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Bye, bye, Boomer! Das Portrait einer Generation und ihrer inneren Widersprüche von Heinz Bude
Die Boomer nehmen Abschied. Wer zwischen 1955 und 1970 in der Zeit der geburtenstarken Jahrgänge zur Welt gekommen ist, hat den Ruhestand erreicht oder zählt zu den Älteren, die nach und nach ihre Posten freimachen. Die Boomer verbindet das Gefühl, dass es zu viele von ihnen gibt, das spürten sie schon in überfüllten Klassenzimmern und später auf dem Arbeitsmarkt. Daraus resultierte eine Haltung der Skepsis, und die Erfahrung von AIDS und Tschernobyl hat sie in einer entscheidenden Phase ihrer…mehr

Produktbeschreibung
Bye, bye, Boomer! Das Portrait einer Generation und ihrer inneren Widersprüche von Heinz Bude

Die Boomer nehmen Abschied. Wer zwischen 1955 und 1970 in der Zeit der geburtenstarken Jahrgänge zur Welt gekommen ist, hat den Ruhestand erreicht oder zählt zu den Älteren, die nach und nach ihre Posten freimachen. Die Boomer verbindet das Gefühl, dass es zu viele von ihnen gibt, das spürten sie schon in überfüllten Klassenzimmern und später auf dem Arbeitsmarkt. Daraus resultierte eine Haltung der Skepsis, und die Erfahrung von AIDS und Tschernobyl hat sie in einer entscheidenden Phase ihrer Biografie gelehrt, dass nichts gesichert und gar nichts garantiert ist. Heinz Bude, ein früher Boomer, beschreibt, wie sich mit dieser Generation auch ein Lebensgefühl verabschiedet, das unsere Gesellschaft über Jahrzehnte geprägt hat.
Autorenporträt
Heinz Bude, geboren 1954, studierte Soziologie, Philosophie und Psychologie. Von 2000 bis 2023 war er Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel. Er lebt in Berlin. Im Carl Hanser Verlag erschien zuletzt: 'Adorno für Ruinenkinder. Eine Geschichte von 1968' (2018), 'Solidarität. Die Zukunft einer großen Idee' (2019) und, gemeinsam mit Bettina Munk und Karin Wieland, 'Aufprall' (2020) sowie 'Abschied von den Boomern' (2024).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Durchaus skeptisch liest Rezensent Stefan Reinecke Heinz Budes Buch über die Boomer, zumindest solange, wie er es an wissenschaftlichen Standards misst. Denn Budes Buch exemplifiziert, meint Reinecke, gleich mehrere Probleme des Genres Generationenporträt: es nimmt das eigene Milieu fürs Ganze, wodurch soziale Differenzen unter den Tisch fallen, und außerdem fehlt die Distanz, weil Bude selbst Boomer ist. Reinecke hegt Zweifel daran, ob "Generation" überhaupt eine sinnvolle soziologische Kategorie ist. Zum Anlass, Geschichten über die Gesellschaft zu erzählen, taugt der Begriff allerdings durchaus, fährt er fort, und soweit sich Bude darauf beschränkt, im Plauderton einen Erfahrungsraum zu eröffnen, liest er das Buch gerne. Außerdem freut er sich darüber, dass nicht nur Westmänner, sondern auch -Frauen sowie Ost-Boomer vorkommen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2024

Sinn für befreiende Unruhe

Die Kohorte der Boomer:

Heinz Bude sammelt Bestimmungsstücke für das Profil einer Generation.

Wann kam eigentlich die Rede von den Boomern auf? Lange tat man sich schwer, für die Generation der zwischen etwa 1955 und 1965 Geborenen überhaupt einen geeigneten Sammelbegriff zu finden. Da sie nach den 68ern kamen, behalf man sich eine Weile mit der Bezeichnung 78er, die vor allem als unpolitisch und irgendwie konturlos galten. Das Wort von den Boomern ist da letztlich auch nicht viel trennschärfer: eben die Kinder des Babybooms. "Sie waren einfach immer zu viele", so formuliert es der Soziologe Heinz Bude in einem Essay, mit dem er, nachdem er sich in früheren Büchern schon der Flakhelfer-Generation, den 68ern und der von ihm erfundenen Generation Berlin gewidmet hat, das Generationenquartett vervollständigt. Es ist ein Blick zurück zum Abschied, da demnächst auch die Jüngsten der Kohorte die sechzig überschritten haben werden und sich nun nach und nach ihre Rentenansprüche ausrechnen lassen. Doch statt dass die mehr oder weniger Alten nun neidvoll auf die Unbeschwertheit der Jugend zurückblicken, beobachtet Bude eine auffallende Veränderung im Verhältnis der Lebensalter zueinander. Bude nennt es eine Inversion des Zukunftsglaubens: Neidisch sind nunmehr die Jungen auf das unbeschwerte Leben, das die Alten früher gelebt haben, und so machen die Jüngeren, denen die Zukunft abhandengekommen ist, den Alten auf offener Bühne den Prozess.

Bude tritt diesem Hang zur Apokalyptik bei den Nachgeborenen mit einer Mischung aus freundlichem Verständnis und betontem Optimismus gegenüber. Die Boomer haben zwar nichts mehr vom zupackenden Wiederaufbau-Elan ihrer Elterngeneration, in dem Bude vor allem den umgewandelten Leistungsfanatismus sieht, der ihnen in den NS-Jugendorganisationen antrainiert worden war. Aber im Gegensatz zu den, wie Bude findet, weltverneinenden Achtundsechzigern hatten die Boomer dann doch allen Anlass, der Welt bejahend gegenüberzutreten. Die "letzte Nachkriegsgeneration", wie die Boomer an einer Stelle heißen, startete mit dem Bewusstsein, dass das Schlimmste hinter ihnen lag, und sie profitierte nicht nur vom Wirtschaftswunder, sondern vor allem von der Bildungseuphorie der jungen Bundesrepublik. Keine Generation vor ihnen war so gut ausgebildet, was insbesondere für die Frauen unter ihnen gilt.

In kurzen Kapiteln skizziert Bude den Weg der Kohorte von den Sechzigerjahren bis in die Gegenwart und hinterlegt den Strom der Assoziationen mit soziologischen Befunden oder zeithistorischen Informationen, vor allem aber eigenen Deutungen und Einordnungen. Schritt für Schritt geht es durch die Jahrzehnte, werden die familiären Fernsehabende mit Hans Rosenthal und Hans-Joachim Kulenkampff gegengeschnitten mit dem berühmten "Willy-Wahlkampf" und dem Ende der Achtundsechziger-Bewegung im Terror des Deutschen Herbstes. Der Herbst 1977 gilt Bude als Markstein für die Politisierung der Boomer. Als eigentlich formative Phase folgen die Achtzigerjahre, in denen die Mittzwanziger es mit Tschernobyl und Aids zu tun bekamen. Vor allem aber schildert Bude diese Zeit als die einer "besonderen Kollektivepisode in Westberlin", der er gemeinsam mit zwei damaligen Mitstreiterinnen schon in dem Roman "Aufprall" ein facettenreiches Porträt gewidmet hat.

Bude feiert die Heterogenität, die Skepsis gegen das Ganze und die kreative Schaffung von Freiräumen, sei es in der Initiative der Hausbesetzer, sei es in der vor allem aus Frankreich kommenden Theorie, die den Sound liefert. Doch dehnt er hier den essayistischen Anspruch aufs Exemplarische vielleicht doch ein Stück zu weit. Andere hätten aus den Achtzigerjahren andere Erinnerungen parat. So würden einem neben "Brokdorf", wie ein Kapitel überschrieben ist, das die Entstehung der Ökobewegung thematisiert, auch andere Ortsnamen einfallen, Mutlangen etwa oder der Bonner Hofgarten. Aber diese Orte schienen in dem besetzten Haus in der Kreuzberger Straße, die geradewegs auf die Mauer zuführte und in dem eine kleine Besetzergruppe sich "einen Ort fürs richtige Leben schaffen" wollte, keinen Widerhall gefunden zu haben. So wenig wie die Wahl Helmut Kohls zum Kanzler und der erstmalige Einzug der Grünen in den Bundestag.

Zu den Besonderheiten von Budes Studie zählt, dass er versucht, die Erfahrungen der Gleichaltrigen in der DDR mitzubedenken, sie zu parallelisieren oder abzugrenzen. "Zu einer Generation werden bestimmte Geburtsjahrgänge durch eine geteilte Geschichte", so zitiert er einleitend die Definition von Karl Mannheim und hält fest, dass Boomer Ost und Boomer West zwar keine gemeinsame Geschichte haben, aber trotzdem durch das Kriegsschicksal ihrer Eltern zusammengehalten werden. Wie das tragische Geschichtsbild Ost und das ironische Geschichtsbild West durch die Wiedervereinigung herausgefordert werden, gehört sicher zu den erhellendsten Passagen des Buches, vor allem aufgrund der Volte, dass die Boomer Ost tatsächlich Geschichte gemacht haben: In Budes Deutung waren sie es, die durch ihren Exodus letztlich der DDR den Garaus bereiteten. Aber wenn Bude als Erfahrungshintergrund für Hausbesetzungen im Ostteil Berlins, sozusagen als Parallele zur eigenen Literarisierung der Besetzer-Erfahrung, statt soziologischer Studien Lutz Seilers grandiosen Roman "Stern 111" heranzieht, der in der Wendezeit spielt, so ist dies nicht nur anachronistisch, sondern blendet letztlich eine ganze Geschichte der DDR-Jugendproteste aus.

Nicht sehr viele Gemeinsamkeiten dürften auch die Neunzigerjahre den beiden Boomer-Gruppen im Osten und im Westen beschert haben. Die Berufsbiographien West jedenfalls mündeten endlich doch noch in sichere Positionen, wenn auch über lange Umwege angesichts fehlender Lehrstellen, überfüllter Hörsäle oder Wartezeiten im Parkstudium. Wenn es eine Phase gibt, in der sich, wie Bude schreibt, eine Generation "von einer geprägten zu einer prägenden Strömung" wandelt, dann müsste sich hier das Profil der Boomer abzeichnen. Tatsächlich sieht Bude in den Geburtsjahrgängen der Gründer von Amazon, Microsoft und Apple die "befreiende Unruhe" am Werk, die die kleine wie die große Welt zu verändern begann. In Deutschland kam bald darauf die Boomerin Ost Angela Merkel an die Regierung, gefolgt vom Boomer West Olaf Scholz.

Der Schluss des Buches schwankt zwischen Abschied und Zukunft, zwischen Selbstbefragung und Selbstbehauptung. Noch betrifft der titelgebende "Abschied" weniger die Boomer selbst als ihre Eltern. Ihr Altern, ihre Hinfälligkeit und ihr Sterben sind Anlass für eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter und damit, was es bedeuten könnte, die lebenslang gepflegte Unabhängigkeit irgendwann aufgeben zu müssen. Noch aber ist es nicht so weit. Die Forderung nach tätiger Reue angesichts zu viel geflogener Meilen oder verheizter Liter Erdöl weist Bude erst mal zurück. Anderen ein schlechtes Gewissen machen zu wollen, lässt er nicht gelten. An sich selbst glauben, lautet seine Devise, und nicht die Hände in den Schoß legen. Die Sorge jedenfalls, dass die Boomer "sich mit der Rolle einer folgenlosen Zwischengeneration zufriedengeben" müssten, dürfte so oder so unbegründet sein. SONJA ASAL

Heinz Bude: "Abschied von den Boomern".

Hanser Verlag, München 2024. 144 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Bude gelingt es, präzise und pointiert, mit Sympathie und Ironie die Widersprüche dieser Alterskohorte herauszuarbeiten." Andreas Reckwitz, Die Welt, 31.03.24

"Was für ein Vergnügen, diesen facettenreichen soziologischen Essay über die Generation der zwischen 1955 und 1970 geborenen Deutschen lesen zu dürfen." Denis Scheck, Tagesspiegel Online, 13.03.24

"Eine der wichtigsten Neuerscheinungen zur Generationsfrage." Christhard Läpple, ZDF Heute Journal, 18.02.24

"Bude wartet nicht nur mit Zahlen auf, sondern zeichnet ein Bild dieser Generation." Christoph Leibold, Bayern 2 Kulturwelt, 31.01.24

"Zu den Besonderheiten von Budes Studie zählt, dass er versucht, die Erfahrungen der Gleichaltrigen in der DDR mit zu bedenken, sie zu parallelisieren oder abzugrenzen." Sonja Asal, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.01.24

"Es lohnt sich, nach den generationenbildenden Erfahrungen der Boomer zu fragen. Das tut Budes Bilderbogen, der soziologisch informierte Memoiren aus spezifisch Berliner Sicht (darum Ost-West-sensibel) schön detailreich, aber schlank aufbereitet." Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 27.01.24

"Sein lebendiger, temporeich geschnittener Essay verknüpft in der Rückschau farbige Szenen, Objekte, Diagnosen, Erinnerungen und Ereignisse aus den vergangenen Jahrzehnten mit soziologischen Deutungen und eingestreuten autobiografischen Episoden ... Also könnten die Boomer, wenn sie denn gut erzählen, schon jetzt geschickt Einfluss nehmen auf ihr künftiges Bild in der Historie - dieses kluge Buch ist da ein durchweg anregender Anfang." Alexander Cammann, Die Zeit, 25.01.24…mehr