Biographie und Werk des in Westdeutschland kaum rezipierten und auch in Ostdeutschland inzwischen in Vergessenheit geratenen Lyrikers, Übersetzers und Publizisten Paul Wiens (1922 1982) bilden exemplarisch die politischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts ab. Galt Wiens zu seiner Zeit ausschließlich als Dichter im Dienst der DDR-Obrigkeit, soll hier das Augenmerk gerichtet werden auf die Ambivalenzen, die aus seiner Sozialisation in Berlin und in der Schweiz, seinem unbedingten Glauben an das Versprechen des Sozialismus und der gleichzeitigen Irritation durch die restriktive Kulturpolitik der Wahlheimat DDR erwuchsen. In Wiens Doppelleben als Kulturfunktionär und IM Dichter stehen Solidarität und Verrat nebeneinander; seine Lyrik weist Merkmale des Sozialistischen Realismus auf und öffnet sich doch vorsichtig den Formen der europäischen Moderne. In Wortspiel, Parodie und unter der Maske eines alter ego löst sich für Momente die Spannung der existentiellen und literarischen Konflikte.