Frederiksberg, 1913: Auf dem Höhepunkt seines Ruhms bereitet sich der 70-jährige Maler Kristian Zahrtmann darauf vor, sein Meisterwerk zu schaffen: Adam im Paradies. Ein sinnliches Glanzstück soll das Gemälde werden, überquellend vor Motiven, Farben und Symbolen, im Zentrum ein schöner nackter Mann. Während Zahrtmann das Atelier seiner Villa mithilfe exotischer Pflanzen in den Garten Eden verwandelt und den jungen Soldaten empfängt, der ihm als Aktmodell dient, gleiten seine Gedanken zurück in die Vergangenheit - zu rauschenden Zusammenkünften der Kopenhagener Décadence; nach Italien, wo er in Civita d'Antino eine Künstlerkolonie gründete; und nicht zuletzt zu seinem ehemaligen Schüler und Modell Hjalmar Sørensen, an dessen Anmut er sich durch den jungen »Adam« erinnert fühlt ...In ihrem Roman lässt Rakel Haslund-Gjerrild den dänischen Meistermaler als Ich-Erzähler auftreten. In neun Kapiteln - allesamt nach Werktiteln aus Zahrtmanns Oeuvre benannt - zeichnet die Autorin in einer betörenden, kontemplativ-sinnlichen Sprache ein Porträt des Künstlers, das sowohl seiner lächelnden Wehmut als auch seinem feinen Humor Ausdruck verleiht. Die Erzählung wird durchbrochen von historischen Dokumenten über die Sittlichkeitsprozesse der Jahre 1906/07, als in Dänemark Homosexuelle verfolgt und einige (darunter der Schriftsteller Herman Bang) aus dem Land vertrieben wurden - ein ebenso subtiler wie genialer Kunstgriff, um Zahrtmanns nie eingestandene Homosexualität zu spiegeln, der aber nie das Sprachkunstwerk in den Hintergrund drängt, das Signatur und emotionaler Motor des Romans ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2023Mann unter Männern
Rakel Haslund-Gjerrilds Roman "Adam im Paradies" über einen dänischen Maler der Dekadenz-Ära
Wer bitte ist Kristian Zahrtmann? Ein bei uns ziemlich unbekannter Maler aus Dänemark, der von 1843 bis 1917 lebte. Als Typ etwas merkwürdig, schräg. Auf Englisch, also mittlerweile überall, nennt man das "queer". Dabei hat sich Zahrtmann (was kein Pseudonym ist) nie geoutet. Man glaubt aber, dass er homosexuell war. Manche Indizien sprechen dafür. Er ist ein Mann unter Männern, er verkehrt in einer "homosozialen" Szene, es war die Zeit der Dekadenz. Er lehrte an einer antiakademischen Kunstschule und umgab sich mit jungen Schülern. Frauen waren da ausgeschlossen, er hielt nicht viel von ihnen. Seine männlichen Modelle waren "muskulös und blond", seine weiblichen grob und unansehnlich, manche gar missgebildet.
Zahrtmanns gewagtestes Bild heißt "Adam im Paradies". So heißt auch ein Roman, der mit dem Bild anfängt. Es zeigt einen lasziv sitzenden Adam inmitten einer Blumenpracht und mit einer - es lebe die Diskretion - Bananenstaude zu Füßen. Eva ist noch nicht da, aber die Schlange schon, sie windet sich zwischen seinen Beinen empor. Das Bild entstand 1913, vier Jahre vor Zahrtmanns Tod. Wir erfahren im Roman von seinen Träumen, seinen mehr oder weniger erfolgreichen Eleven, seinen regelmäßigen Aufenthalten im italienischen Dorf Civita d'Antino, seinem schönsten Schüler Hjalmar Sørensen und beider unerklärlicher Trennung und seinem Adam-Modell, einem Soldaten, dem er zufällig in der Eisenbahn begegnete. Das Ganze hat etwas von Männerbund, kommt aber der romantischen Männerfreundschaft nahe, die auch Hans Christian Andersen pflegte.
Die Dänin Rakel Haslund-Gjerrild, Jahrgang 1988, hat diesen exofiktionalen Roman über Kristian Zahrtmann geschrieben, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Dänemark zu den bekanntesten und umstrittensten Künstlern gehörte. Ob auch zu den besten, steht auf einem anderen Blatt. Seine Gemälde sind grell und bunt, er wollte gegen die nordische grau getönte Melancholie anmalen, dadurch haben sie auch etwas Kitschiges; "Farbenmarmelade" nennt das einer seiner Schüler. Für Zahrtmann ist das "Schönheit", sein Lieblingswort. Das Buch fordert geradezu dazu auf, über die Nähe von Schönheit und Schund nachzudenken. Zuweilen fühlt man sich an die Präraffaeliten erinnert, aber die waren handwerklich besser.
Die Modelle damals waren athletisch und nackt, gute Soldaten. Wer die homoerotisch-militärischen Gemälde von Oskar Matthiesen oder Eugène Jansson kennt, weiß, was gemeint ist. Ob Zahrtmann ein Vitalist war und von den Genannten beeinflusst, wird in dem Roman nicht erörtert, es geht der Autorin um die Person mit ihren geheim gehaltenen Sehnsüchten und Schwärmereien. Rakel Haslund versetzt sich in einen Künstler, dessen Werkzeug der Pinsel ist, nicht die Feder, seine Erinnerungen sind bunt und opulent, man möchte fast sagen "versacesk", anfangs auch ungelenk und floskelhaft: "vertrautes Flüstern" und "tiefes Grübeln" zwischen "blühenden Rosensträuchern". Aber mit den Passagen, in denen auch seine negativen Seiten aufscheinen, wird es besser. Schlichtheit ist nicht das Ding dieses Buchs; Rakel Haslund hat sich (wie aus den Anmerkungen hervorgeht) in Zahrtmanns Tagebüchern bedient, daher wohl manch überspannte Formulierung vom "Haken meiner Augen, die sich an seinen Rücken heften" oder lächerliche: "Ja, komm herein, sagt mein Fenster mit gläsernen Lachgrübchen."
So wäre es vielleicht endlos weitergegangen und auch ein wenig langweilig geworden, wenn die Autorin nicht erstens historische Zeitdokumente zur Verfolgung der Homosexuellen eingestreut hätte (unter anderem Johannes V. Jensens Schmähartikel über Herman Bang sowie die Verteidigungsschrift des in der großen Sitten-Affäre 1907 verhafteten Autors und ehemaligen Polizisten Carl Fahlberg Hansen aus dem Gefängnis) und zweitens nicht ein Element dazugekommen wäre, das zwar von Beginn an da gewesen ist und Tee serviert hat, aber gewissermaßen übersehen, unbemerkt, nämlich das, wenn man so sagen darf, wahre weibliche Element: die Haushälterin Frau Hessellund. Im letzten Drittel des Buchs erfahren wir auch ihren Vornamen, sie heißt Marie. Da plötzlich tritt sie aus ihrer subalternen Position heraus (überwindet auch ihre scheinbar subalterne Natur) und wird zur Akteurin der Handlung, ja erst jetzt zu einem ganzen Menschen. Sie ist eine junge Witwe, um die dreißig, ihr Mann, ein mittelmäßiger Künstler, war doppelt so alt, sie hat ein Söhnchen von ihm, Peter, der mit im Haus wohnt.hige ich mal
Zahrtmann gibt eines seiner Abendessen für seine ehemaligen Schüler, da wird Frau Hessellund von ihnen zu einem Glas eingeladen, und für diesen Abend gehört sie dazu, träumt selbst vom Künstlersein, sie vertieft sich in ein Gespräch mit dem etwa zehn Jahre älteren Maler Valdemar Neiiendam. Als die Gäste gegangen sind, geschieht etwas Überraschendes: Sie spricht über sich, jetzt kommen wir ihr näher, der einsamen alleinstehenden Mutter, indem sie ihr tristes Los, ihre Angst, zu vertrocknen und zu versteinern, bekennt, weil sie ihren Körper nicht mehr spürt, "es gibt ja keinen mehr, der ihn anrührt", eine wirklich bewegende Szene. Und was macht der Meister? Guckt auf die Uhr und möchte ins Bett, er lässt sich nicht in die Karten schauen. Nun gut, ihn interessieren die Frauen nicht sehr, die unter ihm stehenden schon gar nicht, und er ist ja auch schon älter. "Frau Hessellund tut mir leid", sagt er, dabei ist er der Bemitleidenswerte. Im Grunde besteht sein einsames Leben aus lauter Ablenkungen, aus "Wirbel und Karussellen und Gaukelei". Gegenüber Marie faselt er etwas von einem guten Schlaf, der alles heile. Was meint er? Den Tod? Es ist ja auch ein unerbittlicher Altersroman, Zahrtmann leidet an schrecklichen Verfallsphantasien.
Am Ende dann kein Wort mehr über Marie Hessellund. Sie geht. Und doch war sie neben dem Icherzähler die wichtigste Person in diesem Buch, im Grunde wichtiger als Hjalmar, wichtiger als Adam, die eigentlich nichts als schwärmerische Projektionen waren. Marie hingegen hat den Roman erweitert, mit ihrer Angst, ihrem Stolz und ihrem Verlangen, das sie ausspricht. Und damit, dass sie Zahrtmann die Augen geöffnet hat, auch wenn er davon wenig wissen will. PETER URBAN-HALLE
Rakel Haslund-Gjerrild: "Adam im Paradies". Roman.
Aus dem Dänischen
von Andreas Donat.
Albino Verlag, Berlin 2022. 328 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Rakel Haslund-Gjerrilds Roman "Adam im Paradies" über einen dänischen Maler der Dekadenz-Ära
Wer bitte ist Kristian Zahrtmann? Ein bei uns ziemlich unbekannter Maler aus Dänemark, der von 1843 bis 1917 lebte. Als Typ etwas merkwürdig, schräg. Auf Englisch, also mittlerweile überall, nennt man das "queer". Dabei hat sich Zahrtmann (was kein Pseudonym ist) nie geoutet. Man glaubt aber, dass er homosexuell war. Manche Indizien sprechen dafür. Er ist ein Mann unter Männern, er verkehrt in einer "homosozialen" Szene, es war die Zeit der Dekadenz. Er lehrte an einer antiakademischen Kunstschule und umgab sich mit jungen Schülern. Frauen waren da ausgeschlossen, er hielt nicht viel von ihnen. Seine männlichen Modelle waren "muskulös und blond", seine weiblichen grob und unansehnlich, manche gar missgebildet.
Zahrtmanns gewagtestes Bild heißt "Adam im Paradies". So heißt auch ein Roman, der mit dem Bild anfängt. Es zeigt einen lasziv sitzenden Adam inmitten einer Blumenpracht und mit einer - es lebe die Diskretion - Bananenstaude zu Füßen. Eva ist noch nicht da, aber die Schlange schon, sie windet sich zwischen seinen Beinen empor. Das Bild entstand 1913, vier Jahre vor Zahrtmanns Tod. Wir erfahren im Roman von seinen Träumen, seinen mehr oder weniger erfolgreichen Eleven, seinen regelmäßigen Aufenthalten im italienischen Dorf Civita d'Antino, seinem schönsten Schüler Hjalmar Sørensen und beider unerklärlicher Trennung und seinem Adam-Modell, einem Soldaten, dem er zufällig in der Eisenbahn begegnete. Das Ganze hat etwas von Männerbund, kommt aber der romantischen Männerfreundschaft nahe, die auch Hans Christian Andersen pflegte.
Die Dänin Rakel Haslund-Gjerrild, Jahrgang 1988, hat diesen exofiktionalen Roman über Kristian Zahrtmann geschrieben, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Dänemark zu den bekanntesten und umstrittensten Künstlern gehörte. Ob auch zu den besten, steht auf einem anderen Blatt. Seine Gemälde sind grell und bunt, er wollte gegen die nordische grau getönte Melancholie anmalen, dadurch haben sie auch etwas Kitschiges; "Farbenmarmelade" nennt das einer seiner Schüler. Für Zahrtmann ist das "Schönheit", sein Lieblingswort. Das Buch fordert geradezu dazu auf, über die Nähe von Schönheit und Schund nachzudenken. Zuweilen fühlt man sich an die Präraffaeliten erinnert, aber die waren handwerklich besser.
Die Modelle damals waren athletisch und nackt, gute Soldaten. Wer die homoerotisch-militärischen Gemälde von Oskar Matthiesen oder Eugène Jansson kennt, weiß, was gemeint ist. Ob Zahrtmann ein Vitalist war und von den Genannten beeinflusst, wird in dem Roman nicht erörtert, es geht der Autorin um die Person mit ihren geheim gehaltenen Sehnsüchten und Schwärmereien. Rakel Haslund versetzt sich in einen Künstler, dessen Werkzeug der Pinsel ist, nicht die Feder, seine Erinnerungen sind bunt und opulent, man möchte fast sagen "versacesk", anfangs auch ungelenk und floskelhaft: "vertrautes Flüstern" und "tiefes Grübeln" zwischen "blühenden Rosensträuchern". Aber mit den Passagen, in denen auch seine negativen Seiten aufscheinen, wird es besser. Schlichtheit ist nicht das Ding dieses Buchs; Rakel Haslund hat sich (wie aus den Anmerkungen hervorgeht) in Zahrtmanns Tagebüchern bedient, daher wohl manch überspannte Formulierung vom "Haken meiner Augen, die sich an seinen Rücken heften" oder lächerliche: "Ja, komm herein, sagt mein Fenster mit gläsernen Lachgrübchen."
So wäre es vielleicht endlos weitergegangen und auch ein wenig langweilig geworden, wenn die Autorin nicht erstens historische Zeitdokumente zur Verfolgung der Homosexuellen eingestreut hätte (unter anderem Johannes V. Jensens Schmähartikel über Herman Bang sowie die Verteidigungsschrift des in der großen Sitten-Affäre 1907 verhafteten Autors und ehemaligen Polizisten Carl Fahlberg Hansen aus dem Gefängnis) und zweitens nicht ein Element dazugekommen wäre, das zwar von Beginn an da gewesen ist und Tee serviert hat, aber gewissermaßen übersehen, unbemerkt, nämlich das, wenn man so sagen darf, wahre weibliche Element: die Haushälterin Frau Hessellund. Im letzten Drittel des Buchs erfahren wir auch ihren Vornamen, sie heißt Marie. Da plötzlich tritt sie aus ihrer subalternen Position heraus (überwindet auch ihre scheinbar subalterne Natur) und wird zur Akteurin der Handlung, ja erst jetzt zu einem ganzen Menschen. Sie ist eine junge Witwe, um die dreißig, ihr Mann, ein mittelmäßiger Künstler, war doppelt so alt, sie hat ein Söhnchen von ihm, Peter, der mit im Haus wohnt.hige ich mal
Zahrtmann gibt eines seiner Abendessen für seine ehemaligen Schüler, da wird Frau Hessellund von ihnen zu einem Glas eingeladen, und für diesen Abend gehört sie dazu, träumt selbst vom Künstlersein, sie vertieft sich in ein Gespräch mit dem etwa zehn Jahre älteren Maler Valdemar Neiiendam. Als die Gäste gegangen sind, geschieht etwas Überraschendes: Sie spricht über sich, jetzt kommen wir ihr näher, der einsamen alleinstehenden Mutter, indem sie ihr tristes Los, ihre Angst, zu vertrocknen und zu versteinern, bekennt, weil sie ihren Körper nicht mehr spürt, "es gibt ja keinen mehr, der ihn anrührt", eine wirklich bewegende Szene. Und was macht der Meister? Guckt auf die Uhr und möchte ins Bett, er lässt sich nicht in die Karten schauen. Nun gut, ihn interessieren die Frauen nicht sehr, die unter ihm stehenden schon gar nicht, und er ist ja auch schon älter. "Frau Hessellund tut mir leid", sagt er, dabei ist er der Bemitleidenswerte. Im Grunde besteht sein einsames Leben aus lauter Ablenkungen, aus "Wirbel und Karussellen und Gaukelei". Gegenüber Marie faselt er etwas von einem guten Schlaf, der alles heile. Was meint er? Den Tod? Es ist ja auch ein unerbittlicher Altersroman, Zahrtmann leidet an schrecklichen Verfallsphantasien.
Am Ende dann kein Wort mehr über Marie Hessellund. Sie geht. Und doch war sie neben dem Icherzähler die wichtigste Person in diesem Buch, im Grunde wichtiger als Hjalmar, wichtiger als Adam, die eigentlich nichts als schwärmerische Projektionen waren. Marie hingegen hat den Roman erweitert, mit ihrer Angst, ihrem Stolz und ihrem Verlangen, das sie ausspricht. Und damit, dass sie Zahrtmann die Augen geöffnet hat, auch wenn er davon wenig wissen will. PETER URBAN-HALLE
Rakel Haslund-Gjerrild: "Adam im Paradies". Roman.
Aus dem Dänischen
von Andreas Donat.
Albino Verlag, Berlin 2022. 328 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kristian Zahrtmann ist ein dänischer Künstler, den hierzulande kaum jemand kennt, der aber nun zum Thema eines Romans der jungen Dänin Rakel Haslund wird, erzählt Rezensent Peter Urban-Halle. Sie widmet sich dabei weniger der Kunst als der vermuteten Homosexualität des Malers, die damals noch unter Strafe stand. Spannend findet Urban-Halle, wie die Autorin historische Zeitdokumente vom Beginn des 20. Jahrhunderts einflicht, darunter Schriften, die den schwulen fabelhaften Autor Herman Bang schmähen und verteidigen. Noch besser gefällt dem Kritiker, wie plötzlich Zahrtmanns Haushälterin kurz zur Hauptperson des Romans wird, eine dreißigjährige Witwe und Mutter, die bei einem Abendessen aus sich herausgeht und - zum Missfallen Zahrtmanns - über ihre Wünsche und Ängste spricht. Sie verschwindet dann wieder aus dem Buch, aber auf den Kritiker hat sie einen größeren Eindruck gemacht als der Maler, der ihm doch ein wenig zu oberflächlich und "versacesk" ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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