Der Wunsch nach einer literarischen Erneuerung nach 1945 ruft die Erinnerung an das Entstehen der deutschen Nationalliteratur wach. Martin Opitz in der Nachbarschaft zur "Kahlschlagliteratur"? Das Funktionieren barocken Dichtens in einem Gerüst tradierter Regeln und Normen ist von der Wissenschaft erst in den letzten fünfzig Jahren "entdeckt" worden. Wie aber wird barocke Literatur von literarischen Autoren gelesen? Steht hinter den Ähnlichkeiten der literarischen Phänomene ein ähnlicher Zugriff auf die Welt? Ist die Lebensunsicherheit im Angesicht der Göttin Fortuna vergleichbar mit dem Existenzialismus der Nachkriegszeit? Nähern sich die Ausdrucksmittel der "nachindividualistischen" Zeit des späteren zwanzigsten Jahrhunderts wieder denen der "vorindividualistischen" des siebzehnten Jahrhunderts an? Namhafte Forscher haben für diesen Band Studien zur Rezeption der Literatur der frühen Neuzeit in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 beigesteuert. Dabei sind ihnen eine Reihe von Neuentdeckungen und Neubewertungen gelungen. Die Moderne nach 1945 berührt sich wie von ungefähr mit der frühen Neuzeit: Lebensgefühl, literarische Ausdrucksform und Schreibtechniken gleichen einander. Die Rezeption der Texte der Frühen Neuzeit dient allerdings den je eigenen Ansprüchen der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik, Österreichs und der DDR.