Eine makabre Dystopie, überraschend nonchalant und bei all den Zombies bisweilen mit Witz erzählt: Der polnische Schriftsteller Jacek Dehnel beschreibt, was geschehen mag, wenn die Geister der Vergangenheit tatsächlich zurückkehren, wenn sie buchstäblich zu Tausenden aus ihren Gräbern kriechen - und wenn sie versuchen, das wahre Polen (wieder) herzustellen. Eine bittere Parodie auf polnische Verhältnisse, die sich aber nun - drei Jahre nach dem Erscheinen des Originals - auch noch ganz anders lesen lässt: Was passiert, wenn Wahnvorstellungen aus der Verhangenheit eine ganze Gesellschaft zu ergreifen scheinen und blutige Realität für die Nachbarn werden, kann man derzeit am Beispiel Russlands und seinem Krieg gegen die Ukraine beobachten. Das Buch schärft auch dafür den Blick. - Das Projekt wird kofinanziert durch das Programm Kreatives Europa der Europäischen Union.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Herrlich respektlos" findet Rezensentin Marta Kijowska den neuen Roman des polnischen Schrifstellers Jacek Dehnel, in dem eine Horde nationalistischer Zombies Polen unsicher macht. Der Fernsehjournalist Kuba wird in ein Dorf geschickt, auf dessen Friedhof vermeintlich Randalierer gewütet haben, lesen wir. Schnell stellt sich heraus: Die Gräber wurden von auferstandenen Toten selbst beschädigt, die sich in der Folge recht ungebremst in der polnischen Gesellschaft ausbreiten können. Denn: Es gibt unter ihnen auch bekannte Persönlichkeiten wie den Militär und Politiker Józef Piłsudski, um den sich schnell eine Art Ahnen-Kult bildet, und auch ihre rechtspopulistische Agenda kommt gut in der Bevölkerung an. Wie es ausgeht, möchte die Rezensentin nicht verraten, und kann nur mit Nachdruck diesen Genre-Mix als "fulminant-makabre Satire" auf die aktuellen politischen Verhältnisse empfehlen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.05.2023Zombieland, so weit das Auge reicht
Horror, Fantasy, Groteske: Jacek Dehnels makabre Polen-Satire "Aber mit unseren Toten"
Er ist ein Mann mit vielen Talenten: Dichter, Maler, Übersetzer, Publizist und einiges mehr. Doch vor allem ist der früher in Warschau und nun in Berlin lebende Jacek Dehnel ein erfolgreicher Prosaschriftsteller. Von seinen Romanen waren in Deutschland bisher zwei bekannt: "Lala", eine Hommage an seine Großmutter, und "Saturn", in dem er einige Episoden aus dem Leben von Francisco Goya erzählt. Nun liegt ein dritter vor: "Aber mit unseren Toten", in dem er die Verstorbenen aus ihren Gräbern steigen und eine Menge Chaos anrichten lässt und dabei die Fähigkeit demonstriert, auf eine herrlich respektlose Weise historische Motive mit den heutigen Realien zu verknüpfen.
Der Titel ist eine Verbeugung vor der 2020 verstorbenen Publizistin und Literaturwissenschaftlerin Maria Janion, deren Skizzenband "Nach Europa - ja, aber zusammen mit unseren Toten" (2000) in Polen zu den wichtigsten essayistischen Werken der letzten Dekaden gehört. Sie wies darin ihre Landsleute auf die Pflicht hin, die Erinnerung an ihre ermordeten jüdischen Mitbürger, aber auch an andere "Nationen, die in unserem Teil der Welt lebten, sich gegenseitig bekämpften und starben", zu pflegen. Nur was von ihr damals, zehn Jahre nach der Wende, als eine strenge Ermahnung gemeint war, gerät bei Dehnel jetzt, nach acht Jahren der PiS-Regierung, zu einer fulminant-makabren Satire.
Die Handlung, die anfangs recht harmlos anmutet, setzt in einem alten Krakauer Mietshaus ein. Es wird von Menschen bewohnt, die dem heutigen gesellschaftlichen Durchschnitt entsprechen: Ganz oben wohnen Kenneth und Dorota, ein polnisch-britisches Ehepaar. Unter ihnen der Fernsehjournalist Kuba mit seinem Partner Tomek. Weiter unten die Familie Koszak mit ihrer Tochter Kamila sowie die beiden Rentner Frau Lola und ihr Mann, Herr Mundek. Und in der Kellerwohnung der alleinstehende, behinderte Herr Wlodek. Was aber mit ein paar Alltagssituationen und banalen Dialogen beginnt, in denen Dehnel übrigens eindrucksvoll sein absolutes Gehör für die Ausdrucksweise unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen demonstriert, bekommt bald einen seltsamen Beigeschmack.
Eines Tages wird Kuba, der sich gerade auf ein Interview mit einer deutschen Operndiva vorbereitet, in ein Kaff östlich von Krakau geschickt, wo er über die Beschädigung einiger Grabsteine auf dem lokalen Friedhof berichten soll. Die Einheimischen vermuten, dass dahinter irgendwelche Randalierer stehen, die vor Langeweile "halt mal was zerdeppern", seltsam ist nur, dass die Gräber "von innen aufgebrochen" wurden. Bald gibt es keinen Zweifel mehr: Es waren keine Randalierer, sondern einige Tote, die sich aus ihren Gräbern erhoben haben. Es bleibt auch nicht bei einigen, sondern sie werden immer mehr, da sie aber niemanden angreifen, gewöhnt man sich schnell an sie. Es dauert allerdings nicht lange, bis sie im ganzen Land gesichtet werden, und da es unter ihnen Prominente gibt, Marschall Józef Pilsudski etwa oder Tadeusz Kosciuszko, steigt ihr Ansehen rasant. Man spricht jetzt oft nicht mehr von Zombies, sondern von "Ahnen" oder "unseren älteren Brüdern", und der Kult, der um sie entsteht, nimmt immer merkwürdigere Formen an. Fernsehmoderatoren, die sich nach der Mode der Adelsrepublik kleiden, Parlamentsabgeordnete, die in ihren Reden an die einstige Größe des Landes erinnern, Priester, die sich in der Rolle eines neuen Papstes wähnen: All das bewirkt, dass die Bevölkerung in zwei Lager zerfällt. Die einen lernen schnell, diesen neuen Smog, der "aus Leichenmief, nationalem Weihrauch und modrigem Weihwasser" besteht, zu atmen, die anderen drohen an ihm zu ersticken.
Hinzu kommt, dass die Zombies sich durchaus als gefährlich entpuppen, nur fällt das nicht sofort auf, weil ihre Bissattacken sich anfangs fast ausschließlich gegen Ausländer richten. Fast, denn sie machen leider auch nicht vor deren polnischen Partnern halt, wie die Bewohner des Krakauer Hauses bald feststellen müssen. Zu den Opfern gehört nämlich das britisch-polnische Paar, was ihre sechs Nachbarn veranlasst, sich jenen Tausenden anzuschließen, die auf der Flucht sind. Die kleine Gruppe strandet in dem berühmten Kloster von Tschenstochau, wo sie versuchen wird, die heranrückende Zombiearmee aufzuhalten.
Mit welchem Ergebnis, wollen wir natürlich nicht verraten, doch das Ziel der Zombies - die ganze Welt zu "polonisie-ren" - dürfte ohnehin klar sein. Genauso wie die Analogie zum heutigen Polen, wo Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit längst salonfähig, ja das Markenzeichen der sogenannten "echten Polen" geworden sind. Somit hat Dehnel zwar einen unterhaltsamen Roman geschrieben, in dem die Muster der Horrorliteratur auf die Mittel der Fantasy, Groteske und Parodie treffen. Doch gleichzeitig einen zutiefst erschreckenden, mit dem er die polnische, aber auch manche andere Gesellschaft davor warnt, sich von wahnhaften Parolen und Ideen anstecken zu lassen. Sie können schnell, wie wir seit einem Jahr zum wiederholten Mal lernen, zu einer blutigen Realität werden. MARTA KIJOWSKA
Jacek Dehnel: "Aber mit unseren Toten". Roman.
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann und Renate Schmidgall. Edition fotoTapeta, Berlin 2022. 320 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Horror, Fantasy, Groteske: Jacek Dehnels makabre Polen-Satire "Aber mit unseren Toten"
Er ist ein Mann mit vielen Talenten: Dichter, Maler, Übersetzer, Publizist und einiges mehr. Doch vor allem ist der früher in Warschau und nun in Berlin lebende Jacek Dehnel ein erfolgreicher Prosaschriftsteller. Von seinen Romanen waren in Deutschland bisher zwei bekannt: "Lala", eine Hommage an seine Großmutter, und "Saturn", in dem er einige Episoden aus dem Leben von Francisco Goya erzählt. Nun liegt ein dritter vor: "Aber mit unseren Toten", in dem er die Verstorbenen aus ihren Gräbern steigen und eine Menge Chaos anrichten lässt und dabei die Fähigkeit demonstriert, auf eine herrlich respektlose Weise historische Motive mit den heutigen Realien zu verknüpfen.
Der Titel ist eine Verbeugung vor der 2020 verstorbenen Publizistin und Literaturwissenschaftlerin Maria Janion, deren Skizzenband "Nach Europa - ja, aber zusammen mit unseren Toten" (2000) in Polen zu den wichtigsten essayistischen Werken der letzten Dekaden gehört. Sie wies darin ihre Landsleute auf die Pflicht hin, die Erinnerung an ihre ermordeten jüdischen Mitbürger, aber auch an andere "Nationen, die in unserem Teil der Welt lebten, sich gegenseitig bekämpften und starben", zu pflegen. Nur was von ihr damals, zehn Jahre nach der Wende, als eine strenge Ermahnung gemeint war, gerät bei Dehnel jetzt, nach acht Jahren der PiS-Regierung, zu einer fulminant-makabren Satire.
Die Handlung, die anfangs recht harmlos anmutet, setzt in einem alten Krakauer Mietshaus ein. Es wird von Menschen bewohnt, die dem heutigen gesellschaftlichen Durchschnitt entsprechen: Ganz oben wohnen Kenneth und Dorota, ein polnisch-britisches Ehepaar. Unter ihnen der Fernsehjournalist Kuba mit seinem Partner Tomek. Weiter unten die Familie Koszak mit ihrer Tochter Kamila sowie die beiden Rentner Frau Lola und ihr Mann, Herr Mundek. Und in der Kellerwohnung der alleinstehende, behinderte Herr Wlodek. Was aber mit ein paar Alltagssituationen und banalen Dialogen beginnt, in denen Dehnel übrigens eindrucksvoll sein absolutes Gehör für die Ausdrucksweise unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen demonstriert, bekommt bald einen seltsamen Beigeschmack.
Eines Tages wird Kuba, der sich gerade auf ein Interview mit einer deutschen Operndiva vorbereitet, in ein Kaff östlich von Krakau geschickt, wo er über die Beschädigung einiger Grabsteine auf dem lokalen Friedhof berichten soll. Die Einheimischen vermuten, dass dahinter irgendwelche Randalierer stehen, die vor Langeweile "halt mal was zerdeppern", seltsam ist nur, dass die Gräber "von innen aufgebrochen" wurden. Bald gibt es keinen Zweifel mehr: Es waren keine Randalierer, sondern einige Tote, die sich aus ihren Gräbern erhoben haben. Es bleibt auch nicht bei einigen, sondern sie werden immer mehr, da sie aber niemanden angreifen, gewöhnt man sich schnell an sie. Es dauert allerdings nicht lange, bis sie im ganzen Land gesichtet werden, und da es unter ihnen Prominente gibt, Marschall Józef Pilsudski etwa oder Tadeusz Kosciuszko, steigt ihr Ansehen rasant. Man spricht jetzt oft nicht mehr von Zombies, sondern von "Ahnen" oder "unseren älteren Brüdern", und der Kult, der um sie entsteht, nimmt immer merkwürdigere Formen an. Fernsehmoderatoren, die sich nach der Mode der Adelsrepublik kleiden, Parlamentsabgeordnete, die in ihren Reden an die einstige Größe des Landes erinnern, Priester, die sich in der Rolle eines neuen Papstes wähnen: All das bewirkt, dass die Bevölkerung in zwei Lager zerfällt. Die einen lernen schnell, diesen neuen Smog, der "aus Leichenmief, nationalem Weihrauch und modrigem Weihwasser" besteht, zu atmen, die anderen drohen an ihm zu ersticken.
Hinzu kommt, dass die Zombies sich durchaus als gefährlich entpuppen, nur fällt das nicht sofort auf, weil ihre Bissattacken sich anfangs fast ausschließlich gegen Ausländer richten. Fast, denn sie machen leider auch nicht vor deren polnischen Partnern halt, wie die Bewohner des Krakauer Hauses bald feststellen müssen. Zu den Opfern gehört nämlich das britisch-polnische Paar, was ihre sechs Nachbarn veranlasst, sich jenen Tausenden anzuschließen, die auf der Flucht sind. Die kleine Gruppe strandet in dem berühmten Kloster von Tschenstochau, wo sie versuchen wird, die heranrückende Zombiearmee aufzuhalten.
Mit welchem Ergebnis, wollen wir natürlich nicht verraten, doch das Ziel der Zombies - die ganze Welt zu "polonisie-ren" - dürfte ohnehin klar sein. Genauso wie die Analogie zum heutigen Polen, wo Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit längst salonfähig, ja das Markenzeichen der sogenannten "echten Polen" geworden sind. Somit hat Dehnel zwar einen unterhaltsamen Roman geschrieben, in dem die Muster der Horrorliteratur auf die Mittel der Fantasy, Groteske und Parodie treffen. Doch gleichzeitig einen zutiefst erschreckenden, mit dem er die polnische, aber auch manche andere Gesellschaft davor warnt, sich von wahnhaften Parolen und Ideen anstecken zu lassen. Sie können schnell, wie wir seit einem Jahr zum wiederholten Mal lernen, zu einer blutigen Realität werden. MARTA KIJOWSKA
Jacek Dehnel: "Aber mit unseren Toten". Roman.
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann und Renate Schmidgall. Edition fotoTapeta, Berlin 2022. 320 S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main