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«Ada» ist, selbst in Nabokovs herausragendem Werk, ein leuchtender Solitär. Es handelt von der unmöglichen Liebe zwischen den hochbegabten Geschwistern Ada und Van. Angesiedelt ist die Handlung auf dem imaginären Planeten Antiterra, auf dem sich erstaunlicherweise das alte Russland und das moderne Amerika friedlich überlagern. Die beiden Hauptfiguren, die in ihrer geistigen Überlegenheit faszinierend, aber auch unnahbar und amoralisch wirken, lieben außer einander nur ihre hochspezialisierten Hobbys (z. B. Entomologie, Botanik, Psychologie, Insektenkunde, russische Literatur oder das…mehr

Produktbeschreibung
«Ada» ist, selbst in Nabokovs herausragendem Werk, ein leuchtender Solitär. Es handelt von der unmöglichen Liebe zwischen den hochbegabten Geschwistern Ada und Van. Angesiedelt ist die Handlung auf dem imaginären Planeten Antiterra, auf dem sich erstaunlicherweise das alte Russland und das moderne Amerika friedlich überlagern. Die beiden Hauptfiguren, die in ihrer geistigen Überlegenheit faszinierend, aber auch unnahbar und amoralisch wirken, lieben außer einander nur ihre hochspezialisierten Hobbys (z. B. Entomologie, Botanik, Psychologie, Insektenkunde, russische Literatur oder das Auf-den-Händen-Laufen). Auf ihren Lebenswegen hinterlassen sie, unverschuldet schuldig geworden, eine Spur der emotionalen Verwüstung.Dieses Buch funkelt und provoziert auf jeder Seite und erzeugt eine eigentümliche Stimmung von ekstatischer Hellsichtigkeit. Es steckt voller überraschender Beobachtungen und Gedanken, wilder und abgründiger Erotik. Trotz aller erzählerischen Präzision bleibt es anarchisch in seiner konsequenten Weigerung, die Figuren zu erklären oder gar zu verurteilen. Es ist in Nabokovs Alterswerk der komplexe, an klugen Anspielungen und versteckten Scherzen überreiche Höhepunkt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2010

Adachronismus und Juckreiz
Gibt es größere Beschreibungskunst? Zu Vladimir Nabokovs „Ada oder das Verlangen“ anlässlich der Neuübersetzung / Von Brigitte Kronauer
„Ich meine, ich gebe keinen Pfifferling für die esoterische Bedeutung, für den Mythos hinter der Motte, für den Meisterwerke-Jäger, der Bosch irgendeinen bosh (Blödsinn) seiner Zeit ausdrücken läßt, wie ich schon deinen Cousinen klargemacht habe, müssen wir uns der Freude des Auges widmen, dem Gefühl und Geschmack der frauengroßen Erdbeere, die du mit ihm liebkost, oder der exquisiten Überraschung einer ungewöhnlichen Öffnung“
Dementiy Veen über Hieronymus Bosch
Vielleicht gibt es keinen zweiten Schriftsteller, der wie Vladimir Nabokov das Gewebe, die flüchtigen Geschehnisse zwischen Menschen und Dingen erspäht und zahllose Nuancen von Beleuchtung und Gefühl überhaupt erst entworfen hat. Nichts scheint seiner Beschreibungs- und Evokationskunst zu widerstehen. Von einem Moment zum nächsten errichtet er ganze Architekturen von Sinnesreizen. Das zeigte sich schon in den Berliner Liebes-Erzählungen des noch nicht Fünfundzwanzigjährigen, die, trotz ihrer Extravaganz, ohne Umweg ins Herz treffen.
Nabokovs Kosmos läßt weder Sentimentalität zu noch Banalität. Löscht der Autor jedoch das Licht der dort waltenden Zauberkraft, breitet sich Extremeres aus: Entsetzen. „Entsetzen“ ist der Titel einer Erzählung von 1926, in der jemandem auf mörderische Weise die Welt und jeder Körper in zusammenhangslose Bestandteile zerfällt. Hier zeigt sich das Grauen, die dämonische Nacktheit, die den Reichtum von Nabokovs Poesien erst als Gegenkraft hervortreibt. „Ekstatische Prosa“ wie John Updike Nabokovs Texte nannte, bleiben seine Sätze aber selbst dann noch, und zwar aufgrund der Inständigkeit ihres Verneinens. Das vorweg.
Wenn in dem 1969 veröffentlichten Roman Ada or Ardor der halbwüchsige Van lüsterne Blicke auf ein Kammermädchen wirft, dessen mit einem kleinen Aquamarin geschmückte Hand sich gegen den Fensterrahmen stützt, erkennt der wachsame Leser die verschwörerische Anspielung auf Aqua und Marina, die Durmanov-Zwillinge. Nach offizieller Version ist Aqua die Mutter von Van (Vater : Dementiy Veen, Frauenjäger) und Marina die von Ada (Vater: Dan Veen), deren Name in russischer Färbung fast wie ardor (Glut, Begierde) klingt. Tatsächlich aber sind beide die Kinder Marinas. Es handelt sich demnach bei Van und Ada nicht um Cousin und Cousine, sondern um Halbgeschwister, nein, um echte Geschwister. Dementij, ahnt der Leser bald mit den beiden Protagonisten, ist auch Adas leiblicher Vater.
Die wechselvolle, immer mondäne, zwischen einem Amerika-Rußland-Zwitter und Europa auf dem fiktiven Planeten Antiterra pendelnde Geschichte von Van und Adas inzestuöser Leidenschaft samt ihren Verwicklungen und Verheerungen bildet den Stoff des Romans. Sie nimmt in jenem Aquamarin-Moment, trotz der sexuellen, nicht untypischen Ablenkung durch die Zofe Blanche, ihren Anfang und mündet rapide in körperliche Aktivitäten ein, die in jeder Position stattfinden - über die Missionarsstellung amüsiert sich das studierfreudige Pärchen schon bald -, an jedem verborgenen Ort von Ardis, dem Anwesen von Adas Familie, wo Van seine Ferien verbringt. Van ist vierzehn, Ada zwölf Jahre alt.
Nach einem halb vergessenen Kennenlernen als kleine Kinder sehen sie einander in diesem Garten Eden des Sommers 1884 zum ersten Mal. In der kurzen, ergebnislosen Szene mit Blanche, die aber eine erotische Einstimmung in die unmittelbar danach einsetzende, lebenslange Affäre der beiden Zentralprotagonisten bildet, studiert die Zofe einen Spatzen, der keineswegs zufällig auf einen Butterkeks loshüpft, dessen spezifisch gekerbter Rand überaus treffsicher mit Babyzehen verglichen wird: Endgültiges Abschiedswinken unschuldiger Kindheit.
Es gibt Passagen, deren entwaffnende Anschauungsstärke erregender ist als ihr symbolisches Zwinkern, etwa der ausbrechende Wahnsinn von Aqua, das ephemere Licht- und Schattenspiel der gerade noch kindlichen Ada, oder wenn der junge Draufgänger Van, bestürzt über die Untreue Adas, sich in der Badewanne nicht zu bewegen wagt, weil er fürchtet, sonst in Stücke zu zerbrechen, oder die bittere Sekunde der Wahrheit, in der sich erweist, daß die bisher verläßliche sexuelle Glut des gealterten Paares erloschen ist: Momente grausiger, blanker, originärer Poesie. Man entdeckt sie in diesem Spätwerk als juwelengleiche Fundstücke, als lebendig zuckende Schmetterlinge unter kundig aufgespießten.
Das kommt nicht von ungefähr.
Ada ist die Imagination des zur Zeit der Veröffentlichung siebzigjährigen Nabokov, der sich vorstellt, wie sich ein 94-jähriger, schließlich gar 97-jähriger Van in den Sechzigern des 20. Jahrhunderts viele hundert Seiten lang seine Liebe zu Ada vergegenwärtigt, wobei gerade die erste Zeit des Verhältnisses einen großen Teil des Romans ausmacht. Der die Zeiten mischende Hochbetagte erinnert sich über eine lange Strecke an die erotische Disposition eines Vierzehn-, dann Achtzehnjährigen und eines zwölf- und sechzehnjährigen Mädchens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.
Das detektivische Leser gewiss aufstachelnde anachronistische Schlingern unzähliger Details ist Teil des durchtriebenen, teilweise geradezu mutwilligen Konzepts und, wie alles in diesem Werk, durch die Konstruktion (die man sich allerdings immer wieder gewaltsam in Erinnerung rufen muss, was auch der Autor durch periodische Extra-Hinweise für nötig hält) wasserdicht abgesichert. Das Stilmittel Anachronismus gehört zum Rüstzeug satirischer Rhetorik. Problematischer wirkt die ebenso fabel- wie lückenhafte Gedächtnisleistung Vans und der ihm assistierenden, zweiundneunzigjährigen Ada in der zwar psychologisch plausiblen, auf Dauer jedoch schwer zu durchstehenden Mythisierung und Selbst-Idealisierung.
Nabokov mutet uns zwei monströse, weniger von Verlangen berauschte, als schon bald routiniert genusssüchtige Wunderkinder zu. Während das heute übliche Klischee der Schönen, Jungen, Reichen deren intellektuelle Fähigkeiten tunlichst mit Stillschweigen übergeht, besitzen Nabokovs zu frühreifem Sarkasmus neigende Snobs ein Übermaß davon, zudem eine phantastische Gelehrsamkeit, zungenfertige Bildung in mehreren Sprachen, unerschöpflichen sexuellen Appetit (das vor allem und alle beide). Sie bedienen sich der erlauchtesten Schätze der Kunst in zitierender und persiflierender Lässigkeit, mal wie abgewirtschaftete Zyniker, mal prätentiös. Akkurat so, wie sie entzückt, abgebrüht, wählerisch Orchideen und Schmetterlinge sammeln, sie mühelos samt den lateinischen Namen identifizieren, bestäuben, paaren. Geschöpfe der Kunst und Natur als luxuriöse Spielzeuge infantiler Überflieger. Ada und Van sind feinnervige, wenn auch in staubigen Winkeln und dornigen Hecken umständehalber im Geschwindigkeitsrekord den Geschlechtsverkehr abwickelnde Elitewesen. Die Welt ist ihnen aufs Selbstverständlichste zugefallen. Sie besitzen sie nach Lust und Laune. Als Kinder macht sie das, trotz allen erotischen Zaubers, greisenhaft, besser: zu Abstraktionen, zu ironischen Demonstrationen, immer auf höchstem Nabokov-Niveau schwadronierend (wohlgemerkt: schon mit zwölf und vierzehn!). Wird diese hoffnungslos altklugen Wesen, fragt man sich bang, noch irgend etwas in zehn Jahren überraschen können?
Denn es hilft ja nicht, sich zu sagen, es ist der 94-jährige Van, der sexuelle Erfahrungen, Wissen und Artikulationskünste eines ganzen Lebens auf die schmalen Schultern seiner minderjährigen Lieblinge projiziert. Der Leser muß schließlich mit diesen blasierten Kreaturen und egomanischen Konstruktionen über die gesamte Strecke zurechtkommen.
Drei Dinge sollte man vielleicht beachten. Erstens ist dieser wegen seines kompositorischen Raffinements und Reflexionsniveaus vielbewunderte Roman, wie oder mehr noch als „Fahles Feuer“, nichts für Nabokov-Einsteiger. Zweitens darf man ihn nicht nach der Tagesschau lesen, wenn man noch die Konzentrationen des Elends und der Katastrophen schlechter gestellter Erdbewohner als Nachbild oder meinetwegen Subtext vor Augen hat und drittens nicht in kraftvoller Natur, etwa angesichts von Masse, Ernst und Kontur der Bergriesen, auch wenn gegen Ende des Werks die alpinen Metaphern ambientebedingt ausufern.
Als sich die beiden Geschwister nach vier Jahren zum ersten Mal wiedersehen, beugen sie sich prompt, nach schnellem Begrüßungskoitus, in friedlicher Gelassenheit wie ein altes Ehepaar über die „Schnappschüsse“ ihres ersten Sommers 1884. Ansonsten sind die märchenhaften Fähigkeiten der beiden weiter gewachsen. Bis auf ein bisschen Trennungsschmerz residieren sie so aufgeklärt heiter über den Vorurteilen der vulgären Masse, dass man den Vollzug ihrer Geschwisterliebe nicht nur wegen deren stattlicher Frequenz längst für das Normalste von der Welt nimmt. Das Tabu, das dramaturgisch wichtige Verzögerungen und schließlich jahrelange Unterbrechungen zur Folge hat, ist beiden Akteuren bewusst, aber als Inzest egal. Dem Leser geht es, bis auf ein bisschen anfängliche Wälsungen-Pikanterie, die rasch verfliegt, nicht anders.
Die Laszivität der 16-jährigen Ada für jede Sorte von Mann ist 1888 ins Unermessliche gestiegen. Das diesbezügliche Entgegenkommen des erotischen Traumwesens hält damit beinahe Schritt. Ihren sexuellen Appetit haben die beiden Liebenden in der Zwischenzeit jeweils durch Burschen aus der Umgebung bzw. in noblen wie ordinären Bordellen gestillt. In Vans Persönlichkeitsprofil wird die überragende Virilität ergänzt durch exzellentes Schach- und Tennisspiel, professionelle Artistik (er kann auf den Händen tanzen, was man, wenn man möchte, symbolisch nehmen darf), sowie wissenschaftliche Hochbegabung. Noch was? Astronaut? Später reift der geniale Schnösel außerdem zum Schriftsteller, der einen Roman „Briefe von Terra“ verfaßt und zum Philosophen, dessen spekulativer Essay „Die Textur der Zeit“ in das Opus eingewoben ist. Van, ein maßgeschneidertes, ein multifunktionales Superexemplar aus den unendlich geistreichen Illusionen des Memoirenschreibers Van?
Fast! Nur bleibt es dann doch bei einer nahezu beliebigen Addition so blendender Tüchtigkeiten. Sie verschmelzen nicht zu einem Charakter, dessen spezifische Wahrnehmungsweise von ihnen bestimmt wäre, wie es Nabokov so großartig mit dem schwarz-weiß gewürfelten Weltbild des Schachspielers in Lushins Verteidigung gelungen war. Der Anhäufung haftet etwas Synthetisches, willkürlich Zusammengesetztes an, auch etwas Kurioses. Und das gilt für die Maschinerie des Ganzen. Die absehbare Schematik besteht aus eleganter Essensaufnahme, Geschwister- oder anderweitigem Ersatzbeischlaf bzw. Masturbation und dessen Analyse, Wortspiel, Traumerzählung, wissenschaftlichem Exkurs, triumphaler Naturschilderung, Wortspiel, Traum, Champagnertrinken, Wortspiel etc. ad infinitum. Gelegentlich, aber nicht unziemlich lange betrauert, stirbt einer der Mitspieler.
Natürlich eröffnet sich Nabokov auf diese Weise lauter Felder, um mit seinen Darstellungskünsten noch einmal voll orchestriert zu zaubern. Er holt aus seinem Fundus, was an Karfunkelsteinen drinnen ist. Man bemerkt das. Ästhetische Sinnes- und Sprachwunder von hohen Graden samt unübertrefflichen Erkenntnissen zur Arbeitsweise der Erinnerung sind die Einzelstücke trotzdem - wenn man sie lesend aus dem ästhetizistischen Kontext heraustrennt, in dem es kaum ein Gefälle bei den Verlautbarungen und deshalb auf Dauer strapaziösen Geistesblitzen des Gesamtpersonals gibt.
„Ihre Blässe leuchtete, ihre Schwärze loderte. Die Faltenröckchen, die sie bevorzugte, waren kleidsam kurz. Sogar ihre bloßen Glieder waren von Sonnenbräune so unbeleckt, daß der Blick, der ihre weißen Schienbeine und Unterarme streifte, den gleichmäßigen Schrägen feiner dunkler Härchen folgen konnte, dem Seidenflaum ihres Mädchentums.“ Empfindet so ein Vierzehnjähriger? Ein sich erinnernder Vierundneunzigjähriger, selbst wenn es sich um eine Ausnahmenatur handelt?
Wer hier stürmisch, eventuell sträflich durch Vans Oberfläche bricht, ist niemand anders als der Nymphchenverführer Humbert aus dem Roman „Lolita“, auf den es zahlreiche unverhüllte Anspielungen gibt. Die gewissen vergötterten Merkmale der Kleinmädchenbezauberung sind zwischen beiden Werken austauschbar, vor allem der stechende Reiz des Unvollkommenen: Magerkeit und Schlampigkeit, Narbe und Muttermal, Pflaster, Flecken, der Abdruck eines Gummibands, die Betörung durch knochige, mal sonnengebräunte, mal weiße Schulterblätter, durch Impertinenz im Wechsel mit plötzlicher Hilflosigkeit. Daß der entsprechend disponierte 40-jährige Humbert dem erliegt, leuchtet sofort ein. Ist dagegen eine solche Perspektive für unseren 14-jährigen Teufelskerl Van, fataler Anachronismus, nicht allzu onkel-, ja tantenhaft? Und das darf jetzt nicht als, ein immer dummer, naturalistischer Einwand gewertet werden, sondern als skeptische Frage nach dem Gelingen der hier erforderlichen Suggestion. Die Vorgeschichte der komplizierten Beziehung findet sich zu Anfang von „Lolita“ in Humberts Geständnis der frühen Prägung durch Annabel, 13-jährig wie er. Wir kennen sie aus Poes Gedicht Annabel Lee. Humbert: „damals war meine kleine Annabel kein Nymphchen für mich, ich war ihresgleichen, selber ein kleiner Faun“: Wie zwischen Ada und Van (zumindest zeitweise) sind die physischen und psychischen Übereinstimmungen vollkommen. Annabel wurde Humbert nach kurzem Fast-Glück entrissen, er jagt ihr ein Leben lang nach. Er wird keine erwachsene und daher bald keine gleichaltrige Frau mehr lieben können.
Nabokov hat mit Ada diese Konstellation einerseits radikalisiert, indem er ein wirkliches Geschwisterpaar wählt, andererseits die Gleichaltrigkeit, die natürlich im Erwachsenenalter fortbesteht. Ada kann, wie jene Annabel, „kein Nymphchen“ für Van sein und, gefährlicher, erst recht keins bleiben! Ein waghalsiges Experiment. Die reifen Frauen inspirieren weder Humbert noch Van, allenfalls zu Bösartigkeiten. Schon der achtzehnjährige Van konstatiert, dass ihn die kaum knospenden Brüste Adas stärker beflügelt haben als ihre runden. Peu à peu entgleitet Ada ihrem Autor, immer gemessen an dessen immenser Kapazität, ins Schablonenhafte. Schließlich, ziemlich idealtypisch zur Matrone höherer Kreise geworden, ist sie für Van die schockhafte Lähmung sexueller Potenz. Auch die der künstlerischen Nabokovs?
Die späte Lebensphase des endlich bis zum Tod vereinten Paares wirkt, allen Beteuerungen entgegen, nicht glücklich, vielmehr trostlos heiter. Der Roman wendet sich, und sagt es selbst, von der Sinnlichkeit zurück ins Abstrakte, nahezu Theoretische bis hin zur Selbstrezension. Wenn im Seitenblick noch einmal ein kleines Mädchen lockt, ist es für Van wie ein „Pruritus analis“ (Afterjucken), ein Kratzreiz, der befriedigt werden möchte. Seine physischen Bedürfnisse erschöpfen sich endlich in der erhabenen Lust des Ausdrückens von Mitessern.
Ada ist ohne Zweifel in der nun zum Glück von Dieter E. Zimmer bearbeiteten Übersetzung, der reiches, vor allem aufschlussreiches Material angehängt wurde - teilweise ausgezeichnete Hilfestellungen, darunter ein farbiger, zitatbegleiteter Bildteil samt Zimmers Nachwort – mehr denn je Pflichtlektüre für hartgesottene Nabokov-Bewunderer und ein Prachtpräsent für alle Freunde virtuoser Anspielungskünste.
Welch ein Geschenk aber hätte der grandiose Sensualist Nabokov der Welt gemacht, wenn er die im Roman sich selbst gestellte, überaus kühne Herausforderung tatsächlich angenommen hätte, nämlich nicht nur Humberts vertrauten Kindheits- und Lolitatraum auszubauen, vielmehr an der Gegenwartsfront seines eigenen Lebens den weißen Fleck zu besiedeln, das Universum des Alters, dessen diktatorisches Klischee besiegend, in der Fülle und Jugendlichkeit seiner so uneinholbaren Wahrnehmungsschärfe für uns, die dessen sehr bedürfen, artikuliert „vorzufühlen“ (Goethe).
Brigitte Kronauer ist Schriftstellerin. Ihr jüngster Roman erschien 2009: „Zwei schwarze Jäger“.
VLADIMIR NABOKOV: Ada oder Das Verlangen (Gesammelte Werke, Band 11). Übersetzt von Uwe Friesel und Dieter E. Zimmer. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 1152 Seiten, 38 Euro.
Momente grausiger, blanker,
originärer Poesie, zu entdecken
wie juwelengleiche Fundstücke
Die Hauptfiguren sind feinnervige
Elitewesen, die Welt besitzen sie
nach Lust und Laune
„Ada“, ein Prachtpräsent
für alle Freunde
virtuoser Anspielungskünste
„Kein Nymphchen für mich: Ich war ihresgleichen, selber ein kleiner Faun.“ Dosso Dossi: „Nymphe und Satyr“, um 1508. Foto: akg-images/Rabatti-Domingie
Vladimir Nabokov liebte die Schmetterlinge, und auch seine Sprache hat etwas Schmetterlingshaftes. Hier der Autor bei einer Pause während der Jagd.
Foto: Horst Tappe/Pix Inc./Time Life Pictures/Getty Images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.12.2010

Einladung zur Peepshow auf dem Planeten Antiterra

"Ada oder Das Verlangen" ist überladen, hektisch, schräg und eigentlich kaum zumutbar. Doch dann leuchtet auch aus diesem kostbar edierten Roman Vladimir Nabokovs das luziferische Licht.

Von Markus Gasser

Kein Romancier des vergangenen Jahrhunderts scheint Gott derart nahe gekommen zu sein wie Vladimir Nabokov: So unglaubwürdig groß war seine Schöpferkraft, so diamanten, komisch und überraschungstoll sein Stil, so unerfindlich jedes Detail, das er ersann, und unerhört dabei jede Metapher, so thrillerstark seine Plots und lebendig sein Personal, dass die Kollegenschaft, von Martin Amis bis Mario Vargas Llosa, sich vor ihm fast sprachlos verneigte. Und sie war darin nicht allein.

Denn als Nabokov höchstselbst nach seinem Standort in der Literaturlandschaft gefragt wurde, erwiderte er, er hätte eine "fabelhafte Aussicht von hier oben"; und was er als eine Art Dozent für Angewandte Infamie in seinem Band "Deutliche Worte" an Exkommunikationen übriger Autoren vom Stapel ließ, hatte immer etwas von Jehovas Alleinanspruchsgetöse aus dem brennenden Dornbusch im Alten Testament: "Ich bin der ich bin - habt also gefälligst keine anderen Schriftsteller neben mir."

Aber sogar solch himmelschreiende Vermessenheit sah man ihm gerne nach. Denn nur bei ihm war das im Grunde Undenkbare Literatur geworden.

Hazel Shade im "Fahlen Feuer" oder die "Schwestern Vane" - gütige Gespenster gaben Klopfzeichen von jener anderen Seite hinter der Spiegelwand, an die noch jene glauben, die behaupten, sie glaubten nicht mehr an sie. In Nabokovs Welt war der Tod jeder Gewalt beraubt: Ihn hatte er zum bloßen literarischen Kunstgriff eines überirdischen Wesens erklärt, als dessen Bauchredner er auf seiner Romanbühne ganz offen selbst fungierte. Nabokov zu lesen bedeutete immer, noch das Herz des Eichhörnchens durch den Kosmos schlagen zu hören, weder einsam noch ein Fremder und jeder Schwermut wie durch Zauberhand enthoben zu sein. "Nabokov" - das hieß, ein Zuhause zu haben in jenem still verborgenen Garten, den er aus der Erinnerung an die Kindheitssommer auf dem Landsitz Wyra immer wieder zum Leuchten brachte: als das Luxushotel Mirana in "Lolita", das Königreich Zembla im "Fahlen Feuer" und zuletzt als Ardis Hall in "Ada", des siebzigjährigen Nabokov letztem Opus Maximum. Im Hotelgarten des Montreux Palace, in dem er als Dauergast logierte, nutzte er um 1967 "Ada" für alles Träumen über das ihm entrissene Wyra, das sein Eden gewesen war. Dort, hatte er erfahren, würde niemand jemals zum Sterben verurteilt sein.

Schlug man seinen Nabokov auf, las man zwar meist ein bisschen über dem eigenen Niveau, amüsierte sich jedoch trotzdem prächtig dabei: Nabokovs Shakespeare-Größe ermaß sich auch daran, dass er in den Kanon der sprachakrobatischen Modernisten wie Joyce, Musil, Virginia Woolf nie einzubürgern war, die über der Form die Handlung verzichtbar erscheinen ließen, bis das Werk nicht genossen, sondern dechiffriert werden wollte wie ein von abgrundbösen Geheimagenten ersonnener Code, der für niemanden mehr bestimmt zu sein schien.

Nabokov indes hielt stets die Balance. Nie ging er von einer Situation oder gar einer These aus, um sie dann von Figuren verkörpern zu lassen: Allmorgendlich spann er in der Badewanne gedanklich an seinen wechselvollen Plots und Gestalten fort, bis das Werk im Ganzen glücklich in seinem Kopf vollendet war und er es sich, von einer Wortbrücke zur nächsten, auf Karteikarten mit radiergummibewehrtem Bleistift erschrieb.

So kam es, wie John Updike einst sagte, dass Nabokov das Paradies brachte, wo auch immer er sich niederließ: Noch jeden Band der von Dieter E. Zimmer international unerreicht edierten "Gesammelten Werke" haben Nabokov-Süchtige mit der trocken brennenden Kehle von Weinliebhabern erwartet, die selbst den teuflischsten Kater nicht scheuen - und um wie viel mehr jenen einen Roman, "Ada", der nach dem "Sebastian Knight", "Lolita", "Pnin" und dem "Fahlen Feuer" als Nabokovs fünftes und ultimatives Meisterwerk gilt.

Und das ein Meisterwerk auch nach dreimaliger Lektüre nicht ist, einfach weil der vor schierer Trivialität schutzlose Plot den Kanonaden zielloser alliterativer Verspieltheiten, Scrabble-Partien und schwulstender Nebensätze nicht standhalten kann und Nabokov selbst gegen alle Dekrete verstößt, die er seinen literarischen Gegnern einst auferlegt hat.

Die Existenz von "Ada" ist kein Muss - Seite für Seite überfällt einen das Gefühl, alles könnte ganz anders und oft besser geschrieben sein, und so fragt sich, warum es diesen Roman überhaupt gibt? Ursprünglich wollte Nabokov einen Essay verfassen über Wesen, Werk, Wirkung der Zeit. Er scheiterte; nahm Versatzstücke daraus, erfand sich Figuren dazu, die nie zum Leben erwachen, affektierte Erotikmarionetten eines Gepetto, der offenbar letztmalig die ganz große Sau rauslassen wollte - aber nicht grob lüstern natürlich, sondern fein ziselierend wie ein Hieronymus Bosch.

Nach der Pädophilie in "Lolita", auf die Nabokov in "Ada" mehrfach paradiesvogelstolz verweist, stand nur noch ein Tabu zur Verletzung an: das des fröhlichen Geschwisterinzests. Doch konnte Nabokov kaum weiter gehen als in "Lolita" mit der Masturbationsszene Humberts angesichts seiner wie toten Stieftochter in spe, und so verwundert es nicht, dass ihm "Ada" mehr Sorgen machte als jedes andere seiner Werke zuvor und er sich von der Niederschrift unentwegt ablenken ließ. Plot und Figuren, beide Totgeburten von vornherein, verwischten sich mehr und mehr, und wild wucherten die Widersprüche. Nabokov schrieb mit allzu gebieterischer Hitzigkeit, türmte in etwas mehr als einem Jahr seine Karteikarten beinah unbesehen auf wie ein Beamter seine Akten und reicherte an, statt zu streichen und die Widersprüche aus dem Romanverkehr zu ziehen.

Die im lasziv klebrigen Nebel verirrte Handlung dieses als Autobiographie des Privatgelehrten Van Veen getarnten Romans überhaupt wiedergeben zu müssen kommt der Zumutung gleich, Veens Lieblingsbordell "Villa-Venus-Club" beitreten zu müssen: Auf einem Planeten namens Antiterra, dessen verschroben hellsichtige Intellektuelle unseren Planeten Terra für das Jenseits halten, verlieben sich in Ardis Veen und Ada, erkennen nach anatomisch waghalsigen Endloskopulationen, dass sie Geschwister sind, und kommunizieren nun eben getrennt voneinander geschlechtlich um die Wette; Veen wird nebenher Autor, Ada Schauspielerin; "Klein Lucette", beider Halbschwester und "taufeucht" sexbereite Seejungfrau, hat es mit Ada und schliefe gern auch mit Veen, der onaniert, um seiner Ada nicht mit Lucette untreu zu werden. Und die um Veens Ejakulation geprellte Lucette? Wirft sich, eine zweite Ophelia, über Bord eines Liniendampfers.

Aber selbst in dieser vielzitierten Szene mangelt es dem Autor an jener Güte, die er in seinen Interviews immer als Tugend schlechthin anpries. Erst die letzten Seiten bieten ein wenig von Nabokovs gewohnter Brillanz, da sie einmal nicht wackersteinschwer alltägliche Nichtigkeiten so lange polieren, bis man sie für Juwelen halten soll.

Nur gelegentlich leuchtet ein fragiles luziferisches Licht aus den delikat gedachten Zeilen und gibt erotische Schönheit her, so wenn Van Veen Körperdetails - Adas "mit einem winzigen Aquamarin gestirnte Hand" - wie übersinnliche Offenbarungen umschwärmt und die "dunkelbraune Iris ihrer ernsten Augen" mit der "rätselhaften Opazität eines orientalischen Hypnotiseurs" vergleicht. Einmal exakt und nicht wie in dieser Neuedition ungeschickt übersetzt: "Das Pathos der Handwurzel, die Grazie der Fingerglieder verlangten nach hilflosen Kniefällen, einem Schleier überströmender Tränen, nach Agonien unverbrüchlicher Anbetung. Er berührte ihren Puls wie ein sterbender Doktor. Ein stiller Irrer, liebkoste er die parallelen Striche filigranen Flaums, das den Unterarm des brünetten Mädchens schattierten." Ansonsten bleibt Nabokov außer Hörweite des Lesers und versponnen in sich selbst und fällt mitsamt Adas "Haut gleich Satin aus Samarkand" vom Himmel seiner Meisterschaft in schalen Prunk und trunken ornamentalen Kitsch: ein Unterleibsschriftsteller im Maßanzug.

"Er war vierzehneinhalb; er war brennend und brünftig; er würde sie eines Tages wild besitzen!" Auch an fremdsprachlich verbrämten Vulgärkalauern fehlt es nicht: all dem also, was Nabokov an den "schwülen Bestsellern" seiner Jahre, "geil und öde", zum Erbrechen fand. Vor allem der Groschenheftstil eines D. H. Lawrence widerte ihn an; und doch kehrt in "Ada" des Wildhüters Gemächt aus "Lady Chatterley" wortwörtlich wieder als Van Veens "Zauberstab".

Lawrence wäre entzückt gewesen: Mit "Ada" hat sich Nabokov einen Rummelplatz geschaffen mit eigener Peepshow und ihren verstaubt anzüglichen Charaden von Sexkapaden, mit Dialogen, die Monologe sind und handwerklich von erschreckend monströser Hilflosigkeit - und mit einer Schießbude, an der er altbewährt auf seine Kollegen zielen kann wie auf Proust, Henry James, T.S. Eliot, Jorge Luis "Osberg" Borges, Thomas Mann und William Faulkner, die er zu einem einzigen, natürlich ungenießbaren Autor namens Falknermann zusammenzwingt. Der seit jeher tödlich gehasste Sigmund Freud führt in "Ada" als Dr. Sig Heiler eine Nervenklinik, und dieses den "Wiener Quacksalber" verhitlernde Gewitzel ist bei einem Menschen, der den Konzentrationslagern der Nazis eben noch entging, eine unverzeihliche Geschmacklosigkeit, die geistig auch nicht sehr weit entfernt ist von dem, wovor Freud ins Londoner Exil fliehen musste - und was unterscheidet einen "subhumanen Jungtrottel", wie Van Veen einen lästig lärmenden Motorradfahrer nennt, vom "Untermenschen"?

Es dürfte auch kaum sein Anliegen gewesen sein, dass man die Autoren, die er fern aller Pietät so scharfrichterlich beleidigt, plötzlich statt seiner lesen und zuletzt auch Nabokov vor Nabokov selbst in Schutz nehmen möchte - aber zu spät: Unendlich tief ist die Fallhöhe eines Genies, und wenn es ein Nabokov ist, der stürzt, dann sieht der Krater, den er in die Erde schlägt, besonders hässlich aus. Beschönigen lässt sich alles, und gewiss werden sich manche Exegeten weiterhin den Irrtum gönnen, "Ada" sei ein Meisterstreich. Dem normalsterblichen Rest aber bleiben die Tore zu Ardis Hall für immer verschlossen.

So hat der Gott unter unseren Romanciers einmal zu viel vom selbstgekelterten Wein getrunken und dabei sein Publikum vergessen - und doch gehört "Ada", diese globale Katastrophe im nabokovschen Universum, nicht in jene Alterswerk-Erschöpfungsphase, von der es bei anderen Großautoren immer heißt, sie hätten ihr Bestes schon hinter sich und sprächen nur mehr mit sich selbst. Denn nach "Ada" hat sich Nabokov noch einmal seiner Gabe zur Lakonie entsonnen und legte mit den "Durchsichtigen Dingen" 1972 - im Band zwölf von Zimmers Werkausgabe - ein solches Prachtstück hin, dass einem vor Freude und Leseglück ein ums andere Mal der Atem stockt. "Ada" will man loswerden: mit den "Durchsichtigen Dingen", jenem Champagner, durch den das Licht eines seltenen Sommers bricht, wird man indes niemals fertig. Hoffen wir denn, dass Nabokov auch jene, die in "Ada" nur ein Schauspiel blinder Selbstverherrlichung erblicken, im Jenseits so freundlich in Empfang nehmen wird wie Mr. R. seinen Hugh Person in den "Durchsichtigen Dingen": "Immer sachte, dann wird's schon, mein Sohn."

Vladimir Nabokov: "Ada oder Das Verlangen". Eine Familienchronik.

Aus dem Englischen von Uwe Friesel und Dieter E. Zimmer. Gesammelte Werke Band XI., hrsg. von Dieter E. Zimmer. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 1184 S., geb., 38,- [Euro].

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