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Auszug aus der Reportage "Flirt mit Folgen - Meine Toskana" von Robert Gernhardt:
Meine Toskana - das klingt so besitzanzeigend wie "meine Frau" und in der Tat lebe ich mit diesem Landstrich seit gut 25 Jahren in einem eheähnlichen Verhältnis, das heuer durch die Feier einer Silbernen Hochzeit gekrönt werden könnte, mit reichlich Chianti und Crostini und mit dem traditionellen Trinkspruch aufs Jubelpaar: "Evivano gli sposi!"
Begonnen aber hatte alles noch viel, viel früher, Mitte der 50er, und so, wie solche Verhältnisse - sollen sie denn glücklich enden - beginnen müssen: als
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Produktbeschreibung
Auszug aus der Reportage "Flirt mit Folgen - Meine Toskana" von Robert Gernhardt:

Meine Toskana - das klingt so besitzanzeigend wie "meine Frau" und in der Tat lebe ich mit diesem Landstrich seit gut 25 Jahren in einem eheähnlichen Verhältnis, das heuer durch die Feier einer Silbernen Hochzeit gekrönt werden könnte, mit reichlich Chianti und Crostini und mit dem traditionellen Trinkspruch aufs Jubelpaar: "Evivano gli sposi!"

Begonnen aber hatte alles noch viel, viel früher, Mitte der 50er, und so, wie solche Verhältnisse - sollen sie denn glücklich enden - beginnen müssen: als Liebesgeschichte.

Da hatte der noch nicht zwanzigjährige Kunststudent die Toskana in zwei aufeinander folgenden Jahren bereist, mit Tusche und Feder, Farbkasten und Pinsel, mit Vasaris "Lebensläufe der Renaissancekünstler" und Boccaccios "Decamerone" sowie mit Rucksack und Zelt.

Begeistert und nichts ahnend war er durch Landschaften und in Städte gekommen, die es bald darauf in dieser Form nicht mehr geben sollte: Arezzo hörte noch an der Stadtmauer auf - heute durchquert der Tourist erst einmal kilometerlange Gewerbegebiete, ehe er den mittelalterlichen Stadtkern erreicht. Und das Land wurde damals noch bestellt wie vor Jahrhunderten. Rund um die vielen vereinzelten Gehöfte beackerten noch richtige Bauern das terrassierte Land mit richtigen Tieren, weiße Ochsen zogen die hölzernen Pflüge und Eggen, graue Esel transportierten das Wasser von oft weit entfernten Brunnen in die strom- und wasserlosen Bauernhäuser. Alles sehr heruntergekommen, alles in Auflösung begriffen. Schon war die Landflucht der Pächterfamilien in vollem Gange - alle lediglich Bearbeiter des Bodens, nicht seine Besitzer. Der gehörte seit jeher Städtern, die Haus, Land, Saatgut und Gerät zur Verfügung stellten, dafür die Hälfte der Erträge einstrichen, und die nun, da dieses Pachtsystem immer weniger abwarf, immer weniger in die Häuser und den Boden investierten. Alles Entwicklungen, die dem Blick des Verliebten gründlich verborgen blieben: Der fand all den Verfall sehr pittoresk und typisch italienisch, ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, dass er, der blauäugige Deutsche, keine sechzehn Jahre später unschuldiger Nutznießer all des Niedergangs werden sollte.

Denn als ich Anfang der 70er vor der Frage stand, ob ich, zusammen mit Freunden, eines der vielen mittlerweile leer stehenden und halb verfallenen toskanischen Bauernhäuser erwerben solle, sagte ich trotz vorangegangener heftiger Griechenlandflirts sogleich zu: Schließlich war ich freiberuflich tätig, das Haus erschwinglich und meine alte Liebe dank der durchgehend ausgebauten Autobahn leicht zu erreichen.

Wem das alles zu sehr nach Vernunftehe klingt, den mögen Details des Hauskaufs eines Besseren belehren: Seit Mitte der 60er hatte es sich in Deutschland herumgesprochen, dass Haus und Land in der Toskana billig zu erwerben seien, noch Anfang der 70er war die Auswahl an immer einsamer und schöner gelegenen Gehöften unüberschaubar, da kauften wir das erstbeste Haus, das uns angeboten wurde. Erwarben auch noch zwei Hektar Olivenhain, obwohl der italienische Bauführer uns nicht nur empfohlen hatte, den baufälligen Kasten durch ein schönes neues Haus zu ersetzen, sondern auch um Himmels willen die Hände von der Landwirtschaft zu lassen: Die sei ein Fass ohne Boden. Andere Einwände machte ein toskanaerfahrener Freund: Warum wir denn nicht im benachbarten klassisch schönen Chiantigebiet gekauft hätten? Bei uns gehe der Blick zwar kilometerweit ins Arnotal und auf die gegenüberliegende Gebirgskette des Pratomagno, aber doch auch auf die Abraumhalden des Braunkohletagebaus von Castelnuovo, auf den weitgehend aus Neubauten bestehenden Ort Cavriglia und dessen just errichteten Sportplatz - alles in allem eigentlich keine allzu vernünftige Wahl.

Dafür war es noch einmal so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gewesen: Lag das Haus nicht auf dem schönsten ...lberg weit und breit? War es nicht von den stolzesten Zypressen der Gegend eingefasst? Bot es nicht von der Fahrstraße aus den abweisendsten Eindruck und war es nicht, wenn man schließlich davor stand, das denkbar anheimelndste Häuschen?

Schon meine Kunststudenten-Reisen hatten mich gelehrt, dass die Toskana viele Gesichter besaß, wie viele, das begriff ich erst, als ich vom Haus aus zu Tages- und Zweitagesreisen in die Umgebung aufbrach. Noch heute fiele es mir schwer, einen Schönheitspreis zu vergeben. Er könnte an eine jener Toskanas gehen, welche bereits die Renaissancekünstler angeregt zum Pinsel hatten greifen lassen: Die mit Kastellen und Zypressen dicht bestückten Hügel um Florenz - wie gemalt von Fra Angelico. Die im Sommer in allen Erdfarben changierenden Weizenfelder vor Siena - wie gemalt von den Brüdern Lorenzetti. Die weite, durch ...lbäume gegliederte Ebene vor Borgo San Sepolcro - wie gemalt vom Sohn der Stadt Piero della Francesca.

Die Palme könnte jedoch auch einer der nicht verewigten, noch heute häufig unbekannten Toskanas gereicht werden: Den Wäldern des Casentino, den Weiten der Maremma, den Wassern der Garfagnana - wenn Schönheit einer Landschaft intakte Natur oder tradierte Kultur meint und deren harmonisches Mit-

einander, dann gäbe es nach wie vor viele Anwärterinnen auf den Titel Miss Toskana, während eine mit Sicherheit ziemlich chancenlos wäre: meine Toskana.

Zwar ist die Braunkohlenmine stillgelegt und die Abraumhalde in ein riesiges Weizenfeld verwandelt worden, doch Cavriglia wächst und wächst seit Jahrzehnten: Kaum dem Anblick Frankfurter Baukräne entronnen, sehe ich italienisches Gerät in den Himmel ragen. Zwar gibt es keine leer stehenden Bauernhäuser mehr, doch die Bewohner sind jetzt durchweg Städter, Italiener wie Fremde, während die einheimischen Freizeit- und Halbzeitbauern immer älter und weniger werden: Wer wird sich eines Tages der Weinfelder und ...lberge annehmen? Zwar - aber genug räsoniert! Wie in einem geliebten alternden Gesicht gäbe es noch viele Runzeln und Falten auf dem Antlitz meiner Toskana zu entdecken und doch bin ich von all meinen Ausflügen immer wieder gern, fast aufatmend zu ihr zurückgekehrt: Dies hier ist eine lebendige, ergo in stetem Wandel befindliche und in Widersprüche verstrickte Toskana. ...