Adam Smith war nicht nur der wichtigste Vordenker von Kapitalismus und Marktwirtschaft, sondern auch ihr erster grundlegender Kritiker. Das zeigt Gerhard Streminger in seiner fulminanten, aus den Quellen gearbeiteten Biographie des "ökonomischen Luther", wie Friedrich Engels Smith einmal nannte.
Smith war nicht nur Wirtschaftstheoretiker, der die zentrale Rolle des Marktes betonte, sondern auch Moralphilosoph. Der schottische Denker entdeckte, dass der Markt manchmal zu Konsequenzen führt, die besser sind als die egoistischen Absichten der Menschen. Doch das ist keineswegs immer der Fall. Manchmal folgt aus Gutem auch Schlechtes, etwa unbeabsichtigte negative ökologische Folgen. Deshalb plädierte Smith dafür, der Unsichtbaren Hand des Marktes unter bestimmten Umständen "in den Arm zu fallen". Das ist dann die Sichtbare Hand des Staates, etwa durch aufgeklärte Bildung und Arbeiterschutz.
Auch das Bild des Privatmanns Smith ist korrekturbedürftig. Er gilt als sauertöpfisch und sehr professoral. Wahr ist hingegen, dass er überaus empathisch, wohlwollend und freigiebig war und zudem zeitlebens ein ziemlich hitziges Gemüt besaß.
Smith war nicht nur Wirtschaftstheoretiker, der die zentrale Rolle des Marktes betonte, sondern auch Moralphilosoph. Der schottische Denker entdeckte, dass der Markt manchmal zu Konsequenzen führt, die besser sind als die egoistischen Absichten der Menschen. Doch das ist keineswegs immer der Fall. Manchmal folgt aus Gutem auch Schlechtes, etwa unbeabsichtigte negative ökologische Folgen. Deshalb plädierte Smith dafür, der Unsichtbaren Hand des Marktes unter bestimmten Umständen "in den Arm zu fallen". Das ist dann die Sichtbare Hand des Staates, etwa durch aufgeklärte Bildung und Arbeiterschutz.
Auch das Bild des Privatmanns Smith ist korrekturbedürftig. Er gilt als sauertöpfisch und sehr professoral. Wahr ist hingegen, dass er überaus empathisch, wohlwollend und freigiebig war und zudem zeitlebens ein ziemlich hitziges Gemüt besaß.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.2017Liberalen Freihandel musste man sich erst einmal leisten können
Im Namen des Marktes: Gerhard Streminger versucht, Adam Smith vor seinen neoliberalen Jüngern in Schutz zu nehmen
Warum gerade Schottland? Bei anderen Ländern taucht die Frage kaum auf. Frankreich hatte Ende des 17. Jahrhunderts die avanciertesten Akademien, den prächtigsten Hof, die berühmtesten Salons und die neue Universalsprache der aristokratischen Konversation und philosophischen Diskussion. Die Niederlande besaßen die reichsten Städte, die riskantesten Denker, die raffiniertesten Verleger und die toleranteste Religionspolitik. Aus der Rückschau könnte man meinen, beide Staaten seien dazu prädestiniert gewesen, Zentren der Aufklärung zu sein.
Nicht so Schottland. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts war es ein arg gebeuteltes Territorium am Rande Europas. Erst brachten sieben Missernten in Folge Hunger, Armut und Tod, dann führte ein koloniales Abenteuer in Mittelamerika zum faktischen Staatsbankrott, und schließlich gaben die politischen Eliten 1707, verführt von englischen Bestechungen und Versprechungen, die nationale Unabhängigkeit auf. Ein Großteil der herrschenden Klasse zog, verhasst vom eigenen Volk, nach London, und versank dort in politischer Bedeutungslosigkeit. Im Parlament des "Vereinigten" Königreichs erhielten die schottischen Peers bloß 16 von 216 Sitzen.
Wie konnte dieses wirtschaftlich ruinierte und politisch entmachtete Land wenige Jahrzehnte später zu einem der wichtigsten Orte der Aufklärung werden und dabei nicht nur eine führende Rolle in Wissenschaft und Philosophie, sondern auch in Architektur und Technologie übernehmen? Mit dieser Frage beginnt der Philosoph Gerhard Streminger seine neue Biographie von Adam Smith. Es ist bereits seine zweite Darstellung von Leben und Werk des Moralphilosophen und Wirtschaftstheoretikers, und wie die erste, ein 1999 erschienenes Rororo-Bändchen, hat sie Einführungscharakter. Mit seiner Einbettung der Biographie in die speziellen Entstehungsbedingungen der schottischen Aufklärung knüpft Streminger auch an seine Forschungen zu Adam Smiths Landsmann und Freund David Hume an, über den er sogar drei Biographien in drei Verlagen veröffentlicht hat.
Zu den Faktoren, die Schottlands wirtschaftlichen und intellektuellen Aufschwung ermöglicht hätten, zählt Streminger die Abkehr reformierter Gläubiger vom fundamentalistischen Prädestinationsfatalismus, die Ausrichtung der Universitäten auf wissenschaftliche Spezialisierung, die Empfänglichkeit der Gelehrten für die französische Philosophie sowie die Einbindung von Kauf- und Seeleuten in die koloniale Ausbeutung, deren Wohlstandsgewinne auch abgeschottete Schotten zu imperialistischen Briten machten.
Adam Smith war zugleich ein Produkt und Protagonist dieses umfassenden Wandels, und es gehört zu den Stärken von Stremingers Biographie, die Wechselbezüge zwischen seinem Wirken und dem Werden der schottischen Aufklärung anschaulich zu machen. Streminger hebt Smiths Selbstverständnis als Schotte, Brite und Weltbürger hervor, schildert seine frühe Karriere als Universitätsprofessor für Logik, dann für Moralphilosophie in Glasgow, dokumentiert seine Wertschätzung für englische Geistesgrößen wie Newton, Boyle und Burke und seine Verbundenheit mit französischen Wirtschaftstheoretikern wie Quesnay und Turgot.
Im Mittelpunkt der Biographie stehen aber die beiden Hauptwerke Smiths, die 1759 erschienene "Theorie der ethischen Gefühle" und der 1776 veröffentlichte "Wohlstand der Nationen". Streminger betont zu Recht die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Werken, wobei er die Moralphilosophie als Fundament für die Wirtschaftstheorie versteht: Aus der Annahme einer durch "natürliches Rechtsempfinden" gemäßigten Selbstsucht des Menschen konnte sich demnach die Vorstellung eines freien Wettbewerbs unter selbstregulierten Marktteilnehmern entwickeln.
Problematisch ist dagegen der neue Anlauf im Namen eines alten Anliegens, das schon manchen Smith-Biographen angetrieben hat. Es besteht darin, Smith vor seinen neoliberalen Jüngern in Schutz zu nehmen. Streminger bemüht zu diesem Zweck das Argument, Smith sei - "wenn man schon eine Schubladisierung versucht" - als Ahnherr der sozialen Marktwirtschaft zu betrachten. Das ist, wie Streminger selbst in einer anderen Passage der Biographie anhand von John Maynard Keynes' Korrekturen an Smiths Marktgläubigkeit andeutet, eine erbauliche Fiktion.
Dem Verständnis von Smiths Denken und Wirken wäre mehr geholfen, wenn man ihn konsequenter historisierte, wobei es hier weniger um die Integration in die schottische Aufklärung als um die Rekonstruktion der Wirtschaftspolitik seiner Zeit ginge. Streminger stellt seinen Helden als entschiedenen Gegner des "Merkantilismus" vor, führt aber nicht aus, dass es Smith selbst war, der Begriff und Konzept des "mercantile system" prägte und damit die Illusion einer einheitlichen Doktrin des Protektionismus und Interventionismus schuf, von der sich sein Ideal eines offenen Marktes mit freiem Wettbewerb umso heller abhob.
Durch Smiths Brille lässt sich die Geschichte der Wirtschaftspolitik vor und nach der Erfindung des Liberalismus kaum verstehen. Die dirigistische Handels- und aggressive Innovationspolitik, gegen die er anschrieb, schuf in Westeuropa die Grundlage für das präzedenzlose Wirtschaftswachstum nach 1800. Für viele Länder, nicht zuletzt Großbritannien, wurde die liberale Freihandelsdoktrin in dem Moment attraktiv, als heimische Industriezweige gegenüber der ausländischen Konkurrenz einen Produktivitätsvorsprung herausgeholt hatten. Mit der Schaffung "offener Märkte", wenn nötig per Kanonenbootdiplomatie, konnte der ökonomische Nationalismus, von dem sich Smith so dezidiert distanziert hatte, mit liberalen Mitteln fortgesetzt werden. Liberalismus und Merkantilismus mögen in der Theorie sauber getrennte Systeme sein, in der Praxis waren sie von Beginn an unauflösbar verwoben, und daran hat sich bis heute wenig geändert.
Wenn das Leben und Werk von Adam Smith als Schlüssel zur Geschichte des Liberalismus nicht viel hergibt, so liegt das weniger an Gerhard Stremingers biographischen Künsten als am Genre der Biographie selbst. Es eignet sich zum Erzählen eines übersichtlichen Ereignisablaufs, kaum aber zum Erklären großer Zusammenhänge. Wer an Letzterem interessiert ist, muss zu anderen Büchern greifen, etwa zu Jean-Claude Michéas fulminantem Essay "Das Reich des kleineren Übels". In ihm erfährt man so gut wie nichts über das Leben von Adam Smith, umso mehr aber über die historische Bedeutung seiner Ideen.
CASPAR HIRSCHI
Gerhard Streminger: "Adam Smith". Wohlstand und Moral. Eine Biographie.
Verlag C. H. Beck, München 2017. 254 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Namen des Marktes: Gerhard Streminger versucht, Adam Smith vor seinen neoliberalen Jüngern in Schutz zu nehmen
Warum gerade Schottland? Bei anderen Ländern taucht die Frage kaum auf. Frankreich hatte Ende des 17. Jahrhunderts die avanciertesten Akademien, den prächtigsten Hof, die berühmtesten Salons und die neue Universalsprache der aristokratischen Konversation und philosophischen Diskussion. Die Niederlande besaßen die reichsten Städte, die riskantesten Denker, die raffiniertesten Verleger und die toleranteste Religionspolitik. Aus der Rückschau könnte man meinen, beide Staaten seien dazu prädestiniert gewesen, Zentren der Aufklärung zu sein.
Nicht so Schottland. Noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts war es ein arg gebeuteltes Territorium am Rande Europas. Erst brachten sieben Missernten in Folge Hunger, Armut und Tod, dann führte ein koloniales Abenteuer in Mittelamerika zum faktischen Staatsbankrott, und schließlich gaben die politischen Eliten 1707, verführt von englischen Bestechungen und Versprechungen, die nationale Unabhängigkeit auf. Ein Großteil der herrschenden Klasse zog, verhasst vom eigenen Volk, nach London, und versank dort in politischer Bedeutungslosigkeit. Im Parlament des "Vereinigten" Königreichs erhielten die schottischen Peers bloß 16 von 216 Sitzen.
Wie konnte dieses wirtschaftlich ruinierte und politisch entmachtete Land wenige Jahrzehnte später zu einem der wichtigsten Orte der Aufklärung werden und dabei nicht nur eine führende Rolle in Wissenschaft und Philosophie, sondern auch in Architektur und Technologie übernehmen? Mit dieser Frage beginnt der Philosoph Gerhard Streminger seine neue Biographie von Adam Smith. Es ist bereits seine zweite Darstellung von Leben und Werk des Moralphilosophen und Wirtschaftstheoretikers, und wie die erste, ein 1999 erschienenes Rororo-Bändchen, hat sie Einführungscharakter. Mit seiner Einbettung der Biographie in die speziellen Entstehungsbedingungen der schottischen Aufklärung knüpft Streminger auch an seine Forschungen zu Adam Smiths Landsmann und Freund David Hume an, über den er sogar drei Biographien in drei Verlagen veröffentlicht hat.
Zu den Faktoren, die Schottlands wirtschaftlichen und intellektuellen Aufschwung ermöglicht hätten, zählt Streminger die Abkehr reformierter Gläubiger vom fundamentalistischen Prädestinationsfatalismus, die Ausrichtung der Universitäten auf wissenschaftliche Spezialisierung, die Empfänglichkeit der Gelehrten für die französische Philosophie sowie die Einbindung von Kauf- und Seeleuten in die koloniale Ausbeutung, deren Wohlstandsgewinne auch abgeschottete Schotten zu imperialistischen Briten machten.
Adam Smith war zugleich ein Produkt und Protagonist dieses umfassenden Wandels, und es gehört zu den Stärken von Stremingers Biographie, die Wechselbezüge zwischen seinem Wirken und dem Werden der schottischen Aufklärung anschaulich zu machen. Streminger hebt Smiths Selbstverständnis als Schotte, Brite und Weltbürger hervor, schildert seine frühe Karriere als Universitätsprofessor für Logik, dann für Moralphilosophie in Glasgow, dokumentiert seine Wertschätzung für englische Geistesgrößen wie Newton, Boyle und Burke und seine Verbundenheit mit französischen Wirtschaftstheoretikern wie Quesnay und Turgot.
Im Mittelpunkt der Biographie stehen aber die beiden Hauptwerke Smiths, die 1759 erschienene "Theorie der ethischen Gefühle" und der 1776 veröffentlichte "Wohlstand der Nationen". Streminger betont zu Recht die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Werken, wobei er die Moralphilosophie als Fundament für die Wirtschaftstheorie versteht: Aus der Annahme einer durch "natürliches Rechtsempfinden" gemäßigten Selbstsucht des Menschen konnte sich demnach die Vorstellung eines freien Wettbewerbs unter selbstregulierten Marktteilnehmern entwickeln.
Problematisch ist dagegen der neue Anlauf im Namen eines alten Anliegens, das schon manchen Smith-Biographen angetrieben hat. Es besteht darin, Smith vor seinen neoliberalen Jüngern in Schutz zu nehmen. Streminger bemüht zu diesem Zweck das Argument, Smith sei - "wenn man schon eine Schubladisierung versucht" - als Ahnherr der sozialen Marktwirtschaft zu betrachten. Das ist, wie Streminger selbst in einer anderen Passage der Biographie anhand von John Maynard Keynes' Korrekturen an Smiths Marktgläubigkeit andeutet, eine erbauliche Fiktion.
Dem Verständnis von Smiths Denken und Wirken wäre mehr geholfen, wenn man ihn konsequenter historisierte, wobei es hier weniger um die Integration in die schottische Aufklärung als um die Rekonstruktion der Wirtschaftspolitik seiner Zeit ginge. Streminger stellt seinen Helden als entschiedenen Gegner des "Merkantilismus" vor, führt aber nicht aus, dass es Smith selbst war, der Begriff und Konzept des "mercantile system" prägte und damit die Illusion einer einheitlichen Doktrin des Protektionismus und Interventionismus schuf, von der sich sein Ideal eines offenen Marktes mit freiem Wettbewerb umso heller abhob.
Durch Smiths Brille lässt sich die Geschichte der Wirtschaftspolitik vor und nach der Erfindung des Liberalismus kaum verstehen. Die dirigistische Handels- und aggressive Innovationspolitik, gegen die er anschrieb, schuf in Westeuropa die Grundlage für das präzedenzlose Wirtschaftswachstum nach 1800. Für viele Länder, nicht zuletzt Großbritannien, wurde die liberale Freihandelsdoktrin in dem Moment attraktiv, als heimische Industriezweige gegenüber der ausländischen Konkurrenz einen Produktivitätsvorsprung herausgeholt hatten. Mit der Schaffung "offener Märkte", wenn nötig per Kanonenbootdiplomatie, konnte der ökonomische Nationalismus, von dem sich Smith so dezidiert distanziert hatte, mit liberalen Mitteln fortgesetzt werden. Liberalismus und Merkantilismus mögen in der Theorie sauber getrennte Systeme sein, in der Praxis waren sie von Beginn an unauflösbar verwoben, und daran hat sich bis heute wenig geändert.
Wenn das Leben und Werk von Adam Smith als Schlüssel zur Geschichte des Liberalismus nicht viel hergibt, so liegt das weniger an Gerhard Stremingers biographischen Künsten als am Genre der Biographie selbst. Es eignet sich zum Erzählen eines übersichtlichen Ereignisablaufs, kaum aber zum Erklären großer Zusammenhänge. Wer an Letzterem interessiert ist, muss zu anderen Büchern greifen, etwa zu Jean-Claude Michéas fulminantem Essay "Das Reich des kleineren Übels". In ihm erfährt man so gut wie nichts über das Leben von Adam Smith, umso mehr aber über die historische Bedeutung seiner Ideen.
CASPAR HIRSCHI
Gerhard Streminger: "Adam Smith". Wohlstand und Moral. Eine Biographie.
Verlag C. H. Beck, München 2017. 254 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein höchst interessantes Buch, das sich durch wissenschaftliche Unvoreingenommenheit und Seriosität auszeichnet."
Friedrich Weissensteiner, Wiener Zeitung, 04. Oktober 2017
"Diese Biografie wird dem radikalen Aufklärer gerecht."
Rudolf Walther, taz, 06. Mai 2017
Friedrich Weissensteiner, Wiener Zeitung, 04. Oktober 2017
"Diese Biografie wird dem radikalen Aufklärer gerecht."
Rudolf Walther, taz, 06. Mai 2017