A richly textured work of history and a powerful contribution to contemporary cultural debate, Absent Minds provides the first full-length account of 'the question of intellectuals' in twentieth-century Britain - have such figures ever existed, have they always been more prominent or influential elsewhere, and are they on the point of becoming extinct today?
Recovering neglected or misunderstood traditions of reflection and debate from the late nineteenth century through to the present, Stefan Collini challenges the familiar cliche that there are no 'real' intellectuals in Britain. The book offers a persuasive analysis of the concept of 'the intellectual' and an extensive comparative account of how this question has been seen in the USA, France, and elsewhere in Europe. There are detailed discussions of influential or revealing figures such as
Julien Benda, T. S. Eliot, George Orwell, and Edward Said, as well as trenchant critiques of current assumptions about the impact of specialization and celebrity. Throughout, attention is paid to the multiple senses of the term 'intellectuals' and to the great diversity of relevant genres and media
through which they have communicated their ideas, from pamphlets and periodical essays to public lectures and radio talks.
Elegantly written and rigorously argued, Absent Minds is a major, long-awaited work by a leading intellectual historian and cultural commentator, ranging across the conventional divides between academic disciplines and combining insightful portraits of individuals with sharp-edged cultural analysis.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Recovering neglected or misunderstood traditions of reflection and debate from the late nineteenth century through to the present, Stefan Collini challenges the familiar cliche that there are no 'real' intellectuals in Britain. The book offers a persuasive analysis of the concept of 'the intellectual' and an extensive comparative account of how this question has been seen in the USA, France, and elsewhere in Europe. There are detailed discussions of influential or revealing figures such as
Julien Benda, T. S. Eliot, George Orwell, and Edward Said, as well as trenchant critiques of current assumptions about the impact of specialization and celebrity. Throughout, attention is paid to the multiple senses of the term 'intellectuals' and to the great diversity of relevant genres and media
through which they have communicated their ideas, from pamphlets and periodical essays to public lectures and radio talks.
Elegantly written and rigorously argued, Absent Minds is a major, long-awaited work by a leading intellectual historian and cultural commentator, ranging across the conventional divides between academic disciplines and combining insightful portraits of individuals with sharp-edged cultural analysis.
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Frankfurter Allgemeine ZeitungUnsere lieben Experten für alles und jedes sind beileibe keine Eierköpfe
Wollten Sie nicht schon immer einmal fragen, worum es sich bei einem Intellektuellen handelt? In Stefan Collinis Studie steht alles drin, was Sie zum Thema wissen müssen
Was ist ein Intellektueller? Stefan Collini hat ein Punkte-Raster entwickelt, mit dem er diese Spezies auch in Großbritannien findet, hinter ihren vielen Zerrbildern, die von britischen theoriefeindlichen Pragmatiker in Umlauf gebracht worden sind.
Jede Nation pflegt ihre eigene Sonderwegsideologie, und in jeder Nation tritt sie sowohl in der Gestalt des Fluches wie des Segens auf. Ihre funktionale Stärke besteht darin, daß sie unterschiedlichen Bedürfnissen dient und noch da eine gemeinsame Sprache gewährleistet, wo keine gemeinsamen Werte mehr vorhanden sind: Geht es um die "singularité française", den "American exceptionalism", die "peculiarities of the English" oder den "deutschen Sonderweg", operieren Linke und Rechte mit der gleichen Rhetorik, allein die Vorzeichen sind umgekehrt.
Heikel wird es für die Wanderer auf nationalen Sonderwegen, wenn man ihnen mit einem internationalen Vergleich ihrer Diskurse begegnet. Meist ist es dann um ihre simple Konstruktion von fremder Norm und eigener Abweichung geschehen. So auch in der brillanten Studie von Stefan Collini über die Intellektuellen in Großbritannien.
Der Autor, Professor an der Universität Cambridge, läßt das Klischee der britischen Einzigartigkeit von der ersten Seite an gekonnt auflaufen. Ein Buch über Intellektuelle in Großbritannien, so beginnt er seine Ausführungen, könne der gängigen Auffassung nach nur eines sein: kurz und sinnlos wie eine Studie über Schlangen in Island. Um Intellektuelle zu finden, gäbe es für die meisten Briten nur eine Lösung: die Fähre nach Calais besteigen und von dort aus weiter nach Paris fahren, ins Reich der - je nach Optik - genialen Universalphilosophen und politischen Denker respektive der halbseidenen Theoretiker und Café-Cigarette-Barrikadenkämpfer.
Collini räumt mit diesem Gemeinplatz auf. Er weist nach, daß Großbritannien, nicht anders als die meisten westlichen Länder, eine alte und lebendige Intellektuellenkultur besitzt, die nicht einmal darin einzigartig ist, daß ihre Träger sie verleugnen. Für Collini gehört die "Paradoxie der Verneinung", der Zwang der Intellektuellen zur Verschleierung ihres Status und ihrer Rolle, zur Grunddisposition dieses schillernden Gelehrtentypus. Werde ihr exklusiver Rang sichtbar, dann leide ihr Ruf als aufklärerischer Anwalt der Allgemeinheit. Wo daher Intellektuelle über Intellektuelle debattierten, klinge das meist so, als sei von einer fremden Spezies die Rede.
Dieser kollektiven Vernebelungstaktik begegnet Collini mit einem Theoriekapitel, in dem er drei Verwendungsformen des Intellektuellenbegriffs unterscheidet, die "subjektive", die "soziologische" und die "kulturelle", und anschließend, aufbauend auf der kulturellen Verwendung, eine Definition entwickelt. Sie bringt den Intellektuellen mit einem Rollenverhalten in Verbindung, das auf vier Merkmalen beruhe: angesehenen Leistungen in einem Betätigungsfeld, das als nichtinstrumentell gilt; dem Zugang zu Medien, die ein anderes Publikum erreichen als jenes, dem die Qualifikationsleistungen gegolten haben; der Äußerung von Ansichten, welche Probleme oder Interessen dieses Publikums erfolgreich artikulieren, und schließlich dem Aufbau eines Rufs, Erhellendes zu diesen Problemen zu sagen.
Collinis Definition ist faszinierend zweischneidig: Zum einen schafft sie mit ihrer Differenziertheit eine Grundlage, auf welcher der Intellektuellenbegriff als analytische Kategorie zur Anwendung kommen kann, zum andern läßt sie mit ihren qualitativen Kriterien zu, daß man ihn als Waffe gebraucht.
Mit seinem theoretischen Ansatz verfällt der Autor keineswegs dem zum Sonderwegsdenken konträren Kurzschluß, daß für Intellektuelle das Gras überall gleich grün sei. Er stellt Unterschiede zwischen den Nationen fest, gerade zwischen England und Frankreich, es sind jedoch feine Unterschiede, deren Komplexität jenseits aller plakativen Gegensätze liegt, aus denen die nationalen Selbstkonstrukte gezimmert sind. Das Erkenntnisinteresse Collinis liegt gleichwohl auf einer anderen Ebene. Hätte er die Zerrbilder des theoriefeindlichen britischen Pragmatikers und des hochphilosophischen französischen Idealisten einfach durch eine differenziertere Betrachtung ersetzt, wären seine britischen Leser am Ende der Lektüre um ein paar Illusionen ärmer, aber nicht um die Erkenntnis reicher, warum ihnen diese Illusionen so lieb waren. Diese Frage stellt Collini ins Zentrum. Er versteht den Topos von der Nichtexistenz britischer Intellektueller als Resultat einer systematischen Wahrnehmungsverzerrung, die den kollektiven Interessen ihrer Propagandisten förderlich gewesen sei, also eine ideologische Funktion erfüllt habe.
Die verschiedenen Aspekte dieser Funktion legt der Autor in einem historischen Aufriß dar, der von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis in die Gegenwart reicht. Dabei wird ersichtlich, daß Bestandteile des Abwesenheitstopos geläufig waren, bevor ihnen der Begriff des Intellektuellen ein terminologisches Dach gegeben hat. Der Autor verfolgt ihre Spur zurück bis zum selbstgefälligen Credo der Whigs an die Alleinseligkeit Englands, die der parlamentarischen "Gentlemanpolitik" und der Absenz oppositioneller Prinzipienreiter zu verdanken sei. Gleichzeitig deutet er an, daß man dieser Spur noch weiter, bis zu den Schriften Tocquevilles und Burkes, nachgehen könnte. Der inhaltliche Schwerpunkt von Collinis detaillierter Diachronie liegt jedoch im zwanzigsten Jahrhundert und da in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, wo er die Abgrenzung von einer angeblich französischen Norm für besonders heftig hält.
Am interessantesten für kontinentale Leser dürfte das schon angesprochene Kapitel über "komparative Perspektiven" sein. Hier inszeniert Collini ein veritables Verwirrspiel, das er erst zum Schluß, bei der Betrachtung Frankreichs, auflöst. Er zitiert Texte, die britisch klingen, aber nicht von Briten, sondern von Kontinentaleuropäern sind und in der Regel auf die Formel hinauslaufen: Lieber unsere Experten als französische Intellektuelle!
Fast überall auf dem Kontinent sieht Collini den Intellektuellenbegriff vorwiegend pejorativ konnotiert, wenn auch nicht so einseitig wie in den Vereinigten Staaten, wo er auch ein Synonym für "Eierkopf" sei. Die eigentliche Pointe setzt Collini mit dem Hinweis, daß in den Vereinigten Staaten neben Frankreich auch England als Paradies für Intellektuelle gelte, und zwar beim Heer der Europhoben und beim Fähnchen der Europhilen.
Mit seinen zahlreichen Belegen für eine Omnipräsenz des Abwesenheitstopos gelangt Collini zu einer partiellen Umkehr von französischer Norm und britischer Abweichung - partiell deshalb, weil auch die französische Geschichte starke antiintellektualistische Strömungen aufweise. Daß der Intellektuelle in Frankreich dennoch als heimisches Gewächs anerkannt werde, führt Collini unter anderem auf die reproduktive Funktion der Ecole Normale Supérieure zurück: Unter ihren Absolventen, zu denen auch Sartre und Aron gehörten, seien Kinder von Professoren und Gymnasiallehrern stark überproportional vertreten, was eine Gruppenidentität der Intellektuellen als machtfernes Gewissen der Republik befördert habe.
So solide und imposant Collinis Studie mit ihrer aufklärerischen Wucht, ihrer theoretischen Versiertheit und ihrer stilistischen Virtuosität wirkt, man entdeckt in ihr auch ein paar wacklige Elemente. Wenig stichhaltig ist seine mehrfache Widerlegung von Diagnosen zur Lage der Intellektuellen mit dem Argument, es handle sich um alte Gemeinplätze. Was unoriginell ist, ist nicht unbedingt falsch. Daß etwa die Spezialisierung des Wissens schon vor Jahrzehnten als Bedrohung für den Intellektuellen interpretiert worden ist, schließt nicht aus, daß diese Interpretation auch heute noch ihre Berechtigung hat.
Weiter läßt die kurze Rezeptionsgeschichte des Buches in England leise Zweifel aufkommen, ob Collini tatsächlich eine harte ideologische Kruste aufgebrochen hat. Die Besprechungen in englischen Zeitungen waren wohlwollend bis hymnisch, von tiefsitzendem Widerstand keine Spur. Sie wecken eher den Eindruck, der Autor habe einem verbreiteten Unbehagen an einer nationalen Borniertheit Ausdruck verliehen und nicht heißgeliebte Illusionen zerstört.
Das Buch dient letztlich auch einem ideologischen Bedürfnis, nämlich jenem des Autors, sich ein verstecktes Selbstporträt zu geben - in der Gestalt des idealen Intellektuellen. Insofern ist der Intellektuellenbegriff hier durchaus auch eine Waffe. Zugute zu halten ist dem Autor jedoch im Gegensatz zu bauchpinselnden Intellektuellen à la Dahrendorf, daß sein verstecktes Selbstporträt von höchster ästhetischer Qualität und geistiger Kraft ist.
CASPAR HIRSCHI
Stefan Collini: "Absent Minds". Intellectuals in Britain. Oxford University Press, Oxford 2006. 536 S., geb., 39,53 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wollten Sie nicht schon immer einmal fragen, worum es sich bei einem Intellektuellen handelt? In Stefan Collinis Studie steht alles drin, was Sie zum Thema wissen müssen
Was ist ein Intellektueller? Stefan Collini hat ein Punkte-Raster entwickelt, mit dem er diese Spezies auch in Großbritannien findet, hinter ihren vielen Zerrbildern, die von britischen theoriefeindlichen Pragmatiker in Umlauf gebracht worden sind.
Jede Nation pflegt ihre eigene Sonderwegsideologie, und in jeder Nation tritt sie sowohl in der Gestalt des Fluches wie des Segens auf. Ihre funktionale Stärke besteht darin, daß sie unterschiedlichen Bedürfnissen dient und noch da eine gemeinsame Sprache gewährleistet, wo keine gemeinsamen Werte mehr vorhanden sind: Geht es um die "singularité française", den "American exceptionalism", die "peculiarities of the English" oder den "deutschen Sonderweg", operieren Linke und Rechte mit der gleichen Rhetorik, allein die Vorzeichen sind umgekehrt.
Heikel wird es für die Wanderer auf nationalen Sonderwegen, wenn man ihnen mit einem internationalen Vergleich ihrer Diskurse begegnet. Meist ist es dann um ihre simple Konstruktion von fremder Norm und eigener Abweichung geschehen. So auch in der brillanten Studie von Stefan Collini über die Intellektuellen in Großbritannien.
Der Autor, Professor an der Universität Cambridge, läßt das Klischee der britischen Einzigartigkeit von der ersten Seite an gekonnt auflaufen. Ein Buch über Intellektuelle in Großbritannien, so beginnt er seine Ausführungen, könne der gängigen Auffassung nach nur eines sein: kurz und sinnlos wie eine Studie über Schlangen in Island. Um Intellektuelle zu finden, gäbe es für die meisten Briten nur eine Lösung: die Fähre nach Calais besteigen und von dort aus weiter nach Paris fahren, ins Reich der - je nach Optik - genialen Universalphilosophen und politischen Denker respektive der halbseidenen Theoretiker und Café-Cigarette-Barrikadenkämpfer.
Collini räumt mit diesem Gemeinplatz auf. Er weist nach, daß Großbritannien, nicht anders als die meisten westlichen Länder, eine alte und lebendige Intellektuellenkultur besitzt, die nicht einmal darin einzigartig ist, daß ihre Träger sie verleugnen. Für Collini gehört die "Paradoxie der Verneinung", der Zwang der Intellektuellen zur Verschleierung ihres Status und ihrer Rolle, zur Grunddisposition dieses schillernden Gelehrtentypus. Werde ihr exklusiver Rang sichtbar, dann leide ihr Ruf als aufklärerischer Anwalt der Allgemeinheit. Wo daher Intellektuelle über Intellektuelle debattierten, klinge das meist so, als sei von einer fremden Spezies die Rede.
Dieser kollektiven Vernebelungstaktik begegnet Collini mit einem Theoriekapitel, in dem er drei Verwendungsformen des Intellektuellenbegriffs unterscheidet, die "subjektive", die "soziologische" und die "kulturelle", und anschließend, aufbauend auf der kulturellen Verwendung, eine Definition entwickelt. Sie bringt den Intellektuellen mit einem Rollenverhalten in Verbindung, das auf vier Merkmalen beruhe: angesehenen Leistungen in einem Betätigungsfeld, das als nichtinstrumentell gilt; dem Zugang zu Medien, die ein anderes Publikum erreichen als jenes, dem die Qualifikationsleistungen gegolten haben; der Äußerung von Ansichten, welche Probleme oder Interessen dieses Publikums erfolgreich artikulieren, und schließlich dem Aufbau eines Rufs, Erhellendes zu diesen Problemen zu sagen.
Collinis Definition ist faszinierend zweischneidig: Zum einen schafft sie mit ihrer Differenziertheit eine Grundlage, auf welcher der Intellektuellenbegriff als analytische Kategorie zur Anwendung kommen kann, zum andern läßt sie mit ihren qualitativen Kriterien zu, daß man ihn als Waffe gebraucht.
Mit seinem theoretischen Ansatz verfällt der Autor keineswegs dem zum Sonderwegsdenken konträren Kurzschluß, daß für Intellektuelle das Gras überall gleich grün sei. Er stellt Unterschiede zwischen den Nationen fest, gerade zwischen England und Frankreich, es sind jedoch feine Unterschiede, deren Komplexität jenseits aller plakativen Gegensätze liegt, aus denen die nationalen Selbstkonstrukte gezimmert sind. Das Erkenntnisinteresse Collinis liegt gleichwohl auf einer anderen Ebene. Hätte er die Zerrbilder des theoriefeindlichen britischen Pragmatikers und des hochphilosophischen französischen Idealisten einfach durch eine differenziertere Betrachtung ersetzt, wären seine britischen Leser am Ende der Lektüre um ein paar Illusionen ärmer, aber nicht um die Erkenntnis reicher, warum ihnen diese Illusionen so lieb waren. Diese Frage stellt Collini ins Zentrum. Er versteht den Topos von der Nichtexistenz britischer Intellektueller als Resultat einer systematischen Wahrnehmungsverzerrung, die den kollektiven Interessen ihrer Propagandisten förderlich gewesen sei, also eine ideologische Funktion erfüllt habe.
Die verschiedenen Aspekte dieser Funktion legt der Autor in einem historischen Aufriß dar, der von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis in die Gegenwart reicht. Dabei wird ersichtlich, daß Bestandteile des Abwesenheitstopos geläufig waren, bevor ihnen der Begriff des Intellektuellen ein terminologisches Dach gegeben hat. Der Autor verfolgt ihre Spur zurück bis zum selbstgefälligen Credo der Whigs an die Alleinseligkeit Englands, die der parlamentarischen "Gentlemanpolitik" und der Absenz oppositioneller Prinzipienreiter zu verdanken sei. Gleichzeitig deutet er an, daß man dieser Spur noch weiter, bis zu den Schriften Tocquevilles und Burkes, nachgehen könnte. Der inhaltliche Schwerpunkt von Collinis detaillierter Diachronie liegt jedoch im zwanzigsten Jahrhundert und da in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, wo er die Abgrenzung von einer angeblich französischen Norm für besonders heftig hält.
Am interessantesten für kontinentale Leser dürfte das schon angesprochene Kapitel über "komparative Perspektiven" sein. Hier inszeniert Collini ein veritables Verwirrspiel, das er erst zum Schluß, bei der Betrachtung Frankreichs, auflöst. Er zitiert Texte, die britisch klingen, aber nicht von Briten, sondern von Kontinentaleuropäern sind und in der Regel auf die Formel hinauslaufen: Lieber unsere Experten als französische Intellektuelle!
Fast überall auf dem Kontinent sieht Collini den Intellektuellenbegriff vorwiegend pejorativ konnotiert, wenn auch nicht so einseitig wie in den Vereinigten Staaten, wo er auch ein Synonym für "Eierkopf" sei. Die eigentliche Pointe setzt Collini mit dem Hinweis, daß in den Vereinigten Staaten neben Frankreich auch England als Paradies für Intellektuelle gelte, und zwar beim Heer der Europhoben und beim Fähnchen der Europhilen.
Mit seinen zahlreichen Belegen für eine Omnipräsenz des Abwesenheitstopos gelangt Collini zu einer partiellen Umkehr von französischer Norm und britischer Abweichung - partiell deshalb, weil auch die französische Geschichte starke antiintellektualistische Strömungen aufweise. Daß der Intellektuelle in Frankreich dennoch als heimisches Gewächs anerkannt werde, führt Collini unter anderem auf die reproduktive Funktion der Ecole Normale Supérieure zurück: Unter ihren Absolventen, zu denen auch Sartre und Aron gehörten, seien Kinder von Professoren und Gymnasiallehrern stark überproportional vertreten, was eine Gruppenidentität der Intellektuellen als machtfernes Gewissen der Republik befördert habe.
So solide und imposant Collinis Studie mit ihrer aufklärerischen Wucht, ihrer theoretischen Versiertheit und ihrer stilistischen Virtuosität wirkt, man entdeckt in ihr auch ein paar wacklige Elemente. Wenig stichhaltig ist seine mehrfache Widerlegung von Diagnosen zur Lage der Intellektuellen mit dem Argument, es handle sich um alte Gemeinplätze. Was unoriginell ist, ist nicht unbedingt falsch. Daß etwa die Spezialisierung des Wissens schon vor Jahrzehnten als Bedrohung für den Intellektuellen interpretiert worden ist, schließt nicht aus, daß diese Interpretation auch heute noch ihre Berechtigung hat.
Weiter läßt die kurze Rezeptionsgeschichte des Buches in England leise Zweifel aufkommen, ob Collini tatsächlich eine harte ideologische Kruste aufgebrochen hat. Die Besprechungen in englischen Zeitungen waren wohlwollend bis hymnisch, von tiefsitzendem Widerstand keine Spur. Sie wecken eher den Eindruck, der Autor habe einem verbreiteten Unbehagen an einer nationalen Borniertheit Ausdruck verliehen und nicht heißgeliebte Illusionen zerstört.
Das Buch dient letztlich auch einem ideologischen Bedürfnis, nämlich jenem des Autors, sich ein verstecktes Selbstporträt zu geben - in der Gestalt des idealen Intellektuellen. Insofern ist der Intellektuellenbegriff hier durchaus auch eine Waffe. Zugute zu halten ist dem Autor jedoch im Gegensatz zu bauchpinselnden Intellektuellen à la Dahrendorf, daß sein verstecktes Selbstporträt von höchster ästhetischer Qualität und geistiger Kraft ist.
CASPAR HIRSCHI
Stefan Collini: "Absent Minds". Intellectuals in Britain. Oxford University Press, Oxford 2006. 536 S., geb., 39,53 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main