Iain Levison erzählt in dieser bitter-witzigen Gesellschaftssatire voll Galgenhumor von einer Odyssee durch über 40 verschiedene Jobs in 6 Staaten. Er beschreibt eine erbarmungslose neue Arbeitswelt, in der man sich nur mit zynischem Humor und listigen Überlebensstrategien durchzuschlagen vermag.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.09.2006Sisyphos als Fischer
Auf nach Alaska: Iain Levison steckt im Höllenkreis der Arbeitswelt
Es gibt offensichtlich kaum eine Drecksarbeit, die Iain Levison nicht schon probiert hätte - immer mit der gleichen durchschlagenden Erfolglosigkeit. Nachdem gar nichts funktionierte, hat er es schließlich mit der Schriftstellerei probiert und über seine Jobsuche das Buch "Abserviert. Mein Leben als Humankapital" geschrieben. Die Verlockung ist groß, auch diesem letzten Versuch einen ähnlichen Mißerfolg auszustellen wie denen als Möbelpacker, Aushilfskellner oder Fischfiletierer. Anders als erwartet, sind Lektoren bei der Qualifikation ihrer Mitarbeiter offensichtlich noch nachsichtiger als ein Vorarbeiter im Supermarkt - oder, bedenkt man das stellenweise noch im Rohzustand befindliche Manuskript, sie fehlen einfach noch öfter unentschuldigt am Arbeitsplatz.
Doch ganz so einfach sollte man es sich nicht machen. Zum einen hat Levison im vergangenen Jahr mit "Betriebsbedingt gekündigt" einen interessanten Roman vorgelegt, der zwar strukturelle Schwächen aufweist, aber aufgrund seiner gutgelaunten Gemeinheit äußerst unterhaltsam und lesbar ist. Zum anderen hat auch "Abserviert" bei allen Ärgernissen noch mehr Originelles zu bieten als den Untertitel.
"Abserviert" ist ein autobiographischer Erlebnisbericht aus der Hamsterradwelt des amerikanischen Hire-and-fire-Systems, bei dem der Autor mit dem Erzähler zur selbsternannten Leidensfigur des Raubtierkapitalismus verschmilzt. Es wäre noch entschieden zu hoch gegriffen, wenn man von Levison als Teil des zur Zeit so gern diskutierten Prekariats sprechen wollte. Trotz, oder, in der Argumentation des Buches eher: wegen Collegeabschlusses in Englisch lebt er von der Hand in den Mund, hangelt er sich von einem Mac-Job zum nächsten, oft tageweise, ständig von der Pleite bedroht. "In den letzten zehn Jahren hatte ich zweiundvierzig Jobs in sechs Bundesstaaten. Dreißig davon kündigte ich, bei neunen wurde ich gefeuert, und bei den anderen drei war nicht ganz klar, woran es lag." Bis zum Ende werden es noch eine ganze Reihe mehr geworden sein, doch trotz aller Erklärungslust des Erzählers ist es dann der Leser, der nicht mehr so genau weiß, woran es lag. Dabei spart Levison nicht mit Erklärungen, für ihn ist die Welt längst in eindeutige Schemata aufgeteilt. Es gibt die ehrlichen Arbeiter - wobei "ehrlich" kleine Betrügereien nicht ausschließt -, und es gibt die anderen, die ihnen auf den Kopf spucken. Rücksichtslose Ausbeutung ist das Prinzip, der Mensch wird nur noch als Humankapital wahrgenommen, als beliebig ersetzbar. So weit, so plakativ. Levison weiß zwar, wovon er erzählt, wenn es um das frustrierende Durchsuchen der Stellenanzeigen geht ("Es gibt zwei Sorten von Jobs - Jobs, für die ich ungeeignet bin, und Jobs, die ich nicht haben will. Ich ziehe beide in Erwägung."), um absurde Vorstellungsgespräche und das Gefühl der Ermüdung nach der zweiten Doppelschicht, aber die Originalität seiner Gesellschaftskritik reicht oft nicht über Erkenntnisse wie diese hinaus: "Es ist außerdem eine unumstößliche Tatsache, daß die Kinder reicher Leute immer einen Sprung in der Schüssel haben."
Man wird nicht wirklich schlau aus dem Erzähler und seiner Einstellung zum Arbeiten, zu Erfolg, Beschränkung und Freiheit. Geht man davon aus, daß Levison tatsächlich gerne einmal einen festen Job haben möchte, wo er ordentliches Geld verdient und halbwegs respektiert wird, dann setzt angesichts seiner Verweigerungshaltung und seiner Neigung zu extrem bescheuerten Entscheidungen sehr schnell der Tritt-in-den-Hintern-Reflex ein. Glaubt man aber, daß Levison sich der Tretmühle absichtlich verweigert, daß er seine Freiheit genießt, zu kommen und zu gehen und jeden Job an den Nagel zu hängen, wann er will, und daß er herabsieht auf alle, die noch an die eigene Wichtigkeit glauben, dann fragt man sich, warum er uns die Ohren volljammern muß. Wenn man dann kurz davor ist, Levison auch in seiner Eigenschaft als Schriftsteller das fristlose Kündigungsschreiben zu überreichen, passiert doch noch etwas. Er geht nach Alaska zum Fischfang und gerät von einem Höllenkreis der Arbeitswelt in den nächsten, stets tiefer gelegenen. Die Bedingungen auf den Schiffen sind aberwitzig, werden aber ruhig und unlarmoyant beschrieben. Das macht diese Passagen so überzeugend und hebt sie sehr positiv vom Rest ab. Am surreal wirkenden, aber vermutlich authentischen Höhe- oder besser Tiefpunkt dieser Entwicklung steht Levison in einem stählernen Raum, aus dem ein Fließband herausführt, von oben ergießen sich Tonnen von Fisch über ihn, bis er bis zum Hals darin feststeckt. Irgendwie befreit er sich und kämpft sich nach oben und schaufelt die Fische nach draußen, zuerst mit Händen und Füßen, dann mit der Schaufel. Als der Raum leer ist, erscheint über ihm das nächste prall gefüllte Fangnetz. Wir müssen uns Sisyphos als einen Fischarbeiter vorstellen.
Hätte sich Levison auf Alaska beschränkt, ihm wäre eine großartige Parabel darüber gelungen, was Arbeit sein kann, ein literarisches Pendant zu den Dokumentarfilmen von Michael Glawogger und Nikolaus Geyrhalter. So ist es nur ein Job von vielen, kurz glaubt man, es gehe aufwärts, ansonsten tut man sich selbst leid, und irgendwann wird es wieder Zeit zu gehen.
SEBASTIAN DOMSCH
Iain Levison: "Abserviert. Mein Leben als Humankapital". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans Therre. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2006. 219 S., geb., 19,80 .
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf nach Alaska: Iain Levison steckt im Höllenkreis der Arbeitswelt
Es gibt offensichtlich kaum eine Drecksarbeit, die Iain Levison nicht schon probiert hätte - immer mit der gleichen durchschlagenden Erfolglosigkeit. Nachdem gar nichts funktionierte, hat er es schließlich mit der Schriftstellerei probiert und über seine Jobsuche das Buch "Abserviert. Mein Leben als Humankapital" geschrieben. Die Verlockung ist groß, auch diesem letzten Versuch einen ähnlichen Mißerfolg auszustellen wie denen als Möbelpacker, Aushilfskellner oder Fischfiletierer. Anders als erwartet, sind Lektoren bei der Qualifikation ihrer Mitarbeiter offensichtlich noch nachsichtiger als ein Vorarbeiter im Supermarkt - oder, bedenkt man das stellenweise noch im Rohzustand befindliche Manuskript, sie fehlen einfach noch öfter unentschuldigt am Arbeitsplatz.
Doch ganz so einfach sollte man es sich nicht machen. Zum einen hat Levison im vergangenen Jahr mit "Betriebsbedingt gekündigt" einen interessanten Roman vorgelegt, der zwar strukturelle Schwächen aufweist, aber aufgrund seiner gutgelaunten Gemeinheit äußerst unterhaltsam und lesbar ist. Zum anderen hat auch "Abserviert" bei allen Ärgernissen noch mehr Originelles zu bieten als den Untertitel.
"Abserviert" ist ein autobiographischer Erlebnisbericht aus der Hamsterradwelt des amerikanischen Hire-and-fire-Systems, bei dem der Autor mit dem Erzähler zur selbsternannten Leidensfigur des Raubtierkapitalismus verschmilzt. Es wäre noch entschieden zu hoch gegriffen, wenn man von Levison als Teil des zur Zeit so gern diskutierten Prekariats sprechen wollte. Trotz, oder, in der Argumentation des Buches eher: wegen Collegeabschlusses in Englisch lebt er von der Hand in den Mund, hangelt er sich von einem Mac-Job zum nächsten, oft tageweise, ständig von der Pleite bedroht. "In den letzten zehn Jahren hatte ich zweiundvierzig Jobs in sechs Bundesstaaten. Dreißig davon kündigte ich, bei neunen wurde ich gefeuert, und bei den anderen drei war nicht ganz klar, woran es lag." Bis zum Ende werden es noch eine ganze Reihe mehr geworden sein, doch trotz aller Erklärungslust des Erzählers ist es dann der Leser, der nicht mehr so genau weiß, woran es lag. Dabei spart Levison nicht mit Erklärungen, für ihn ist die Welt längst in eindeutige Schemata aufgeteilt. Es gibt die ehrlichen Arbeiter - wobei "ehrlich" kleine Betrügereien nicht ausschließt -, und es gibt die anderen, die ihnen auf den Kopf spucken. Rücksichtslose Ausbeutung ist das Prinzip, der Mensch wird nur noch als Humankapital wahrgenommen, als beliebig ersetzbar. So weit, so plakativ. Levison weiß zwar, wovon er erzählt, wenn es um das frustrierende Durchsuchen der Stellenanzeigen geht ("Es gibt zwei Sorten von Jobs - Jobs, für die ich ungeeignet bin, und Jobs, die ich nicht haben will. Ich ziehe beide in Erwägung."), um absurde Vorstellungsgespräche und das Gefühl der Ermüdung nach der zweiten Doppelschicht, aber die Originalität seiner Gesellschaftskritik reicht oft nicht über Erkenntnisse wie diese hinaus: "Es ist außerdem eine unumstößliche Tatsache, daß die Kinder reicher Leute immer einen Sprung in der Schüssel haben."
Man wird nicht wirklich schlau aus dem Erzähler und seiner Einstellung zum Arbeiten, zu Erfolg, Beschränkung und Freiheit. Geht man davon aus, daß Levison tatsächlich gerne einmal einen festen Job haben möchte, wo er ordentliches Geld verdient und halbwegs respektiert wird, dann setzt angesichts seiner Verweigerungshaltung und seiner Neigung zu extrem bescheuerten Entscheidungen sehr schnell der Tritt-in-den-Hintern-Reflex ein. Glaubt man aber, daß Levison sich der Tretmühle absichtlich verweigert, daß er seine Freiheit genießt, zu kommen und zu gehen und jeden Job an den Nagel zu hängen, wann er will, und daß er herabsieht auf alle, die noch an die eigene Wichtigkeit glauben, dann fragt man sich, warum er uns die Ohren volljammern muß. Wenn man dann kurz davor ist, Levison auch in seiner Eigenschaft als Schriftsteller das fristlose Kündigungsschreiben zu überreichen, passiert doch noch etwas. Er geht nach Alaska zum Fischfang und gerät von einem Höllenkreis der Arbeitswelt in den nächsten, stets tiefer gelegenen. Die Bedingungen auf den Schiffen sind aberwitzig, werden aber ruhig und unlarmoyant beschrieben. Das macht diese Passagen so überzeugend und hebt sie sehr positiv vom Rest ab. Am surreal wirkenden, aber vermutlich authentischen Höhe- oder besser Tiefpunkt dieser Entwicklung steht Levison in einem stählernen Raum, aus dem ein Fließband herausführt, von oben ergießen sich Tonnen von Fisch über ihn, bis er bis zum Hals darin feststeckt. Irgendwie befreit er sich und kämpft sich nach oben und schaufelt die Fische nach draußen, zuerst mit Händen und Füßen, dann mit der Schaufel. Als der Raum leer ist, erscheint über ihm das nächste prall gefüllte Fangnetz. Wir müssen uns Sisyphos als einen Fischarbeiter vorstellen.
Hätte sich Levison auf Alaska beschränkt, ihm wäre eine großartige Parabel darüber gelungen, was Arbeit sein kann, ein literarisches Pendant zu den Dokumentarfilmen von Michael Glawogger und Nikolaus Geyrhalter. So ist es nur ein Job von vielen, kurz glaubt man, es gehe aufwärts, ansonsten tut man sich selbst leid, und irgendwann wird es wieder Zeit zu gehen.
SEBASTIAN DOMSCH
Iain Levison: "Abserviert. Mein Leben als Humankapital". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans Therre. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2006. 219 S., geb., 19,80 .
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Einen schalen Beigeschmack hat dieser Roman bei Ulrike Meitzner hinterlassen, in dem Iain Levinson ein Leben in der harten amerikanischen Arbeitswelt schildert. Als Fischfiletierer, Kellner, Möbelpacker und Heizölfahrer verdingt er sich, muss sich von Videos überwachen, von seinen Kollegen kontrollieren und von seinen Vorarbeitern schikanieren lassen, bis er gefeuert wird, weil jemand anderes seinen Job für weniger Geld macht. Jede Menge miese Erfahrungen hat Levison gemacht und reiht sie in "Abserviert" alle aneinander. Was er damit bezwecken will, ist Meitzner allerdings nicht klar geworden. Eine Entwicklung des Protagonisten ist für sie nicht auszumachen, in "nüchtern-schnodderigem Ton" hake Levison seine Erlebnisse von ganz unten ab. Ganz schlimm findet sie die "pseudoabgebrühten Sprüche", die "Harte-Jungs-Rhetorik" überschreitet für ihren Geschmack deutlich zu oft die Grenzen der Peinlichkeit. Im Grunde, so ihr Fazit, ist dieses Buch reaktionär, und Levison alles andere als ein Günter Wallraff: Nie begehrt hier einer auf, ärgert Meitzner sich, immer behält Levison die Pose des unbeteiligten Beobachters bei, der nur anständig seinen Job machen will.
© Perlentaucher Medien GmbH
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