaktere seiner Protagonisten und deren Gefühle nachzuzeichnen.
Thema dieses sehr vielschichtigen Romans ist die Schuld, die aus der Macht des Unbewussten entstehen kann, und welche unweigerlich Reue und Sühne nach sich zieht, die schließlich ein ganzes Leben bestimmen. Briony, die lediglich aus einer kindlichen Unwissenheit heraus das Leben einer ganzen Familie entscheidend verändert, muss mit den folgenreichen Konsequenzen und einer kaum gutzumachenden Schuld leben. Durch ihr Wirken als Schriftstellerin leistet sie jedoch als erwachsene Frau für ihr furchtbares Vergehen gewissermaßen Abbitte.
(Wibke Garbarukow)
"Ein grandioses literarisches Panorama. Excellent geschrieben. Im Dunst des Sommers entsteht Bild um Bild, schmeichelt sich ein in die Vorstellungskraft des Lesers - und fordert sie heraus." (John Updike/The New Yorker)
"Eine ergreifende Liebesgeschichte." (De Morgen, Amsterdam)
"Wunderbare Sprache, wunderbare Figuren: der beste englische Roman seit Jahren." (The Times, London)
Ein grandioses literarisches Panorama. Excellent geschrieben. Im Dunst des Sommers entsteht Bild um Bild, schmeichelt sich ein in die Vorstellungskraft des Lesers - und fordert sie heraus." (John Updike/The New Yorker)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2002Vergiftete Zeilen
Lesen gefährdet den Charakter: Ian McEwans Meisterwerk
Im Sommer des Jahres 1935 ist es für englische Verhältnisse ungewöhnlich heiß - so heiß, daß man mißtrauisch werden muß. Eines der vielen Kunststücke, die Ian McEwan in seinem neuen Roman "Abbitte" vollbringt, besteht darin, diese Hitze so fühlbar zu machen, daß sie nicht nur als Begleitumstand, sondern fast als Ursache für jene Ereignisse erscheint, die am heißesten Tag jenes Sommers 1935 auf dem Landsitz der Familie Tallis in Surrey ihren fatalen Lauf nehmen. McEwan macht die Hitze zu einer seiner Hauptfiguren. Von Seite zu Seite wird es wärmer, fast schon bricht dem Leser der nervöse Schweiß aus, etwas Unerhörtes liegt in der Luft. Zunächst passiert jedoch nur wenig.
"Briony gehörte zu jenen Kindern, die eigensinnig darauf beharren, daß die Welt genau so und nicht anders zu sein hat." In diesem scheinbar harmlosen Satz, der die Hauptfigur des Romans vorstellt, steckt eine Sprengkraft, deren ganze Tragweite sich erst einige hundert Seiten später erweisen wird. Der Roman besteht aus drei Teilen: Der erste, der gut die Hälfte der 530 Seiten ausmacht, schildert einen einzigen Tag, der das Leben aller Beteiligten verändern wird. Mit Briony tritt eine typische Dreizehnjährige auf, altklug, neugierig, träumerisch und von dem Wunsch beseelt, endlich zu den Erwachsenen zu gehören. Als Nachzügler zu zwei älteren Geschwistern, mit einer migränegeplagten Mutter und einem Vater, den wichtige Geschäfte und eine Geliebte häufig in London festhalten, bleibt das Kind meist sich selbst überlassen. Die mangelnde Aufsicht kommt ihr gelegen, denn längst steht für Briony fest, daß sie Schriftstellerin werden will; sie schreibt an einem herzzerreißenden Stück mit dem Titel "Die Heimsuchungen Arabellas", das zur Begrüßung des angebeteten Bruders Leon uraufgeführt werden soll. Zur Rollenbesetzung kommen ihr die soeben eingetroffene Kusine Lola und deren kleine Zwillingsbrüder gerade recht. Sie sollen auf dem Land eine Weile dem elterlichen Scheidungskrieg entgehen.
Je näher der Aufführungstermin rückt, desto mehr füllt sich das Haus. Brionys Schwester Cecilia ist gerade aus Cambridge zurückgekehrt, wo sie ihr Studium mit einer mittelmäßigen Note abgeschlossen hat. Leon hat einen Freund mitgebracht, Paul Marshall, den vermögenden Besitzer einer Schokoladenfabrik. Und dann taucht an diesem heißen Tag noch Robbie Turner auf, Sohn der Putzfrau und ein langjähriger Bekannter der Familie. Vater Tallis hat dem begabten, ehrgeizigen Burschen das Studium in Cambridge finanziert, das dieser gerade mit Auszeichnung absolviert hat. Robbie und Cecilia, die sich an der Universität angestrengt aus dem Weg gingen, stoßen an diesem Tag bei mehreren denkwürdigen Begebenheiten aufeinander und entdecken bis zum Abend, daß sie sich nicht verabscheuen, sondern lieben.
Es spricht für Ian McEwans Roman, daß man kaum über seine Handlung schreiben kann, ohne Gefahr zu laufen, zuviel zu verraten. Als der schottische Schriftsteller für seinen letzten Roman 1998 den Booker-Preis gewann, herrschte wenig Zweifel daran, daß er die Auszeichnung verdiente - allerdings nicht für jenes Buch. "Amsterdam" war ein zwar spannender, doch insgesamt eher schwacher Roman über die Fallstricke, welche auf die Mächtigen in Politik, Finanzwelt und Medien warten. So mag man "Atonement", was übersetzt soviel bedeutet wie Sühne, Buße oder eben "Abbitte", auch als Wiedergutmachung auffassen.
McEwan liebt es, gewöhnliche Menschen mit ungewöhnlichen Situationen zu konfrontieren, und es gelingt ihm immer wieder bravourös, im Leser die Ahnung von unmittelbar bevorstehenden Katastrophen zu wecken. So auch in "Abbitte", wo die Wärme zum Vorboten dräuender Ereignisse wird: "Sie dachte an die immense Hitze, die über Haus und Park aufstieg, diesig über den Grafschaften rund um London lag und Höfe und Städte erstickte, und sie dachte an die glutheißen Schienen, die Leon und seinen Freund herbrachten, an das Abteil unter schwarzem Dach, in dem sie bei offenem Fenster geröstet wurden."
Ein Brief und seine Folgen
Mit charakteristischer Genauigkeit schildert McEwan die Personen, das Haus und die sich anbahnenden Ereignisse, die den Leser dennoch kalt erwischen. Zunächst schreibt Robbie Cecilia einen Brief, in dem er ihr seine Liebe und sein Verlangen gesteht. Briony, die die Botschaft überbringen soll, öffnet den Brief und zieht folgenschwere Schlüsse aus den unbeholfen-drastischen Liebesschwüren, zu denen sich Robbie von einem Anatomiebuch inspirieren ließ. Sie hält Robbie für einen besessenen Erotomanen, vor dem sie ihre Schwester beschützen will. Dieser Entschluß mündet in einen schrecklichen Irrtum. In jener Nacht wird Briony im Garten Zeugin eines Geschehnisses, das sie unter dem Eindruck des Briefes nur auf eine Weise deuten kann: Sie belastet Robbie und zerstört damit sein Leben.
Im zweiten Teil beschreibt McEwan das Grauen von Robbies Erlebnissen beim britischen Expeditionsheer in Nordfrankreich mit der gleichen kinematographischen Sprache wie den schwülen Sommertag auf Tilney Jahre zuvor. Daß Robbie nicht wahnsinnig wird, verdankt er allein den Briefen Cecilias, die inzwischen als Krankenschwester in London arbeitet. Jede Zeile, die sie einander schreiben, vibriert von dem Echo des Leids, das Brionys Falschaussage dem Paar zugefügt hat. Die Schuldige selbst tritt erst im dritten Teil wieder auf; sie arbeitet als Lernschwester in einem Londoner Hospital - eine Tätigkeit, die von der Angst beherrscht wird, einen Fehler zu machen. Unablässig denkt sie über ihre Tat nach - und schreibt. Denn das Schreiben ist "der einzige rote Faden, das einzig Beständige in ihrem Leben. Es war, was sie schon immer getan hatte." Engagiert erledigt sie ihre Arbeit, doch mehren sich die Anzeichen, daß der gewohnte Krankenhausbetrieb aufgegeben werden muß - mit dem Andrang von verwundeten Soldaten ist die Schonzeit für Lernschwestern vorbei. Als Briony einem Verletzten den Kopfverband lockern will, kommt ihr die Hirnmasse entgegen: dem Mann ist ein Teil des Schädelknochens weggeschossen worden. McEwan, meisterhaft in der Beschreibung grausiger Details, duldet kein Wegsehen. Briony muß begreifen, daß kein noch so tapferer, selbstloser Akt ihren früheren Fehler ungeschehen machen kann, auch ihr Besuch bei Cecilia nicht.
Schon in seinem 1978 veröffentlichten "Zementgarten" hat McEwan die unheimliche Zone zwischen Kindheit und Erwachsensein beleuchtet. Nun steht Briony im Mittelpunkt seines Bildungsromans, und mit dem Autor versucht der Leser zu ergründen, warum das Mädchen so hartnäckig bei seiner Version bleibt. Das Motiv liefert McEwan zwischen den Zeilen: Sie will als eigene Autorität vor den Erwachsenen bestehen. Vor allem aber glaubt die dramatisch veranlagte Briony, daß das Leben der Literatur nacheifern sollte, daß wahre Geschehnisse sich nicht von erdachten unterscheiden. Sie findet, daß es in ihrem Leben wie in dem einer Romanfigur einen Wendepunkt geben muß, ein Ereignis von solcher Tragweite, daß es sie übergangslos in das Reich der Erwachsenen katapultiert - selbst wenn diese sie dafür verabscheuen sollten: "Von einem Erwachsenen gehaßt zu werden aber glich der feierlichen Aufnahme in eine neue Welt, war gleichsam eine Beförderung."
Virginia Woolf stand Pate
In "Abbitte" widmet sich Ian McEwan seinen alten, den großen Themen - Liebe und Trennung, Unschuld und Selbsterkenntnis, dem Verstreichen von Zeit -, und er tut dies souveräner, sprachmächtiger und fesselnder denn je. Seine Sätze kommen ohne demonstratives Muskelspiel aus, seine Formulierungen überraschen nicht durch ihre Wahl, sondern entfalten ihre Wirkung erst in ihrem Zusammenspiel: "Davor die offene Parklandschaft, die heute brütend wie eine Savanne dalag, wild und trocken, mit vereinzelten Bäumen, die scharfe, gedrungene Schatten warfen, und überall das lange Gras, dem bereits das löwenmähnige Gelb des Hochsommers auflauerte." Wer hinter solchen Wendungen Klischees wittert, verkennt den Sog von McEwans Prosa und die Kraft gerade seiner räumlichen Beschreibungen. Aber auch die indirekte Charakterisierung seiner Figuren gelingt ihm besser als je zuvor; jeder Satz über eine der Personen folgt deren Gedankenfluß so leicht und genau, als hätte sie ihn selbst geschrieben: "Niemand, den sie kannte, konnte so tatenlos verharren wie sie, konnte so sacht durch die eigenen Gedanken schlendern, als gelte es, einen unbekannten Garten zu erkunden." Bernhard Robben hat McEwans graziöses Englisch in elegantes Deutsch übertragen.
Nicht zuletzt ist der Roman auch eine Hymne an die englische Literatur. Deutlicher als früher erweist McEwan seinen Vorbildern Reverenz. So läßt er Briony ihre Geschichte "Zwei Gestalten am Brunnen" an die Zeitschrift "Horizon" schicken, wo auch eine gewisse Elisabeth Bowen arbeitet - deren Roman "Der letzte September" ebenfalls von einem Mädchen in einem großen Haus handelt. Antwort bekommt Briony von Cyril Connolly, der neben zarter Kritik auch Lob für ihre Erzählung äußert: "Es gelingt Ihnen zweierlei: einen Gedankenstrom in Worten festzuhalten und ihn so zu nuancieren, daß unterschiedliche Charaktere erkennbar werden. Etwas Einzigartiges, Unausgesprochenes wird so eingefangen. Doch fragen wir uns, ob dies nicht allzusehr den Techniken von Mrs. Woolf zu verdanken ist.'" Wie Briony hat sich auch McEwan von Virginia Woolf inspirieren lassen, ebenso wie von Jane Austens "Abtei von Northanger", deren romantische Heldin Catherine Morland sich wie Briony die Welt nach ihrer Lektüre deutet. Und Tilney, der Landsitz der Familie Tallis, ist ein Verweis auf Catherines Gefährten Henry Tilney. Nach der dreimaligen Lektüre von Woolfs "Die Wellen" findet Briony, daß "eine große Verwandlung mit der menschlichen Natur vor sich ging, daß allein der Roman, eine neue Art von Roman, die Essenz dieses Wandels erfassen konnte. In eine Psyche einzudringen und zu zeigen, wie sie arbeitete oder bearbeitet wurde, und dies mit einem symmetrisch angelegten Plan zu tun - was für ein künstlerischer Triumph."
Augenzwinkernd hat der Autor seiner moralisch fragwürdigen und doch höchst sympathischen Heldin diese Sätze in den Mund gelegt, die das Wunder, das er selbst vollbracht hat, glänzend benennen. McEwan hat mit "Abbitte" einen Roman geschrieben, der seine eigenen Mechanismen bewußt zur Schau und damit in Frage stellt. Das Ergebnis zeigt, daß es nach wie vor möglich ist, mit den Mitteln der klassischen Moderne große zeitgenössische Literatur zu erschaffen. Und ganz nebenbei stellt McEwan eine alte, längst vergessen geglaubte Frage, die in jüngster Zeit wieder diskutiert wird: Welche Auswirkungen kann Literatur haben? Wie sein südafrikanischer Kollege J. M. Coetzee wagt er die These, daß Bücher ihren Lesern Schaden zufügen können. Dabei ist Briony McEwans Versuchskaninchen. Im Epilog führt der Autor dieses enorme Experiment zu einem so fulminanten Schluß, daß man meint, den Roman in diesem neuen Licht gleich noch mal lesen zu müssen.
Ian McEwan: "Abbitte". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Diogenes Verlag, Zürich 2002. 533 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lesen gefährdet den Charakter: Ian McEwans Meisterwerk
Im Sommer des Jahres 1935 ist es für englische Verhältnisse ungewöhnlich heiß - so heiß, daß man mißtrauisch werden muß. Eines der vielen Kunststücke, die Ian McEwan in seinem neuen Roman "Abbitte" vollbringt, besteht darin, diese Hitze so fühlbar zu machen, daß sie nicht nur als Begleitumstand, sondern fast als Ursache für jene Ereignisse erscheint, die am heißesten Tag jenes Sommers 1935 auf dem Landsitz der Familie Tallis in Surrey ihren fatalen Lauf nehmen. McEwan macht die Hitze zu einer seiner Hauptfiguren. Von Seite zu Seite wird es wärmer, fast schon bricht dem Leser der nervöse Schweiß aus, etwas Unerhörtes liegt in der Luft. Zunächst passiert jedoch nur wenig.
"Briony gehörte zu jenen Kindern, die eigensinnig darauf beharren, daß die Welt genau so und nicht anders zu sein hat." In diesem scheinbar harmlosen Satz, der die Hauptfigur des Romans vorstellt, steckt eine Sprengkraft, deren ganze Tragweite sich erst einige hundert Seiten später erweisen wird. Der Roman besteht aus drei Teilen: Der erste, der gut die Hälfte der 530 Seiten ausmacht, schildert einen einzigen Tag, der das Leben aller Beteiligten verändern wird. Mit Briony tritt eine typische Dreizehnjährige auf, altklug, neugierig, träumerisch und von dem Wunsch beseelt, endlich zu den Erwachsenen zu gehören. Als Nachzügler zu zwei älteren Geschwistern, mit einer migränegeplagten Mutter und einem Vater, den wichtige Geschäfte und eine Geliebte häufig in London festhalten, bleibt das Kind meist sich selbst überlassen. Die mangelnde Aufsicht kommt ihr gelegen, denn längst steht für Briony fest, daß sie Schriftstellerin werden will; sie schreibt an einem herzzerreißenden Stück mit dem Titel "Die Heimsuchungen Arabellas", das zur Begrüßung des angebeteten Bruders Leon uraufgeführt werden soll. Zur Rollenbesetzung kommen ihr die soeben eingetroffene Kusine Lola und deren kleine Zwillingsbrüder gerade recht. Sie sollen auf dem Land eine Weile dem elterlichen Scheidungskrieg entgehen.
Je näher der Aufführungstermin rückt, desto mehr füllt sich das Haus. Brionys Schwester Cecilia ist gerade aus Cambridge zurückgekehrt, wo sie ihr Studium mit einer mittelmäßigen Note abgeschlossen hat. Leon hat einen Freund mitgebracht, Paul Marshall, den vermögenden Besitzer einer Schokoladenfabrik. Und dann taucht an diesem heißen Tag noch Robbie Turner auf, Sohn der Putzfrau und ein langjähriger Bekannter der Familie. Vater Tallis hat dem begabten, ehrgeizigen Burschen das Studium in Cambridge finanziert, das dieser gerade mit Auszeichnung absolviert hat. Robbie und Cecilia, die sich an der Universität angestrengt aus dem Weg gingen, stoßen an diesem Tag bei mehreren denkwürdigen Begebenheiten aufeinander und entdecken bis zum Abend, daß sie sich nicht verabscheuen, sondern lieben.
Es spricht für Ian McEwans Roman, daß man kaum über seine Handlung schreiben kann, ohne Gefahr zu laufen, zuviel zu verraten. Als der schottische Schriftsteller für seinen letzten Roman 1998 den Booker-Preis gewann, herrschte wenig Zweifel daran, daß er die Auszeichnung verdiente - allerdings nicht für jenes Buch. "Amsterdam" war ein zwar spannender, doch insgesamt eher schwacher Roman über die Fallstricke, welche auf die Mächtigen in Politik, Finanzwelt und Medien warten. So mag man "Atonement", was übersetzt soviel bedeutet wie Sühne, Buße oder eben "Abbitte", auch als Wiedergutmachung auffassen.
McEwan liebt es, gewöhnliche Menschen mit ungewöhnlichen Situationen zu konfrontieren, und es gelingt ihm immer wieder bravourös, im Leser die Ahnung von unmittelbar bevorstehenden Katastrophen zu wecken. So auch in "Abbitte", wo die Wärme zum Vorboten dräuender Ereignisse wird: "Sie dachte an die immense Hitze, die über Haus und Park aufstieg, diesig über den Grafschaften rund um London lag und Höfe und Städte erstickte, und sie dachte an die glutheißen Schienen, die Leon und seinen Freund herbrachten, an das Abteil unter schwarzem Dach, in dem sie bei offenem Fenster geröstet wurden."
Ein Brief und seine Folgen
Mit charakteristischer Genauigkeit schildert McEwan die Personen, das Haus und die sich anbahnenden Ereignisse, die den Leser dennoch kalt erwischen. Zunächst schreibt Robbie Cecilia einen Brief, in dem er ihr seine Liebe und sein Verlangen gesteht. Briony, die die Botschaft überbringen soll, öffnet den Brief und zieht folgenschwere Schlüsse aus den unbeholfen-drastischen Liebesschwüren, zu denen sich Robbie von einem Anatomiebuch inspirieren ließ. Sie hält Robbie für einen besessenen Erotomanen, vor dem sie ihre Schwester beschützen will. Dieser Entschluß mündet in einen schrecklichen Irrtum. In jener Nacht wird Briony im Garten Zeugin eines Geschehnisses, das sie unter dem Eindruck des Briefes nur auf eine Weise deuten kann: Sie belastet Robbie und zerstört damit sein Leben.
Im zweiten Teil beschreibt McEwan das Grauen von Robbies Erlebnissen beim britischen Expeditionsheer in Nordfrankreich mit der gleichen kinematographischen Sprache wie den schwülen Sommertag auf Tilney Jahre zuvor. Daß Robbie nicht wahnsinnig wird, verdankt er allein den Briefen Cecilias, die inzwischen als Krankenschwester in London arbeitet. Jede Zeile, die sie einander schreiben, vibriert von dem Echo des Leids, das Brionys Falschaussage dem Paar zugefügt hat. Die Schuldige selbst tritt erst im dritten Teil wieder auf; sie arbeitet als Lernschwester in einem Londoner Hospital - eine Tätigkeit, die von der Angst beherrscht wird, einen Fehler zu machen. Unablässig denkt sie über ihre Tat nach - und schreibt. Denn das Schreiben ist "der einzige rote Faden, das einzig Beständige in ihrem Leben. Es war, was sie schon immer getan hatte." Engagiert erledigt sie ihre Arbeit, doch mehren sich die Anzeichen, daß der gewohnte Krankenhausbetrieb aufgegeben werden muß - mit dem Andrang von verwundeten Soldaten ist die Schonzeit für Lernschwestern vorbei. Als Briony einem Verletzten den Kopfverband lockern will, kommt ihr die Hirnmasse entgegen: dem Mann ist ein Teil des Schädelknochens weggeschossen worden. McEwan, meisterhaft in der Beschreibung grausiger Details, duldet kein Wegsehen. Briony muß begreifen, daß kein noch so tapferer, selbstloser Akt ihren früheren Fehler ungeschehen machen kann, auch ihr Besuch bei Cecilia nicht.
Schon in seinem 1978 veröffentlichten "Zementgarten" hat McEwan die unheimliche Zone zwischen Kindheit und Erwachsensein beleuchtet. Nun steht Briony im Mittelpunkt seines Bildungsromans, und mit dem Autor versucht der Leser zu ergründen, warum das Mädchen so hartnäckig bei seiner Version bleibt. Das Motiv liefert McEwan zwischen den Zeilen: Sie will als eigene Autorität vor den Erwachsenen bestehen. Vor allem aber glaubt die dramatisch veranlagte Briony, daß das Leben der Literatur nacheifern sollte, daß wahre Geschehnisse sich nicht von erdachten unterscheiden. Sie findet, daß es in ihrem Leben wie in dem einer Romanfigur einen Wendepunkt geben muß, ein Ereignis von solcher Tragweite, daß es sie übergangslos in das Reich der Erwachsenen katapultiert - selbst wenn diese sie dafür verabscheuen sollten: "Von einem Erwachsenen gehaßt zu werden aber glich der feierlichen Aufnahme in eine neue Welt, war gleichsam eine Beförderung."
Virginia Woolf stand Pate
In "Abbitte" widmet sich Ian McEwan seinen alten, den großen Themen - Liebe und Trennung, Unschuld und Selbsterkenntnis, dem Verstreichen von Zeit -, und er tut dies souveräner, sprachmächtiger und fesselnder denn je. Seine Sätze kommen ohne demonstratives Muskelspiel aus, seine Formulierungen überraschen nicht durch ihre Wahl, sondern entfalten ihre Wirkung erst in ihrem Zusammenspiel: "Davor die offene Parklandschaft, die heute brütend wie eine Savanne dalag, wild und trocken, mit vereinzelten Bäumen, die scharfe, gedrungene Schatten warfen, und überall das lange Gras, dem bereits das löwenmähnige Gelb des Hochsommers auflauerte." Wer hinter solchen Wendungen Klischees wittert, verkennt den Sog von McEwans Prosa und die Kraft gerade seiner räumlichen Beschreibungen. Aber auch die indirekte Charakterisierung seiner Figuren gelingt ihm besser als je zuvor; jeder Satz über eine der Personen folgt deren Gedankenfluß so leicht und genau, als hätte sie ihn selbst geschrieben: "Niemand, den sie kannte, konnte so tatenlos verharren wie sie, konnte so sacht durch die eigenen Gedanken schlendern, als gelte es, einen unbekannten Garten zu erkunden." Bernhard Robben hat McEwans graziöses Englisch in elegantes Deutsch übertragen.
Nicht zuletzt ist der Roman auch eine Hymne an die englische Literatur. Deutlicher als früher erweist McEwan seinen Vorbildern Reverenz. So läßt er Briony ihre Geschichte "Zwei Gestalten am Brunnen" an die Zeitschrift "Horizon" schicken, wo auch eine gewisse Elisabeth Bowen arbeitet - deren Roman "Der letzte September" ebenfalls von einem Mädchen in einem großen Haus handelt. Antwort bekommt Briony von Cyril Connolly, der neben zarter Kritik auch Lob für ihre Erzählung äußert: "Es gelingt Ihnen zweierlei: einen Gedankenstrom in Worten festzuhalten und ihn so zu nuancieren, daß unterschiedliche Charaktere erkennbar werden. Etwas Einzigartiges, Unausgesprochenes wird so eingefangen. Doch fragen wir uns, ob dies nicht allzusehr den Techniken von Mrs. Woolf zu verdanken ist.'" Wie Briony hat sich auch McEwan von Virginia Woolf inspirieren lassen, ebenso wie von Jane Austens "Abtei von Northanger", deren romantische Heldin Catherine Morland sich wie Briony die Welt nach ihrer Lektüre deutet. Und Tilney, der Landsitz der Familie Tallis, ist ein Verweis auf Catherines Gefährten Henry Tilney. Nach der dreimaligen Lektüre von Woolfs "Die Wellen" findet Briony, daß "eine große Verwandlung mit der menschlichen Natur vor sich ging, daß allein der Roman, eine neue Art von Roman, die Essenz dieses Wandels erfassen konnte. In eine Psyche einzudringen und zu zeigen, wie sie arbeitete oder bearbeitet wurde, und dies mit einem symmetrisch angelegten Plan zu tun - was für ein künstlerischer Triumph."
Augenzwinkernd hat der Autor seiner moralisch fragwürdigen und doch höchst sympathischen Heldin diese Sätze in den Mund gelegt, die das Wunder, das er selbst vollbracht hat, glänzend benennen. McEwan hat mit "Abbitte" einen Roman geschrieben, der seine eigenen Mechanismen bewußt zur Schau und damit in Frage stellt. Das Ergebnis zeigt, daß es nach wie vor möglich ist, mit den Mitteln der klassischen Moderne große zeitgenössische Literatur zu erschaffen. Und ganz nebenbei stellt McEwan eine alte, längst vergessen geglaubte Frage, die in jüngster Zeit wieder diskutiert wird: Welche Auswirkungen kann Literatur haben? Wie sein südafrikanischer Kollege J. M. Coetzee wagt er die These, daß Bücher ihren Lesern Schaden zufügen können. Dabei ist Briony McEwans Versuchskaninchen. Im Epilog führt der Autor dieses enorme Experiment zu einem so fulminanten Schluß, daß man meint, den Roman in diesem neuen Licht gleich noch mal lesen zu müssen.
Ian McEwan: "Abbitte". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Diogenes Verlag, Zürich 2002. 533 S., geb., 24,90 [Euro].
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