Produktdetails
  • Bibliothek Suhrkamp Bd.1188
  • Verlag: Suhrkamp
  • 1995.
  • Seitenzahl: 171
  • Deutsch
  • Abmessung: 16mm x 120mm x 180mm
  • Gewicht: 216g
  • ISBN-13: 9783518221884
  • ISBN-10: 3518221884
  • Artikelnr.: 05739297
Autorenporträt
Adolfo Bioy Casares, geb am 5. September 1914 in Buenos Aires, gest. am 8. März 1999, war ein argentinischer Schriftsteller. Adolfo Bioy Casares entstammte einer vermögenden Familie. Bereits mit elf Jahren schrieb er seine erste Geschichte, 'Iris und Margarita'. Er sprach früh neben Spanisch auch Französisch, Englisch und Deutsch; die Studien an der Universität, Jura, Philosophie und Literatur, langweilten ihn, und er erwarb keinen Abschluss. Er war ein Freund von Jorge Luis Borges, den er 1932 bei Victoria Ocampo kennen lernte und mit dem er gemeinsam unter den Pseudonymen H. Bustos Domecq oder B. Suarez Lynch viele Werke verfasste. Zwei Jahre später traf er bei Ocampo deren ebenfalls schreibende Schwester Silvina Ocampo, die er 1940 heiratete.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.1995

Tränen für den Fotografen
Adolfo Bioy Casares im Blendwerk der Städte

Ein schüchterner Fotograf vom Lande reist in die Hauptstadt der Provinz Buenos Aires. Schon nach der Ankunft im Bahnhof von La Plata wird er von einer seltsamen Familie in Beschlag genommen, deren tentakelhafte Liebenswürdigkeiten und Zumutungen mancherlei Rätsel aufgeben. Don Juan, der bärbeißige Patriarch, schließt Nicolasito Almanza ins Herz, weil er ihn an den verschollenen, einst aus dem Haus getriebenen Sohn erinnert. Doch die besitzergreifenden Vatergefühle laufen auch darauf hinaus, den Fotografen zum Dienstboten zu erniedrigen, ja mit seiner Hilfe einen Versicherungsbetrug einzufädeln.

Im Mittelpunkt des Figurenspektrums steht der passive Held, der von Episode zu Episode stolpert und von fremden Geschicken abhängig wird. Denn in der Familienpension spielt er nicht nur die Rolle des verlorenen Sohnes, sondern - halb willig, halb überrumpelt - auch die des Liebhabers zweier glutäugiger Töchter. Kaum daß er sich für eine Bindung an Julia, die jüngere der Schwestern, entschieden hat, muß sich das Paar schon wieder trennen. Symmetrisch zum Anfang endet der Roman in einer Abschiedsszene von lakonischer Tragik. Die Liebenden sehen sich durch die Scheibe des abfahrenden Omnibusses, und wo die Verständigung durch Worte vereitelt wird, können nur Tränen den Schmerz ausdrücken, Tränen freilich hinter vorgehaltener Hand.

Almanza lebt in einer doppelten, auch raumsymbolisch ausgedrückten Bindung. Seine Wege führen hier zu Don Juans Behausung, dort zurück in die schäbige Pension, wo Donna Carmen eifersüchtig und mit mehr als mütterlichen Gefühlen über ihren Gast wacht. Neben ihm schläft Mascardi, ein Freund aus Schultagen, der es zum Polizeispitzel gebracht hat. Er weiß alles, sieht alles oder mimt zumindest Allwissenheit. In seiner Person konzentriert sich ein Milieu der Kontrolle und des Überwachtwerdens. Wenn Menschen verschwinden, kann Mascardi helfen. La Plata ist ein Ort, wo staatliche Mächte unbehelligt Angst verbreiten dürfen. Auch daraus resultiert die Atmosphäre des Unheimlichen, die diesen Roman durchzieht. Sie macht sich selbst dann breit, wenn Casares mit hintergründigem Humor Alltagsbagatellen zum besten gibt oder sich dem hinreißenden Porträt der alternden Hausmeisterfrau widmet.

Indem der Fotograf seinem Auftrag nachgeht, die Sehenswürdigkeiten der Stadt für einen Bildband aufzunehmen, repräsentiert er den naiven Versuch, Wirklichkeit zu fixieren und Unbezweifelbares ein wenig mit technischen Tricks zu verschönern. Diese Berufsroutine des "Realisten" steht in Kontrast zu Erlebnissen und Erfahrungen, die das städtische Ambiente immer wieder in ein "Blendwerk" verwandeln. Aus Innenräumen ertönen Stimmen, und im Schatten der architektonischen Kulissen versackt das Realitätsbewußtsein oft genug in Träume und Halluzinationen. Die Stadt löst sich auf in ein "Kaleidoskop" fragmentarischer Impressionen, die sich zu keinem Sinnmuster verdichten, das Orientierung versprechen könnte.

So steht der Held nicht nur für die vergebliche Suche nach einer Scheidung des Eigenen und des Fremden, sondern auch für eine literarische Topographie, der das Zutrauen in ein veristisches Abbildungskonzept längst abhanden gekommen ist. Deshalb kann es nicht verwundern, daß auch der Leser manchmal in jenem Irrgarten von Beziehungen ratlose Umschau hält, in dem sich der Protagonist kaum mehr zurechtfindet.

Casares' Alterswerk, zehn Jahre nach der Originalausgabe nun auf deutsch vorliegend, verleugnet nicht die künstlerische Handschrift von "Morels Erfindung", dem Roman also, der ihn vor drei Dezennien auch in Deutschland bekannt machte. Jorge Luis Borges, Casares' Freund, hatte dazu damals ein Nachwort geschrieben. Mit Borges huldigt der Cervantes-Preisträger Casares einem fiktionalen Wirklichkeitsentwurf, der mitten im vertrauten Alltag den Blick auf Rätselhaftes und Ungeheuerliches freigibt. Den Borges-Freunden und -Liebhabern der hispanoamerikanischen Prosa wird diese Ausgabe sehr willkommen sein, auch wenn der Übersetzer bisweilen mit dem korrekten Gebrauch des deutschen Konjunktivs oder der schlüssigen Verwendung von Vergleichspartikeln ("so rasch als möglich" und dergleichen!) auf Kriegsfuß steht. WILHELM KÜHLMANN

Adolfo Bioy Casares: "Abenteuer eines Fotografen in La Plata". Roman. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995 (Bibliothek Suhrkamp 1188). 172 S., geb., 19,80 DM.

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