Produktdetails
- Verlag: Unionsverlag
- ISBN-13: 9783293004399
- ISBN-10: 3293004393
- Artikelnr.: 34561229
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Erreicht sieht Barbara Oertel Tamta Melaschwilis Absicht, die in ihrem Debütroman geschilderten Kriegstragödien aus einem konkret benennbaren Konflikt herauszulösen und als universell gültige Aspekte von Kriegen im Allgemeinen zu konturieren. Zentral ist dabei, schildert die Rezensentin in einer ausführlichen Inhaltsbeschreibung, die weibliche Perspektive auf das Geschehen, insbesondere die eines jungen Mädchens an der Grenze der Pubertät. "Schwülstigkeit und Pathos", bei der literarischen Aufarbeitung von Kriegsträgodien sonst oft anzutreffen, fehlen hier gottlob, atmet die Rezensentin auf und lobt die Autorin für ihren knapp gehaltenen Stil, der sich erfolgreich in den Dienst dieses Romans stelle.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2018Leben in Zeiten des Krieges
Tamta Melaschwilis Romanminiatur "Abzählen"
In der Schlucht liegt ein Toter, ein paar Bengel eilen herbei, um ihn sich anzusehen. Zwei dreizehnjährige Mädchen kommen gerade von der Leiche, wollen die jüngeren Kinder aufhalten, aber die rennen einfach vorbei. Das ist eine von zahllosen starken, aber auch in ihrer Kühle grausamen Szenen aus Tamta Melaschwilis im georgischen Original 2010 veröffentlichten Debütroman "Abzählen", der auf gerade einmal hundert sehr luftig gesetzten Seiten eine maximale Verdichtung des Erzählens betreibt.
Zeit und Ort werden nicht genannt, aber der bislang letzte Krieg in Georgien, im Jahr 2008, war Anlass für den Roman, und das abgelegene Dorf, das vom russischen Feind eingeschlossen ist, dürfte für damals viele Plätze stehen, an denen nur Frauen, Kinder und alte Männer darauf hofften, irgendwie mit dem Leben davonzukommen und die jungen Männer, die in den Krieg gezogen sind, zurückzubekommen. Auch die frühreife und sich abgebrüht gebende Ninzo bricht noch genauso in Tränen aus, wenn sie um ihren Vater bangt, wie ihre gleichalte, aber eher kindliche Freundin Ketewan, die für den größten Textteil als Ich-Erzählerin figuriert.
Das sind die beiden wichtigsten Protagonistinnen, um die herum sich aber ein ganzes Dorfpanoptikum aus kriegsbedingt Verlorenen und Verdorbenen gruppiert. Es will aufmerksam erschlossen sein, denn nicht nur springt Melaschwili zwischen drei Handlungstagen ständig hin und her, so dass sich einzelne Ereignisse erst im Nachhinein erklären; sie lässt Ketewan auch in einem atemlosen Erzählstil berichten, der vor allem aus der Wiedergabe von Dialogen besteht, mittels derer die individuellen Figuren charakterisiert werden. Es ist ein eigentümliches, mitreißendes Stück Prosa, von Natia Mikeladse-Bachsoliani in ein Deutsch übersetzt, das die Jugendlichkeit der meisten Akteure grandios vermittelt.
Der Tote in der Schlucht ist einer "von der anderen Seite", darum liegt er noch da. Jemand anders in diesem Roman wird wegfliegen. Aber entkommen aus dem eingeschlossenen Dorf - das wird keinem gelingen.
apl.
Tamta Melaschwili: "Abzählen". Roman.
Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani. Unionsverlag, Zürich 2012. 112 S., geb., 16,95 [Euro] (als Taschenbuch 9,95 [Euro]).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Tamta Melaschwilis Romanminiatur "Abzählen"
In der Schlucht liegt ein Toter, ein paar Bengel eilen herbei, um ihn sich anzusehen. Zwei dreizehnjährige Mädchen kommen gerade von der Leiche, wollen die jüngeren Kinder aufhalten, aber die rennen einfach vorbei. Das ist eine von zahllosen starken, aber auch in ihrer Kühle grausamen Szenen aus Tamta Melaschwilis im georgischen Original 2010 veröffentlichten Debütroman "Abzählen", der auf gerade einmal hundert sehr luftig gesetzten Seiten eine maximale Verdichtung des Erzählens betreibt.
Zeit und Ort werden nicht genannt, aber der bislang letzte Krieg in Georgien, im Jahr 2008, war Anlass für den Roman, und das abgelegene Dorf, das vom russischen Feind eingeschlossen ist, dürfte für damals viele Plätze stehen, an denen nur Frauen, Kinder und alte Männer darauf hofften, irgendwie mit dem Leben davonzukommen und die jungen Männer, die in den Krieg gezogen sind, zurückzubekommen. Auch die frühreife und sich abgebrüht gebende Ninzo bricht noch genauso in Tränen aus, wenn sie um ihren Vater bangt, wie ihre gleichalte, aber eher kindliche Freundin Ketewan, die für den größten Textteil als Ich-Erzählerin figuriert.
Das sind die beiden wichtigsten Protagonistinnen, um die herum sich aber ein ganzes Dorfpanoptikum aus kriegsbedingt Verlorenen und Verdorbenen gruppiert. Es will aufmerksam erschlossen sein, denn nicht nur springt Melaschwili zwischen drei Handlungstagen ständig hin und her, so dass sich einzelne Ereignisse erst im Nachhinein erklären; sie lässt Ketewan auch in einem atemlosen Erzählstil berichten, der vor allem aus der Wiedergabe von Dialogen besteht, mittels derer die individuellen Figuren charakterisiert werden. Es ist ein eigentümliches, mitreißendes Stück Prosa, von Natia Mikeladse-Bachsoliani in ein Deutsch übersetzt, das die Jugendlichkeit der meisten Akteure grandios vermittelt.
Der Tote in der Schlucht ist einer "von der anderen Seite", darum liegt er noch da. Jemand anders in diesem Roman wird wegfliegen. Aber entkommen aus dem eingeschlossenen Dorf - das wird keinem gelingen.
apl.
Tamta Melaschwili: "Abzählen". Roman.
Aus dem Georgischen von Natia Mikeladse-Bachsoliani. Unionsverlag, Zürich 2012. 112 S., geb., 16,95 [Euro] (als Taschenbuch 9,95 [Euro]).
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Diese packende und verstörende Prosa ist ortlos und zeitlos. 'Abzählen' ist ein aussergewöhnliches Debüt. Es erinnert in seiner sprachlichen Konsequenz, in der Radikalität der erzähltechnischen Anlage und nicht zuletzt in Thematik und Stimmung an Agota Kristof.« Martin Ebel Tages-Anzeiger