Ist die Bundesrepublik wirklich erstarrt, ängstlich und unregierbar? Gunter Hofmanns Gegenthese lautet: Die Bundesrepublik regiert sich weitgehend selbst. Sie ist zur Zivilgesellschaft geworden, auf die man sich im Zweifel mehr verlassen kann als auf ihre Politiker. Hofmanns Geschichte der Bundesrepublik ist eine brillant geschriebene Analyse, die einen Bogen von den Anfängen der Bonner Republik bis zur rot/grün regierten Berliner Republik schlägt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.09.2002Hofmanns Erzählungen
Politik muss den Charakter nicht unbedingt verderben
GUNTER HOFMANN: Abschiede, Anfänge. Die Bundesrepublik Deutschland, eine Anatomie, Antje Kunstmann Verlag, München 2002. 462 Seiten, 24,90 Euro.
Er hat viel vorzuweisen: ist zugelassen zu den engsten Kreisen, wird gesucht für vernünftige Gespräche, hält vertrauliche Diskurse mit den Höchsten des Landes. Ist universal und belesen, erfahren im politischen, publizistischen Geschäft. Doch ebenso ziert ihn Understatement: seine Natur steht im Gegensatz zur lärmenden, mit Enthüllungen um sich ballernden „Infotainment-Gesellschaft”. Zwei Jahrzehnte schon war dieser Gunter Hofmann Leuchtzeichen der Zeit und deren kluger Kopf in Bonn, ein Mann der feinsten Schattierungen. Was hätte sich daran ändern sollen? Hofmann dachte eigentlich nicht an Wiedervereinigung. Doch kürzlich ist er umgezogen, Bundestag und Regierung folgend in die längst nicht mehr so genannte Berliner Republik – gleich den meisten alten Bonner Korrespondentenhasen.
Hofmann flaniert nun unter den Linden, sehnt sich zurück, gelegentlich, in die vordem so bequeme, stille Übersichtlichkeit der rheinischen Kapitale. Nach den Farben Walter de Marias im alten Bundeshausrestaurant, der güldenen Plastik von Henry Moore vor dem scheußlichen Kanzleramt. Aber Hofmann wäre nicht, wer er ist, wenn er nicht, allen Wirren um Machtwechsel und Umzug trotzend, seinen großen Plan zu Ende gebracht hätte: möglichst d a s Buch über deutsche Politik zu schreiben, Abschiede / Anfänge geheißen, und damit einen eigentlich unerfüllbaren Anspruch zu verwirklichen: Insider zu sein, d e r Tiefste, alles streng vertraulich, „unter 3”, wie das im Journalistenjargon heißt.
Des weiteren eine ungewöhnliche Fülle primärer und sekundärer politischer und schöner Literatur parat zu haben, welche er, sperrig manchmal, gern einstreut. Aus solch einer edlen, überlegenen, geschärften Distanz heraus zerschnipselt Hofmann die seltsame Welt des Politischen samt ihren Kohls, Schröders, Fischers, und verwandelt sie in ein tausendfältiges Puzzle.
Hofmann, ein Künstler der Analogien im Gewande des Analytikers. Der abweisende Untertitel des Buches lautet freilich: „Die Bundesrepublik. Eine Anatomie”.
Abschreckend ist das, weil der Verdacht genährt wird, man habe es wieder einmal mit der aseptischen Prosa des politischen Genres zu tun. Aber Korrespondent Hofmann ist ein lebendiger Schriftsteller, welcher den herrschenden Verdacht widerlegt, permanenter Umgang mit „Aktualität” und wichtigsten Personen verderbe Verstand, Urteilsschärfe und Charakter.
Nein, aus seinen Abschieden und Anfängen ist eine fesselnde, naturgemäß nicht einfache Lektüre geworden, zugänglich auch den (fast) Nichteingeweihten. Hand und Geist des Verfassers verwandeln den komplexen Stoff zu kunstvollen Skizzen, zeichnen Kohl (und sein „System”); Fischer (und sein Werden); Schröder (und sein Lernen) nach.
Ein resigniert-kluges Kapitel gilt Medien und Journalisten „im großen Kommunikationsraum”, da die Stimmen Einzelner kaum noch zu unterscheiden seien, kaum noch jemand da sei, der Fragen zu stellen hätte. Endlich die Überleitung vom „Treibhaus” (selbstverständlich las Hofmann seinen Koeppen) Bonn nach Berlin; was jedoch, glaubt der in seiner Grundtonlage optimistische Verfasser, nichts ändert am gefestigten, westlichen Selbstverständnis der BRD.
Man kann solche Stücke nicht nacherzählen: So vielfältig das Massivum Kohl bislang abgehandelt worden ist, so sehr zählt Hofmanns Büchlein im Buch, genannt „Meine Jahre mit Kohl”, dennoch zur unentbehrlichen Lektüre. Es sind viel zu viele Jahre eines „Kleinkrieges mit unangenehmen Zügen” gewesen, bemerkt der unter Kohl leidende wie nunmehr gerechte Autor.
Aller überzeitlichen Klugheit zum Trotz wird die Verfallszeit der Hofmannschen Subsumierungen sich verkürzen, wenn das favorisierte Paar Schröderfischer den 22. September nicht überleben sollte. Die abschließenden, indirekt zitierten Gespräche mit Fischer und dem sich selbst duzenden Schröder wären dem Leser besser erspart geblieben. Endlich wünscht man sich, dass Hofmann beim nächsten Mal aus der Haut fährt und sein Temperament, seine Wahrnehmungen und Empfindungen nicht mehr zügelt.
CLAUS HEINRICH MEYER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Politik muss den Charakter nicht unbedingt verderben
GUNTER HOFMANN: Abschiede, Anfänge. Die Bundesrepublik Deutschland, eine Anatomie, Antje Kunstmann Verlag, München 2002. 462 Seiten, 24,90 Euro.
Er hat viel vorzuweisen: ist zugelassen zu den engsten Kreisen, wird gesucht für vernünftige Gespräche, hält vertrauliche Diskurse mit den Höchsten des Landes. Ist universal und belesen, erfahren im politischen, publizistischen Geschäft. Doch ebenso ziert ihn Understatement: seine Natur steht im Gegensatz zur lärmenden, mit Enthüllungen um sich ballernden „Infotainment-Gesellschaft”. Zwei Jahrzehnte schon war dieser Gunter Hofmann Leuchtzeichen der Zeit und deren kluger Kopf in Bonn, ein Mann der feinsten Schattierungen. Was hätte sich daran ändern sollen? Hofmann dachte eigentlich nicht an Wiedervereinigung. Doch kürzlich ist er umgezogen, Bundestag und Regierung folgend in die längst nicht mehr so genannte Berliner Republik – gleich den meisten alten Bonner Korrespondentenhasen.
Hofmann flaniert nun unter den Linden, sehnt sich zurück, gelegentlich, in die vordem so bequeme, stille Übersichtlichkeit der rheinischen Kapitale. Nach den Farben Walter de Marias im alten Bundeshausrestaurant, der güldenen Plastik von Henry Moore vor dem scheußlichen Kanzleramt. Aber Hofmann wäre nicht, wer er ist, wenn er nicht, allen Wirren um Machtwechsel und Umzug trotzend, seinen großen Plan zu Ende gebracht hätte: möglichst d a s Buch über deutsche Politik zu schreiben, Abschiede / Anfänge geheißen, und damit einen eigentlich unerfüllbaren Anspruch zu verwirklichen: Insider zu sein, d e r Tiefste, alles streng vertraulich, „unter 3”, wie das im Journalistenjargon heißt.
Des weiteren eine ungewöhnliche Fülle primärer und sekundärer politischer und schöner Literatur parat zu haben, welche er, sperrig manchmal, gern einstreut. Aus solch einer edlen, überlegenen, geschärften Distanz heraus zerschnipselt Hofmann die seltsame Welt des Politischen samt ihren Kohls, Schröders, Fischers, und verwandelt sie in ein tausendfältiges Puzzle.
Hofmann, ein Künstler der Analogien im Gewande des Analytikers. Der abweisende Untertitel des Buches lautet freilich: „Die Bundesrepublik. Eine Anatomie”.
Abschreckend ist das, weil der Verdacht genährt wird, man habe es wieder einmal mit der aseptischen Prosa des politischen Genres zu tun. Aber Korrespondent Hofmann ist ein lebendiger Schriftsteller, welcher den herrschenden Verdacht widerlegt, permanenter Umgang mit „Aktualität” und wichtigsten Personen verderbe Verstand, Urteilsschärfe und Charakter.
Nein, aus seinen Abschieden und Anfängen ist eine fesselnde, naturgemäß nicht einfache Lektüre geworden, zugänglich auch den (fast) Nichteingeweihten. Hand und Geist des Verfassers verwandeln den komplexen Stoff zu kunstvollen Skizzen, zeichnen Kohl (und sein „System”); Fischer (und sein Werden); Schröder (und sein Lernen) nach.
Ein resigniert-kluges Kapitel gilt Medien und Journalisten „im großen Kommunikationsraum”, da die Stimmen Einzelner kaum noch zu unterscheiden seien, kaum noch jemand da sei, der Fragen zu stellen hätte. Endlich die Überleitung vom „Treibhaus” (selbstverständlich las Hofmann seinen Koeppen) Bonn nach Berlin; was jedoch, glaubt der in seiner Grundtonlage optimistische Verfasser, nichts ändert am gefestigten, westlichen Selbstverständnis der BRD.
Man kann solche Stücke nicht nacherzählen: So vielfältig das Massivum Kohl bislang abgehandelt worden ist, so sehr zählt Hofmanns Büchlein im Buch, genannt „Meine Jahre mit Kohl”, dennoch zur unentbehrlichen Lektüre. Es sind viel zu viele Jahre eines „Kleinkrieges mit unangenehmen Zügen” gewesen, bemerkt der unter Kohl leidende wie nunmehr gerechte Autor.
Aller überzeitlichen Klugheit zum Trotz wird die Verfallszeit der Hofmannschen Subsumierungen sich verkürzen, wenn das favorisierte Paar Schröderfischer den 22. September nicht überleben sollte. Die abschließenden, indirekt zitierten Gespräche mit Fischer und dem sich selbst duzenden Schröder wären dem Leser besser erspart geblieben. Endlich wünscht man sich, dass Hofmann beim nächsten Mal aus der Haut fährt und sein Temperament, seine Wahrnehmungen und Empfindungen nicht mehr zügelt.
CLAUS HEINRICH MEYER
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
"Ein Buch, das so etwas wie eine Standardlektüre zur politischen und moralischen Befindlichkeit der Deutschen eingangs dieses Jahrhunderts werden kann." (Deutschlandfunk)