Abscheu. Politische Gedichte aus dem alten China. "Um mich von wichtigeren Dingen abzulenken, habe ich in den letzten Wochen einige antike politische Gedichte aus dem Chinesischen übersetzt. Diese werde ich nun regelmäßig unter dem Betreff 'Tagesgedicht' versenden. Damit soll nicht zuletzt die notwendig gewordene Abschottung ein wenig durchbrochen werden." Mit diesen Worten begann eine E-Mail, die der Sinologe Thomas O. Höllmann am 22. März 2020 unter dem Eindruck der Corona-Pandemie an einen kleinen Kreis lyrikaffiner Freunde und Bekannter verschickte. Das roughbook 051 versammelt diese digitale Ritualfolge nun zu einer Anthologie aus insgesamt 60 Texten, die von der analytischen Klarheit und sprachlichen Wucht der Poesie zeugen und von der 'respektvollen Rücksichtslosigkeit' der Übersetzung. Im Anhang des Bandes, der eine Zeitspanne vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis zum 12. Jahrhundert abdeckt, erleichtern Kurzbiographien der Autoren und Verweise auf den historischen Kontext den Zugang zu den Gedichten. "Wenn das Lebensende naht, kommen doch nur die Schmeißfliegen, um ihr Beileid zu bekunden" (Hanshan, 7. Jahrhundert).
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Birthe Mühlhoff preist den von Thomas O. Höllmann herausgegebenen und übersetzten Band mit chinesischen Gedichten. Dass die Texte teils zweitausend Jahre alt sind, merkt Mühlhoff ihnen nicht an, sei es, weil Höllmann so schön übersetzt, sei es, weil die Autoren schon damals mit scharfem Blick Korruption, Ausschweifungen der Reichen und die Mühsal der Armen zu beschreiben wussten. Dass daraus aber "keine Politprosa", kein Pamphlet wird, sondern alles persönliches Erleben bleibt, gefällt der Rezensentin gut. Der Anhang mit Autorenbiografien lenkt den Blick der Rezensentin auf das weit verbreitete Analphabetentum im alten China. Umso verdienstvoller, dass der Herausgeber sogar drei Dichterinnen in den Band aufgenommen hat, meint sie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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