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Arnold Münster, der Vater des Autors, war der führende Kopf einer Widerstandsgruppe in Münster, wurde 1935 verhaftet und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Weil die Nazis den hochqualifizierten Wissenschaftler in der Forschung benötigten, begnadigte Reichsführer SS Heinrich Himmler ihn. Im Krieg heiratete er in den rauchenden Trümmern Frankfurts Lilly Curtius. Sie trennte sich zuvor von ihrer großen Liebe, einem nationalsozialistischen Klinikdirektor in Heidelberg. Arnold Münster hat über seine Vergangenheit stets den Mantel des Schweigens ausgebreitet.Erst vor wenigen Jahren hat ein…mehr

Produktbeschreibung
Arnold Münster, der Vater des Autors, war der führende Kopf einer Widerstandsgruppe in Münster, wurde 1935 verhaftet und zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Weil die Nazis den hochqualifizierten Wissenschaftler in der Forschung benötigten, begnadigte Reichsführer SS Heinrich Himmler ihn. Im Krieg heiratete er in den rauchenden Trümmern Frankfurts Lilly Curtius. Sie trennte sich zuvor von ihrer großen Liebe, einem nationalsozialistischen Klinikdirektor in Heidelberg. Arnold Münster hat über seine Vergangenheit stets den Mantel des Schweigens ausgebreitet.Erst vor wenigen Jahren hat ein Forscher in Münster die Hintergründe und Zusammenhänge dargestellt. Dies war dann der Anlass, mit der Sichtung aller noch vorhandenen Familiendokumente die Geschichte des gegensätzlichen Paares aufzuarbeiten: Er der Widerstandskämpfer - sie die Wegseherin. So entstand für den Autor erstmals ein umfassendes Bild seines Vaters.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2021

Widerstand und Wegsehen

FRANKFURT Nikolaus Münster hat Licht ins Dunkel seiner Familiengeschichte gebracht. Das Buch "Acht Jahre Haft unter dem Hakenkreuz" zeigt exemplarisch, wie die Nationalsozialisten ihre Gegner zu brechen versuchten.

Von Michael Hierholzer

Am erstaunlichsten in der an Wendungen überreichen Lebensgeschichte von Arnold Münster ist wohl die Grundlegung seiner wissenschaftlichen Laufbahn unter widrigsten Haftbedingungen. Acht Jahre lang hatten ihn die Nationalsozialisten eingesperrt, er litt unter Mangelernährung, die hygienischen Zustände spotteten jeglicher Beschreibung, seine Epilepsie verschlimmerte sich im Zuchthaus, ein sadistischer Anstaltsleiter tat alles, um ihn körperlich dermaßen zu erschöpfen, dass es ihm die Kraft für seine Studien der theoretischen Chemie und Physik nehmen sollte. Er brachte sie trotzdem auf. Und entwickelte in der letzten Phase seiner Gefangenschaft sogar eine Theorie, die in der Fachwelt sofort für Aufmerksamkeit sorgte. Und dafür, dass er vor noch Schlimmerem, womöglich einer Einweisung ins KZ bewahrt wurde, weil Heinrich Himmler höchstselbst ihn begnadigte.

Der als Staatsfeind Verfemte wurde als Mitarbeiter eines Tuberkulose-Forschungsinstituts dringend gebraucht. Das war aber nicht das Ende seiner Pein. Ein Dreivierteljahr später, im Januar 1944, wurde er ins "Bewährungsbataillon 999" eingezogen, zusammen mit anderen "Wehrunwürdigen", wie das hieß. Vorher aber hat er Lilly Curtius, eine lebenslustige Medizinerin, Nichte des weithin berühmten Archäologen Ludwig Curtius, gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. Sie war noch nicht ganz über ihre Beziehung zu einem durch und durch nationalsozialistischen Heidelberger Gynäkologen hinweggekommen, mit dem sie einen Sohn hatte. Ihre politische Unbekümmertheit bildet einen scharfen Kontrast zu Haltung und Leiden des Ex-Widerständlers. Und dass ihr Geliebter federführend in der "Eugenik" und verantwortlich für zahlreiche Sterilisierungen vermeintlich "erbkranker" Menschen war, während Arnold über viele Jahre die "Unfruchtbarmachung" drohte, ist nur einer von etlichen Aspekten, die den Leser seltsam berühren. Lilly und Arnold wurden ein Paar.

Beider Sohn Nikolaus Münster, der 25 Jahre lang das Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt geleitet hat und davor unter anderem auch Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war, hat unter dem Titel "Acht Jahre Haft unter dem Hakenkreuz. Zwischen Widerstand und Lebenshunger" ein Kapitel Familiengeschichte geschrieben, von dem er und seine Brüder lange Zeit nichts oder nur Ungenaues wussten. Dass sie im Widerstand gewesen seien, haben nach dem Ende der Nazi-Herrschaft manche behauptet, und bei näherer Betrachtung war nicht viel dran. Anders Arnold Münster. Er hat seine Vergangenheit für sich behalten, in der Familie herrschte das große Schweigen, aber der Autor erfuhr auch von der wissenschaftlichen Bedeutung seines Vaters erst sehr spät. Was für eine Koryphäe er auf dem Gebiet der statistischen Thermodynamik war, wurde seinem Sohn durch die Lektüre einer Biographie des Chemikers Hans Sillescu klar, die dieser über Arnold Münster verfasst hatte. Und dass er der führende Kopf bei einer Widerstandsaktion gegen das Hitler-Regime mit Flugblattverteilung und der Vorbereitung einer Untergrund-Zeitung war, kam erst dank der Forschungen von Dieter Wever ans Licht, eines Münsteraner Dekans, der sich vor allem mit dem katholischen Widerstand im Münsterland beschäftigte.

Nikolaus Münster recherchierte und stieß auf vielerlei Zusammenhänge, die er in gehämmerten Sätzen verdichtet hat. Man könnte meinen, hier gehe es vorwiegend um Privates. Aber dem ist nicht so. Zwar hat Münster einen schmalen Band vorgelegt, der aber hat es in sich: Wie durch ein Brennglas wird sichtbar, wie der Nationalsozialismus individuelle Schicksale bestimmt hat, aber etwa auch, wie alte Seilschaften im Nachkriegsdeutschland weiter hielten. Freilich wird noch vielerlei mehr angesprochen: Beispielsweise das weibliche Selbstbewusstsein, das Lilly Curtius in einer Zeit entwickelt hat, von der manche annehmen, sie sei solchen Entwicklungen diametral entgegengestanden.

Was die Politik anging, war sie allerdings, so Münsters Wortwahl, eine "Wegseherin". Er hat es gewiss nicht darauf angelegt, aber er schrieb zudem eine kurze Geschichte des deutschen Bürgertums, für das die Familien Münster und Curtius nachgerade exemplarisch stehen. Tugenden wie Ausdauer und Zähigkeit, der unbedingte Wille, auch unter ungünstigsten Umständen an Zielen festzuhalten, sind ebenso charakteristisch wie der Zwiespalt zwischen Pflicht und Neigung, Broterwerb und musischen Interessen. Viele Protagonisten des Bandes, zuvörderst Arnold, haben ein unstillbares Bedürfnis nach Kultur. Seine Leidenschaft ist das Klavierspiel, und in späten Jahren verfasst er ein Werk über Goethes Verhältnis zu Dante. Auch ein gewisses Abenteurertum, der Wechsel von Städten und Wohnungen gehören zum bürgerlichen Lebensstil, der sich jeweils an Ort und Stelle mit geschmackssicherem Mobiliar und offenen, gastfreundlichen Häusern präsentiert. Jedoch auch dies ist typisch: der Mantel des Schweigens, den nach dem Zweiten Weltkrieg das (Groß-)Bürgertum über das "Dritte Reich" gebreitet hat. Gleichgültig, ob die Familien auf der Täter- oder der Opferseite standen.

Der Verfasser des im Frankfurter Verlag Henrich Editionen erschienenen Buchs beleuchtet die familiäre Vorgeschichte, greift bis ins 19., ja 18. Jahrhundert aus und vernachlässigt auch nicht den weiteren biographischen Fortgang der Münsters in der jungen Bundesrepublik. Dazu kommen Episoden wie die bleierne Zeit auf dem Lessing-Gymnasium, in der traumatisierte oder vom Gang der Geschichte enttäuschte Lehrer für das Unwohlsein vieler ihrer Schutzbefohlenen sorgten. Das große Schweigen implodierte 1968, aber es dauerte noch Jahrzehnte, bis die Einzelheiten auf den Tisch kamen. Nikolaus Münster berichtet knapp und lakonisch von jenen, die in seiner Familie unter denselben gekehrt wurden. Das liest sich ungemein spannend. Und geht alle an, die etwas über die Tiefenschichten des anhaltenden deutschen Unbehagens erfahren möchten.

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