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Auszug aus der Reportage "Die schwarze Magierin" von Benno Kroll:
Die Nächte im Pelourinho sind sinnbetörend tonal: Trommeln vor der Marmorkathedrale am Terreiro de Jesus. Trommeln und Congas auf der Praça Teresa Batista. Grell bemalte Standpauken auf dem Largo do Pelourinho, wo Zuckerbarone einst mit ihren Damen aus den Fenstern ihrer Paläste zuguckten, wenn auf dem Platz ihre Sklaven gegeißelt wurden. Gitarrenglissandi schweben wie sphärischer Nebel durch die Altstadt von Salvador. In 15 restaurierten Gassen präsentiert sich die Kapitale des brasilianischen Nordostens selbstgefällig der…mehr

Produktbeschreibung
Auszug aus der Reportage "Die schwarze Magierin" von Benno Kroll:

Die Nächte im Pelourinho sind sinnbetörend tonal: Trommeln vor der Marmorkathedrale am Terreiro de Jesus. Trommeln und Congas auf der Praça Teresa Batista. Grell bemalte Standpauken auf dem Largo do Pelourinho, wo Zuckerbarone einst mit ihren Damen aus den Fenstern ihrer Paläste zuguckten, wenn auf dem Platz ihre Sklaven gegeißelt wurden. Gitarrenglissandi schweben wie sphärischer Nebel durch die Altstadt von Salvador. In 15 restaurierten Gassen präsentiert sich die Kapitale des brasilianischen Nordostens selbstgefällig der touristisch anreisenden Welt.

Doch der Pelourinho ist nur ein Teil von Salvador. Und viele Weiße, die in der dunkelhäutigen Menge buchstäblich erblassen, fühlen die Musikalität der Sklavenabkömmlinge wie einen Keulenschlag. Die schwarzen, kupferbraunen, zimthäutigen Trommler stehen in martialischer Formation und rühren die Trommeln, als trommelten sie sich einen Schmerz aus der Seele. Ihre Muskeln schimmern schweißnass, die Gesichter glühen, die Schlegel wirbeln, und der Besucher, dem das hundertfach dröhnende, wummernde Stakkato ins Herz hämmert und es erzittern lässt, ahnt, was Axé bedeutet - ein Wort, das er an den Wänden las und im Diktionär nicht fand. Axé (sprich: Aschee) heißt Energie. Doch es bedeutet mehr:

Axé ist die gärende Empörung der Afro-brasilianer in den 50 Favelas und slumartigen Quartieren Salvadors. Axé steht für die spirituelle Kraft, die in mehreren tausend Terreiros von Salvador, Kultstätten der Yoruba-Religion Candomblé (Seite 105), all die aufrichtet, die ohne sie verzweifeln würden. Axé nennt sich die schwarze Notgemeinschaft im Pelourinho, die vom Staat preisgegebenen, von Polizei und Pistoleiros gejagten Straßenkindern Asyl, Ausbildung und Job gewährt. In flammendem Gelb steht das Wort über den Werkstätten, in denen die Kinder, der Bedrängnis entrissen, aber die Angst noch im Nacken, färben, drucken, schneidern, trommeln, tanzen. Axé ist die Beschwörungsformel, die eine zweite Sklavenbefreiung anruft.

Als letztes Land der zivilisierten Welt hat Brasilien 1888 die Sklaverei verboten. Doch die Afrobrasilianer, von denen damals sogar ein Papst meinte, dass sie keine Seele hätten, blieben weiterhin Sklaven ihrer Entwürdigung, ihrer barbarischen Wohnverhältnisse, ihrer Armut. Weiße Karnevalsklubs nehmen sie nicht auf. Jedem dritten wird das Wahlrecht verweigert, weil er Analphabet ist. Zwar gibt es seit 1971 kostenlose Schulen, doch die vorgeschriebene Schuluniform können viele Slumbewohner sich nicht leisten. Die Zahl der Kinder, die auf der Straße erwachsen werden, geht in die Tausende. Mindestens jeder zweite Farbige hat keinen Job. Rund eineinhalb Millionen Schwarze und Mulatten gibt es allein in Salvador, nur jeder dritte Bürger der Stadt ist weiß. Doch beim Magistrat und der Polizei hat kein Negro eine höhere Stellung. Die Stadt in Brasilien, die kultureller und sozialer Brennpunkt der schwarzen Bevölkerung des Landes ist, wird weiß regiert.

Brasiliens berühmtester Schriftsteller, Jorge Amado, nennt Salvador, dessen Bürger er seit früher Jugend ist, "die magische Stadt". Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Magie von den Afrobrasilianern ausgeht. Auch Touristen berührt der Zauber, der aus dem leichten Lebensgefühl schwar-zer Armenhäusler auf sie überspringt, ohne dass sie ihn benennen könnten. Wenn die Trommler, die Samba-Musiker, die Karnevalisten, die Capoeiristas (Kampftänzer) oder die weltberühmte, schwarze Popgruppe Olodum auf Pelourinhos Plätzen öffentlich proben, explodiert die afrobrasilianische Lebensfreude. Aber dann stehen armierte Militärpolizisten am Rand oder in der dampfenden Menge. Ihr finsteres Gesicht täuscht nur die Fremden - die fühlen sich behütet. Den Taschendieben aber machen die Polizeisoldaten nichts vor. Die jungen Meisterdiebe wissen, dass die Uniformierten Angst haben. Die Taschendiebe und die mit samtener Traurigkeit verstohlen bettelnden Kinder kommen, wenn sie eine Heimstatt haben, aus den Favelas, in die ein Gendarm - außer in einem Einsatzkommando - keinen Fuß setzt. Die Polizei genießt in der Stadt wenig Respekt. Jeder Salvadorianer sagt es dir: Sie ist so feige, wie sie korrupt ist.

Der Tourist aber geht nur da zu Fuß, wo er sie sieht, und sie ist nirgends so massiv aufgeboten wie im Pelourinho. Überall in dem von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten Viertel - vor der Fassade wahrer Wunderwerke des Barockkirchenbaus und in der Kulisse farbig renovierter, 400 Jahre alter Herrenhäuser - stehen sie Streife. Denn der Tourist ist ein Wirtschaftsgut.

Doch ist es vielleicht auch gerade diese militante Präsenz, die furchtsame Instinkte weckt. Sie deutet auf Gefahren, die dem Fremden, wenn er länger als drei Tage bleibt, immer unwirklicher erscheinen. Die heitere Grundstimmung der Schwar-zen und ihre Lässigkeit, die wie ein vitales Kräfteschonen auf eine Stunde der Lust oder der Musik hinfließt, nehmen dem Fremden die Bangnis. In den Kirchen und Klöstern Salvadors rezipiert er seine eigene Kultur, aber seine Sinne fordert das Leben auf der Straße.

Es stellt sich Vertrautheit ein, manchmal sogar Vertrauen, und der Tourist fühlt, wie sein Lebensgefühl sich wandelt, weil die Stadt ihn bezaubert wie eine junge Liebe. Jetzt wagt er sich vielleicht in die verrufene Unterstadt, etwa nach Ribeira, wo schwarze Fischer am Strand der Bucht ihre Makrelen anbieten, oder ins Marktgewühl der Feira São Joaquim, wo es Mehl und Maniok gibt und die Holzfaust gegen den bösen Blick. Abends indes ist Salvador nirgends so betörend wie in der illuminierten Altstadt Pelourinho, die mit der Unterstadt über mehrere Aufzüge, darunter den Fahrstuhl Lacerda, verbunden ist. Denn dort spielt die Musik.

Im 16. und 17. Jahrhundert, als Salvador Residenz der portugiesischen Kolonie Brasilien und unter dem Äquator die größte Stadt der Welt war, schufen die Portugiesen auf dem 70 Meter über Bucht und Hafen gelegenen Plateau ihr tropisches Lissabon. Aber als der Pelourinho vom Gelbfieber heimgesucht wurde, zogen sie fort. Sie ließen sich an den paradiesischen Stränden der Meeresküste im Osten nieder und begründeten so den soziokulturellen Zuschnitt der heutigen Stadt: In den weitläufig ins Grüne gebauten, eleganten Vierteln des Ostens residiert die weiße Oberschicht. Im Westen, am faulig verdreckten Wasser der Bucht und auf den Hügeln darüber, wohnen die Afrobrasilianer. Aber auch dort ist Salvador eine von Dschungelgrün durchwachsene, vom Seewind gelabte, malerische Stadt.

Nur ist es, so Jorge Amado 1945 in einem Buch über Salvador, "ungerecht, dass so viel Schönheit in so viel Elend ruht". Das Elend wurde seither nicht gemildert, im Gegenteil: Mit dem raschen Wachstum Salvadors wuchs es ins Monströse. Und mit der Armut breitete sich der Candomblé aus, die ungeschriebene Konfession, die keine Sünde, keine Hölle, aber die Lebenden tröstet.