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Die öffentliche Diskussion über die Ursachen von Wahlentscheidungen beruht auf drei meist unausgesprochenen Annahmen: Die Wähler orientieren sich am Charakter des aktuellen Geschehens sowie dem Wesen der Kanzlerkandidaten, und sie folgen bei der Wahlentscheidung rational ihren persönlichen Interessen. Diese Sichtweise wird hier grundlegend in Frage gestellt. Die meisten Wähler kennen weder das aktuelle Geschehen noch die Kanzlerkandidaten aus eigener Anschauung. Sie verhalten sich bei ihrer Wahlentscheidung vielfach auch nicht rational. Die meisten Wähler haben das Elbhochwasser nicht selbst…mehr

Produktbeschreibung
Die öffentliche Diskussion über die Ursachen von Wahlentscheidungen beruht auf drei meist unausgesprochenen Annahmen: Die Wähler orientieren sich am Charakter des aktuellen Geschehens sowie dem Wesen der Kanzlerkandidaten, und sie folgen bei der Wahlentscheidung rational ihren persönlichen Interessen. Diese Sichtweise wird hier grundlegend in Frage gestellt. Die meisten Wähler kennen weder das aktuelle Geschehen noch die Kanzlerkandidaten aus eigener Anschauung. Sie verhalten sich bei ihrer Wahlentscheidung vielfach auch nicht rational. Die meisten Wähler haben das Elbhochwasser nicht selbst gesehen, und sie haben Schröders Reden zum bevorstehenden Irak-Krieg nicht selbst gehört. Zudem haben viele Schröder als Kanzler gewollt, obwohl sie Stoiber sachlich mehr zugetraut haben. Das meiste, was die Wähler wissen oder zu wissen glauben, haben sie aus den Medien und hier vor allem aus dem Fernsehen. Sie orientieren sich nicht am Geschehen, sondern an seiner Darstellung. Dies wirft mehrere Fragen auf: Wie werden das aktuelle Geschehen und die handelnden Personen im Fernsehen dargestellt? Wie gehen die Zuschauer mit der Darstellung um? Und wie wirken sich ihre medial vermittelten Vorstellungen auf das Wahlverhalten aus? Diese Fragen werden anhand des Wandels der aktuellen Berichterstattung im Fernsehen und der Sichtweisen der Wähler vom Frühjahr 1998 bis zum Herbst 2002 beantwortet. Die Grundlagen bilden die wiederholte Befragung der gleichen Personen kombiniert mit systematischen Analysen der wichtigsten Fernsehnachrichten. Im Zentrum steht die Frage, wie sich die Fernsehpräsenz der Kanzlerkandidaten in den Vorstellungen der Zuschauer niederschlägt und wie sich diese Vorstellungen auf die Entscheidung der Wähler und den Ausgang der Wahlen auswirken. Mit 35 Schaubildern und 25 Tabellen.
Autorenporträt
Kepplinger, Hans MathiasProfessor Dr. phil. Hans Mathias Kepplinger, geb. 1943, lehrt Publizistikwissenschaft am Institut für Publizistik an der Universität Mainz. Veröffentlichungen bei Alber: (als Hg.:) angepasste Außenseiter. Was Journalisten denken und wie sie arbeiten (1979), Die aktuelle Berichterstattung des Hörfunks. Eine Inhaltsanalyse der Abendnachrichten und der politischen Magazine (1985). Darstellungseffekte. Experimentelle Untersuchungen zur Wirkung von Pressefotos und Fernsehfilmen (1987), (mit K. Ghotto, H.-B. Brosius, D. Haak:)Der Einfluß der Fernsehnachrichten auf die Politische Meinungsbildung (1989), (mit U. Hartung:) Störfall-Fieber. Wie ein Unfall zum Schlüsselereignis einer Unfallserie wird (1995), Die Demontage der Politik in der Informationsgesellschaft (1998).

Maurer, MarcusDr. Marcus Maurer, geb. 1969, ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Publizistik der Universität Mainz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2005

Gefühl und Glotze
Wie Fernsehnachrichten das Verhalten der Wähler bestimmen

Hans Mathias Kepplinger/Marcus Maurer: Abschied vom rationalen Wähler. Warum Wahlen im Fernsehen entschieden werden. Verlag Karl Alber, Freiburg 2005. 195 Seiten, 28,- [Euro].

Das Fernsehen ist längst die wichtigste Informationsquelle auch in politischen Fragen. In fast jedem Haushalt steht ein Empfangsgerät, während knapp die Hälfte der Fernsehzuschauer keine Zeitung liest. So vermittelt es den Wahlberechtigten mehr als alle anderen Medien oder Gespräche im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis politische Kenntnisse und hat den stärksten Einfluß auf die Meinungsbildung. Demzufolge sind Aussagen über das Wählerverhalten ohne Beachtung der Fernsehberichterstattung nicht mehr möglich. So begannen Hans M. Kepplinger und sein Mitarbeiter Marcus Maurer vor sieben Jahren eine langfristige Wahlstudie. Vom März 1998 bis zum Oktober 2002 gingen sie in elf telefonischen Befragungen den Meinungen von jeweils 500 Personen aus einer Zufallsauswahl von 1000 Wahlberechtigten im Rhein-Main-Gebiet nach.

Gefragt wurde nach etlichen Komplexen des politischen Geschehens und nach der Beurteilung der Lage in Deutschland. Im Mittelpunkt des Interesses stand die Bewertung der Kanzlerkandidaten Schröder sowie Kohl und Stoiber. Gleichzeitig analysierten die Autoren 5400 Beiträge in den "Tagesthemen" der ARD, im "Heute-Journal" des ZDF, in "RTL-Aktuell" und in "18.30" von Sat.1 jeweils aus den letzten drei Wochen vor der Umfrage und in der Befragungswoche selbst. Das Ergebnis liegt nun in einer hochinteressanten Schrift vor.

Den Nachrichten zufolge verschlechterte sich die Lage Deutschlands seit dem Frühjahr 1998 erheblich. Natürlich wechselten Phasen einer günstigeren mit denen einer ungünstigeren Berichterstattung ab. Ihren Höhepunkt erreichten die Negativmeldungen kurz vor der Bundestagswahl 2002, wobei die Regierung jedoch mit dem Näherrücken des Wahltermins allmählich aus der Schußlinie genommen wurde. Nicht sie wurde als verantwortlich für die Lage bezeichnet. Dafür wurden vielmehr externe Faktoren wie die weltwirtschaftliche Situation genannt. Sowohl im Wahlkampf 2002 wie schon vier Jahre zuvor wurde Schröder wesentlich positiver vorgestellt als seine Gegenkandidaten. Gleichzeitig erschien die SPD in einem günstigeren Licht als die Unionsparteien. Der extreme Kanzlerbonus, den die Autoren für die Wahl 2002 bei Schröder konstatieren, ergab sich freilich nicht aus den von ihnen sogenannten zentralen Werten, die ein Spitzenpolitiker besitzen sollte - realistische Situationsanalyse, klare Zielvorstellungen etwa -, sondern aus den peripheren Eigenschaften wie dem jovialen Auftreten, einer gelassenen Sprechweise, entspannter Mimik, kontrollierter Gestik, Schlagfertigkeit. Die Sympathien wurden von den Wählern deutlich stärker gewichtet als die Sachkompetenz.

Obwohl Stoiber eine größere Befähigung zur Lösung der anstehenden Probleme und zur Verringerung der Arbeitslosigkeit zugetraut wurde, konnte Schröder mehr Wähler für sich gewinnen. So wurde emotional entschieden, nicht rational. Die Ausrichtung des Votums am Kanzlerkandidaten beeinflußt in der Wahlzelle die Stimmabgabe nur zum kleineren Teil, da es ja langfristige Parteibindungen gibt. Aber dieser kleinere Teil brachte 2002 doch das entscheidende Quantum an Stimmen für die Partei des Kanzlers. Die Beobachtung, daß Sympathiewerte mehr bewirken als das Urteil über die Sachkompetenz, wird sich verallgemeinern lassen.

So muß man annehmen, daß auch in Zukunft die peripheren Werte größere Bedeutung für den Wahlausgang haben als die vom Wähler unterstellte sachliche Qualifikation der Spitzenpolitiker. Das wird auf die Karrieren zurückwirken. Die besten Aussichten auf eine Führungsposition werden diejenigen haben, die sich im Fernsehen am besten darstellen können. Keine Partei und kein einzelner Politiker kann ein Thema gegen die Mehrheit der meinungsbildenden Medien und insbesondere gegen das Fernsehen etablieren oder bestimmenden Einfluß auf die Diskussion von Sachfragen gewinnen.

Die Umfrage bestätigte, daß die Mehrheit der Bevölkerung Reformen bejaht, von ihnen aber tunlichst nicht betroffen sein möchte. Wichtiger als die Sicherung der Zukunft erscheint die Verteidigung des eigenen Besitzstandes. So ist es unwahrscheinlich, daß eine Partei sich ohne Beschönigung zur Lage der sozialen Sicherungssysteme äußern wird. Die Berichterstattung zu diesem Thema prüften die beiden Autoren darauf, ob in den entsprechenden Beiträgen die Unterstützung von Menschen eher unter dem Gesichtspunkt der Bedürftigkeit oder unter dem der Möglichkeiten der zuständigen Stellen behandelt wurde. Mehr als die Hälfte der Beiträge stellte die individuellen Ansprüche in den Vordergrund, nur ein Viertel unterstrich die Probleme der Leistungsfähigkeit. Weit mehr als zwei Drittel der Beiträge erweckten den Eindruck, daß der Staat für Leistungen aller Art zuständig sei.

Einige hundert Journalisten entscheiden offensichtlich darüber, was Millionen von Wählern erfahren und wie sie es erfahren. So verlagert sich die Macht zunehmend von den Parteien zu den Medien, vor allem in die Nachrichtenredaktionen der Fernsehanstalten.

HANS FENSKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hans Mathias Kepplingers und Marcus Maurers Studie über die Einfluss des Fernsehens auf das Verhalten der Wähler erscheint Rezensent Hans Fenske "hochinteressant". Wie er berichtet, haben die Autoren zwischen 1998 und 2002 nicht nur zahlreiche Meinungsumfragen zu etlichen Bereichen des politischen Geschehens, der Beurteilung der Lage in Deutschland und der Bewertung der Kanzlerkandidaten Stoiber und Schröder durchgeführt, sondern gleichzeitig 5.400 Beiträge in den "Tagesthemen" der ARD, im "Heute-Journal" des ZDF, in "RTL-Aktuell" und in "18.30" von Sat1 analysiert. Ihre Beobachtung, dass Sympathiewerte bei der Wahl mehr zählen als Sachkompetenz, wird man nach Einschätzung Fenskes verallgemeinern dürfen. "Keine Partei und kein einzelner Politiker", resümiert Fenske die Ergebnisse der Studie, "kann ein Thema gegen die Mehrheit der meinungsbildenden Medien und insbesondere gegen das Fernsehen etablieren oder bestimmenden Einfluss auf die Diskussion von Sachfragen gewinnen."

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