Auf den Traumpfaden uralter Kulturen führt der international renommierte Prähistoriker Hermann Parzinger durch Millionen Jahre Menschheitsgeschichte bis in die Gegenwart - und macht uns gleichzeitig mit der Arbeit der Archäologen vertraut. Er lehrt uns das Staunen über die Rätsel der Vergangenheit und zeigt, welche konkreten Beiträge die Archäologie seit über 100 Jahren zur Entschlüsselung dieser Geheimnisse leistet. In diesem mit zahlreichen farbigen Abbildungen und Karten ausgestatteten Band erläutert Hermann Parzinger an vielen Beispielen, wie Archäologen mit immer weiter verfeinerten Methoden - etwa modernen Gen-Untersuchungen - helfen, wichtige Weg- und Wendemarken in der Entwicklung des Menschen zu erkennen und besser zu verstehen. Er führt uns auf den Spuren des Homo sapiens von Afrika aus durch alle Kontinente, Zeiten und Kulturen - vorbei an den Feuern der Eiszeitjäger und Höhlenmaler, durch die ältesten Tempelbezirke und Städte der Menschheit, zu den Pyramiden der Ägypter und den Palästen der Mykener und weiter noch durch das Imperium Romanum, das Karolingerreich und die Städte des Mittelalters bis in die Neue Welt und schließlich auf die Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts und zu den Raubgrabungen unserer Tage im Irak.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2016Bloß nicht überall Schamanen vermuten
Mit Fleisch begann der Aufstieg der Zivilisation: Der Prähistoriker Hermann Parzinger erzählt die zwei Millionen Jahre währende Geschichte des Menschen. Und hält sich dabei mit Deutungen wohltuend zurück.
Der Titel lässt vermuten, dass in dem Buch die oft recht abenteuerliche Geschichte archäologischer Entdeckungen geschildert wird - wie schon so oft, nur jetzt von einem renommierten Prähistoriker und erfahrenen Ausgräber. Kein Wort davon: Nach einer Einleitung zu Geschichte, Methoden und Problemen der archäologischen Wissenschaft werden anhand archäologischer Funde die Geschichte des Menschen in seiner frühzeitlichen Entwicklung und dann das Entstehen und Untergehen der verschiedenen Kulturen bis zum Ende der Antike gezeigt.
Im letzten der zwölf Kapitel führt Hermann Parzinger Beispiele an, dass auch im Mittelalter, in der Neuzeit und sogar in der jüngsten Vergangenheit, deren Geschichte uns durch zahllose schriftliche Quellen klar dokumentiert scheint, archäologische Forschungen noch bisher unbekannte Facetten der Geschichte beleuchten können. Das Buch behandelt einen Zeitraum von mehr als zwei Millionen Jahren und berührt die Geschichte aller Kontinente, wobei die vor- und frühgeschichtlichen Kulturen Europas, der Länder um das Mittelmeer und Vorderasiens, die archäologisch am besten erforscht sind, im Mittelpunkt stehen.
Dass aber auch Laien nicht vor den vielen Fakten, Daten und Fachbegriffen, die bei der Behandlung solch eines enormen Zeitraumes notwendigerweise anfallen, nach wenigen Seiten kapitulieren, liegt an der Fähigkeit Parzingers, komplexe Themen prägnant und anschaulich schildern zu können. Er verliert sich nicht in Aufzählungen von Hypothesen. Ist auch nicht nötig. Wie kein anderes geisteswissenschaftliches Fach profitiert die Archäologie von den immensen Fortschritten der Naturwissenschaft: DNA-Analysen von Knochenresten erlauben, die individuelle Verwandtschaft, aber auch die Homogenität von schon vor vielen Jahrtausenden verstorbenen Bevölkerungsgruppen eindeutig festzustellen; durch die Isotopenanalyse lassen sich organische Materialien zeitlich bestimmen. Weitere Mosaiksteine für den Entwurf eines Gesamtbildes liefern die Ergebnisse verwandter Wissenschaften wie Paläozoologie, Paläobotanik, aber auch Geophysik und Klimaforschung.
Die Entwicklung des frühen Menschen stellt sich heute so dar: vom Vegetarier über Aasfresser zum spezialisierten Jäger. Der Fleischverzehr lässt nicht nur kräftigere Muskeln, sondern auch ein größeres Hirn wachsen. Das befähigt den Menschen zur sozialen Kommunikation und Innovation. Er vermag, Werkzeuge zu schaffen, mit denen er sich in der Natur behaupten und schließlich die ganze Welt besiedeln kann. In einem Wort: Fleisch ist der Treibstoff der menschlichen Entwicklung - da wird heute wohl mancher Vegetarier schlucken.
Es waren auch Jäger und Sammler, die im Europa der Eiszeit ausdrucksvolle, oft stark stilisierte Skulpturen - am bekanntesten die Venus von Willendorf - und die grandiosen Höhlenmalereien von Lascaux und Altamira schufen. Diese und andere ausgemalte Höhlen haben sicherlich auch als Kultplätze gedient, aber das erleichtert nicht ihre Deutung. Sie bleibt, wie es Parzinger ausdrückt, "ein hochspekulatives Unterfangen". In den Bildern "Belege für schamanistische Rituale" zu erkennen, lehnt er als unbewiesen ab. Er sieht in ihnen "weitgehend hermetische Repräsentationen ihrer Zeit".
So erscheint es uns heute. Gilt es auch für damals? Muss man aus der differenzierten Farbgebung und dem gekonnten Strich, selbst auf rauher Höhlenwand, nicht schließen, dass den Malern diese Darstellungen deshalb so eindrucksvoll gelangen, weil sie ihnen geläufig waren, oft erprobt auf Holz oder Tierhäuten? Der Eiszeitmensch schnitzte perfekte Kunstwerke aus Knochen, Elfenbein und sicher auch aus Holz. Auch kannte er schon die Nadel. Damit ließen sich Tierhäute zusammennähen, zu Bekleidung oder zu Planen. Es lag doch nahe, sie zu färben oder mit Darstellungen zu verzieren. Zugegeben - eine Hypothese ohne Belege, denn nichts davon ist erhalten.
Das ist das Dilemma der Archäologie: Sie kann das Bild einer vorgeschichtlichen Epoche nur entwerfen aus den Materialien, die sich erhalten haben. Alles andere wäre Phantasie. Aber die erhaltenen Materialien müssen nicht repräsentativ für die Kultur sein. Die Erhaltung hängt unter anderem von der Dauerhaftigkeit des Materials und natürlich vom Klima ab. Gewöhnlich gilt: je trockener, desto besser. Davon abgesehen, tauchen jedoch in allen Kulturbereichen, das ist das Spannende in dieser Wissenschaft, immer wieder neue Funde auf, die sich durch glückliche Umstände ungewöhnlich gut erhalten haben und das Bild einer Epoche neu bereichern können.
"Ein Grab ist doch immer die beste Befestigung wider die Stürme des Schicksals", befand 1775 Georg Christoph Lichtenberg. Kein Fach weiß dies so sehr zu schätzen wie die Archäologie. Grabbeigaben zählen seit der steinzeitlichen Epoche bis zum Aufkommen des Christentums zu den Hauptquellen für die Kenntnis früherer Kulturen. Der ungeheure Grabluxus der Mächtigen, den wir bei vielen Kulturen finden, lässt sich aus dem verbreiteten Totenkult und den damaligen Jenseitsvorstellungen leicht erklären. Dass man jedoch in der Zeit von 1200 bis 900 vor Christus in weiten Teilen Europas riesige Mengen von Bronze und Gold in Flüsse, Seen oder Höhlen versenkte oder irgendwo vergrub, vielleicht um unterirdische Mächte zu besänftigen, erscheint uns heute rätselhaft.
Ebenso schwer ist es manchmal, aus archäologischen Befunden zu erschließen, warum Kulturen untergingen: Migration, gesellschaftliche Unruhen? Zum Untergang der minoischen Kultur um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts vor Christus hat wohl der gigantische Vulkanausbruch auf der Insel Thera (Santorin) am meisten beigetragen. Es ist die größte Naturkatastrophe der Menschheitsgeschichte, die archäologisch gut fassbar ist.
Parzingers Buch zeichnet aus, dass die Vor- und Frühgeschichte des Menschen unter vielen Aspekten wie etwa Klimaveränderungen, Naturkatastrophen, Migrationen, technischen und gesellschaftlichen Veränderungen betrachtet wird. Es sind neue Fragestellungen und Deutungen der Archäologie. Sie sagen, wie bei allen historischen Wissenschaften, auch etwas über die eigene Zeit aus.
RAIMUND WÜNSCHE
Hermann Parzinger:
"Abenteuer Archäologie". Eine Reise durch die Menschheitsgeschichte.
C.H. Beck Verlag,
München 2016.
255 S., Abb., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit Fleisch begann der Aufstieg der Zivilisation: Der Prähistoriker Hermann Parzinger erzählt die zwei Millionen Jahre währende Geschichte des Menschen. Und hält sich dabei mit Deutungen wohltuend zurück.
Der Titel lässt vermuten, dass in dem Buch die oft recht abenteuerliche Geschichte archäologischer Entdeckungen geschildert wird - wie schon so oft, nur jetzt von einem renommierten Prähistoriker und erfahrenen Ausgräber. Kein Wort davon: Nach einer Einleitung zu Geschichte, Methoden und Problemen der archäologischen Wissenschaft werden anhand archäologischer Funde die Geschichte des Menschen in seiner frühzeitlichen Entwicklung und dann das Entstehen und Untergehen der verschiedenen Kulturen bis zum Ende der Antike gezeigt.
Im letzten der zwölf Kapitel führt Hermann Parzinger Beispiele an, dass auch im Mittelalter, in der Neuzeit und sogar in der jüngsten Vergangenheit, deren Geschichte uns durch zahllose schriftliche Quellen klar dokumentiert scheint, archäologische Forschungen noch bisher unbekannte Facetten der Geschichte beleuchten können. Das Buch behandelt einen Zeitraum von mehr als zwei Millionen Jahren und berührt die Geschichte aller Kontinente, wobei die vor- und frühgeschichtlichen Kulturen Europas, der Länder um das Mittelmeer und Vorderasiens, die archäologisch am besten erforscht sind, im Mittelpunkt stehen.
Dass aber auch Laien nicht vor den vielen Fakten, Daten und Fachbegriffen, die bei der Behandlung solch eines enormen Zeitraumes notwendigerweise anfallen, nach wenigen Seiten kapitulieren, liegt an der Fähigkeit Parzingers, komplexe Themen prägnant und anschaulich schildern zu können. Er verliert sich nicht in Aufzählungen von Hypothesen. Ist auch nicht nötig. Wie kein anderes geisteswissenschaftliches Fach profitiert die Archäologie von den immensen Fortschritten der Naturwissenschaft: DNA-Analysen von Knochenresten erlauben, die individuelle Verwandtschaft, aber auch die Homogenität von schon vor vielen Jahrtausenden verstorbenen Bevölkerungsgruppen eindeutig festzustellen; durch die Isotopenanalyse lassen sich organische Materialien zeitlich bestimmen. Weitere Mosaiksteine für den Entwurf eines Gesamtbildes liefern die Ergebnisse verwandter Wissenschaften wie Paläozoologie, Paläobotanik, aber auch Geophysik und Klimaforschung.
Die Entwicklung des frühen Menschen stellt sich heute so dar: vom Vegetarier über Aasfresser zum spezialisierten Jäger. Der Fleischverzehr lässt nicht nur kräftigere Muskeln, sondern auch ein größeres Hirn wachsen. Das befähigt den Menschen zur sozialen Kommunikation und Innovation. Er vermag, Werkzeuge zu schaffen, mit denen er sich in der Natur behaupten und schließlich die ganze Welt besiedeln kann. In einem Wort: Fleisch ist der Treibstoff der menschlichen Entwicklung - da wird heute wohl mancher Vegetarier schlucken.
Es waren auch Jäger und Sammler, die im Europa der Eiszeit ausdrucksvolle, oft stark stilisierte Skulpturen - am bekanntesten die Venus von Willendorf - und die grandiosen Höhlenmalereien von Lascaux und Altamira schufen. Diese und andere ausgemalte Höhlen haben sicherlich auch als Kultplätze gedient, aber das erleichtert nicht ihre Deutung. Sie bleibt, wie es Parzinger ausdrückt, "ein hochspekulatives Unterfangen". In den Bildern "Belege für schamanistische Rituale" zu erkennen, lehnt er als unbewiesen ab. Er sieht in ihnen "weitgehend hermetische Repräsentationen ihrer Zeit".
So erscheint es uns heute. Gilt es auch für damals? Muss man aus der differenzierten Farbgebung und dem gekonnten Strich, selbst auf rauher Höhlenwand, nicht schließen, dass den Malern diese Darstellungen deshalb so eindrucksvoll gelangen, weil sie ihnen geläufig waren, oft erprobt auf Holz oder Tierhäuten? Der Eiszeitmensch schnitzte perfekte Kunstwerke aus Knochen, Elfenbein und sicher auch aus Holz. Auch kannte er schon die Nadel. Damit ließen sich Tierhäute zusammennähen, zu Bekleidung oder zu Planen. Es lag doch nahe, sie zu färben oder mit Darstellungen zu verzieren. Zugegeben - eine Hypothese ohne Belege, denn nichts davon ist erhalten.
Das ist das Dilemma der Archäologie: Sie kann das Bild einer vorgeschichtlichen Epoche nur entwerfen aus den Materialien, die sich erhalten haben. Alles andere wäre Phantasie. Aber die erhaltenen Materialien müssen nicht repräsentativ für die Kultur sein. Die Erhaltung hängt unter anderem von der Dauerhaftigkeit des Materials und natürlich vom Klima ab. Gewöhnlich gilt: je trockener, desto besser. Davon abgesehen, tauchen jedoch in allen Kulturbereichen, das ist das Spannende in dieser Wissenschaft, immer wieder neue Funde auf, die sich durch glückliche Umstände ungewöhnlich gut erhalten haben und das Bild einer Epoche neu bereichern können.
"Ein Grab ist doch immer die beste Befestigung wider die Stürme des Schicksals", befand 1775 Georg Christoph Lichtenberg. Kein Fach weiß dies so sehr zu schätzen wie die Archäologie. Grabbeigaben zählen seit der steinzeitlichen Epoche bis zum Aufkommen des Christentums zu den Hauptquellen für die Kenntnis früherer Kulturen. Der ungeheure Grabluxus der Mächtigen, den wir bei vielen Kulturen finden, lässt sich aus dem verbreiteten Totenkult und den damaligen Jenseitsvorstellungen leicht erklären. Dass man jedoch in der Zeit von 1200 bis 900 vor Christus in weiten Teilen Europas riesige Mengen von Bronze und Gold in Flüsse, Seen oder Höhlen versenkte oder irgendwo vergrub, vielleicht um unterirdische Mächte zu besänftigen, erscheint uns heute rätselhaft.
Ebenso schwer ist es manchmal, aus archäologischen Befunden zu erschließen, warum Kulturen untergingen: Migration, gesellschaftliche Unruhen? Zum Untergang der minoischen Kultur um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts vor Christus hat wohl der gigantische Vulkanausbruch auf der Insel Thera (Santorin) am meisten beigetragen. Es ist die größte Naturkatastrophe der Menschheitsgeschichte, die archäologisch gut fassbar ist.
Parzingers Buch zeichnet aus, dass die Vor- und Frühgeschichte des Menschen unter vielen Aspekten wie etwa Klimaveränderungen, Naturkatastrophen, Migrationen, technischen und gesellschaftlichen Veränderungen betrachtet wird. Es sind neue Fragestellungen und Deutungen der Archäologie. Sie sagen, wie bei allen historischen Wissenschaften, auch etwas über die eigene Zeit aus.
RAIMUND WÜNSCHE
Hermann Parzinger:
"Abenteuer Archäologie". Eine Reise durch die Menschheitsgeschichte.
C.H. Beck Verlag,
München 2016.
255 S., Abb., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Raimund Wünsche gefällt an Hermann Parzingers Buch, dass der Autor die Vor- und Frühgeschichte der Menschheit mittels neuer Fragestellungen der Archäologie beleuchtet, Aspekte wie Klimaveränderung, Naturkatastrophen und Migration kommen in den Blick, meint Wünsche, der aus dem Buch auch erfährt, dass Archäologie immer nur ein Bild entwerfen kann aus den vorliegenden Materialien. Abenteuerlich ist das alles nicht zu lesen, meint er, eher wissenschaftlich mit vielen Fakten und Daten und Termini. Gut, dass der Autor ein prägnant schreibender, anschaulicher Autor ist, findet der Rezensent. Die mehr als zwei Millionen Jahre auf allen Kontinenten, die Parzinger behandelt, mit den frühgeschichtlichen Kulturen der Mittelmeerländer im Zentrum, vergehen dabei wie im Flug, so Wünsche.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Prägnant und anschaulich"
Raimund Wünsche, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. August 2016
Raimund Wünsche, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. August 2016