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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2007

Ein Amerikaner, gefangen im Körper eines Russen
Hier ist der Satz die Fresseinheit: Gary Shteyngarts Grenzüberschreitungsroman „Snack Daddys abenteuerliche Reise”
Aus Russland kommen, in den Westen auswandern und sich danach über das Mütterchen lustig machen – Gary Shteyngart ist ein Nestbeschmutzer, und wenn er gemeinhin nicht so genannt wird, dann nicht, weil der Begriff nicht zutrifft, sondern weil er zu genau ist. Shteyngart beschmutzt alles und jeden, Europäer, Russen und die Bewohner Absurdistans, „die Kretins des Kaukasus”. Was er nicht beschmutzt, sind die USA. Der Roman „Snack Daddys abenteuerliche Reise” ist ein ungerechtes Buch. Stellt man sich die Szene vor, wie der Autor mit diesem Vorwurf konfrontiert wird, denkt man unweigerlich an einen Mann, der von einem Bein aufs andere hüpft und „Genau! Genau!” ruft.
Wie bei anderen satirischen Schriftstellern spürt man auf jeder Seite, dass Shteyngart, 1972 in St. Petersburg geboren und im Alter von sieben Jahren in die USA ausgewandert, sich recht schlau vorkommt. Er ist offenbar auch ziemlich schlau, und er investiert dieses Vermögen in Zoten und Witze. Das Buch ist vollgestopft mit ihnen wie der Bauch eines Fresskünstlers. Dreht man es um, ächzt der Einband unter der Last. Gargantua, Oblomow, der Idiot, sogar der dicke Hamlet haben bei der Zeugung Mischa „Snack Daddy” Vainbergs ihren Senf dazugegeben. Der Held bringt hundertsiebenundvierzig Kilogramm auf die Waage und ist im Besitz nummerierter Kinne. Der dreißigjährige Melancholiker und Snob hat in Amerika „Multikulti studiert” und ist nach eigener Aussage ein Amerikaner, eingesperrt im Körper eines Russen. Sein „jüdischer Zinken” erinnert an die edelsten Papageienarten, doch mit dem Glauben seiner Väter wird er nicht mehr warm, seit die Beschneidung im hohen Alter von achtzehn Jahren zur Verstümmelung seines chuj geführt hat. Dessen Unterseite bietet seitdem ein wahrheitsgetreues Abbild der Bombennacht von Dresden.
Beschnitten wurde Mischa Vainberg in New York. Dorthin hat ihn sein Vater geschickt, ein St. Petersburger Oligarch, der nach Mischas Ausreise einen Geschäftsmann aus Oklahoma ermordet hat, weshalb Vainberg nach einem Besuch in der Heimat die Einreise in die USA verweigert wird. Dies ist das Drama Vainbergs, er will zurück nach New York, wo er vor einiger Zeit die aufgeschwemmte schwarze Rouenna in einer Tittenbar kennen gelernt hat. Obwohl seinem Vater inzwischen von der Konkurrenz der Kopf mit einer Mine weggesprengt worden ist, und Vainberg als Erbe millionenschwer ist, lässt ihn die US-Einwanderungsbehörde nicht herein. Ihr ist das Buch gewidmet.
Ob die Behörde gerne lesen wird, dass Vainberg nach Absurdistan am kaspischen Meer gereist ist, um von einem korrupten Botschafter einen belgischen Pass zu kaufen? Vielleicht kann Vainberg, der wie ein Dostojewskischer Held Mitleid für alle aufbringt, selber mit Mitleid rechnen, denn die Aktion in dem von Dick Cheneys Ölfirma Halliburton gekauften Absurdistan geht reichlich schief. Vainberg gerät in einen Bürgerkrieg zwischen den verfeindeten Volksgruppen der Svani und Sevo, der von den absurdischen Machthabern angezettelt wurde, um als Krisenregion eingestuft und in ein amerikanisches Förderprogramm aufgenommen zu werden. Das Hyatt könnte die Bombennächte erträglich machen, doch Vainberg leidet.
Er saugt das Leid der Welt wie ein Schwamm auf und bekommt obendrein persönliche Probleme. Während er in Absurdistan festsitzt, studiert er am New Yorker Hunter College Rouenna bei Professor Jerry Shteynfarb, der zusammen mit Vainberg am Zufallscollege studiert hat und Autor des erfolgreichen Romans „Der russische Debütant wirft das Handtuch” ist. Gary Shteyngarts erstes Buch hieß „Handbuch für russische Debütanten”. Von den Fisimatenten des Autors lässt sich Vainberg aber nicht den Spaß verderben. Mischa Vainberg hat eine kindliche Freude an pelzigen Achselhöhlen und der nach Spargel riechenden Flüssigkeit, die aus der kaspischen Nana herausspritzt. Die Güte in seinem Herzen befähigt ihn, eine üppig behaarte Vagina zu lieben wie andere Leute ein Meerschwein. Als globaler Mann stöpselt er auf seiner Reise abwechselnd das LAN-Kabel seines Laptops in die Buchse und seinen chuj in eine weitere schaumweingeborene Venus ein. Nehmen wir an, die pornografische Dimension des Romans steht dafür, dass Vainberg Amerika auch für seine Sexfilme liebt.
Keine Frage, der Roman kostet seine Obsessionen aus und wird dabei fett. Wie sein Held ist er formlos. Die einzelne, barocke Satzgirlande (von Robin Detje bravourös ins Deutsche gebracht), nicht wie in normaleren Romanen das Kapitel, ist hier die Fresseinheit. Statt nach Entwicklung einer Geschichte hungert der Leser nach einem weiteren Satz, den er für wert erachtet, gerahmt in die Toilette zu hängen („Die Lust am Text”). „Snack Daddys abenteuerliche Reise” hat deshalb auch kein Ende im herkömmlichen Sinn. Der Roman bricht einfach ab.
Zu verstehen gibt es wenig, die Transferleistung von Text auf Welt will wie in jeder Satire dennoch vollbracht werden. „Snack Daddy” gelingen beißende Kommentare auf die Realsatiren des vorderasiatischen Raums und der westlichen Welt. Nur mithilfe seines mobilniks gelingt es Vainberg, im absurdischen Bürgerkrieg die psychische Balance zu halten, vom Kaukasus aus ruft er seinen Psychiater in der Park Avenue an. Der Amerikaner Aljoscha Bob, Vainbergs bester Freund, weiß anfangs nicht viel über Russland: „Ich hatte immer gedacht, in Russland sei das Leben eher spirituell ausgerichtet.” Vainberg antwortet: „Nun, es gibt auch Gläubige unter uns. Aber meistens wollen wir einfach Sachen haben.” Und Shteyngart weiß, wie ungerecht das Fernsehen bei der Auswahl der Nachrichten vorgeht. Es ist ungünstig für die Absurdis, dass ihr Bürgerkrieg zeitgleich mit einer Attac-Aktion stattfindet: „BBC One, France 2, Deutsche Welle, Rai Due und CNN haben live berichtet, und jetzt, weil ein Europäer tot ist, kannst du einschalten, wo du willst, alle weinen um den Flegel aus Genua.” – „Wie viele Flegel müssen wir denn noch umbringen?”
Schafskopf in Knoblauchtunke
In Vainbergs Fall sind „Sachen” vor allem Speisen. Die Speisen fungieren nicht nur als Essenz Absurdistans, sondern als Essenz des zur Gänze enthemmten Buchs: „Der Hammel wurde aufgetragen, und seine knorpelige, fettige Konsistenz sollte unsere Zähne noch lange beschäftigen.” Eine örtliche Frühstücksspezialität in Absurdistan ist „Schafskopf und -füße in Knoblauchtunke”. „Snack Daddys abenteuerliche Reise” liest man nicht, man schmeckt sie.
Schmeckt der Mensch auch, so will er doch verstehen. Das ist seine Unbescheidenheit. Etwas nicht zu verstehen und es mit anhaltender Anstrengung verstehen wollen, ist die Situation des Absurden. Man stößt an eine Grenze. Shteyngart zeichnet ein absurdes Bild nationalstaatlicher Politik. Grenzen sind absurd. Wer eine Grenze überqueren will und nicht durchgelassen wird, macht die Erfahrung des Absurden, Interessierten sei der ungarische Grenzübergang Hegyeshalom empfohlen. Im Roman ist die Erfahrung der Grenze maximal absurd, weil der Lebenssinn prinzipiell drüben ist, und Vainbergs Seelenheil ausschließlich vom Besitz des richtigen Passes abhängt. Anyway. Das Buch ist erschienen. Jetzt muss man warten. Lässt sich die US-Einwanderungsbehörde von Vainbergs Bitte erweichen? KAI WIEGANDT
GARY SHTEYNGART: Snack Daddys abenteuerliche Reise. Roman. Aus dem Englischen von Robin Detje. Berlin Verlag, Berlin 2006. 379 Seiten, 22 Euro.
Gary Shteyngart Foto: Berlin Verlag
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