Der lang erwartete erste Roman der Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo: »Adas Raum« verwebt die Lebensgeschichten vieler Frauen zu einer Reise durch die Jahrhunderte und über Kontinente. Ein überraschender Roman, der davon erzählt, was es bedeutet, Frau zu sein.
Ada erlebt die Ankunft der Portugiesen an der Goldküste des Landes, das einmal Ghana werden wird. Jahrhunderte später wird sie für sich und ihr Baby eine Wohnung in Berlin suchen. In einem Ausstellungskatalog fällt ihr Blick auf ein goldenes Armband, das sie durch die Zeiten und Wandlungen begleitet hat. Ada ist viele Frauen, sie lebt viele Leben. Sie erlebt das Elend, aber auch das Glück, Frau zu sein, sie ist Opfer, leistet Widerstand und kämpft für ihre Unabhängigkeit. Sharon Dodua Otoos Mut und ihre Lust zu erzählen, ihre Neugier, die Vergangenheit und die Gegenwart zu verstehen, machen atemlos.
»Otoos Art, persönliches und historisches Leid zu brechen zugunsten einer funkenstiebenden artistischen Erzählkonstruktion, lässt diese Geschichte zu einem literarischen Abenteuer werden.« Denis Scheck, WDR
Ada erlebt die Ankunft der Portugiesen an der Goldküste des Landes, das einmal Ghana werden wird. Jahrhunderte später wird sie für sich und ihr Baby eine Wohnung in Berlin suchen. In einem Ausstellungskatalog fällt ihr Blick auf ein goldenes Armband, das sie durch die Zeiten und Wandlungen begleitet hat. Ada ist viele Frauen, sie lebt viele Leben. Sie erlebt das Elend, aber auch das Glück, Frau zu sein, sie ist Opfer, leistet Widerstand und kämpft für ihre Unabhängigkeit. Sharon Dodua Otoos Mut und ihre Lust zu erzählen, ihre Neugier, die Vergangenheit und die Gegenwart zu verstehen, machen atemlos.
»Otoos Art, persönliches und historisches Leid zu brechen zugunsten einer funkenstiebenden artistischen Erzählkonstruktion, lässt diese Geschichte zu einem literarischen Abenteuer werden.« Denis Scheck, WDR
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für den Rezensenten Fridtjof Küchemann sind die Zeit- und Ortssprünge in Sharon Dodua Otoos erstem Roman kein Selbstzweck. Wie die Autorin ihrer Protagonistin und ihren Inkarnationen durch die Jahrhunderte folgt, an die Küste des heutigen Ghana im Jahr 1459, in ein KZ, wo die Figur als Zwangsprostituierte arbeitet, oder nach London, wo sie in die Haut der Ada Lovelace schlüpft, findet Küchemann eigenwillig, aber nicht übermütig. Vor allem aber helfen die Sprünge und Schleifen ihm, mit den Gewaltgeschichten klarzukommen, die für den Rezensenten das übergreifende Thema des Buches sind und leider bis heute wirkmächtig, wie Küchemann erkennt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.03.2021Die alles verbindenden Dinge
Vier Frauen, viele Epochen: In ihrem Romandebüt „Adas Raum“ zeigt
Sharon Dodua Otoo, was sie unter einem die ganze Welt und ihre Leiden umspannenden Schreiben versteht
VON HANNA ENGELMEIER
Sharon Dodua Otoos Roman „Adas Raum“ setzt auf eine Erzählstimme, um die es in der Literatur bisher ruhig war. Das Ich, das durch die drei Teile des Buches wandert, ist – bescheidener kann man es nicht ausdrücken – der Weltgeist: „Als Lufthauch kann ich weder gesehen noch angefasst werden.“ Deswegen fährt er im Verlauf des Romans in einen Reisigbesen, einen Türklopfer, die Wände eines Zimmers und einen Reisepass und durchmisst fast sechs Jahrhunderte. Aus der Perspektive dieser Gegenstände erzählt Otoo vom Leben von vier Frauen, die alle Ada heißen.
Den vier Adas mögen die Dinge stumm erscheinen, im Roman sind sie aber äußerst beredt und fiebern mit bei den Versuchen der Frauen, sich einen ganz eigenen Raum zu schaffen, eine Welt nach ihren Vorstellungen. Das durch die Epochen wandernde Ich möchte in seiner jeweiligen Form dabei helfen: „Über die Jahrhunderte hatte ich mitbekommen, wie glückliche Wesen aussahen. Der Zustand schien ansteckend zu sein. Und mit Sicherheit, dachte ich, würde es mir das Weiterkommen erleichtern, wenn ich mehr Wert auf Bejahendes legen könnte. Meine Begegnungen mit Lebenden waren immer ertragreicher, wenn ich Glücksgefühle in ihnen ausgelöst hatte.“
Die scheinen zunächst rar zu sein. Die Erzählung beginnt mit Ada, die im 15. Jahrhundert in Totope in Westafrika lebt und von einer Nachbarin mit dem Reisigbesen verprügelt wird. Sie hat schon ihr zweites Kind verloren und kann sich nur schwer in die Gemeinschaft ihres Dorfes fügen. Gleich zu Beginn des Romans stößt Otoo die Tür ihrer Erzählung weit auf und gibt den Blick auf Adas Schmerz frei, der noch zunimmt, als sie von portugiesischen Kolonisatoren aus ihrem Heimatdorf verschleppt wird.
Die zweite Ada ist die Frau, der man zuschreibt, die erste Programmiererin der Geschichte gewesen zu sein. Ada Lovelace arbeitete gemeinsam mit Charles Babbage an den ersten Rechenmaschinen, die selbständig dazu in der Lage sein sollten, Algorithmen auszuführen. Der Türklopfer markiert die Schwelle zu dem Haus, in dem die beiden arbeiten und auch eine Liebesgeschichte erleben. Er steht bildhaft für die Frage, wer in welche Szenen Einlass erhält, im eigentlichen und übertragenen Sinn. Ada empfängt ihren Ehemann, der überraschend von einer Reise zurückkehrt, zugleich steht sie aber selbst an der Schwelle einer historischen Erzählung darüber, wie die Computer in die Welt kamen. Wird sie ihren Platz finden? Das ist in ihrer Gegenwart nicht ausgemacht, die Geschichte ist erzählt, aber noch nicht geschrieben. Otoo schreibt sie neu.
Die Zeitebenen ihres Romans gehen oft so unmerklich ineinander über, dass es schwerfällt, genau zu verstehen, wer jeweils spricht. Dafür werden die Erzählstränge durch ein weiteres Element zusammengehalten: Wiederum ist es ein Gegenstand, ein Armband wandert mit all diesen Frauen durch die Geschichte, als Liebespfand von Müttern übergeben, die ihre Kinder verlieren, durch deren Tod oder den eigenen. Allen vier Adas begegnet dieser Schmuck – zuletzt taucht er in einem Ausstellungskatalog afrikanischer Kunst in der Gegenwart auf und ruft damit aktuelle Debatten über Restitution auf.
Nicht zuletzt durch diese Wendung verwirklicht Otoo das Programm ihrer Klagenfurter Rede zur Literatur, mit der 2020 der Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis begann. Otoo hat den Preis 2016 selbst als erste Britin und als erste schwarze Autorin gewonnen. In ihrer Rede erklärte sie, warum es einen Unterschied macht, ob man „schwarze“ oder „Schwarze“ Autorin schreibt. Mit dem Großbuchstaben markieren Otoo und andere Autorinnen und Autoren, „dass wir der Community angehören, oder, wenn dem nicht so ist, dass wir uns mit der Bewegung solidarisieren“.
Otoos viel beachtete Rede „Dürfen Schwarze Blumen malen?“ widmete sich Differenzierungen dieser Art als Chance auf einen neuen literarischen wie alltäglichen Sprachgebrauch. Das Deutsche könne, wie sie freundlich formulierte, durchaus einige Upgrades in Sachen Solidarität verkraften. Sie stellte Überlegungen dazu an, wer wem seine Solidarität erweisen solle. Unter dem Eindruck der Debatte um Antisemitismusvorwürfe gegen den kamerunischen Historiker Achille Mbembe stellte sie insbesondere die schwarzen und die jüdischen Gemeinschaften Deutschlands in den Mittelpunkt: „Ich frage mich, wie wir die Art der Debattenführung verändern können, um Platz für die Positionen Schwarzer jüdischer Menschen zu machen. Wie können wir auf Allianzen bauen, im Dialog bleiben und zu einem Verständnis kommen, das der Komplexität von Erinnerung und Mahnung gerecht wird?“
Otoo beantwortet diese Frage in ihrem Roman vor allem durch die Biografie der dritten Ada. Sie ist eine der Zwangsprostituierten im Bordell des KZ Buchenwald/Mittelbau-Dora. In dieser Szenerie schrumpft Adas Raum auf die Größe des Zimmers, in dem sie arbeitet. Ein eigener Raum kann eine ganze Welt sein – oder eben eine Folterkammer. Nachdem schon die Ada des 15. Jahrhunderts von ihren Unterdrückern ermordet wurde, stirbt ihre Namensvetterin in Mittelbau-Dora bei dem Versuch, sich aus ihrer Lage zu befreien.
Welches historische Argument aber will Otoo durch die Montage der Biografien formulieren? Und wie weit trägt es? Wie hängen die Kolonisierung Afrikas durch weiße Europäer und die Shoa zusammen? Ist die Suggestion, die Gewaltgeschichte der Kolonisation ließe sich mehr oder weniger unmittelbar bis zu der des Faschismus verlängern, sinnvoll? Oder sind das vielleicht nur sehr deutsche Fragen, um nicht von der bekannten Erzählung der deutschen Vernichtungskriege abweichen zu müssen? Schon die stößt ja immer noch auf Verweigerung und Leugnung, und angesichts der großen Kontinuität, die Otoo aufreißt, regt sich die Frage: Ist das alles jetzt auch noch Teil unserer Schuld?
Die Antwortet lautet: Ja, und es wäre gut, sich dem zu stellen. Weniger sicher scheint, ob die filigrane Konstruktion eines Romans, der formal auf Brüche, Auslassungen und Suggestionen setzt und damit dem Publikum erfreulich viel Eigenarbeit dabei zutraut, genug Kraft für die Last all dieser Fragen hat. Das kann nur die Diskussion über das Buch zeigen, die hoffentlich breit geführt wird.
Der Kontrast zwischen den beklemmenden Szenen in Mittelbau-Dora und der Geschichte der vierten Ada scheint jedenfalls groß genug, um etwas ratlos darüber zu werden, was hier alles zusammengehört. Die Vierte lebt im 21. Jahrhundert, ist hochschwanger und sucht in Berlin nach einer Wohnung. Immer mit ihrem Pass in der Tasche, dem Zeugnis, dass sie Britin ist und zumindest auf dem Papier einen Identitätsnachweis hat, den die weißen Deutschen anerkennen. Sie tun es allerdings in der Regel nicht, Ada sieht von vielen Wohnungen nur zugeschlagene Türen.
Dass hier wieder aus der Perspektive eines Gegenstandes erzählt wird, nämlich des Reisepasses, kann der Text nicht immer überzeugend vermitteln. Die komplexe Verteilung der Stimmen im ersten Teils des Romans tritt zugunsten eines Plots zurück, der die Gegenwart rassistischer Diskriminierung, Mutter- und Schwesternschaft thematisiert. Otoos Gespür für die Macht der nur scheinbar stummen Dinge speist aber auch diesen Teil des Romans, und die Geschichte des Armbands, des fünften, alles verbindenden Dings, überzeugt einen doch von der Kraft ihrer narrativen Technik.
Die Perspektive von Dingen einzunehmen, denen man durch die Zeit folgt, ist eine effektive Art, Leserinnen und Leser am Leben von Figuren teilnehmen zu lassen, mit denen sie sich nicht zwangsläufig identifizieren müssen.
Otoo schreibt so an einer Literatur, die Freiräume für ein Publikum mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen schafft. Wer nie als hochschwangere Schwarze versucht hat, in Berlin eine Wohnung zu finden, wird hier nicht aufgefordert, sich diese Erfahrung lesend anzueignen, sondern sie als beobachtend zu erleben. Das nötigt dennoch zur anteilnehmenden Selbstreflexion. Mit Otoos Erzähltechnik lässt sich Identitätspolitik auch als ästhetisches und emotionales Verfahren begreifen. Bliebe zu hoffen, dass das vielen Leserinnen und Lesern gelingt. Der nächste Schritt wäre, sich dieses Verfahren praktisch anzueignen.
Ein Armband wandert
als verbindendes Element
durch alle Zeitebenen
Wie hängen die Kolonisierung
Afrikas durch weiße Europäer
und die Shoa zusammen?
Sharon Dodua Otoo:
Adas Raum. Roman.
S. Fischer, Frankfurt
am Main 2021.
320 Seiten, 22 Euro.
Hofft auf ein Upgrade der deutschen Sprache in Sachen Solidarität: Bachmann-Preisträgerin Sharon Otoo.
Foto: dpa
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Vier Frauen, viele Epochen: In ihrem Romandebüt „Adas Raum“ zeigt
Sharon Dodua Otoo, was sie unter einem die ganze Welt und ihre Leiden umspannenden Schreiben versteht
VON HANNA ENGELMEIER
Sharon Dodua Otoos Roman „Adas Raum“ setzt auf eine Erzählstimme, um die es in der Literatur bisher ruhig war. Das Ich, das durch die drei Teile des Buches wandert, ist – bescheidener kann man es nicht ausdrücken – der Weltgeist: „Als Lufthauch kann ich weder gesehen noch angefasst werden.“ Deswegen fährt er im Verlauf des Romans in einen Reisigbesen, einen Türklopfer, die Wände eines Zimmers und einen Reisepass und durchmisst fast sechs Jahrhunderte. Aus der Perspektive dieser Gegenstände erzählt Otoo vom Leben von vier Frauen, die alle Ada heißen.
Den vier Adas mögen die Dinge stumm erscheinen, im Roman sind sie aber äußerst beredt und fiebern mit bei den Versuchen der Frauen, sich einen ganz eigenen Raum zu schaffen, eine Welt nach ihren Vorstellungen. Das durch die Epochen wandernde Ich möchte in seiner jeweiligen Form dabei helfen: „Über die Jahrhunderte hatte ich mitbekommen, wie glückliche Wesen aussahen. Der Zustand schien ansteckend zu sein. Und mit Sicherheit, dachte ich, würde es mir das Weiterkommen erleichtern, wenn ich mehr Wert auf Bejahendes legen könnte. Meine Begegnungen mit Lebenden waren immer ertragreicher, wenn ich Glücksgefühle in ihnen ausgelöst hatte.“
Die scheinen zunächst rar zu sein. Die Erzählung beginnt mit Ada, die im 15. Jahrhundert in Totope in Westafrika lebt und von einer Nachbarin mit dem Reisigbesen verprügelt wird. Sie hat schon ihr zweites Kind verloren und kann sich nur schwer in die Gemeinschaft ihres Dorfes fügen. Gleich zu Beginn des Romans stößt Otoo die Tür ihrer Erzählung weit auf und gibt den Blick auf Adas Schmerz frei, der noch zunimmt, als sie von portugiesischen Kolonisatoren aus ihrem Heimatdorf verschleppt wird.
Die zweite Ada ist die Frau, der man zuschreibt, die erste Programmiererin der Geschichte gewesen zu sein. Ada Lovelace arbeitete gemeinsam mit Charles Babbage an den ersten Rechenmaschinen, die selbständig dazu in der Lage sein sollten, Algorithmen auszuführen. Der Türklopfer markiert die Schwelle zu dem Haus, in dem die beiden arbeiten und auch eine Liebesgeschichte erleben. Er steht bildhaft für die Frage, wer in welche Szenen Einlass erhält, im eigentlichen und übertragenen Sinn. Ada empfängt ihren Ehemann, der überraschend von einer Reise zurückkehrt, zugleich steht sie aber selbst an der Schwelle einer historischen Erzählung darüber, wie die Computer in die Welt kamen. Wird sie ihren Platz finden? Das ist in ihrer Gegenwart nicht ausgemacht, die Geschichte ist erzählt, aber noch nicht geschrieben. Otoo schreibt sie neu.
Die Zeitebenen ihres Romans gehen oft so unmerklich ineinander über, dass es schwerfällt, genau zu verstehen, wer jeweils spricht. Dafür werden die Erzählstränge durch ein weiteres Element zusammengehalten: Wiederum ist es ein Gegenstand, ein Armband wandert mit all diesen Frauen durch die Geschichte, als Liebespfand von Müttern übergeben, die ihre Kinder verlieren, durch deren Tod oder den eigenen. Allen vier Adas begegnet dieser Schmuck – zuletzt taucht er in einem Ausstellungskatalog afrikanischer Kunst in der Gegenwart auf und ruft damit aktuelle Debatten über Restitution auf.
Nicht zuletzt durch diese Wendung verwirklicht Otoo das Programm ihrer Klagenfurter Rede zur Literatur, mit der 2020 der Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis begann. Otoo hat den Preis 2016 selbst als erste Britin und als erste schwarze Autorin gewonnen. In ihrer Rede erklärte sie, warum es einen Unterschied macht, ob man „schwarze“ oder „Schwarze“ Autorin schreibt. Mit dem Großbuchstaben markieren Otoo und andere Autorinnen und Autoren, „dass wir der Community angehören, oder, wenn dem nicht so ist, dass wir uns mit der Bewegung solidarisieren“.
Otoos viel beachtete Rede „Dürfen Schwarze Blumen malen?“ widmete sich Differenzierungen dieser Art als Chance auf einen neuen literarischen wie alltäglichen Sprachgebrauch. Das Deutsche könne, wie sie freundlich formulierte, durchaus einige Upgrades in Sachen Solidarität verkraften. Sie stellte Überlegungen dazu an, wer wem seine Solidarität erweisen solle. Unter dem Eindruck der Debatte um Antisemitismusvorwürfe gegen den kamerunischen Historiker Achille Mbembe stellte sie insbesondere die schwarzen und die jüdischen Gemeinschaften Deutschlands in den Mittelpunkt: „Ich frage mich, wie wir die Art der Debattenführung verändern können, um Platz für die Positionen Schwarzer jüdischer Menschen zu machen. Wie können wir auf Allianzen bauen, im Dialog bleiben und zu einem Verständnis kommen, das der Komplexität von Erinnerung und Mahnung gerecht wird?“
Otoo beantwortet diese Frage in ihrem Roman vor allem durch die Biografie der dritten Ada. Sie ist eine der Zwangsprostituierten im Bordell des KZ Buchenwald/Mittelbau-Dora. In dieser Szenerie schrumpft Adas Raum auf die Größe des Zimmers, in dem sie arbeitet. Ein eigener Raum kann eine ganze Welt sein – oder eben eine Folterkammer. Nachdem schon die Ada des 15. Jahrhunderts von ihren Unterdrückern ermordet wurde, stirbt ihre Namensvetterin in Mittelbau-Dora bei dem Versuch, sich aus ihrer Lage zu befreien.
Welches historische Argument aber will Otoo durch die Montage der Biografien formulieren? Und wie weit trägt es? Wie hängen die Kolonisierung Afrikas durch weiße Europäer und die Shoa zusammen? Ist die Suggestion, die Gewaltgeschichte der Kolonisation ließe sich mehr oder weniger unmittelbar bis zu der des Faschismus verlängern, sinnvoll? Oder sind das vielleicht nur sehr deutsche Fragen, um nicht von der bekannten Erzählung der deutschen Vernichtungskriege abweichen zu müssen? Schon die stößt ja immer noch auf Verweigerung und Leugnung, und angesichts der großen Kontinuität, die Otoo aufreißt, regt sich die Frage: Ist das alles jetzt auch noch Teil unserer Schuld?
Die Antwortet lautet: Ja, und es wäre gut, sich dem zu stellen. Weniger sicher scheint, ob die filigrane Konstruktion eines Romans, der formal auf Brüche, Auslassungen und Suggestionen setzt und damit dem Publikum erfreulich viel Eigenarbeit dabei zutraut, genug Kraft für die Last all dieser Fragen hat. Das kann nur die Diskussion über das Buch zeigen, die hoffentlich breit geführt wird.
Der Kontrast zwischen den beklemmenden Szenen in Mittelbau-Dora und der Geschichte der vierten Ada scheint jedenfalls groß genug, um etwas ratlos darüber zu werden, was hier alles zusammengehört. Die Vierte lebt im 21. Jahrhundert, ist hochschwanger und sucht in Berlin nach einer Wohnung. Immer mit ihrem Pass in der Tasche, dem Zeugnis, dass sie Britin ist und zumindest auf dem Papier einen Identitätsnachweis hat, den die weißen Deutschen anerkennen. Sie tun es allerdings in der Regel nicht, Ada sieht von vielen Wohnungen nur zugeschlagene Türen.
Dass hier wieder aus der Perspektive eines Gegenstandes erzählt wird, nämlich des Reisepasses, kann der Text nicht immer überzeugend vermitteln. Die komplexe Verteilung der Stimmen im ersten Teils des Romans tritt zugunsten eines Plots zurück, der die Gegenwart rassistischer Diskriminierung, Mutter- und Schwesternschaft thematisiert. Otoos Gespür für die Macht der nur scheinbar stummen Dinge speist aber auch diesen Teil des Romans, und die Geschichte des Armbands, des fünften, alles verbindenden Dings, überzeugt einen doch von der Kraft ihrer narrativen Technik.
Die Perspektive von Dingen einzunehmen, denen man durch die Zeit folgt, ist eine effektive Art, Leserinnen und Leser am Leben von Figuren teilnehmen zu lassen, mit denen sie sich nicht zwangsläufig identifizieren müssen.
Otoo schreibt so an einer Literatur, die Freiräume für ein Publikum mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen schafft. Wer nie als hochschwangere Schwarze versucht hat, in Berlin eine Wohnung zu finden, wird hier nicht aufgefordert, sich diese Erfahrung lesend anzueignen, sondern sie als beobachtend zu erleben. Das nötigt dennoch zur anteilnehmenden Selbstreflexion. Mit Otoos Erzähltechnik lässt sich Identitätspolitik auch als ästhetisches und emotionales Verfahren begreifen. Bliebe zu hoffen, dass das vielen Leserinnen und Lesern gelingt. Der nächste Schritt wäre, sich dieses Verfahren praktisch anzueignen.
Ein Armband wandert
als verbindendes Element
durch alle Zeitebenen
Wie hängen die Kolonisierung
Afrikas durch weiße Europäer
und die Shoa zusammen?
Sharon Dodua Otoo:
Adas Raum. Roman.
S. Fischer, Frankfurt
am Main 2021.
320 Seiten, 22 Euro.
Hofft auf ein Upgrade der deutschen Sprache in Sachen Solidarität: Bachmann-Preisträgerin Sharon Otoo.
Foto: dpa
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2021Schon immer waren sie bereit, für dieses Armband zu töten
Gewalt und Versagung über vier Jahrhunderte: In ihrem ersten Roman "Adas Raum" spielt Sharon Dodua Otoo meisterlich mit Mustern und Momenten.
Von Fridtjof Küchemann
Auch so hätte das Bild, zu dem Sharon Dodua Otoo die Figuren auf dem Höhepunkt ihres ersten Romans, "Adas Raum", gruppiert, schon einige Wucht: Ein alter Mann, bei dem sich eine junge hochschwangere Frau namens Ada auf Wohnungssuche gerade vorgestellt hatte, war bei der Besichtigung zusammengebrochen. Sie hat ihn mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus begleitet. Plötzlich taucht der Vater ihres ungeborenen Kindes auf und will mit ihr reden, über ihr erstes Mal, das sie nicht gewollt und er nicht überblickt hatte, über die ungewollte Schwangerschaft und darüber, wie es jetzt weitergehen soll. Sie kann sich kaum wehren, als sie auch noch ins Krankenzimmer des alten Mannes gerufen wird, der sie kurzerhand vor den Pflegern als seine Tochter ausgegeben hat. Er will mit ihr, seinem Zustand und einem Unwetter zum Trotz, die Klinik verlassen, als ihre Fruchtblase platzt.
Es fehlt noch einiges auf diesem Bild: Adas Halbschwester Elle zum Beispiel, bei der sie nach ihrer Ankunft in Berlin erst einmal hatte unterkommen dürfen, die mit Fortschreiten der Schwangerschaft immer verzweifelter nach einer Wohnung, zumindest einem Zimmer für ihre Schwester gesucht hatte und sie schließlich, kurz vor dem letzten Besichtigungstermin, auf offener Straße stehengelassen hatte mit den Worten, sie selbst würde, solange sie die Wahl hätte, keine Kinder in diese Welt setzen. Es fehlt, dass Ada aus Ghana nach Berlin gekommen ist, dass sie als kleines Kind aus ihrer Geburtsstadt London nach Afrika zurückgekehrt war, nachdem ihre Mutter dort bei einem Feuer ums Leben gekommen war. Dass ihre ganze Familie jetzt von ihr erwartet, sie möge es nach dem geplanten Informatikstudium zu etwas bringen. Dass ihr Vater sie angeschrien hat, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Dass der Vater ihres ungeborenen Kindes sich damals, Anfang Mai, über ihr "Eigentlich will ich das nicht" hinweggesetzt hatte, dass er geglaubt hatte, es wegküssen zu können, dass sie danach im Badezimmer stand und weinte, leise, damit er es nur ja nicht hören könnte, während ihr ein Blutfaden an einem Bein herunterlief und zu ihren Füßen eine Lache bildete.
Sharon Dodua Otoo hat im Sommer 2016 die Bühne der deutschsprachigen Literatur mit einem Paukenschlag betreten. Ihr zweiter in deutscher Sprache geschriebener Text, "Herr Gröttrup setzt sich hin", zeigte eine Eheszene mit Ausblick auf Weltgeschichte mit einer Figur in sonderbarer Lage und aus sonderbarer Perspektive: Ein Raketeningenieur, erst im Nationalsozialismus, dann in der Sowjetunion aktiv, wurde aus der Perspektive eines Frühstückseis beschrieben. Genauer gesagt, aus der Perspektive eines Erzählers, der in unterschiedlichen Formen - künftig auch als roter Teppich - auf unterschiedliche Weisen das Geschehen um seine Hauptfigur nicht lediglich notierte, sondern im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten mitzugestalten versuchte.
Zwei aus dem Englischen übersetzte Novellen hatte Sharon Dodua Otoo damals bereits hierzulande veröffentlicht und in einer englischsprachigen Buchreihe schwarzen Autoren in Deutschland ein Forum gegeben. Dass ihr nächster großer Schritt, die Veröffentlichung eines Romans, weitere viereinhalb Jahre auf sich warten ließ, mag nicht allein dem Umstand geschuldet sein, dass zwar eine Putzfrau namens Ada schon im Klagenfurter Text, umgekehrt aber Herr Gröttrupp in "Adas Raum" keine Rolle spielt und ein Frühstücksei nur in einem Satz des Romans als kleine Anspielung vorkommt. Sharon Dodua Otoo hat ihr eigenwilliges, ebenso recherche- wie phantasieaufwendiges literarisches Spiel in ihrem Roman noch ausgeweitet.
Diesmal ist es ein Reisepass, der Adas Spannungen mit ihrer Schwester und die gemeinsamen Bemühungen um eine Bleibe notiert. Zuvor im Buch war er ein Reisigbesen, ein Türklopfer in Form eines Löwenkopfes und ein Zimmer - ein Zimmer, das dem Titel des Romans einen weitaus düstereren Klang verleiht als die Wohnungssuche im Berlin des Jahres 2019. Diesmal springt die Erzählstimme, wenn es nicht Ada, eine Ada selbst ist, die zu Wort kommt, durch die Jahrhunderte, durch Schleifen, wie es im Buch heißt. Sie begleitet Inkorporationen von Ada, miteinander kaum verbunden, nur durch unerklärliche Erinnerungen und durch ein Armband, dessen Weg die Erzählung im Jahr 1459 an der Küste des heutigen Ghana, westlich der Volta-Mündung, aufnimmt und bis in die Gegenwart verfolgt, bis zu einer Ausstellungsbroschüre und dem alten Mann mit der Wohnung.
Ein Armband mit goldenen Perlen will Ada in Totope ihrem toten Kind mit auf seine letzte Reise geben, im fünfzehnten Jahrhundert der Zeitrechnung der weißen Männer, die unvermittelt im Dorf auftauchen und für Schätze wie diesen zu töten bereit sind. 1848 hat eine Ada in London ihrer Zofe dieses Armband, als altes Familienerbstück ein Hochzeitsgeschenk ihre Mannes, mit dem Auftrag anvertraut, es zu Geld zu machen, mit dem sie ihre Spielschulden begleichen will. Er fragt, wo es geblieben sei. Im Jahr 1945 bekommt eine Ada, Zwangsprostituierte im Konzentrationslager Dora-Mittelbau, dieses Armband von einem Verehrer zugesteckt. Als zum Appell gerufen wird, kann sie es nicht schnell genug unter den Fußbodenbrettern verstecken und streift es sich in ihrer Not über die Hand.
Auf Seite 110 des Romans ist auch die dritte dieser Adas niedergeschossen; die Londoner Ada, deren Lebensumstände bis auf diese Todesart denen der berühmten Mathematikerin Ada Lovelace ähneln, ist ebenfalls tot. Kein Grund, nicht weiter von ihnen zu erzählen. Im Gegenteil: Der alte Vermieter gibt sich 2019 in der Berliner Ulmenallee nicht nur als jener SS-Obersturmbannführer zu erkennen, der 74 Jahre zuvor in Dora das Armband an sich genommen hatte, aus ihm spricht auch Guilherme Fernandes Zarco, der 1459 in Afrika das Armband an sich gebracht hatte, und William King, 1848 Ehemann und Mörder der Ada Lovelace. Wen kann es da wundern, dass auch Gott in satirisch angelegten Zwischenspielen des Romans seinen Auftritt hat?
Die Sprünge und Wechsel, die Überblendungen und Schleifen des Buchs könnten kapriziös wirken, tatsächlich sind sie nicht nur für manchen komischen Moment und Kommentar gut in "Adas Raum", sie nehmen den grausamen Geschichten ihre Schwere, aber nicht ihre Wucht. Mit überraschendem Effekt: Wer hier erzählt, so begreift der Leser, legt Zeugnis ab von Unterdrückung und Gewalt - mit einem Gleichmut, der sich aus jahrhundertealter Vergegenwärtigung dieser Taten und Haltungen nährt, aus einem Umgang, der den Nachfahren und Wiedergängern dieser Täter bis heute fehlt. Seien es Nachkommen europäischer Seefahrer und Kolonisatoren, seien es Männer, die ihre Übergriffe auf Frauen nach wie vor mit vorgeblich natürlichen Vorrechten und Besitzansprüchen begründen: indem Sharon Dodua Otoo in ihrem Roman mit einer Leichtigkeit die Jahrhunderte wechselt, legt sie nicht nur offen, welches geschichtliche Gewicht mitschwingt, wenn sich eine junge Schwarze in prekärer Lage in unserer Zeit in unserem Land ein Zuhause sucht, sondern auch, welche Muster bis heute wirkmächtig geblieben sind.
Sharon Dodua Otoo: "Adas Raum". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021. 320 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gewalt und Versagung über vier Jahrhunderte: In ihrem ersten Roman "Adas Raum" spielt Sharon Dodua Otoo meisterlich mit Mustern und Momenten.
Von Fridtjof Küchemann
Auch so hätte das Bild, zu dem Sharon Dodua Otoo die Figuren auf dem Höhepunkt ihres ersten Romans, "Adas Raum", gruppiert, schon einige Wucht: Ein alter Mann, bei dem sich eine junge hochschwangere Frau namens Ada auf Wohnungssuche gerade vorgestellt hatte, war bei der Besichtigung zusammengebrochen. Sie hat ihn mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus begleitet. Plötzlich taucht der Vater ihres ungeborenen Kindes auf und will mit ihr reden, über ihr erstes Mal, das sie nicht gewollt und er nicht überblickt hatte, über die ungewollte Schwangerschaft und darüber, wie es jetzt weitergehen soll. Sie kann sich kaum wehren, als sie auch noch ins Krankenzimmer des alten Mannes gerufen wird, der sie kurzerhand vor den Pflegern als seine Tochter ausgegeben hat. Er will mit ihr, seinem Zustand und einem Unwetter zum Trotz, die Klinik verlassen, als ihre Fruchtblase platzt.
Es fehlt noch einiges auf diesem Bild: Adas Halbschwester Elle zum Beispiel, bei der sie nach ihrer Ankunft in Berlin erst einmal hatte unterkommen dürfen, die mit Fortschreiten der Schwangerschaft immer verzweifelter nach einer Wohnung, zumindest einem Zimmer für ihre Schwester gesucht hatte und sie schließlich, kurz vor dem letzten Besichtigungstermin, auf offener Straße stehengelassen hatte mit den Worten, sie selbst würde, solange sie die Wahl hätte, keine Kinder in diese Welt setzen. Es fehlt, dass Ada aus Ghana nach Berlin gekommen ist, dass sie als kleines Kind aus ihrer Geburtsstadt London nach Afrika zurückgekehrt war, nachdem ihre Mutter dort bei einem Feuer ums Leben gekommen war. Dass ihre ganze Familie jetzt von ihr erwartet, sie möge es nach dem geplanten Informatikstudium zu etwas bringen. Dass ihr Vater sie angeschrien hat, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Dass der Vater ihres ungeborenen Kindes sich damals, Anfang Mai, über ihr "Eigentlich will ich das nicht" hinweggesetzt hatte, dass er geglaubt hatte, es wegküssen zu können, dass sie danach im Badezimmer stand und weinte, leise, damit er es nur ja nicht hören könnte, während ihr ein Blutfaden an einem Bein herunterlief und zu ihren Füßen eine Lache bildete.
Sharon Dodua Otoo hat im Sommer 2016 die Bühne der deutschsprachigen Literatur mit einem Paukenschlag betreten. Ihr zweiter in deutscher Sprache geschriebener Text, "Herr Gröttrup setzt sich hin", zeigte eine Eheszene mit Ausblick auf Weltgeschichte mit einer Figur in sonderbarer Lage und aus sonderbarer Perspektive: Ein Raketeningenieur, erst im Nationalsozialismus, dann in der Sowjetunion aktiv, wurde aus der Perspektive eines Frühstückseis beschrieben. Genauer gesagt, aus der Perspektive eines Erzählers, der in unterschiedlichen Formen - künftig auch als roter Teppich - auf unterschiedliche Weisen das Geschehen um seine Hauptfigur nicht lediglich notierte, sondern im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten mitzugestalten versuchte.
Zwei aus dem Englischen übersetzte Novellen hatte Sharon Dodua Otoo damals bereits hierzulande veröffentlicht und in einer englischsprachigen Buchreihe schwarzen Autoren in Deutschland ein Forum gegeben. Dass ihr nächster großer Schritt, die Veröffentlichung eines Romans, weitere viereinhalb Jahre auf sich warten ließ, mag nicht allein dem Umstand geschuldet sein, dass zwar eine Putzfrau namens Ada schon im Klagenfurter Text, umgekehrt aber Herr Gröttrupp in "Adas Raum" keine Rolle spielt und ein Frühstücksei nur in einem Satz des Romans als kleine Anspielung vorkommt. Sharon Dodua Otoo hat ihr eigenwilliges, ebenso recherche- wie phantasieaufwendiges literarisches Spiel in ihrem Roman noch ausgeweitet.
Diesmal ist es ein Reisepass, der Adas Spannungen mit ihrer Schwester und die gemeinsamen Bemühungen um eine Bleibe notiert. Zuvor im Buch war er ein Reisigbesen, ein Türklopfer in Form eines Löwenkopfes und ein Zimmer - ein Zimmer, das dem Titel des Romans einen weitaus düstereren Klang verleiht als die Wohnungssuche im Berlin des Jahres 2019. Diesmal springt die Erzählstimme, wenn es nicht Ada, eine Ada selbst ist, die zu Wort kommt, durch die Jahrhunderte, durch Schleifen, wie es im Buch heißt. Sie begleitet Inkorporationen von Ada, miteinander kaum verbunden, nur durch unerklärliche Erinnerungen und durch ein Armband, dessen Weg die Erzählung im Jahr 1459 an der Küste des heutigen Ghana, westlich der Volta-Mündung, aufnimmt und bis in die Gegenwart verfolgt, bis zu einer Ausstellungsbroschüre und dem alten Mann mit der Wohnung.
Ein Armband mit goldenen Perlen will Ada in Totope ihrem toten Kind mit auf seine letzte Reise geben, im fünfzehnten Jahrhundert der Zeitrechnung der weißen Männer, die unvermittelt im Dorf auftauchen und für Schätze wie diesen zu töten bereit sind. 1848 hat eine Ada in London ihrer Zofe dieses Armband, als altes Familienerbstück ein Hochzeitsgeschenk ihre Mannes, mit dem Auftrag anvertraut, es zu Geld zu machen, mit dem sie ihre Spielschulden begleichen will. Er fragt, wo es geblieben sei. Im Jahr 1945 bekommt eine Ada, Zwangsprostituierte im Konzentrationslager Dora-Mittelbau, dieses Armband von einem Verehrer zugesteckt. Als zum Appell gerufen wird, kann sie es nicht schnell genug unter den Fußbodenbrettern verstecken und streift es sich in ihrer Not über die Hand.
Auf Seite 110 des Romans ist auch die dritte dieser Adas niedergeschossen; die Londoner Ada, deren Lebensumstände bis auf diese Todesart denen der berühmten Mathematikerin Ada Lovelace ähneln, ist ebenfalls tot. Kein Grund, nicht weiter von ihnen zu erzählen. Im Gegenteil: Der alte Vermieter gibt sich 2019 in der Berliner Ulmenallee nicht nur als jener SS-Obersturmbannführer zu erkennen, der 74 Jahre zuvor in Dora das Armband an sich genommen hatte, aus ihm spricht auch Guilherme Fernandes Zarco, der 1459 in Afrika das Armband an sich gebracht hatte, und William King, 1848 Ehemann und Mörder der Ada Lovelace. Wen kann es da wundern, dass auch Gott in satirisch angelegten Zwischenspielen des Romans seinen Auftritt hat?
Die Sprünge und Wechsel, die Überblendungen und Schleifen des Buchs könnten kapriziös wirken, tatsächlich sind sie nicht nur für manchen komischen Moment und Kommentar gut in "Adas Raum", sie nehmen den grausamen Geschichten ihre Schwere, aber nicht ihre Wucht. Mit überraschendem Effekt: Wer hier erzählt, so begreift der Leser, legt Zeugnis ab von Unterdrückung und Gewalt - mit einem Gleichmut, der sich aus jahrhundertealter Vergegenwärtigung dieser Taten und Haltungen nährt, aus einem Umgang, der den Nachfahren und Wiedergängern dieser Täter bis heute fehlt. Seien es Nachkommen europäischer Seefahrer und Kolonisatoren, seien es Männer, die ihre Übergriffe auf Frauen nach wie vor mit vorgeblich natürlichen Vorrechten und Besitzansprüchen begründen: indem Sharon Dodua Otoo in ihrem Roman mit einer Leichtigkeit die Jahrhunderte wechselt, legt sie nicht nur offen, welches geschichtliche Gewicht mitschwingt, wenn sich eine junge Schwarze in prekärer Lage in unserer Zeit in unserem Land ein Zuhause sucht, sondern auch, welche Muster bis heute wirkmächtig geblieben sind.
Sharon Dodua Otoo: "Adas Raum". Roman.
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2021. 320 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So klar die politische Aussage der bekennenden Aktivistin deutlich wird, so poetische fantasiert sie ihre Ada-Figuren-Kette durch die über 300 Seiten des Romans. Viola Bolduan Wiesbadener Kurier 20220219