Vor den Türen der Briten
Von London bis Newcastle, ohne einen Innenraum oder ein geschlossenes Fahrzeug zu betreten - so trotzt Bestsellerautor Stephan Orth in England der Pandemie.
Er wandert, radelt und paddelt, zeltet in Vorgärten, Wäldern und Stadtparks. In Manchester jubelt er bei einem Fußballmatch, in Oxford erlebt er die Eigenarten britischer Trinkkultur, am Rochdale-Kanal entdeckt er das schönste Klo der Welt. Er schildert, wie er sich mit Brexit-Fans und streitlustigen Katzen auseinandersetzt, mit Obdachlosen, Lebenskünstlern und Umwelt-Aktivisten ins Gespräch kommt.
Dabei greift sein mitreißender Bericht hochaktuelle Themen auf, zeigt, wie Spaß trotz Verzicht möglich ist - und wird zum Plädoyer für eine neue Art des Reisens.
»Stephan Orth versteht es hervorragend, Land und Leute für den Leser lebendig werden zu lassen.« WAZ
Von London bis Newcastle, ohne einen Innenraum oder ein geschlossenes Fahrzeug zu betreten - so trotzt Bestsellerautor Stephan Orth in England der Pandemie.
Er wandert, radelt und paddelt, zeltet in Vorgärten, Wäldern und Stadtparks. In Manchester jubelt er bei einem Fußballmatch, in Oxford erlebt er die Eigenarten britischer Trinkkultur, am Rochdale-Kanal entdeckt er das schönste Klo der Welt. Er schildert, wie er sich mit Brexit-Fans und streitlustigen Katzen auseinandersetzt, mit Obdachlosen, Lebenskünstlern und Umwelt-Aktivisten ins Gespräch kommt.
Dabei greift sein mitreißender Bericht hochaktuelle Themen auf, zeigt, wie Spaß trotz Verzicht möglich ist - und wird zum Plädoyer für eine neue Art des Reisens.
»Stephan Orth versteht es hervorragend, Land und Leute für den Leser lebendig werden zu lassen.« WAZ
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2022Draußen bleiben
Stephan Orth reist mit Zelt quer durch England
Draußen bleiben, fünf Wochen lang keine Gebäude betreten, nicht mal in einen Bus oder Zug steigen. Diese Regeln setzt sich Stephan Orth für seine Tour durch England. Innenräume sind verboten, mit einer Ausnahme: Toiletten, die einen direkten Zugang von außen haben. Sonst könnte er zumindest in den Städten in unangenehme Situationen geraten. Die Reise führt ihn von London nach Newcastle; 700 Kilometer über Felder und Wiesen, aber auch quer durch den urbanen Raum.
Normalerweise reist Stephan Orth für seine Reisebücher als Couchsurfer durch Länder wie Saudi-Arabien, Iran oder China und übernachtet dort in Wohnungen gastfreundlicher Einheimischer. Das Ziel England klingt dagegen gewöhnlich. Es ist, im Sommer 2021, Corona geschuldet. Orth leidet wie viele andere unter Pandemiemüdigkeit, Bildschirmerschöpfung und Frust über verlorene Lebenszeit.
Nach einer Überdosis Zuhause verordnet er sich eine Überdosis Draußen. Seine Überlegung: Wie wäre es mit einer Reise, deren Covid-Risiko nahezu null beträgt? In einem Land mit hohen Inzidenzen? Die also selbst während der schlimmsten Pandemie noch möglich ist? Mit der Draußenbleiben-Regel würde er genug Stoff für ein neues Buch sammeln, das nun den Titel „Absolutely ausgesperrt“ trägt.
Sein Abenteuer beginnt in London-Heathrow – und scheitert nach 25 Minuten vor einem Tunnel mit dem Warnschild „No Pedestrians“. Die Flughafen-Draußenwelt aus Beton, Metallzäunen und Straßen ohne Bürgersteig, die zu Schlagbäumen führen, ist nicht auf einen Spaziergänger vorbereitet. Orth wird absolutely ausgebremst. Zu Fuß vom größten Flughafen Europas in die Stadt zu spazieren, sei nicht möglich, erklärt ihm ein Terminalangestellter langsam und deutlich, als ob er an der Zurechnungsfähigkeit des Backpackers zweifele. Er droht mit Festnahme und zeigt Orth den Weg zur Bushaltestelle. Der muss in einen Doppeldecker steigen und sein Experiment um ein paar Meter verschieben. Am Kreisverkehr hinter dem Tunnel spaziert er los. Im Regen.
Als er nach der ersten Tagesetappe seinen Gastgeber Yong in Camden erreicht, muss er sich rechtfertigen. „Willst du wirklich bei dem Wetter draußen bleiben? Komm doch rein, ich habe eine gemütliche Schlafcouch“, heißt ihn Yong im Garten willkommen. Während Orth zwischen Holzschaukel und Hortensie sein Mini-Zelt aufbaut, verteidigt er sein Experiment: eine covid-sichere Reise, keine Busse, Bahnen, Hotels, Häuser. Ungewöhnliche Zeiten. Auch die Nachbarn sind überrascht und warnen Yong per Textnachricht, dass sich im Garten womöglich ein Obdachloser niedergelassen habe.
Die Reiseidee irritiert, doch sind die Menschen, die Orth zuvor auf „Warmshowers“ und „Couchsurfing“ kontaktierte, neugierig und lassen ihn auf ihren Grünflächen zelten. Und sei es mit dem Hinweis: „Komm bloß nicht auf die Idee, in mein Blumenbeet zu kacken.“
Orth schläft in Gärten, illegal in Parks, legal auf Campingplätzen. Er badet im Hyde Park, sucht mit der Webseite Loocations.com nach öffentlichen Toiletten, lernt, dass Briten mehr als 20 Begriffe für Regen haben. Seine Wahrnehmung verändert sich. Was brauchbar ist und was nicht, sortiert sich neu. U-Bahn-Stationen und Supermärkte sind für ihn nutzlos. Interessant dagegen Sitzbänke, Leihfahrräder, Foodtrucks. Bacon Roll mit Ketchup schmeckt ihm nach langen Märschen wie eine Delikatesse. Immer wieder ermahnt er sich, nach Fish und Chips mit reichlich Remoulade auf seine Ernährung zu achten. „Die Zahl der Kardiologen, die Patienten auf offener Straße behandeln, ist vermutlich begrenzt.“ Kaffee wird wichtiger als eine Dusche. Das Leben konzentriert sich auf die Suche nach einem Schlafplatz und einem Pub mit Außengastronomie.
Orth leiht sich E-Roller, paddelt im Kajak auf der Themse – und entdeckt Kampfgeist. 20 Kilometer flussaufwärts bei Gegenwind und Nieselregen? „That’s fucking mental“, zollt ihm ein entgegenkommender Kajakfahrer Anerkennung. Er nächtigt bei Brexit-Befürwortern, diskutiert über leere Supermarktregale und hilft beim Unkrautjäten.
Es sind die Begegnungen mit Menschen, die den Backpacker auf seiner Reise beeindrucken. Die Draußenwelt ist längst zu seiner Komfortzone geworden, als er in Hexham auf Alan trifft. Dieser lebt in einem Zelt und sagt: „Ich besitze keinen Quadratmeter, und gleichzeitig besitze ich die ganze Welt.“ Es ist der Minimalismus, der Stephan Orth begeistert. Auf seiner Reise lernt er, auf Dinge zu verzichten und dies nicht als großen Verlust zu empfinden. Ein Thema für die nächsten Jahrzehnte.
DANIELA GORGS
Der Flughafenangestellte
hält den Autor offensichtlich
nicht für zurechnungsfähig
Stephan Orth:
Absolutely ausgesperrt. Wie ich 700 Kilometer durch England reiste und immer draußen blieb. Malik Verlag,
München 2022.
224 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Stephan Orth reist mit Zelt quer durch England
Draußen bleiben, fünf Wochen lang keine Gebäude betreten, nicht mal in einen Bus oder Zug steigen. Diese Regeln setzt sich Stephan Orth für seine Tour durch England. Innenräume sind verboten, mit einer Ausnahme: Toiletten, die einen direkten Zugang von außen haben. Sonst könnte er zumindest in den Städten in unangenehme Situationen geraten. Die Reise führt ihn von London nach Newcastle; 700 Kilometer über Felder und Wiesen, aber auch quer durch den urbanen Raum.
Normalerweise reist Stephan Orth für seine Reisebücher als Couchsurfer durch Länder wie Saudi-Arabien, Iran oder China und übernachtet dort in Wohnungen gastfreundlicher Einheimischer. Das Ziel England klingt dagegen gewöhnlich. Es ist, im Sommer 2021, Corona geschuldet. Orth leidet wie viele andere unter Pandemiemüdigkeit, Bildschirmerschöpfung und Frust über verlorene Lebenszeit.
Nach einer Überdosis Zuhause verordnet er sich eine Überdosis Draußen. Seine Überlegung: Wie wäre es mit einer Reise, deren Covid-Risiko nahezu null beträgt? In einem Land mit hohen Inzidenzen? Die also selbst während der schlimmsten Pandemie noch möglich ist? Mit der Draußenbleiben-Regel würde er genug Stoff für ein neues Buch sammeln, das nun den Titel „Absolutely ausgesperrt“ trägt.
Sein Abenteuer beginnt in London-Heathrow – und scheitert nach 25 Minuten vor einem Tunnel mit dem Warnschild „No Pedestrians“. Die Flughafen-Draußenwelt aus Beton, Metallzäunen und Straßen ohne Bürgersteig, die zu Schlagbäumen führen, ist nicht auf einen Spaziergänger vorbereitet. Orth wird absolutely ausgebremst. Zu Fuß vom größten Flughafen Europas in die Stadt zu spazieren, sei nicht möglich, erklärt ihm ein Terminalangestellter langsam und deutlich, als ob er an der Zurechnungsfähigkeit des Backpackers zweifele. Er droht mit Festnahme und zeigt Orth den Weg zur Bushaltestelle. Der muss in einen Doppeldecker steigen und sein Experiment um ein paar Meter verschieben. Am Kreisverkehr hinter dem Tunnel spaziert er los. Im Regen.
Als er nach der ersten Tagesetappe seinen Gastgeber Yong in Camden erreicht, muss er sich rechtfertigen. „Willst du wirklich bei dem Wetter draußen bleiben? Komm doch rein, ich habe eine gemütliche Schlafcouch“, heißt ihn Yong im Garten willkommen. Während Orth zwischen Holzschaukel und Hortensie sein Mini-Zelt aufbaut, verteidigt er sein Experiment: eine covid-sichere Reise, keine Busse, Bahnen, Hotels, Häuser. Ungewöhnliche Zeiten. Auch die Nachbarn sind überrascht und warnen Yong per Textnachricht, dass sich im Garten womöglich ein Obdachloser niedergelassen habe.
Die Reiseidee irritiert, doch sind die Menschen, die Orth zuvor auf „Warmshowers“ und „Couchsurfing“ kontaktierte, neugierig und lassen ihn auf ihren Grünflächen zelten. Und sei es mit dem Hinweis: „Komm bloß nicht auf die Idee, in mein Blumenbeet zu kacken.“
Orth schläft in Gärten, illegal in Parks, legal auf Campingplätzen. Er badet im Hyde Park, sucht mit der Webseite Loocations.com nach öffentlichen Toiletten, lernt, dass Briten mehr als 20 Begriffe für Regen haben. Seine Wahrnehmung verändert sich. Was brauchbar ist und was nicht, sortiert sich neu. U-Bahn-Stationen und Supermärkte sind für ihn nutzlos. Interessant dagegen Sitzbänke, Leihfahrräder, Foodtrucks. Bacon Roll mit Ketchup schmeckt ihm nach langen Märschen wie eine Delikatesse. Immer wieder ermahnt er sich, nach Fish und Chips mit reichlich Remoulade auf seine Ernährung zu achten. „Die Zahl der Kardiologen, die Patienten auf offener Straße behandeln, ist vermutlich begrenzt.“ Kaffee wird wichtiger als eine Dusche. Das Leben konzentriert sich auf die Suche nach einem Schlafplatz und einem Pub mit Außengastronomie.
Orth leiht sich E-Roller, paddelt im Kajak auf der Themse – und entdeckt Kampfgeist. 20 Kilometer flussaufwärts bei Gegenwind und Nieselregen? „That’s fucking mental“, zollt ihm ein entgegenkommender Kajakfahrer Anerkennung. Er nächtigt bei Brexit-Befürwortern, diskutiert über leere Supermarktregale und hilft beim Unkrautjäten.
Es sind die Begegnungen mit Menschen, die den Backpacker auf seiner Reise beeindrucken. Die Draußenwelt ist längst zu seiner Komfortzone geworden, als er in Hexham auf Alan trifft. Dieser lebt in einem Zelt und sagt: „Ich besitze keinen Quadratmeter, und gleichzeitig besitze ich die ganze Welt.“ Es ist der Minimalismus, der Stephan Orth begeistert. Auf seiner Reise lernt er, auf Dinge zu verzichten und dies nicht als großen Verlust zu empfinden. Ein Thema für die nächsten Jahrzehnte.
DANIELA GORGS
Der Flughafenangestellte
hält den Autor offensichtlich
nicht für zurechnungsfähig
Stephan Orth:
Absolutely ausgesperrt. Wie ich 700 Kilometer durch England reiste und immer draußen blieb. Malik Verlag,
München 2022.
224 Seiten, 18 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Daniela Gorgs holt sich von Stephan Orth Tipps für die mageren Zeiten. Orth ist während der Hochphase der Pandemie durch England gereist, und um dies möglichst sicher zu tun, lautete seine selbst auferlegte Regel: Draußen bleiben. Er schläft also in Gärten, badet im Hydepark und paddelt auf der Themse. Öffentliche Toilette werden wichtig, U-Bahnen und Supermärkte unwichtig. Ein Lektion in Minimalismus, meint Gorgs.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2022Bloß kein Dach über dem Kopf
Ein Briten-Klischee lautet: spleenig. Doch Deutsche, die durch England reisen, können ebenfalls einen Mordssparren tragen. Stephan Orth hat sich pandemiebedingt selbst verpflichtet, über siebenhundert Kilometer von London nach Newcastle zurückzulegen, ohne einen Innenraum zu betreten; auch kein Auto und keinen Zug zu benutzen; nur die Füße oder ein Fahrrad (ohne Gangschaltung). Der Widerstand des Autors gegen den touristischen "Konformismus" beginnt am Flughafen Heathrow, von wo er die Innenstadt erlaufen will: sechs Stunden. Seine Treffen mit zuvorkommenden oder trübseligen Menschen lesen sich zunächst überraschend, amüsant und flockig. Fortschreitend wächst sich das konsequente Unbehaustsein jedoch zu sinnentbehrlicher Strenge aus. Wild zelten: gilt. Bei Gastgebern in der Tür sitzen: gilt auch. Zur Toilette gehen: gilt nicht, denn sie befindet sich im Haus. Bier an der Bar ordern: gilt auch nicht. Ins Theater: nur Open Air. Eine Kirche besichtigen? Es gibt ja Instagram. Gut gelaunt und tapfer beschreibt Orth, wie und wo er schläft, was ihn an England interessiert (Musik und Fußball), gibt Tipps fürs Rucksackpacken ("gestopft, nicht gerollt"). In Erinnerung bleibt das Fazit, das er aus dieser Art des Reisens zieht: der Gewinn an Autonomie und das Gefühl, ein fröhlicher Landstreicher zu sein, der sich von "Trägheit, Häuslichkeit und Misanthropie" befreit hat. letz
"Absolutely ausgesperrt" von Stephan Orth, Piper Verlag, München 2022. 224 Seiten. Broschiert, 18 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Briten-Klischee lautet: spleenig. Doch Deutsche, die durch England reisen, können ebenfalls einen Mordssparren tragen. Stephan Orth hat sich pandemiebedingt selbst verpflichtet, über siebenhundert Kilometer von London nach Newcastle zurückzulegen, ohne einen Innenraum zu betreten; auch kein Auto und keinen Zug zu benutzen; nur die Füße oder ein Fahrrad (ohne Gangschaltung). Der Widerstand des Autors gegen den touristischen "Konformismus" beginnt am Flughafen Heathrow, von wo er die Innenstadt erlaufen will: sechs Stunden. Seine Treffen mit zuvorkommenden oder trübseligen Menschen lesen sich zunächst überraschend, amüsant und flockig. Fortschreitend wächst sich das konsequente Unbehaustsein jedoch zu sinnentbehrlicher Strenge aus. Wild zelten: gilt. Bei Gastgebern in der Tür sitzen: gilt auch. Zur Toilette gehen: gilt nicht, denn sie befindet sich im Haus. Bier an der Bar ordern: gilt auch nicht. Ins Theater: nur Open Air. Eine Kirche besichtigen? Es gibt ja Instagram. Gut gelaunt und tapfer beschreibt Orth, wie und wo er schläft, was ihn an England interessiert (Musik und Fußball), gibt Tipps fürs Rucksackpacken ("gestopft, nicht gerollt"). In Erinnerung bleibt das Fazit, das er aus dieser Art des Reisens zieht: der Gewinn an Autonomie und das Gefühl, ein fröhlicher Landstreicher zu sein, der sich von "Trägheit, Häuslichkeit und Misanthropie" befreit hat. letz
"Absolutely ausgesperrt" von Stephan Orth, Piper Verlag, München 2022. 224 Seiten. Broschiert, 18 Euro.
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»Herrlich amüsant und nicht nur für alle Weltenbummler zu empfehlen.« Passauer Neue Presse 20221230