Das Geheimnis der "Mona Lisa" wird gelüftet
Roberto Zapperi entschlüsselt in diesem Buch, für wen Leonardo da Vinci die "Mona Lisa" malte, wen er darstellte und warum sich so viele Legenden um das Bild ranken. Die Frage, wer die Frau mit dem berühmtesten Lächeln der Welt war, bewegt seit fast 500 Jahren die Betrachter der "Mona Lisa" und hat zu ganzen Bibliotheken und noch mehr Vermutungen Anlass gegeben. Roberto Zapperi erzählt eine geheimnisvolle Geschichte aus den Anfängen des 16. Jahrhunderts: vom Hofleben in Urbino mit seinen galanten Amouren, von Kardinälen und Dichtern, von einem unehelichen Kind an der päpstlichen Kurie, von Leonardo da Vincis Tätigkeit in Rom. Und schließlich erfahren wir auch, wie und für wen das Gemälde entstand, das Leonardo nach dem Tod des Auftraggebers zu seinem neuen Gönner nach Frankreich mitnahm und nun die Hauptattraktion des Louvre in Paris ist. Roberto Zapperi gelingt es in diesem Buch, die wahre Geschichte der "Mona Lisa" zu rekonstruieren. Es heißt, soviel sei verraten, Abschied nehmen von "Mona Lisa"
"Der Fund des Kunsthistorikers Roberto Zapperi zur Mona Lisa ist mehr als ein Hype (...) die Identifizierung der Mona Lisa als Pacifica Brandani, eine Unbekannte aus Urbino, das hat hohe Plausibilität."
Horst Bredekamp, Die Zeit
Roberto Zapperi entschlüsselt in diesem Buch, für wen Leonardo da Vinci die "Mona Lisa" malte, wen er darstellte und warum sich so viele Legenden um das Bild ranken. Die Frage, wer die Frau mit dem berühmtesten Lächeln der Welt war, bewegt seit fast 500 Jahren die Betrachter der "Mona Lisa" und hat zu ganzen Bibliotheken und noch mehr Vermutungen Anlass gegeben. Roberto Zapperi erzählt eine geheimnisvolle Geschichte aus den Anfängen des 16. Jahrhunderts: vom Hofleben in Urbino mit seinen galanten Amouren, von Kardinälen und Dichtern, von einem unehelichen Kind an der päpstlichen Kurie, von Leonardo da Vincis Tätigkeit in Rom. Und schließlich erfahren wir auch, wie und für wen das Gemälde entstand, das Leonardo nach dem Tod des Auftraggebers zu seinem neuen Gönner nach Frankreich mitnahm und nun die Hauptattraktion des Louvre in Paris ist. Roberto Zapperi gelingt es in diesem Buch, die wahre Geschichte der "Mona Lisa" zu rekonstruieren. Es heißt, soviel sei verraten, Abschied nehmen von "Mona Lisa"
"Der Fund des Kunsthistorikers Roberto Zapperi zur Mona Lisa ist mehr als ein Hype (...) die Identifizierung der Mona Lisa als Pacifica Brandani, eine Unbekannte aus Urbino, das hat hohe Plausibilität."
Horst Bredekamp, Die Zeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.2010Warum soll Leonardo nicht von Raffael gelernt haben?
Im Streit um die Mona Lisa müssen die Dokumente sprechen, bevor man Stilfragen stellen kann: Antwort auf Frank Zöllner.
Von Roberto Zapperi
Am 4. Februar besprach Frank Zöllner in dieser Zeitung meine Studie "Abschied von Mona Lisa. Das berühmteste Gemälde der Welt wird enträtselt" (Verlag C. H. Beck, München 2010) und wies alle meine dort dargelegten Thesen entschieden zurück. Diese Thesen stützen sich vor allem auf die drei wichtigsten schriftlichen Quellen zu dem heute im Louvre aufbewahrten Gemälde Leonardo da Vincis. Es sind das Reisetagebuch des Antonio de Beatis, Sekretär des Kardinals Luigi d'Aragona, der Leonardo 1517 in seinem französischen Atelier in Clos Lucé bei Amboise besuchte, Giorgio Vasaris Lebensbeschreibung Leonardos und die vor kurzem entdeckte Randglosse des Florentiners Agostino Vespucci in einem Wiegendruck mit Werken Ciceros.
Zöllner tut das Reisetagebuch des Antonio de Beatis leichthin als "umstritten" ab, während er Vasaris Vita und die Marginalie Vespuccis, die bezeugt, dass Leonardo tatsächlich ein Bildnis der Mona Lisa begann, für allein beweiskräftig hält. Meine Kritik an der Darstellung Vasaris scheint ihm nur einer heute beliebten Mode zu folgen. Damit vereinfacht er jedoch die Komplexität der Probleme. Es stellt sich deshalb auch die grundlegende Frage, ob die Anwendung einer exakten historisch-philologischen Methode nicht die Voraussetzung sei, um ein Kunstwerk in seinem geschichtlichen Kontext zu begreifen.
Frank Zöllner vertritt seit siebzehn Jahren in verschiedenen, zum Teil vor kurzem wiederaufgelegten Publikationen auf der Basis von Vasaris Angaben die Identifizierung der auf dem Pariser Gemälde dargestellten Dame mit der Florentinerin Lisa del Giocondo. Der Vespucci-Fund bestätigte ihn in dieser Annahme. Zöllner ist also ein kompetenter Kritiker, der einen eigenen Standpunkt verteidigt. Er ist sich der Bedeutung dokumentarischer Quellen durchaus bewusst, denn er hat in Florentiner Archiven Nachforschungen angestellt und zahlreiche Dokumente über Francesco del Giocondo und dessen Frau Lisa zutage gefördert. Nur geben diese Dokumente keinen Hinweis auf einen Leonardo erteilten Auftrag oder auf das Gemälde selbst. Giuseppe Pallanti hat jüngst noch weitere Dokumente über die Familie del Giocondo gefunden und publiziert. So wissen wir nun alles, oder fast alles, über die Familie des Kommittenten. Nichts davon aber führt zum Gemälde im Louvre.
Ich selbst habe meiner Untersuchung, die zu anderen Ergebnissen führt, wesentlich eine kritische Untersuchung der drei obengenannten schriftlichen Quellen zugrunde gelegt. Die wichtigste von diesen ist nach meiner Erkenntnis die nach Zöllner "längst bekannte, in ihrer Aussage zweideutige und daher umstrittene Notiz eines gewissen Antonio de Beatis". So umstritten ist diese Quelle und so obskur der Autor allerdings nicht. Das Reisetagebuch wurde 1905 von Ludwig Pastor, dem bekannten Verfasser der vielbändigen "Geschichte der Päpste", publiziert. De Beatis traf Leonardo am 10. Oktober 1517 in Clos Lucé im Gefolge des Kardinals und hielt im Tagebuch, das er nach eigenem Bekunden täglich abends führte, die Aussagen fest, die Leonardo während des Besuchs gemacht hatte. Unter anderem hatte der Künstler angegeben, dass das Frauenbildnis, das er den Gästen zeigte, bei ihm von Giuliano de' Medici in Auftrag gegeben worden war, in dessen Dienst er von 1513 bis 1516 in Rom gestanden hatte. Dass es sich bei diesem Frauenbildnis um das heute im Louvre aufbewahrte Gemälde handelte, hat Bertrand Jestaz mit neuen Dokumenten in einem 1999 erschienenen Aufsatz überzeugend nachgewiesen. In meinem Buch habe ich diese Quelle noch einmal unter die Lupe genommen und ihre absolute Glaubwürdigkeit festgestellt. Von ihr bin ich ausgegangen, um auch mit der Hilfe anderer Quellen den historischen Kontext von Leonardos Bildnis zu rekonstruieren.
Die Glaubwürdigkeit der zweiten Quelle, nämlich Vasaris Vita Leonardos, die Zöllner den Hauptbeweis liefert, ist dagegen in vielen Punkten tatsächlich umstritten. Vasaris Angaben in seinen Künstlerviten sind oft ungenau und von Kunsthistorikern wie Patricia Rubin und Charles Hope teilweise sogar als eindeutig falsch erkannt worden. Auch die Stelle über die "Mona Lisa" enthält viele Inkongruenzen. Vasaris scheinbar so detaillierte Beschreibung stellt sich als eine rhetorische Kompilation heraus, in der neben den angeblichen Umständen der Entstehung erstaunlicherweise nur von Mona Lisas Antlitz die Rede ist. Vasari bestätigt also, aber auf andere Weise, als Zöllner meint, Agostino Vespucci, der 1503 schrieb, Leonardo habe nur den Kopf der Mona Lisa gemalt, um das Gemälde dann liegen zu lassen, wobei Vespucci noch anmerkte, dass Leonardo dafür bekannt sei, seine Gemälde nicht zu vollenden. Dieser Ruf wird auch von anderen Zeitgenossen bestätigt. Damit ist diese Diskussion wohl beendet. Das Pariser Gemälde ist in einem Zug gemalt, und nirgendwo gibt es Spuren, die das Urteil erlauben, es sei in unfertigem Status unterbrochen worden. Offensichtlich händigte Leonardo das angefangene Bildnis dem Besteller nicht aus, denn sonst hätte es in der reichhaltigen Dokumentation der Familie del Giocondo sicher Erwähnung gefunden. Was Leonardo mit dem angefangenen Bildnis machte, lässt sich nicht mehr feststellen.
Wie in anderen historischen Disziplinen müssen auch in der Kunstgeschichte, im Fall, dass es sie gibt, die überlieferten schriftlichen Dokumente sorgfältig geprüft werden, bevor die rein künstlerische Dimension eines Werks untersucht werden kann. Dies ist die Lehre, die wir Aby Warburg verdanken, der in seinen florentinischen Studien gegen den vorherrschenden Ästhetizismus in der Kunstbetrachtung den historischen Kontext der von ihm untersuchten Kunstwerke rekonstruiert hat. Die Kunsthistoriker haben das Glück, aber auch das Problem, Datierungen auf oft ingeniöse stilistische Analysen gründen zu können. Dies hat teils spektakuläre Erfolge gebracht, aber oftmals auch zu Ergebnissen geführt, welche die Lehren Warburgs missachtet haben. Beweisführungen anhand rein stilistischer Elemente erweisen sich oftmals als fragiler als jene, die auf der Untersuchung von schriftlichen Dokumenten gründen. Der junge Raffael soll Leonardo in Florenz kopiert, ein anderer Maler in Mailand bei einem Männerporträt die Pose der Mona Lisa übernommen haben. Aber gewisse stilistische Formeln und Konventionen waren derart verbreitet, dass jeder Maler, ob jung oder alt, auf sie zurückgreifen konnte. Wer kopierte wen? Das ist in vielen Fällen nur schwer zu entscheiden, und oft kann nur ein schriftliches Dokument die Frage lösen. Warum sollte sich ein älterer Meister nicht auch von den Erfindungen eines jüngeren Kollegen inspirieren lassen?
Zum Schluss noch eine persönliche Erinnerung. In einem Kolloquium am Wissenschaftskolleg zu Berlin, wo ich vor vielen Jahren mein Buch über Goethes Aufenthalt in Rom zur Diskussion stellte, warf mir eine an Statistiken gewöhnte Soziologin vor, dass das in meinen Augen entscheidende Dokument ungenügend sei, um meine These zu beweisen. Unter den Anwesenden eilte mir der verstorbene Historiker Wolfgang Mommsen zur Hilfe, der der kritischen Soziologin eine Vorlesung in historischer Methodik hielt. Er erklärte ihr, dass kein Dokument die absolute historische Wahrheit enthalte und der Historiker nur ein Netz mit möglichst engen Maschen auswerfen könne, mit dem er das Stückchen Wahrheit, das überhaupt erreicht werden kann, herauszufischen sucht. Ein solches Netz habe auch ich auszuwerfen versucht. Ich habe das Leben jenes Giuliano de' Medici erforscht, der nach dem Zeugnis des Antonio de Beatis Leonardo mit dem Bildnis beauftragte, und seine Aussage durch andere Dokumente ergänzt. Meinen Fang habe ich vor meinen Lesern ausgebreitet.
Aus dem Italienischen von Ingeborg Walter. Das Buch Abschied von Mona Lisa. Das berühmteste Gemälde der Welt wird enträtselt von Roberto Zapperi ist im Münchner Verlag C. H. Beck erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Streit um die Mona Lisa müssen die Dokumente sprechen, bevor man Stilfragen stellen kann: Antwort auf Frank Zöllner.
Von Roberto Zapperi
Am 4. Februar besprach Frank Zöllner in dieser Zeitung meine Studie "Abschied von Mona Lisa. Das berühmteste Gemälde der Welt wird enträtselt" (Verlag C. H. Beck, München 2010) und wies alle meine dort dargelegten Thesen entschieden zurück. Diese Thesen stützen sich vor allem auf die drei wichtigsten schriftlichen Quellen zu dem heute im Louvre aufbewahrten Gemälde Leonardo da Vincis. Es sind das Reisetagebuch des Antonio de Beatis, Sekretär des Kardinals Luigi d'Aragona, der Leonardo 1517 in seinem französischen Atelier in Clos Lucé bei Amboise besuchte, Giorgio Vasaris Lebensbeschreibung Leonardos und die vor kurzem entdeckte Randglosse des Florentiners Agostino Vespucci in einem Wiegendruck mit Werken Ciceros.
Zöllner tut das Reisetagebuch des Antonio de Beatis leichthin als "umstritten" ab, während er Vasaris Vita und die Marginalie Vespuccis, die bezeugt, dass Leonardo tatsächlich ein Bildnis der Mona Lisa begann, für allein beweiskräftig hält. Meine Kritik an der Darstellung Vasaris scheint ihm nur einer heute beliebten Mode zu folgen. Damit vereinfacht er jedoch die Komplexität der Probleme. Es stellt sich deshalb auch die grundlegende Frage, ob die Anwendung einer exakten historisch-philologischen Methode nicht die Voraussetzung sei, um ein Kunstwerk in seinem geschichtlichen Kontext zu begreifen.
Frank Zöllner vertritt seit siebzehn Jahren in verschiedenen, zum Teil vor kurzem wiederaufgelegten Publikationen auf der Basis von Vasaris Angaben die Identifizierung der auf dem Pariser Gemälde dargestellten Dame mit der Florentinerin Lisa del Giocondo. Der Vespucci-Fund bestätigte ihn in dieser Annahme. Zöllner ist also ein kompetenter Kritiker, der einen eigenen Standpunkt verteidigt. Er ist sich der Bedeutung dokumentarischer Quellen durchaus bewusst, denn er hat in Florentiner Archiven Nachforschungen angestellt und zahlreiche Dokumente über Francesco del Giocondo und dessen Frau Lisa zutage gefördert. Nur geben diese Dokumente keinen Hinweis auf einen Leonardo erteilten Auftrag oder auf das Gemälde selbst. Giuseppe Pallanti hat jüngst noch weitere Dokumente über die Familie del Giocondo gefunden und publiziert. So wissen wir nun alles, oder fast alles, über die Familie des Kommittenten. Nichts davon aber führt zum Gemälde im Louvre.
Ich selbst habe meiner Untersuchung, die zu anderen Ergebnissen führt, wesentlich eine kritische Untersuchung der drei obengenannten schriftlichen Quellen zugrunde gelegt. Die wichtigste von diesen ist nach meiner Erkenntnis die nach Zöllner "längst bekannte, in ihrer Aussage zweideutige und daher umstrittene Notiz eines gewissen Antonio de Beatis". So umstritten ist diese Quelle und so obskur der Autor allerdings nicht. Das Reisetagebuch wurde 1905 von Ludwig Pastor, dem bekannten Verfasser der vielbändigen "Geschichte der Päpste", publiziert. De Beatis traf Leonardo am 10. Oktober 1517 in Clos Lucé im Gefolge des Kardinals und hielt im Tagebuch, das er nach eigenem Bekunden täglich abends führte, die Aussagen fest, die Leonardo während des Besuchs gemacht hatte. Unter anderem hatte der Künstler angegeben, dass das Frauenbildnis, das er den Gästen zeigte, bei ihm von Giuliano de' Medici in Auftrag gegeben worden war, in dessen Dienst er von 1513 bis 1516 in Rom gestanden hatte. Dass es sich bei diesem Frauenbildnis um das heute im Louvre aufbewahrte Gemälde handelte, hat Bertrand Jestaz mit neuen Dokumenten in einem 1999 erschienenen Aufsatz überzeugend nachgewiesen. In meinem Buch habe ich diese Quelle noch einmal unter die Lupe genommen und ihre absolute Glaubwürdigkeit festgestellt. Von ihr bin ich ausgegangen, um auch mit der Hilfe anderer Quellen den historischen Kontext von Leonardos Bildnis zu rekonstruieren.
Die Glaubwürdigkeit der zweiten Quelle, nämlich Vasaris Vita Leonardos, die Zöllner den Hauptbeweis liefert, ist dagegen in vielen Punkten tatsächlich umstritten. Vasaris Angaben in seinen Künstlerviten sind oft ungenau und von Kunsthistorikern wie Patricia Rubin und Charles Hope teilweise sogar als eindeutig falsch erkannt worden. Auch die Stelle über die "Mona Lisa" enthält viele Inkongruenzen. Vasaris scheinbar so detaillierte Beschreibung stellt sich als eine rhetorische Kompilation heraus, in der neben den angeblichen Umständen der Entstehung erstaunlicherweise nur von Mona Lisas Antlitz die Rede ist. Vasari bestätigt also, aber auf andere Weise, als Zöllner meint, Agostino Vespucci, der 1503 schrieb, Leonardo habe nur den Kopf der Mona Lisa gemalt, um das Gemälde dann liegen zu lassen, wobei Vespucci noch anmerkte, dass Leonardo dafür bekannt sei, seine Gemälde nicht zu vollenden. Dieser Ruf wird auch von anderen Zeitgenossen bestätigt. Damit ist diese Diskussion wohl beendet. Das Pariser Gemälde ist in einem Zug gemalt, und nirgendwo gibt es Spuren, die das Urteil erlauben, es sei in unfertigem Status unterbrochen worden. Offensichtlich händigte Leonardo das angefangene Bildnis dem Besteller nicht aus, denn sonst hätte es in der reichhaltigen Dokumentation der Familie del Giocondo sicher Erwähnung gefunden. Was Leonardo mit dem angefangenen Bildnis machte, lässt sich nicht mehr feststellen.
Wie in anderen historischen Disziplinen müssen auch in der Kunstgeschichte, im Fall, dass es sie gibt, die überlieferten schriftlichen Dokumente sorgfältig geprüft werden, bevor die rein künstlerische Dimension eines Werks untersucht werden kann. Dies ist die Lehre, die wir Aby Warburg verdanken, der in seinen florentinischen Studien gegen den vorherrschenden Ästhetizismus in der Kunstbetrachtung den historischen Kontext der von ihm untersuchten Kunstwerke rekonstruiert hat. Die Kunsthistoriker haben das Glück, aber auch das Problem, Datierungen auf oft ingeniöse stilistische Analysen gründen zu können. Dies hat teils spektakuläre Erfolge gebracht, aber oftmals auch zu Ergebnissen geführt, welche die Lehren Warburgs missachtet haben. Beweisführungen anhand rein stilistischer Elemente erweisen sich oftmals als fragiler als jene, die auf der Untersuchung von schriftlichen Dokumenten gründen. Der junge Raffael soll Leonardo in Florenz kopiert, ein anderer Maler in Mailand bei einem Männerporträt die Pose der Mona Lisa übernommen haben. Aber gewisse stilistische Formeln und Konventionen waren derart verbreitet, dass jeder Maler, ob jung oder alt, auf sie zurückgreifen konnte. Wer kopierte wen? Das ist in vielen Fällen nur schwer zu entscheiden, und oft kann nur ein schriftliches Dokument die Frage lösen. Warum sollte sich ein älterer Meister nicht auch von den Erfindungen eines jüngeren Kollegen inspirieren lassen?
Zum Schluss noch eine persönliche Erinnerung. In einem Kolloquium am Wissenschaftskolleg zu Berlin, wo ich vor vielen Jahren mein Buch über Goethes Aufenthalt in Rom zur Diskussion stellte, warf mir eine an Statistiken gewöhnte Soziologin vor, dass das in meinen Augen entscheidende Dokument ungenügend sei, um meine These zu beweisen. Unter den Anwesenden eilte mir der verstorbene Historiker Wolfgang Mommsen zur Hilfe, der der kritischen Soziologin eine Vorlesung in historischer Methodik hielt. Er erklärte ihr, dass kein Dokument die absolute historische Wahrheit enthalte und der Historiker nur ein Netz mit möglichst engen Maschen auswerfen könne, mit dem er das Stückchen Wahrheit, das überhaupt erreicht werden kann, herauszufischen sucht. Ein solches Netz habe auch ich auszuwerfen versucht. Ich habe das Leben jenes Giuliano de' Medici erforscht, der nach dem Zeugnis des Antonio de Beatis Leonardo mit dem Bildnis beauftragte, und seine Aussage durch andere Dokumente ergänzt. Meinen Fang habe ich vor meinen Lesern ausgebreitet.
Aus dem Italienischen von Ingeborg Walter. Das Buch Abschied von Mona Lisa. Das berühmteste Gemälde der Welt wird enträtselt von Roberto Zapperi ist im Münchner Verlag C. H. Beck erschienen.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Roberto Zapperis neue Datierung von Leonardo da Vincis "Mona Lisa" und ihre Identifizierung als Pacifica Brandani überzeugen den Rezensenten Frank Zöllner ganz und gar nicht. Sehr detailliert macht sich der Rezensent, selbst ausgewiesener Leonardo-Kenner und sicherlich nicht zuletzt deshalb so engagierter Kritiker, daran, die Argumente des römischen Autors abzuklopfen. Pacifica Brandani war die Mätresse Giuliano de' Medicis, der nach dem Tod Brandanis deren illegitimen Sohn Ippolito aufnahm und für den er zur Erinnerung das Bildnis der toten Mutter in Auftrag gegeben haben soll: Dies ist die These Zapperis, die Zöllner durch nichts belegt sieht. Sein Haupteinwand aber ist, dass sich so zwangsläufig eine spätere Datierung des Bildes ergeben würde, was wiederum aus Leonardo einen Nachahmer des sehr viel jüngeren Raffael machen würde. Und das hält Zöllner für ganz unwahrscheinlich. Spannend und schön gemacht ist dieser Band zwar durchaus, gibt der Rezensent noch zu. Allein, ihm fehlt die "solide Begründung" für derart umwälzende Thesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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