Produktdetails
- Verlag: Propyläen
- Seitenzahl: 1324
- Abmessung: 230mm x 165mm x 65mm
- Gewicht: 1672g
- ISBN-13: 9783549054444
- ISBN-10: 3549054440
- Artikelnr.: 23973122
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.1995Adenauer kernig
Köhler kaleidoskopiert den Kanzler
Henning Köhler: Adenauer. Eine politische Biographie. Propyläen-Verlag, Berlin 1994. 1324 Seiten, 98,- Mark.
Nach der auf zwei Bände von über 1000 Seiten ausgewachsenen Biographie, die der Bonner Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz der Person und dem Werk des ersten deutschen Bundeskanzlers gewidmet hat (erschienen 1986 und 1991), liegt nun die nächste große wissenschaftliche Biographie über Konrad Adenauer vor, die sich zwar mit nur einem Band zufriedengibt, aber mit über 1300 Seiten ebenfalls ein stattliches Volumen erreicht. Geht's nicht kürzer? Sie stammt von dem Berliner Neuhistoriker Henning Köhler, der es offensichtlich darauf anlegt, Schwarz, der in der eher konservativen deutschen Adenauer-Forschung die führende Stelle innehat, zu übertrumpfen. Das ist ihm nicht gelungen.
Zwar ist bei Hans-Peter Schwarz nicht zu übersehen, daß es ihm angesichts eines teilweise schiefen, von der linken Kritik geprägten Adenauer-Bildes im öffentlichen Bewußtsein der Bundesrepublik auch darum zu tun war, die Person und die politische Lebensleistung Konrad Adenauers möglichst kohärent und eindrucksvoll erscheinen zu lassen, ohne darum gewisse Einseitigkeiten und Schwächen zu übergehen, aber Köhler legt es überraschenderweise geradezu darauf an, Adenauer als einen Menschen mit seinen Widersprüchen erscheinen zu lassen und gerade darum bedeutsam zu finden. Sein Urteil über Adenauer ist ambivalent und zersplittert, mal gut, mal schlecht, doch es verdichtet sich nicht zu einem umfassenden Bild von der Persönlichkeit und dem Charakter Konrad Adenauers. Es artikuliert sich stets nur okkasionell, beiläufig, im Zusammenhang mit der Darstellung einer konkreten historischen Entwicklung. Köhler meint dort wissenschaftlich weiterführend zu sein, wo er Schwarz und einigen anderen etablierten "Apologeten" von Adenauers Politik eins auswischen kann, obwohl er auch von ihnen zehrt. Ihnen gegenüber erhebt Köhler den verständlichen, aber schwer einzulösenden Anspruch, den wirklichkeitsgerechten Konrad Adenauer zu präsentieren. Gegenüber allen bisherigen Interpretationsversuchen, Adenauer eine gewisse Konsequenz und Geradlinigkeit zu bescheinigen, betont er seine Widersprüchlichkeit: "Sein Denken und seine Politik waren von tiefen Widersprüchen geprägt. Versuche, ihn auf ein einziges schlüsselfertiges Konzept festzulegen oder ein solches bei ihm erkennen zu wollen, gehen in die Irre. Es gab bei ihm keine Nah- und Fernziele, keine entwickelte Strategie. Das soll keineswegs als Defizit bemängelt werden, sondern es stellt eine wesentliche Voraussetzung für seinen Erfolg dar." Das Zitat enthüllt die Grundposition und Machart des Buches. Es soll ein kritisches Adenauer-Bild gezeichnet werden, und so bekommt man, je nach zu beurteilender historischer Situation, viele kernige, kritische Worte über Adenauer zu lesen, doch am Ende verwandelt sich das mosaikartige kritische Puzzle in die Beschreibung einer Erfolgsgeschichte ohnegleichen. So entsteht das kuriose Bild eines Politikers, der darum so groß war, weil er so viel Widersprüchliches in sich vereinigte. Er sei "ein großer Europäer" gewesen, sagt Henning Köhler, doch im übernächsten Satz betont er, Adenauer sei gar nicht "der entschiedene Protagonist eines supranationalen Europas" gewesen. Was gilt denn nun?
Ein anderes Beispiel: Der Autor nennt Adenauer einen "autoritären Patriarchen", betont jedoch gleichzeitig seine Fähigkeit zum Dialog und zum Zuhören. Er erwähnt seine ihm zugeschriebene Menschenverachtung, betont aber im nächsten Satz seine Hilfsbereitschaft und seine Sorge für die Menschen. Bildlich gesprochen: Der Autor sieht Adenauer wie durch ein Kaleidoskop, je nach Schütteln kommt ein etwas anderes Adenauer-Bild zum Vorschein.
Nun hat gewiß eine Persönlichkeit vom Range Adenauers viele Facetten und Charakterzüge, aber bei Köhler ergibt sich kein wirklich greifbares und verläßliches Gesamtbild seiner Person; die biographische Mischtechnik, die er praktiziert, führt eher zu einem Mischmasch als zu klarer Erkenntnis, die ja nicht widerspruchsfrei sein muß. Nicht von ungefähr hat der Autor darauf verzichtet, ein spezielles Kapitel über die Persönlichkeit Adenauers im Wandel der bewegten Geschichte, die er durchlebt hat, zu schreiben. Vielmehr hat er seine Biographie genauso angelegt wie Schwarz: Er schreibt keine Biographie im engeren Sinne, sondern eine Geschichte, soweit Adenauer, von den Anfängen in Köln bis zu seinem Abgang 1963 als Bundeskanzler, an ihr beteiligt war. Außer den kritischen Häppchen, die er unter dem Erzählen dieser langen, viel zu breit angelegten Geschichte mal seinem "Helden", mal seinen Konkurrenten unter den Historikern verabreicht, wird Neues kaum geboten. Statt dessen viele Mutmaßungen und diskutierbare Interpretationen.
Hat es eigentlich noch Sinn, weitere Adenauer-Biographien in dieser Manier zu schreiben? Man könnte zum Beispiel mit dem Jahre 1945 anfangen, als Adenauer seinen Weg in die Bundesrepublik begann; dann bliebe auch mehr Platz für Untersuchungen, die das Biographische direkter angehen, als dies in der Beiläufigkeit einer ausufernden narrativen Geschichtsschreibung geschehen kann. Man sollte damit nicht fortfahren.
Der Autor hat in diese Darstellung enorm viel gediegene Arbeit investieren müssen, und er schreibt ein gut lesbares Deutsch, aber er hätte, um sich deutlicher von einer Biographie à la Schwarz abzusetzen und etwas Neues zu bieten, statt eines Kaleidoskops besser mal ein Fernrohr, mal ein Mikroskop benutzt. Was immer dieser Biograph an Schwächen bei Adenauer entdeckt - und er ist dabei mit seinem Urteil nicht gerade pingelig -, er bringt immerhin das Kunststück fertig, trotz dieser vielen Fehler und Schwächen Adenauer einen bedeutenden und großen Politiker sein zu lassen, dessen Lebenswerk heute jenseits von Gut und Böse zu stehen scheint. Das "richtige Adenauerbild", das Köhler mit viel Engagement zu zeichnen beabsichtigte, kommt nicht aus dem Kaleidoskop. KURT SONTHEIMER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Köhler kaleidoskopiert den Kanzler
Henning Köhler: Adenauer. Eine politische Biographie. Propyläen-Verlag, Berlin 1994. 1324 Seiten, 98,- Mark.
Nach der auf zwei Bände von über 1000 Seiten ausgewachsenen Biographie, die der Bonner Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz der Person und dem Werk des ersten deutschen Bundeskanzlers gewidmet hat (erschienen 1986 und 1991), liegt nun die nächste große wissenschaftliche Biographie über Konrad Adenauer vor, die sich zwar mit nur einem Band zufriedengibt, aber mit über 1300 Seiten ebenfalls ein stattliches Volumen erreicht. Geht's nicht kürzer? Sie stammt von dem Berliner Neuhistoriker Henning Köhler, der es offensichtlich darauf anlegt, Schwarz, der in der eher konservativen deutschen Adenauer-Forschung die führende Stelle innehat, zu übertrumpfen. Das ist ihm nicht gelungen.
Zwar ist bei Hans-Peter Schwarz nicht zu übersehen, daß es ihm angesichts eines teilweise schiefen, von der linken Kritik geprägten Adenauer-Bildes im öffentlichen Bewußtsein der Bundesrepublik auch darum zu tun war, die Person und die politische Lebensleistung Konrad Adenauers möglichst kohärent und eindrucksvoll erscheinen zu lassen, ohne darum gewisse Einseitigkeiten und Schwächen zu übergehen, aber Köhler legt es überraschenderweise geradezu darauf an, Adenauer als einen Menschen mit seinen Widersprüchen erscheinen zu lassen und gerade darum bedeutsam zu finden. Sein Urteil über Adenauer ist ambivalent und zersplittert, mal gut, mal schlecht, doch es verdichtet sich nicht zu einem umfassenden Bild von der Persönlichkeit und dem Charakter Konrad Adenauers. Es artikuliert sich stets nur okkasionell, beiläufig, im Zusammenhang mit der Darstellung einer konkreten historischen Entwicklung. Köhler meint dort wissenschaftlich weiterführend zu sein, wo er Schwarz und einigen anderen etablierten "Apologeten" von Adenauers Politik eins auswischen kann, obwohl er auch von ihnen zehrt. Ihnen gegenüber erhebt Köhler den verständlichen, aber schwer einzulösenden Anspruch, den wirklichkeitsgerechten Konrad Adenauer zu präsentieren. Gegenüber allen bisherigen Interpretationsversuchen, Adenauer eine gewisse Konsequenz und Geradlinigkeit zu bescheinigen, betont er seine Widersprüchlichkeit: "Sein Denken und seine Politik waren von tiefen Widersprüchen geprägt. Versuche, ihn auf ein einziges schlüsselfertiges Konzept festzulegen oder ein solches bei ihm erkennen zu wollen, gehen in die Irre. Es gab bei ihm keine Nah- und Fernziele, keine entwickelte Strategie. Das soll keineswegs als Defizit bemängelt werden, sondern es stellt eine wesentliche Voraussetzung für seinen Erfolg dar." Das Zitat enthüllt die Grundposition und Machart des Buches. Es soll ein kritisches Adenauer-Bild gezeichnet werden, und so bekommt man, je nach zu beurteilender historischer Situation, viele kernige, kritische Worte über Adenauer zu lesen, doch am Ende verwandelt sich das mosaikartige kritische Puzzle in die Beschreibung einer Erfolgsgeschichte ohnegleichen. So entsteht das kuriose Bild eines Politikers, der darum so groß war, weil er so viel Widersprüchliches in sich vereinigte. Er sei "ein großer Europäer" gewesen, sagt Henning Köhler, doch im übernächsten Satz betont er, Adenauer sei gar nicht "der entschiedene Protagonist eines supranationalen Europas" gewesen. Was gilt denn nun?
Ein anderes Beispiel: Der Autor nennt Adenauer einen "autoritären Patriarchen", betont jedoch gleichzeitig seine Fähigkeit zum Dialog und zum Zuhören. Er erwähnt seine ihm zugeschriebene Menschenverachtung, betont aber im nächsten Satz seine Hilfsbereitschaft und seine Sorge für die Menschen. Bildlich gesprochen: Der Autor sieht Adenauer wie durch ein Kaleidoskop, je nach Schütteln kommt ein etwas anderes Adenauer-Bild zum Vorschein.
Nun hat gewiß eine Persönlichkeit vom Range Adenauers viele Facetten und Charakterzüge, aber bei Köhler ergibt sich kein wirklich greifbares und verläßliches Gesamtbild seiner Person; die biographische Mischtechnik, die er praktiziert, führt eher zu einem Mischmasch als zu klarer Erkenntnis, die ja nicht widerspruchsfrei sein muß. Nicht von ungefähr hat der Autor darauf verzichtet, ein spezielles Kapitel über die Persönlichkeit Adenauers im Wandel der bewegten Geschichte, die er durchlebt hat, zu schreiben. Vielmehr hat er seine Biographie genauso angelegt wie Schwarz: Er schreibt keine Biographie im engeren Sinne, sondern eine Geschichte, soweit Adenauer, von den Anfängen in Köln bis zu seinem Abgang 1963 als Bundeskanzler, an ihr beteiligt war. Außer den kritischen Häppchen, die er unter dem Erzählen dieser langen, viel zu breit angelegten Geschichte mal seinem "Helden", mal seinen Konkurrenten unter den Historikern verabreicht, wird Neues kaum geboten. Statt dessen viele Mutmaßungen und diskutierbare Interpretationen.
Hat es eigentlich noch Sinn, weitere Adenauer-Biographien in dieser Manier zu schreiben? Man könnte zum Beispiel mit dem Jahre 1945 anfangen, als Adenauer seinen Weg in die Bundesrepublik begann; dann bliebe auch mehr Platz für Untersuchungen, die das Biographische direkter angehen, als dies in der Beiläufigkeit einer ausufernden narrativen Geschichtsschreibung geschehen kann. Man sollte damit nicht fortfahren.
Der Autor hat in diese Darstellung enorm viel gediegene Arbeit investieren müssen, und er schreibt ein gut lesbares Deutsch, aber er hätte, um sich deutlicher von einer Biographie à la Schwarz abzusetzen und etwas Neues zu bieten, statt eines Kaleidoskops besser mal ein Fernrohr, mal ein Mikroskop benutzt. Was immer dieser Biograph an Schwächen bei Adenauer entdeckt - und er ist dabei mit seinem Urteil nicht gerade pingelig -, er bringt immerhin das Kunststück fertig, trotz dieser vielen Fehler und Schwächen Adenauer einen bedeutenden und großen Politiker sein zu lassen, dessen Lebenswerk heute jenseits von Gut und Böse zu stehen scheint. Das "richtige Adenauerbild", das Köhler mit viel Engagement zu zeichnen beabsichtigte, kommt nicht aus dem Kaleidoskop. KURT SONTHEIMER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main