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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1997

Aufklärung aus dem Hosenbein
Korrekt in Venedig: Donna Leons Commissario Brunetti

Eigentlich schade. Da die Bestsellerautorin Donna Leon stets nur in Venedig ermitteln läßt, ist es ganz unwahrscheinlich, auch bei ihr einmal dem schönen Satz Inspektor Derricks zu begegnen: "Harry, fahr schon mal den Wagen vor." Wirklich schade, denn Derrick ist nicht nur auch in Italien ganz besonders beliebt, sondern hat zudem in puncto Biedersinn einiges mit Donna Leons Helden gemein. Selbstverständlich trinkt und ißt Commissario Brunetti so gern, wie es sich für einen Italiener gehört, und die Autorin läßt an passenden Stellen die obligatorischen Basilikumsträußchen zu Ehren der italienischen Küche fallen. Genauso selbstverständlich aber ist Brunetti Nichtraucher, denn Donna Leon ist erstens Amerikanerin, heißt zweitens angeblich wirklich so und lebt drittens in Venedig. Weshalb der arme Commissario und Familienvater sein Mineralwasser politisch korrekt - aber im autofreien Venedig gänzlich unüblich - in Glas- statt in Plastikflaschen nach Hause schleppen muß.

Überhaupt interessiert sich die 1942 in New Jersey geborene Autorin, die Englische Literatur in der Schweiz und im Nahen Osten unterrichtete, bevor sie Dozentin in Vicenza und seßhaft in Venedig wurde, mehr für das Privatleben ihres Commissarios als für die Fälle, in denen sie ihn ermitteln läßt. Was die Weise, in der sich dieser mit jenen herumschlägt, insofern bestätigt, als sich darüber lediglich sagen läßt, daß es der Autorin gelingt, ihren Kommissar zwischen dem halben Figurendutzend in Bewegung zu halten, das sie um das Verbrechen postiert hat. Und da in Venedig Unterwelt nun mal per definitionem fehlt, fehlt auch alles, was diese an spannungsfördernden Mitteln beisteuern könnte. Für den Handlungsverlauf etwa des neuesten Romans "Acqua alta" hat dies vor allem zur Folge, daß viel Kaffee getrunken, gegessen und telefoniert wird, man sich setzt, guckt und so lange die Beine übereinanderschlägt, bis die Auflösung endlich aus den nassen Hosenbeinen kullert.

Denn entschieden mehr als die Verbrechen interessiert Frau Leon das Lokalkolorit. Venedig ist der eigentliche Held ihrer Romane. Was wohl auch ein Grund ihres außerordentlichen Erfolges gerade in Deutschland ist, wo die Klientel des feingesponnenen Kriminalromans seit Agatha Christies Zeiten als Vorwand ihres Interesses für Gewalt und Verbrechen stets des Gurken-Sandwichs bedurfte. Und so goutiert man hierzulande die Morde Donna Leons wohl vor allem deshalb als schöne Kunst, weil sie von Kunsthändlern und in der Oper verübt und von einem Kommissar gelöst werden, dessen Ehefrau abends im Bett Henry James liest.

Donna Leon ist nun einmal entschlossen, das Ambiente der Lagunenstadt dadurch zu vermitteln, daß sie ihren Helden durch Straßen laufen läßt, deren Namen sie erwähnt, wenn sie auch im übrigen bedeutungslos bleiben. Vielleicht, weil es dennoch ein wenig wenig sein könnte, im nunmehr fünften Roman in regelmäßigen Abständen die Wörter calle, campo und canale zu gebrauchen, bekommt Commissario Brunetti in seinem jüngsten Fall beim Herumlaufen zusätzlich nasse Füße.

Nun treten aber in Venedig winters die Kanäle mit der allerschönsten Regelmäßigkeit über die niedrigen Befestigungsmauern. Nur jene Touristen, die ihren Reiseführer allzu flüchtig gelesen haben, werden vom acqua alta, dem Hochwasser, wie Kinder überrascht, die zum ersten Mal miterleben, daß alles im Schnee versinken kann. Die Venezianer selbst, die ihre Stadt und deren gewöhnliche Unbill nur zu gut kennen, begegnen den Überschwemmungen dagegen mit routinierter Blasiertheit. Und die zumindest findet sich auch bei Donna Leon. "Beide starrten in das dunkle Wasser, um nach dem verlorenen Schuh zu suchen, aber es war nichts zu sehen. Flavia tastete mit den Zehen im Wasser herum. Nichts. Der Regen prasselte herunter." Tja. THOMAS HETTCHE

Donna Leon: "Acqua alta". Commissario Brunettis fünfter Fall. Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Elwenspoek. Diogenes Verlag, Zürich 1997. 371 S., geb., 39,- DM.

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