Abschied hebt an in einem Garten, mit der Beschreibung einiger mediterraner Pflanzen, daraus erwachsen Erinnerungen an den Krieg, an eine Vergangenheit, die nie vergangen war, mythische Anklänge. Und dann nimmt das Gedicht eine vollkommen andere Wendung, als plötzlich ein mysteriöses Virus die Welt erobert und unser aller Schicksal verändert.
Doch der Fluchtpunkt bleibt: das unwiederbringliche Verschwinden dessen, der da furchtlos spricht. Und aus einer ungeheuerlichen sprachlichen Verdichtung die Essenz eines ganzen Lebens gewinnt, Bilder von karger Schönheit schafft, das Licht zwischen den Bildern einfängt. Ein Elementargedicht schreibt.
Was geschieht, wenn alles verschwindet? Cees Nooteboom hat ein spätes Gipfelwerk geschaffen, wie aus der Zeit entrückte »Lektionen im klarsten Unheil«, in denen Vergangenheit und Zukunft, Nostalgie und das Bewusstsein von Vollendung - versöhnlich? - ineinander zu schwingen beginnen.
Doch der Fluchtpunkt bleibt: das unwiederbringliche Verschwinden dessen, der da furchtlos spricht. Und aus einer ungeheuerlichen sprachlichen Verdichtung die Essenz eines ganzen Lebens gewinnt, Bilder von karger Schönheit schafft, das Licht zwischen den Bildern einfängt. Ein Elementargedicht schreibt.
Was geschieht, wenn alles verschwindet? Cees Nooteboom hat ein spätes Gipfelwerk geschaffen, wie aus der Zeit entrückte »Lektionen im klarsten Unheil«, in denen Vergangenheit und Zukunft, Nostalgie und das Bewusstsein von Vollendung - versöhnlich? - ineinander zu schwingen beginnen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Thomas Steinfeld wird selbst ganz melancholisch beim Lesen von Cees Nootebooms melancholischen Gedichten, den letzten von diesem Dichter womöglich, ahnt der Rezensent. Noch einmal wird Steinfeld bewusst, wie sehr der Autor ein Reisender war und ist, ein sich selbst in der Welt Reflektierender. Auch die innere Unruhe als Antrieb kommt in den Texten noch einmal zur Sprache, meint Steinfeld, eine "milde Verzweiflung". Trost ist hier nicht zu erwarten, warnt er, eher die Begegnung mit einem nahezu transparenten, immer mehr sich verflüchtigendem Ich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2021Nie weit
vom Meer
Cees Nootebooms später
Gedichtband „Abschied“
Ein reisender Erzähler ist Cees Nooteboom ein Leben lang gewesen, vor den Augen eines großen Publikums. Die Leser, vor allem die deutschen, haben ihn deswegen geliebt. Das gilt vor allem für die Novellen und Romane, in denen er seine Leser um die halbe Welt führte, wie zum Teil auch für die Reportagen. Doch ist er auch in seinen Gedichten immer wieder an ferne Orte gezogen, nach Broome in Australien zu Beispiel oder nach Menorca. Diese Gedichte bilden, ohne dass sich sein ansonsten im Geiste stets mitreisendes Publikum darum groß bekümmert hätte, die eigentliche Mitte eines umfangreichen Werkes. Sie sind es in der Selbstwahrnehmung des Autors: Nooteboom hat immer wieder darauf hingewiesen, dass er sich zuerst als Lyriker versteht. Sie sind es aber auch, weil sie die Motive des Reisens und dessen letztliche Vergeblichkeit so deutlich benennen.
Nun ist ein neuer Gedichtband erschienen, der sechzehnte dieses mittlerweile 87-jährigen Autors. Er trägt den Titel „Abschied“, und es wird vermutlich das letzte solche Buch sein: Es ist als Schlusswort zu einem Leben in der Literatur wie auch zum Leben überhaupt gedacht, daran lassen die Gedichte keinen Zweifel. Am Anfang tritt ein Mann in einem Wintergarten auf, in mediterraner Umgebung: „Das Ende vom Ende, was könnte das sein?“, fragt er sich, und dann bleibt sein Blick auf einer vorbeiziehenden grauen Wolke hängen. Zwischendurch wird über einen Menschen nachgedacht, der „in die Welt gezogen“ ist, und die Verse, die folgen, sind für jeden Leser, der mit dem Werk Nootebooms auch nur ein wenig vertraut ist, als Reflexion des Dichters auf sich selbst kenntlich: „… ein Unbekannter, // jemand mit Flügeln, doch ohne / Klauen, durchsichtig, verliebt in Muscheln / und Steine, ein Blatt im Wind, hierher // und dorthin, umringt von Gedichten // nie weit vom Meer.“
Man könnte Cees Nooteboom für einen großen Wanderer halten, aber er ist es eigentlich nicht, denn diese meisten Wanderer sind zu bestimmten Zielen unterwegs. Dieser Dichter gehört vielmehr zu einer besonderen Sorte von Spaziergängern. Zwar will er von einem Ort zum anderen gelangen, doch weiß er im Grunde immer schon, dass sich die Zufriedenheit, die sich mit dem Erreichen eines Ziels zu verbinden scheint, am Ende doch nicht einstellen wird. Um von Glück erst gar nicht anzufangen. Und so bricht der offenbar existenziell unruhige Erzähler immer wieder auf, eines halben Glücksversprechens wegen. Er ist dann aber auch nur halb enttäuscht, wenn sich das Versprochene nicht einstellt. Immerhin hat er eine große Runde gemacht, und es wird nicht lange dauern, bis er sich zur nächsten großen Runde aufmacht. So war es jedenfalls bisher.
Dass Nooteboom melancholische Gedichte schreibt, ist oft bemerkt worden, wie überhaupt die Melancholie zu den Eigenheiten des gesamten Werks zu gehören scheint. An den Gedichten lässt sich ablesen, wie und warum dieses Gefühl entsteht: Sie gehören offenbar zur Selbsttherapie eines prinzipiell Sehnsüchtigen, der nach einem Grund zum Innehalten sucht. Er kann ihn aber nicht finden, und wie sollte das auch gehen, ist ihm die Sehnsucht doch zur Lebensgrundlage geworden.
Nooteboom kennt sich selbst gut genug, um dieses Dilemma zu benennen: „So viele Wege / bin ich gegangen, stets auf der Suche nach dem / was ferner liegen müsste, und als ich es / endlich erblickte, verschwand’s wie ein Trugbild // oder erstand als Gedicht“. Melancholie ist deswegen vielleicht nicht ganz das richtige Wort, um die Haltung dieses Dichters zu beschreiben. Denn diese Zeilen sind über das süß klagende Einverständnis mit sich selbst hinaus, das die Melancholie kennzeichnet. In ihnen liegt kein Trost. Die Verse gehören zu einer milden Verzweiflung.
Cees Nooteboom ist, gemäß der üblichen Typologie der Reisenden betrachtet, eine Mittlerfigur zwischen einem Nomaden und einem Touristen, wobei er dem Letzteren mehr zugewandt zu sein scheint als dem Ersteren, weil er mit dem Touristen eben jene Sehnsucht teilt. Deswegen muss er sich trotz allem immer neue Ziele setzen. Weil aber am Ende die Kräfte doch erlöschen, während man immer noch reist, weil man weniger sieht, hört und riecht, während man unterwegs ist, geht die Außenwelt dahin mitsamt allem, über das sich noch zu reden lohnen könnte.
Zugleich behauptet sich eine Innenwelt, bis sie sich an keinerlei Gegenstände mehr zu heften mag, und übrig bleibt schließlich ein dünnes, fast durchsichtiges Ich, dass sein Reisedasein mehr erleidet, als dass es noch etwas zu erleben in der Lage wäre: „Blind lauf ich weiter, ein fahler Hund / in der Kälte. Hier muss sein, // hier nehme ich Abschied von mir selbst / und werde dann langsam // niemand.“ Nichts gibt es, was sich dagegen aufbieten ließe.
THOMAS STEINFELD
Dieser Dichter gehört
zu einer besonderen Sorte
von Spaziergängern
Cees Nooteboom: Abschied. Gedicht aus der Zeit des Virus. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Niederländischen übersetzt von Ard Posthuma. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 95 Seiten, 22 Euro.
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vom Meer
Cees Nootebooms später
Gedichtband „Abschied“
Ein reisender Erzähler ist Cees Nooteboom ein Leben lang gewesen, vor den Augen eines großen Publikums. Die Leser, vor allem die deutschen, haben ihn deswegen geliebt. Das gilt vor allem für die Novellen und Romane, in denen er seine Leser um die halbe Welt führte, wie zum Teil auch für die Reportagen. Doch ist er auch in seinen Gedichten immer wieder an ferne Orte gezogen, nach Broome in Australien zu Beispiel oder nach Menorca. Diese Gedichte bilden, ohne dass sich sein ansonsten im Geiste stets mitreisendes Publikum darum groß bekümmert hätte, die eigentliche Mitte eines umfangreichen Werkes. Sie sind es in der Selbstwahrnehmung des Autors: Nooteboom hat immer wieder darauf hingewiesen, dass er sich zuerst als Lyriker versteht. Sie sind es aber auch, weil sie die Motive des Reisens und dessen letztliche Vergeblichkeit so deutlich benennen.
Nun ist ein neuer Gedichtband erschienen, der sechzehnte dieses mittlerweile 87-jährigen Autors. Er trägt den Titel „Abschied“, und es wird vermutlich das letzte solche Buch sein: Es ist als Schlusswort zu einem Leben in der Literatur wie auch zum Leben überhaupt gedacht, daran lassen die Gedichte keinen Zweifel. Am Anfang tritt ein Mann in einem Wintergarten auf, in mediterraner Umgebung: „Das Ende vom Ende, was könnte das sein?“, fragt er sich, und dann bleibt sein Blick auf einer vorbeiziehenden grauen Wolke hängen. Zwischendurch wird über einen Menschen nachgedacht, der „in die Welt gezogen“ ist, und die Verse, die folgen, sind für jeden Leser, der mit dem Werk Nootebooms auch nur ein wenig vertraut ist, als Reflexion des Dichters auf sich selbst kenntlich: „… ein Unbekannter, // jemand mit Flügeln, doch ohne / Klauen, durchsichtig, verliebt in Muscheln / und Steine, ein Blatt im Wind, hierher // und dorthin, umringt von Gedichten // nie weit vom Meer.“
Man könnte Cees Nooteboom für einen großen Wanderer halten, aber er ist es eigentlich nicht, denn diese meisten Wanderer sind zu bestimmten Zielen unterwegs. Dieser Dichter gehört vielmehr zu einer besonderen Sorte von Spaziergängern. Zwar will er von einem Ort zum anderen gelangen, doch weiß er im Grunde immer schon, dass sich die Zufriedenheit, die sich mit dem Erreichen eines Ziels zu verbinden scheint, am Ende doch nicht einstellen wird. Um von Glück erst gar nicht anzufangen. Und so bricht der offenbar existenziell unruhige Erzähler immer wieder auf, eines halben Glücksversprechens wegen. Er ist dann aber auch nur halb enttäuscht, wenn sich das Versprochene nicht einstellt. Immerhin hat er eine große Runde gemacht, und es wird nicht lange dauern, bis er sich zur nächsten großen Runde aufmacht. So war es jedenfalls bisher.
Dass Nooteboom melancholische Gedichte schreibt, ist oft bemerkt worden, wie überhaupt die Melancholie zu den Eigenheiten des gesamten Werks zu gehören scheint. An den Gedichten lässt sich ablesen, wie und warum dieses Gefühl entsteht: Sie gehören offenbar zur Selbsttherapie eines prinzipiell Sehnsüchtigen, der nach einem Grund zum Innehalten sucht. Er kann ihn aber nicht finden, und wie sollte das auch gehen, ist ihm die Sehnsucht doch zur Lebensgrundlage geworden.
Nooteboom kennt sich selbst gut genug, um dieses Dilemma zu benennen: „So viele Wege / bin ich gegangen, stets auf der Suche nach dem / was ferner liegen müsste, und als ich es / endlich erblickte, verschwand’s wie ein Trugbild // oder erstand als Gedicht“. Melancholie ist deswegen vielleicht nicht ganz das richtige Wort, um die Haltung dieses Dichters zu beschreiben. Denn diese Zeilen sind über das süß klagende Einverständnis mit sich selbst hinaus, das die Melancholie kennzeichnet. In ihnen liegt kein Trost. Die Verse gehören zu einer milden Verzweiflung.
Cees Nooteboom ist, gemäß der üblichen Typologie der Reisenden betrachtet, eine Mittlerfigur zwischen einem Nomaden und einem Touristen, wobei er dem Letzteren mehr zugewandt zu sein scheint als dem Ersteren, weil er mit dem Touristen eben jene Sehnsucht teilt. Deswegen muss er sich trotz allem immer neue Ziele setzen. Weil aber am Ende die Kräfte doch erlöschen, während man immer noch reist, weil man weniger sieht, hört und riecht, während man unterwegs ist, geht die Außenwelt dahin mitsamt allem, über das sich noch zu reden lohnen könnte.
Zugleich behauptet sich eine Innenwelt, bis sie sich an keinerlei Gegenstände mehr zu heften mag, und übrig bleibt schließlich ein dünnes, fast durchsichtiges Ich, dass sein Reisedasein mehr erleidet, als dass es noch etwas zu erleben in der Lage wäre: „Blind lauf ich weiter, ein fahler Hund / in der Kälte. Hier muss sein, // hier nehme ich Abschied von mir selbst / und werde dann langsam // niemand.“ Nichts gibt es, was sich dagegen aufbieten ließe.
THOMAS STEINFELD
Dieser Dichter gehört
zu einer besonderen Sorte
von Spaziergängern
Cees Nooteboom: Abschied. Gedicht aus der Zeit des Virus. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Niederländischen übersetzt von Ard Posthuma. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 95 Seiten, 22 Euro.
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»Diese Gedichte bilden ... die eigentliche Mitte eines umfangreichen Werkes.« Thomas Steinfeld Süddeutsche Zeitung 20210421