1872, München: Mehr als 30 000 Menschen in München und Umgebung verlieren ihre Ersparnisse. Existenzen und ganze Gemeinden sind urplötzlich ruiniert, unzählige Menschen nehmen sich das Leben.Schuld ist eine Frau: Adele Spitzeder. Vollkommen mittellos und als Schauspielerin gescheitert gründet sie im Jahr 1869 die »Dachauer Bank« und wird damit zur Urheberin des größten Schneeballsystems im ganzen Kaiserreich. In ihrer Privatwohnung stapelt sie die Geldsäcke ungesichert, eine Buchhaltung gibt es nicht. 1872 bricht das System zusammen.Vieles kommt auch heute bekannt vor, obwohl damals Bismarck und der bayerische Märchenkönig Ludwig II. regierten: die Leichtgläubigkeit bei schnellen Gewinnversprechen, die Relevanz gelungener Öffentlichkeitsarbeit und die Entstehung von Investmentblasen ohne die notwendigen Sicherheiten. Geschichte wiederholt sich vielleicht nicht, aber sie reimt sich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2018Ein Schneeballsystem
Adele Spitzeders wunderbare Geldvermehrung
Mit Superlativen ist es so eine Sache. Ob das, was die Schauspielerin Adele Spitzeder im 19. Jahrhundert in München abzog, wirklich "der größte Bankenbetrug aller Zeiten" war (so der Untertitel), darf man bezweifeln. 30 000 Münchner verloren mit Spitzeders Schneeballsystem ihr Erspartes. Die Gründerin der "Dachauer Bank" hatte fünfzig Jahre vor Charles Ponzi ein Ponzi-System erfunden, das die Leichtgläubigkeit ihrer Kunden ausnutzte. Gemessen an der Schadenssumme, blieb ihr Schwindel hinter dem Betrug des New Yorkers Bernard Madoff zurück, der 2008 seine reiche Kundschaft um mehr als 60 Milliarden Dollar prellte. Aber weil Spitzeder vor allem armen Leute das Geld abnahm, hat ihr Betrug eine besonders bittere Note.
Im vorliegenden Buch erzählt Julian Nebel mit milde ironischem Unterton, wie sich das alles zugetragen hat. Er erklärt die historischen Hintergründe im München während der Industrialisierung, als die Residenzstadt einen Aufschwung erlebte, es aber auch viel Not gab. Spitzeder, geboren 1832 als Tochter zweier Schauspieler, war nach unsteter Jugend selbst ans Theater gegangen und hatte Engagements in verschiedenen Städten - mit mäßigem Erfolg. Mit 36 Jahren war sie das erste Mal bankrott und kehrte nach München zurück, wo sie in einem Gasthaus unterkam mit ihrer Gesellschafterin, so wurde damals eine lesbische Beziehung diskret umschrieben. Adele Spitzeder war damals hochverschuldet.
Da verfiel sie auf eine Geschäftsidee: Sie nahm von Leuten Einlagen an gegen das Versprechen von 10 Prozent Zinsen - im Monat. Zwei Monatsraten zahlte sie gleich im Voraus. Das Geld dafür kam durch immer neue Einlagen. Ihre ersten Kunden 1869 waren Zimmerleute aus der Au, einem Armenviertel rechts der Isar. Bald standen die Leute Schlange vor ihrer "Bank" - eine "wahre Kreditlawine" rollte auf sie zu, wie sie schrieb. Die wundersame Geldvermehrung durch ein Schneeballsystem begann. Ihre Buchhaltung war chaotisch, der Lebensstil der Zigarre rauchenden Adele zunehmend luxuriös.
Bald gab es in den Zeitungen erste Artikel über ihre Bank, einige nannten sie eine Schwindlerin. Faszinierend und abstoßend ist, wie Spitzeder sich als fromme Wohltäterin inszenierte. Betrugsvorwürfe konterte sie mit Verleumdungsanzeigen. Zeitungen wurden bestochen, Spitzeder gründete sogar Blätter, die günstig über sie schrieben. Mehrfach kam zwar Nervosität auf unter ihren Kunden, doch Spitzeder konnte kleinere Bank-Runs abfedern; dafür hortete sie in Säcken Zigtausende Silbergulden in ihren Räumen in der feinen Schönfeldstraße. Ende 1872 brach Panik aus. Spitzeder wurde verhaftet. Einem Vermögen der Bank von 2 Millionen Gulden standen zuletzt mindestens 10 Millionen Gulden Verbindlichkeiten gegenüber. Die Hauptgeschädigten waren die sogenannten "kleine Leute", nicht wenige begingen Selbstmord. Knapp vier Jahre saß Spitzeder im Gefängnis, dann kam sie wieder frei, schlug sich mit kleineren Betrügereien durch. Sie starb 1895 vereinsamt und vergessen, wurde in einem Massengrab beigesetzt.
PHILIP PLICKERT
Julian Nebel: Adele Spitzeder. Der größte Bankenbetrug aller Zeiten, München 2017, Finanzbuchverlag, 167 Seiten, 17,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Adele Spitzeders wunderbare Geldvermehrung
Mit Superlativen ist es so eine Sache. Ob das, was die Schauspielerin Adele Spitzeder im 19. Jahrhundert in München abzog, wirklich "der größte Bankenbetrug aller Zeiten" war (so der Untertitel), darf man bezweifeln. 30 000 Münchner verloren mit Spitzeders Schneeballsystem ihr Erspartes. Die Gründerin der "Dachauer Bank" hatte fünfzig Jahre vor Charles Ponzi ein Ponzi-System erfunden, das die Leichtgläubigkeit ihrer Kunden ausnutzte. Gemessen an der Schadenssumme, blieb ihr Schwindel hinter dem Betrug des New Yorkers Bernard Madoff zurück, der 2008 seine reiche Kundschaft um mehr als 60 Milliarden Dollar prellte. Aber weil Spitzeder vor allem armen Leute das Geld abnahm, hat ihr Betrug eine besonders bittere Note.
Im vorliegenden Buch erzählt Julian Nebel mit milde ironischem Unterton, wie sich das alles zugetragen hat. Er erklärt die historischen Hintergründe im München während der Industrialisierung, als die Residenzstadt einen Aufschwung erlebte, es aber auch viel Not gab. Spitzeder, geboren 1832 als Tochter zweier Schauspieler, war nach unsteter Jugend selbst ans Theater gegangen und hatte Engagements in verschiedenen Städten - mit mäßigem Erfolg. Mit 36 Jahren war sie das erste Mal bankrott und kehrte nach München zurück, wo sie in einem Gasthaus unterkam mit ihrer Gesellschafterin, so wurde damals eine lesbische Beziehung diskret umschrieben. Adele Spitzeder war damals hochverschuldet.
Da verfiel sie auf eine Geschäftsidee: Sie nahm von Leuten Einlagen an gegen das Versprechen von 10 Prozent Zinsen - im Monat. Zwei Monatsraten zahlte sie gleich im Voraus. Das Geld dafür kam durch immer neue Einlagen. Ihre ersten Kunden 1869 waren Zimmerleute aus der Au, einem Armenviertel rechts der Isar. Bald standen die Leute Schlange vor ihrer "Bank" - eine "wahre Kreditlawine" rollte auf sie zu, wie sie schrieb. Die wundersame Geldvermehrung durch ein Schneeballsystem begann. Ihre Buchhaltung war chaotisch, der Lebensstil der Zigarre rauchenden Adele zunehmend luxuriös.
Bald gab es in den Zeitungen erste Artikel über ihre Bank, einige nannten sie eine Schwindlerin. Faszinierend und abstoßend ist, wie Spitzeder sich als fromme Wohltäterin inszenierte. Betrugsvorwürfe konterte sie mit Verleumdungsanzeigen. Zeitungen wurden bestochen, Spitzeder gründete sogar Blätter, die günstig über sie schrieben. Mehrfach kam zwar Nervosität auf unter ihren Kunden, doch Spitzeder konnte kleinere Bank-Runs abfedern; dafür hortete sie in Säcken Zigtausende Silbergulden in ihren Räumen in der feinen Schönfeldstraße. Ende 1872 brach Panik aus. Spitzeder wurde verhaftet. Einem Vermögen der Bank von 2 Millionen Gulden standen zuletzt mindestens 10 Millionen Gulden Verbindlichkeiten gegenüber. Die Hauptgeschädigten waren die sogenannten "kleine Leute", nicht wenige begingen Selbstmord. Knapp vier Jahre saß Spitzeder im Gefängnis, dann kam sie wieder frei, schlug sich mit kleineren Betrügereien durch. Sie starb 1895 vereinsamt und vergessen, wurde in einem Massengrab beigesetzt.
PHILIP PLICKERT
Julian Nebel: Adele Spitzeder. Der größte Bankenbetrug aller Zeiten, München 2017, Finanzbuchverlag, 167 Seiten, 17,99 Euro
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»"Adele Spitzeder. Der größte Bankbetrug aller Zeiten" ist deswegen aktuell, weil die Masche immer noch zieht: Geld annehmen, hohe Zinsen versprechen, Zinsen vom Geld neuer Kunden bezahlen.« Süddeutsche Zeitung »Die verständliche Ausdrucksweise, gepaart mit den Zitaten von Spitzeder und kommentierenden Ergänzungen geben dem Buch einen hohen Unterhaltungswert.« ARD Börse »Die irre Geschichte der größten Trickbetrügerin aller Zeiten« Die WELT »Lesespannung pur« Bank intern »Liest sich wie ein Wirtschaftskrimi, spannend geschrieben und unglaublich gut recherchiert.« Fränkische Nachrichten »Eine kurzweilige Lektüre über einen unglaublichen Fall.« Heilbronner Stimme »Geeignet für: Fans von Wirtschaftskrimis, die sich auch wirklich ereignet haben.« Finanz und Wirtschaft, 15.07.2023