Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997Die Banalität des Banalen oder Hitlers Ecken und Kanten
Gudrun Pausewang hatte einen spontanen Einfall
Die Romane und Erzählungen Gudrun Pausewangs kreisen um Themen wie soziale Mißstände, politische Katastrophen und den Erfindungsreichtum der kleinen Leute. Sie sollen, gleichviel ob für erwachsene Leser oder für Jugendliche gedacht, immer auch politische Wirkungen entfalten, nämlich dazu ermutigen, sich der Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu widersetzen und den Übermut der Mächtigen zu bekämpfen. Selten, so schreibt sie in dem Nachwort zu ihrem neuen Buch, sei sie mit solchem Eifer an die Ausführung eines spontanen Einfalls gegangen. Diesen Einfall beschreibt sie so: "Ich habe versucht, Adi - so nannten ihn seine Verwandten und Freunde - von seinem 16. bis zu seinem 19. Lebensjahr zu schildern. Als den Jugendlichen, der er einmal war, einen Jugendlichen mit Ecken und Kanten . . .".
Adi - der junge Adolf Hitler. Herausgekommen ist die romanhafte, von vielen Dialogen durchzogene Biographie eines aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden jungen Österreichers in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Wir bekommen Einblicke in die sozialen Verhältnisse und die psychischen Befindlichkeiten eines schwierigen jungen Menschen, der mit einer Menge Probleme kämpft, nicht zuletzt mit seiner eigenen Unzulänglichkeit. Er steckt voller gigantomanischer Pläne, will ganze Städte umbauen, schreibt eine von Wagner inspirierte Oper, hält endlose Monologe, aber wagt es nicht, ein aus der Ferne angebetetes Mädchen anzusprechen. Er posiert als Bohemien, damals ein gar nicht selten gesuchter Fluchtweg aus bürgerlicher Enge. Kurz: Dieser Adi ist eine dünnblütig-genialisch pubertierende Kaulquappe. Wie es viele andere gab.
Bei einer Autorin wie Gudrun Pausewang ist die ansonsten literaturfremde Frage "Was lehrt uns das?" durchaus nicht unangemessen. Früher brauchte man sie sich allerdings kaum je zu stellen, weil ihre Botschaften immer einfach und klar waren. Hier ist hingegen alles unklar. In ihrem Nachwort schreibt sie, daß sie sich wegen der nicht sehr üppigen Quellenlage in das Leben des jungen Hitler hineindachte und dabei immer mehr ins Staunen geriet, "darüber, daß sich die Mehrheit eines ganzen Volkes diesen Menschen zum Führer wählte". Will sie also zeigen, daß Hitler nichts als ein Durchschnittsmensch war? Daß seine politische Karriere und sein Aufstieg zum Führer und Verantwortlichen für Mega-Verbrechen nichts mit diesem anrührenden, unsympathischen Jugendlichen zu tun haben? Oder daß manche späteren Eigenschaften Hitlers eben doch schon im kleinen Adi angelegt waren, etwa sein durch wildes Gefuchtel dramatisiertes Reden? Und was bedeutet das eine wie das andere?
Die Autorin, deren politische Einstellung über jeden Zweifel erhaben ist, hat sich hier auf ein Unternehmen eingelassen, das auf der von ihr gewählten Sprach- und Denkebene nicht gutgehen konnte. Zwar enthält sie sich aller Psychodeutungen, zum Beispiel jener, wonach Hitler zu einem Monstrum geworden sei, weil ihn sein Vater geschlagen hat. Die Kehrseite dieser lobenswerten Enthaltsamkeit ist, daß sie nichts dazu zu sagen weiß, wie aus dem armen Adi der erfolgreiche politische Agitator und Organisator, der skrupellose Diktator werden konnte. Was sie als Kontinuitätslinien konstruiert, und dabei handelt es sich um konstruierte Zugaben zur Biographie, kann diese Funktion nicht erfüllen. Die historisch verbürgte Begeisterung Hitlers nach einem Besuch von Wagners "Rienzi" reichert Pausewang etwa mit einem inneren Monolog Adis an, in dem er sich selbst auf einem Balkon stehen sieht - er "hob den rechten Arm schräg empor, während er mit der linken das Gürtelschloß umklammerte. Tief unter ihm stand das Volk Kopf an Kopf und jubelte ihm zu". Mit der vorweggenommenen Führerpose wird also illustriert, wie aus einem antibürgerlichen Kleinbürger-Knaben ein Volksverführer wird? Das ist doch wohl all zu simpel.
Vielleicht könnte man der historischen Figur des jugendlichen Adolf Hitler gerecht werden, wenn man sie als eine böse Version des "Mannes ohne Eigenschaften" darstellen würde. Als eine unglücklich zugeschnittene Individualität und Projektionsfläche für die Manipulation von mürben Hoffnungen und verstörten Vorstellungen, in die sich die Untergangsstimmung jener eigentümlichen multikulturellen und auf verschreckte, ja reaktionäre Weise modernitätssüchtigen österreichischen Gesellschaft vor 1914 eingeschrieben hat.
Das wäre dann, was einzig legitim erscheint, wenn man sich mit dem jungen Hitler beschäftigt, eine politische Biographie. Politisch ist dieses Buch von Gudrun Pausewang aber überhaupt nicht. Die Politik kommt nur als ein Bereich unter all den anderen vor, gegen die Adi aufbegehrt. Irgendwann ist aus ihm ein fanatischer Antisemit geworden. Aber warum und auf Grund welcher Eindrücke und Fehlwahrnehmungen, darüber findet sich kein Wort. Auch nicht darüber, warum der in Wien nach seiner verpatzten Aufnahmeprüfung in die Akademie der Bildenden Künste herumlungernde Hitler mit einem Mal auf den Zuhörerrängen des Wiener Parlaments sitzt und auf die Politiker schimpft.
Der Ausdruck "Ecken und Kanten" für die Unangepaßtheit des jungen Adolf Hitler fällt zwar als besonders unangemessen ins Auge, aber der ganze Sprachduktus des Textes ist auf solche Umgangsklischees hin angelegt. Insbesondere die nachempfundenen Gespräche Hitlers mit dem einzigen Freund damals und die inneren Monologe strotzen geradezu von frisch-fröhlicher Gewöhnlichkeit. Adi war wie elektrisiert. Gustl mußte wieder ran (ans Notenschreiben). Adi kontert verstimmt. Adi machte, daß er davonkam. Und so weiter. Klischees wie diese fügen sich mit ungewollt bösartiger Possierlichkeit zu einer Sprache, die die Banalität der beschriebenen Umstände durch ihre eigene Banalität nur verdoppelt.
Es gibt eine Verharmlosung mittels Dämonisierung und eine Verharmlosung mittels Verkleinerung ins Alltägliche. Für ersteres steht Pausewangs Bestseller "Die letzten Kinder von Schewenborn". Nun hat sie auch ein Beispiel für die zweite Art vorgelegt, ebenfalls mit besten pädagogischen Absichten (die sie etwas diffus im Nachwort vorbringt). Letztlich aber hat Gudrun Pausewang genau das erreicht, was sie nicht wollte - dazu beizutragen, Hitler und den Nationalsozialismus kleinzuschreiben. WILFRIED VON BREDOW
Gudrun Pausewang: "Adi - Jugend eines Diktators". Otto Maier Verlag, Ravensburg 1997. 224 S., geb. 24,80 DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gudrun Pausewang hatte einen spontanen Einfall
Die Romane und Erzählungen Gudrun Pausewangs kreisen um Themen wie soziale Mißstände, politische Katastrophen und den Erfindungsreichtum der kleinen Leute. Sie sollen, gleichviel ob für erwachsene Leser oder für Jugendliche gedacht, immer auch politische Wirkungen entfalten, nämlich dazu ermutigen, sich der Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu widersetzen und den Übermut der Mächtigen zu bekämpfen. Selten, so schreibt sie in dem Nachwort zu ihrem neuen Buch, sei sie mit solchem Eifer an die Ausführung eines spontanen Einfalls gegangen. Diesen Einfall beschreibt sie so: "Ich habe versucht, Adi - so nannten ihn seine Verwandten und Freunde - von seinem 16. bis zu seinem 19. Lebensjahr zu schildern. Als den Jugendlichen, der er einmal war, einen Jugendlichen mit Ecken und Kanten . . .".
Adi - der junge Adolf Hitler. Herausgekommen ist die romanhafte, von vielen Dialogen durchzogene Biographie eines aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammenden jungen Österreichers in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Wir bekommen Einblicke in die sozialen Verhältnisse und die psychischen Befindlichkeiten eines schwierigen jungen Menschen, der mit einer Menge Probleme kämpft, nicht zuletzt mit seiner eigenen Unzulänglichkeit. Er steckt voller gigantomanischer Pläne, will ganze Städte umbauen, schreibt eine von Wagner inspirierte Oper, hält endlose Monologe, aber wagt es nicht, ein aus der Ferne angebetetes Mädchen anzusprechen. Er posiert als Bohemien, damals ein gar nicht selten gesuchter Fluchtweg aus bürgerlicher Enge. Kurz: Dieser Adi ist eine dünnblütig-genialisch pubertierende Kaulquappe. Wie es viele andere gab.
Bei einer Autorin wie Gudrun Pausewang ist die ansonsten literaturfremde Frage "Was lehrt uns das?" durchaus nicht unangemessen. Früher brauchte man sie sich allerdings kaum je zu stellen, weil ihre Botschaften immer einfach und klar waren. Hier ist hingegen alles unklar. In ihrem Nachwort schreibt sie, daß sie sich wegen der nicht sehr üppigen Quellenlage in das Leben des jungen Hitler hineindachte und dabei immer mehr ins Staunen geriet, "darüber, daß sich die Mehrheit eines ganzen Volkes diesen Menschen zum Führer wählte". Will sie also zeigen, daß Hitler nichts als ein Durchschnittsmensch war? Daß seine politische Karriere und sein Aufstieg zum Führer und Verantwortlichen für Mega-Verbrechen nichts mit diesem anrührenden, unsympathischen Jugendlichen zu tun haben? Oder daß manche späteren Eigenschaften Hitlers eben doch schon im kleinen Adi angelegt waren, etwa sein durch wildes Gefuchtel dramatisiertes Reden? Und was bedeutet das eine wie das andere?
Die Autorin, deren politische Einstellung über jeden Zweifel erhaben ist, hat sich hier auf ein Unternehmen eingelassen, das auf der von ihr gewählten Sprach- und Denkebene nicht gutgehen konnte. Zwar enthält sie sich aller Psychodeutungen, zum Beispiel jener, wonach Hitler zu einem Monstrum geworden sei, weil ihn sein Vater geschlagen hat. Die Kehrseite dieser lobenswerten Enthaltsamkeit ist, daß sie nichts dazu zu sagen weiß, wie aus dem armen Adi der erfolgreiche politische Agitator und Organisator, der skrupellose Diktator werden konnte. Was sie als Kontinuitätslinien konstruiert, und dabei handelt es sich um konstruierte Zugaben zur Biographie, kann diese Funktion nicht erfüllen. Die historisch verbürgte Begeisterung Hitlers nach einem Besuch von Wagners "Rienzi" reichert Pausewang etwa mit einem inneren Monolog Adis an, in dem er sich selbst auf einem Balkon stehen sieht - er "hob den rechten Arm schräg empor, während er mit der linken das Gürtelschloß umklammerte. Tief unter ihm stand das Volk Kopf an Kopf und jubelte ihm zu". Mit der vorweggenommenen Führerpose wird also illustriert, wie aus einem antibürgerlichen Kleinbürger-Knaben ein Volksverführer wird? Das ist doch wohl all zu simpel.
Vielleicht könnte man der historischen Figur des jugendlichen Adolf Hitler gerecht werden, wenn man sie als eine böse Version des "Mannes ohne Eigenschaften" darstellen würde. Als eine unglücklich zugeschnittene Individualität und Projektionsfläche für die Manipulation von mürben Hoffnungen und verstörten Vorstellungen, in die sich die Untergangsstimmung jener eigentümlichen multikulturellen und auf verschreckte, ja reaktionäre Weise modernitätssüchtigen österreichischen Gesellschaft vor 1914 eingeschrieben hat.
Das wäre dann, was einzig legitim erscheint, wenn man sich mit dem jungen Hitler beschäftigt, eine politische Biographie. Politisch ist dieses Buch von Gudrun Pausewang aber überhaupt nicht. Die Politik kommt nur als ein Bereich unter all den anderen vor, gegen die Adi aufbegehrt. Irgendwann ist aus ihm ein fanatischer Antisemit geworden. Aber warum und auf Grund welcher Eindrücke und Fehlwahrnehmungen, darüber findet sich kein Wort. Auch nicht darüber, warum der in Wien nach seiner verpatzten Aufnahmeprüfung in die Akademie der Bildenden Künste herumlungernde Hitler mit einem Mal auf den Zuhörerrängen des Wiener Parlaments sitzt und auf die Politiker schimpft.
Der Ausdruck "Ecken und Kanten" für die Unangepaßtheit des jungen Adolf Hitler fällt zwar als besonders unangemessen ins Auge, aber der ganze Sprachduktus des Textes ist auf solche Umgangsklischees hin angelegt. Insbesondere die nachempfundenen Gespräche Hitlers mit dem einzigen Freund damals und die inneren Monologe strotzen geradezu von frisch-fröhlicher Gewöhnlichkeit. Adi war wie elektrisiert. Gustl mußte wieder ran (ans Notenschreiben). Adi kontert verstimmt. Adi machte, daß er davonkam. Und so weiter. Klischees wie diese fügen sich mit ungewollt bösartiger Possierlichkeit zu einer Sprache, die die Banalität der beschriebenen Umstände durch ihre eigene Banalität nur verdoppelt.
Es gibt eine Verharmlosung mittels Dämonisierung und eine Verharmlosung mittels Verkleinerung ins Alltägliche. Für ersteres steht Pausewangs Bestseller "Die letzten Kinder von Schewenborn". Nun hat sie auch ein Beispiel für die zweite Art vorgelegt, ebenfalls mit besten pädagogischen Absichten (die sie etwas diffus im Nachwort vorbringt). Letztlich aber hat Gudrun Pausewang genau das erreicht, was sie nicht wollte - dazu beizutragen, Hitler und den Nationalsozialismus kleinzuschreiben. WILFRIED VON BREDOW
Gudrun Pausewang: "Adi - Jugend eines Diktators". Otto Maier Verlag, Ravensburg 1997. 224 S., geb. 24,80 DM. Ab 12 J.
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