Produktdetails
- Werke in Einzelausgaben
- Verlag: Das Neue Berlin
- Seitenzahl: 393
- Deutsch
- Abmessung: 210mm
- Gewicht: 552g
- ISBN-13: 9783360009630
- ISBN-10: 3360009630
- Artikelnr.: 09893545
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2001Eine straffe Hose macht noch keine edle Haltung
Der ferne Spiegel: Ludwig Renns Roman "Adel im Untergang" wurde neu aufgelegt · Von Michael Jeismann
Dekadenz ist kein adliges Privileg - das war Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine letzte bürgerliche Entdeckung. Seither hat der Reiz adliger Herkunft ein wenig gelitten, da nicht einmal mehr der Niedergang exklusiv ist. Literarisch indessen war diese Entwicklung fruchtbar insofern, als man Transzendenz nunmehr ebenso im Roman einer Kaufmannsfamilie aufheben wie im Schicksal des Proletariers finden konnte.
Das Soziale konnte also zur Parabel werden. Romane, die sonst allenfalls noch von historischem Interesse wären, erlangen aus diesem Grund gelegentlich eine überraschende Aktualität. Beim Lesen ist es dann, als erblicke man durch die Figuren eines durchsichtig-fein gewebten Vorhangs Typen und Verhalten unserer eigenen Welt. Gerade in Zeiten des Umbruchs, der unbefestigten Gegenwart, kommen Grundmuster gesellschaftlicher Dynamik zum Vorschein, die wie auf einer Vergleichsfolie sich unter unsere Verhältnisse schieben. Dies ist der Fall bei dem wenig bekannten und jetzt im Rahmen einer bemerkenswerten Werkausgabe neu aufgelegten Roman "Adel im Untergang" von Ludwig Renn.
Der Verlag "Das Neue Berlin" und Günther Drommer, der Herausgeber der Werkausgabe, der ein sehr instruktives Nachwort zum Roman geschrieben hat, machen die Probe: Wird Ludwig Renn heute ein Publikum erreichen? Renns schriftstellerische Fähigkeiten waren begrenzt, seine Themen autobiographisch geprägt und aus einer Zeit, die versunken ist, sein Engagement für den Kommunismus persönlich untadelig, aber in seiner Bedingungslosigkeit eher fragwürdig. Das alles spricht nicht unbedingt für eine Renaissance Ludwig Renns - und doch ist nicht zu leugnen, daß in Ermangelung genauer, zuspitzender Gegenwartsromane die Erzählungen dieses Autors den heutigen Zeitgenossen wie Scherben eines Spiegels erscheinen können, in denen gegen alle Wahrscheinlichkeit die eigene Zeit in einer fernen Reflektion auftaucht.
Gegen alle Wahrscheinlichkeit, denn der Erlebnisbericht eines jungen Adligen, der im Jahr 1910 Fähnrich im sächsischen Leibgrenadierregiment wird und am Ende als Leutnant in den Weltkrieg zieht, ist nicht gerade der Stoff, zu dem sich leicht Analogien zur Gegenwart bilden lassen. Freilich war der Roman schon zu der Zeit, als er erstmals publiziert wurde, in mancher Hinsicht anachronistisch. Renn veröffentlichte ihn 1944 im mexikanischen Exil. Der Einband der ersten Ausgabe zeigte die Bleistiftskizze eines apokalyptischen Reiters von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1505. Das war ein ikonographisch angedeuteter Gegenwartsbezug angesichts des Versagen der alten Eliten vor Hitler und dem Nationalsozialismus. Dieser Einband mit dem Bild aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert war allerdings aktueller, schärfer und bedrohlicher als es die Erinnerungen des Arnold Friedrich Vieth von Golssenau, der sich als Autor mit dem Namen Ludwig Renn verbürgerlichte, eigentlich sein konnten.
So beginnt man die Lektüre zunächst bloß mit einem Interesse am Kuriosen - und wird nicht enttäuscht. Da berichtet Renn aus seinem Elternhaus und den "adligen Fräulein um 1900", speziell in Sachsen. Eine Tante, die doch "alles machen kann", die reisen und sogar malen kann, ruft ganz verzweifelt aus: "Aber was ich nicht kann, ist, ein nützliches Wesen werden!" Ein Mann des Hochadels immerhin könnte sich auflehnen, um "kein blöder Leutnant, sondern ein nützlicher Mensch zu werden." Aber die Frauen? Die haben schon gar keine Chance, dem Stumpfsinn zu entkommen: "Ich bin", sagt eine Gräfin, "in der Berliner Hofgesellschaft ausgeführt worden - angebissen hat niemand!" Das ist bitter. Und dann wird auch noch darüber gestritten, ob man auf sächsisch überhaupt große Gedanken fassen und ausdrücken könne, was von einigen im Haus ganz entschieden bestritten wird.
Dann aber wird es richtig ernst: Der junge Vieth von Golssenau kommt als Fahnenjunker zum Leibgrenadierregiment - in die soldatische Klassengesellschaft, deren Widersprüche, Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten ihn zunächst erstaunen und dann empören. Als Adliger soll er gleichermaßen persönliches Vorbild wie Repräsentant des gesellschaftlichen Systems und seiner Werte sein - ein Widerspruch in sich und unlösbar dazu. In immer neuen episodenhaften Wendungen zeigt sich dem jungen Adligen die Unvereinbarkeit dieses doppelten Anspruchs. Das herrschende System überzeugend zu repräsentieren, würde ein Maß an Abstumpfung voraussetzen, das dem jungen Herren leider nicht gegeben ist. Innerhalb der hohlen Ordnung wird zwar viel zeremonieller Wind gemacht, aber Staat ist mit ihr nicht mehr viel zu machen.
So straff die Uniformhosen gezogen waren - so straff, daß die Leutnants sich nicht mehr mit angewinkelten Beinen hinsetzen konnten - so lasch die Selbstdisziplin der Offizierselite. Renn schildert das weniger sarkastisch als vielmehr mit bitterheiterer Ironie anhand zahlloser Details des gesellschaftlichen Lebens in der Kaserne und am Hofe. Hellsichtig kennzeichnet er, auf welche Weise Konventionen nach und nach zu Sakralwerten stilisiert werden - aus Bequemlichkeit, damit man nicht länger über ihren Sinn und Nutzen und damit über die eigene Position nachdenken muß. Renn läßt einen milden alten Major dazu sagen: "Heilig ist, was überflüssig geworden ist." Da wurden "alle plötzlich ernst und starrten den Major an." Glücklich eine Zeit, die noch solch einen Major hat, könnte man auch sagen. Tatsächlich aber wird uns eine Gesellschaft vor Augen gestellt, die den Boden unter den Füßen verloren hat und sich an das Hergebrachte klammert. So ist dieser Roman ein stehendes Gewässer, das Blasen wirft und in dem die Figuren sinnlos im Kreis herumschwimmen.
Und was könnte das mit uns zu tun haben? Mit der Dynamik und Rasanz der Gegenwart? In den Formen gar nichts, aber im verblassenden Begriff vom "guten Leben", das immer durch bestimmte Grundelemente von Gemeinsamkeit bestimmt ist, kündigen sich Formen sozialen Lebens an, die einen Untergang anderer Art bedeuten. Denn ob die jungen Herren Leutnants unserer Republik sich noch fragen wie unser Held: "Bin ich nicht auch schrecklich oberflächlich geworden? Was bin ich schließlich!" Oder daß sie gar feststellen: "Schon immer hatte ich das Gefühl gehabt, daß der banale Mensch mein Feind wäre und daß man eine bessere Welt der Anderen schaffen müßte." Am Ende liegt alle Ehre dann doch im adäquaten outfit.
Wie auch immer, dieser ferne Roman hat heute ein untergründiges kritisches Potential: Indem er nämlich Ähnlichkeiten hinter zwei komplett verschiedenen Gesellschaftsmasken zu suggerieren vermag, verweigert er die Illusion, daß "wir so nie wieder werden könnten". Und es gibt eigentlich keine schlimmere Kränkung für den Stolz einer Epoche, die sich für einzigartig hält. Das ist eine literarisch-politische Leistung, die schwer genug wiegt.
Ludwig Renn: "Adel im Untergang". Roman. Herausgegeben von Günther Drommer. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 400 S., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der ferne Spiegel: Ludwig Renns Roman "Adel im Untergang" wurde neu aufgelegt · Von Michael Jeismann
Dekadenz ist kein adliges Privileg - das war Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine letzte bürgerliche Entdeckung. Seither hat der Reiz adliger Herkunft ein wenig gelitten, da nicht einmal mehr der Niedergang exklusiv ist. Literarisch indessen war diese Entwicklung fruchtbar insofern, als man Transzendenz nunmehr ebenso im Roman einer Kaufmannsfamilie aufheben wie im Schicksal des Proletariers finden konnte.
Das Soziale konnte also zur Parabel werden. Romane, die sonst allenfalls noch von historischem Interesse wären, erlangen aus diesem Grund gelegentlich eine überraschende Aktualität. Beim Lesen ist es dann, als erblicke man durch die Figuren eines durchsichtig-fein gewebten Vorhangs Typen und Verhalten unserer eigenen Welt. Gerade in Zeiten des Umbruchs, der unbefestigten Gegenwart, kommen Grundmuster gesellschaftlicher Dynamik zum Vorschein, die wie auf einer Vergleichsfolie sich unter unsere Verhältnisse schieben. Dies ist der Fall bei dem wenig bekannten und jetzt im Rahmen einer bemerkenswerten Werkausgabe neu aufgelegten Roman "Adel im Untergang" von Ludwig Renn.
Der Verlag "Das Neue Berlin" und Günther Drommer, der Herausgeber der Werkausgabe, der ein sehr instruktives Nachwort zum Roman geschrieben hat, machen die Probe: Wird Ludwig Renn heute ein Publikum erreichen? Renns schriftstellerische Fähigkeiten waren begrenzt, seine Themen autobiographisch geprägt und aus einer Zeit, die versunken ist, sein Engagement für den Kommunismus persönlich untadelig, aber in seiner Bedingungslosigkeit eher fragwürdig. Das alles spricht nicht unbedingt für eine Renaissance Ludwig Renns - und doch ist nicht zu leugnen, daß in Ermangelung genauer, zuspitzender Gegenwartsromane die Erzählungen dieses Autors den heutigen Zeitgenossen wie Scherben eines Spiegels erscheinen können, in denen gegen alle Wahrscheinlichkeit die eigene Zeit in einer fernen Reflektion auftaucht.
Gegen alle Wahrscheinlichkeit, denn der Erlebnisbericht eines jungen Adligen, der im Jahr 1910 Fähnrich im sächsischen Leibgrenadierregiment wird und am Ende als Leutnant in den Weltkrieg zieht, ist nicht gerade der Stoff, zu dem sich leicht Analogien zur Gegenwart bilden lassen. Freilich war der Roman schon zu der Zeit, als er erstmals publiziert wurde, in mancher Hinsicht anachronistisch. Renn veröffentlichte ihn 1944 im mexikanischen Exil. Der Einband der ersten Ausgabe zeigte die Bleistiftskizze eines apokalyptischen Reiters von Albrecht Dürer aus dem Jahr 1505. Das war ein ikonographisch angedeuteter Gegenwartsbezug angesichts des Versagen der alten Eliten vor Hitler und dem Nationalsozialismus. Dieser Einband mit dem Bild aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert war allerdings aktueller, schärfer und bedrohlicher als es die Erinnerungen des Arnold Friedrich Vieth von Golssenau, der sich als Autor mit dem Namen Ludwig Renn verbürgerlichte, eigentlich sein konnten.
So beginnt man die Lektüre zunächst bloß mit einem Interesse am Kuriosen - und wird nicht enttäuscht. Da berichtet Renn aus seinem Elternhaus und den "adligen Fräulein um 1900", speziell in Sachsen. Eine Tante, die doch "alles machen kann", die reisen und sogar malen kann, ruft ganz verzweifelt aus: "Aber was ich nicht kann, ist, ein nützliches Wesen werden!" Ein Mann des Hochadels immerhin könnte sich auflehnen, um "kein blöder Leutnant, sondern ein nützlicher Mensch zu werden." Aber die Frauen? Die haben schon gar keine Chance, dem Stumpfsinn zu entkommen: "Ich bin", sagt eine Gräfin, "in der Berliner Hofgesellschaft ausgeführt worden - angebissen hat niemand!" Das ist bitter. Und dann wird auch noch darüber gestritten, ob man auf sächsisch überhaupt große Gedanken fassen und ausdrücken könne, was von einigen im Haus ganz entschieden bestritten wird.
Dann aber wird es richtig ernst: Der junge Vieth von Golssenau kommt als Fahnenjunker zum Leibgrenadierregiment - in die soldatische Klassengesellschaft, deren Widersprüche, Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten ihn zunächst erstaunen und dann empören. Als Adliger soll er gleichermaßen persönliches Vorbild wie Repräsentant des gesellschaftlichen Systems und seiner Werte sein - ein Widerspruch in sich und unlösbar dazu. In immer neuen episodenhaften Wendungen zeigt sich dem jungen Adligen die Unvereinbarkeit dieses doppelten Anspruchs. Das herrschende System überzeugend zu repräsentieren, würde ein Maß an Abstumpfung voraussetzen, das dem jungen Herren leider nicht gegeben ist. Innerhalb der hohlen Ordnung wird zwar viel zeremonieller Wind gemacht, aber Staat ist mit ihr nicht mehr viel zu machen.
So straff die Uniformhosen gezogen waren - so straff, daß die Leutnants sich nicht mehr mit angewinkelten Beinen hinsetzen konnten - so lasch die Selbstdisziplin der Offizierselite. Renn schildert das weniger sarkastisch als vielmehr mit bitterheiterer Ironie anhand zahlloser Details des gesellschaftlichen Lebens in der Kaserne und am Hofe. Hellsichtig kennzeichnet er, auf welche Weise Konventionen nach und nach zu Sakralwerten stilisiert werden - aus Bequemlichkeit, damit man nicht länger über ihren Sinn und Nutzen und damit über die eigene Position nachdenken muß. Renn läßt einen milden alten Major dazu sagen: "Heilig ist, was überflüssig geworden ist." Da wurden "alle plötzlich ernst und starrten den Major an." Glücklich eine Zeit, die noch solch einen Major hat, könnte man auch sagen. Tatsächlich aber wird uns eine Gesellschaft vor Augen gestellt, die den Boden unter den Füßen verloren hat und sich an das Hergebrachte klammert. So ist dieser Roman ein stehendes Gewässer, das Blasen wirft und in dem die Figuren sinnlos im Kreis herumschwimmen.
Und was könnte das mit uns zu tun haben? Mit der Dynamik und Rasanz der Gegenwart? In den Formen gar nichts, aber im verblassenden Begriff vom "guten Leben", das immer durch bestimmte Grundelemente von Gemeinsamkeit bestimmt ist, kündigen sich Formen sozialen Lebens an, die einen Untergang anderer Art bedeuten. Denn ob die jungen Herren Leutnants unserer Republik sich noch fragen wie unser Held: "Bin ich nicht auch schrecklich oberflächlich geworden? Was bin ich schließlich!" Oder daß sie gar feststellen: "Schon immer hatte ich das Gefühl gehabt, daß der banale Mensch mein Feind wäre und daß man eine bessere Welt der Anderen schaffen müßte." Am Ende liegt alle Ehre dann doch im adäquaten outfit.
Wie auch immer, dieser ferne Roman hat heute ein untergründiges kritisches Potential: Indem er nämlich Ähnlichkeiten hinter zwei komplett verschiedenen Gesellschaftsmasken zu suggerieren vermag, verweigert er die Illusion, daß "wir so nie wieder werden könnten". Und es gibt eigentlich keine schlimmere Kränkung für den Stolz einer Epoche, die sich für einzigartig hält. Das ist eine literarisch-politische Leistung, die schwer genug wiegt.
Ludwig Renn: "Adel im Untergang". Roman. Herausgegeben von Günther Drommer. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2001. 400 S., geb., 39,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wird Ludwig Renn heute ein Publikum erreichen?" fragt Rezensent Michael Jeismann und ist erst selbst skeptisch. Doch die Geschichte vom adeligen Fähnrich und die von Renn "mit bitter heiterer Ironie" geschilderte "soldatische Klassengesellschaft" nimmt ihn dann doch gefangen. Diese Gesellschaft, die den Boden unter den Füßen verloren habe und sich daher an das Hergebrachte klammere, findet er "hellsichtig" und mit zahllosen Details beschrieben. Die Renn-Werkausgabe, in der dieser "wenig bekannte" Roman erschien, wird als "bemerkenswert", das Nachwort des Herausgebers als "instruktiv" gelobt. Das 1944 im mexikanischen Exil zuerst veröffentlichte Buch habe damals das "Versagen der alte Eliten" vor dem Nationalsozialismus thematisiert. Der zeitlich so "ferne Roman", findet der Rezensent, habe aber auch heute ein "untergründig kritisches Potential": weil er nämlich Grundmuster sozialer Dynamiken zum Vorschein bringe, und man durch die "Figuren eines durchsichtig-fein gewebten Vorhangs" Typen und Verhalten unserer eigenen Welt erblicken könne. Parallelen zur Gegenwart sieht der Rezensent besonders "im verblassenden Begriff vom 'guten Leben'". Hier kündigten sich Formen sozialen Lebens an, die "einen Untergang anderer Art" bedeuten würden. Solche Einsichten zu ermöglichen, lobt der Rezensenten, sei eine "literarisch-politische Leistung", die schwer genug wiege.
© Perlentaucher Medien GmbH
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