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Adolf von Harnack war ein herausragender Repräsentant der deutschen Wissenschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Seine Wirkung ging weit über sein Fach, die protestantische Theologie, hinaus und bezog sich auch auf die Wissenschaftspolitik.
Als Theologe vertrat Harnack eine historisierende Deutung des Christentums, was ihm den Widerstand von Seiten der protestantischen Orthodoxie einbrachte. Auch seine Nähe zur Politik bot Kritikern Angriffsflächen. Harnack entwickelte sich schon früh zum genialen Organisator der Wissenschaft als »Großbetrieb«. So öffneten sich ihm auch die…mehr

Produktbeschreibung
Adolf von Harnack war ein herausragender Repräsentant der deutschen Wissenschaft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Seine Wirkung ging weit über sein Fach, die protestantische Theologie, hinaus und bezog sich auch auf die Wissenschaftspolitik.
Als Theologe vertrat Harnack eine historisierende Deutung des Christentums, was ihm den Widerstand von Seiten der protestantischen Orthodoxie einbrachte. Auch seine Nähe zur Politik bot Kritikern Angriffsflächen. Harnack entwickelte sich schon früh zum genialen Organisator der Wissenschaft als »Großbetrieb«. So öffneten sich ihm auch die Türen zur säkularen Macht und zum engsten Kreis des Hofes. Unter anderem wurde er Präsident der neugegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (Vorgängerin der Max-Planck-Gesellschaft); hier konnte er seine Fähigkeit des Interessenausgleichs sowie seine Kontakte zu Führungskräften in Politik und Wirtschaft zur Geltung bringen.
Die Autoren fragen nach dem Verhältnis Harnacks zu Zeitgenossen und nach seiner Bedeutung für Wissenschaft und Kultur.
Autorenporträt
Prof. Dr. Dr. Kurt Nowak, Jahrgang 1942, ist Ordinarius für Kirchengeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig und 'Directeur d'Etudes associe' an der 'Maison des sciences de l'homme' (Paris). Neben Titeln wie 'Schleiermacher und die Frühromantik' hat er zahlreiche Arbeiten zur Kirchengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts vorgelegt.

Prof. Dr. Dr. h.c. Otto Gerhard Oexle ist Direktor am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen und Honorarprofessor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Göttingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2001

Kann man hier nicht ein bißchen vermitteln?
Vor der Kultur sind wir alle gleich: Adolf von Harnack zwischen Religion und Wissenschaftspolitik

Programmatisch hat Adolf von Harnack sein Fach, die Kirchengeschichte, ins Zentrum der Historischen Kulturwissenschaften gerückt. Pünktlich zum hundertfünfzigsten Geburtstag liegen nun Beiträge eines Kolloquiums vor, in dem der einflußreiche Mandarin als Diagnostiker der Moderne und genialer Wissenschaftsorganisator präsentiert wird. Die Autoren vermeiden heroisierendes Pathos. Sie beschreiben lebensgeschichtliche Kontexte, analysieren das theologische Programm und rekonstruieren das intensive wissenschaftspolitische Engagement des international gefeierten Gelehrten.

Der jugendliche Verfasser des kritischen "Lehrbuchs der Dogmengeschichte" war nur gegen massive Widerstände konservativer Lutheraner an die Theologische Fakultät der Reichshauptstadt berufen worden. Schnell wurde er zur idealen Identifikationsfigur für Reformer, die angesichts der schnellen Industrialisierung und sozialen Konflikte auf eine behutsame Modernisierung der politischen Strukturen des Kaiserreichs drängten. Dank enger Kontakte zu Friedrich Althoff und Theodor Mommsen konnte Harnack seit der Jahrhundertwende einen großen Einfluß in den Institutionen des deutschen Wissenschaftssystems gewinnen.

Maximilian Hardens Spott über den "Hofdogmenlehrer" wird der komplexen Beziehung des Theologen zu Wilhelm II. nicht gerecht. Als "Höfling" agierte Harnack nicht, auch wenn er die engen Kontakte zur Hofgesellschaft dazu nutzte, den Kaiser für seine wissenschaftspolitischen Ziele zu gewinnen. Industrielle überzeugten ihn davon, daß Naturwissenschaften anwendungsorientiert, praxisnah betrieben werden müßten. Auch hier wahrte Harnack aber Distanz. Man dürfe die Wissenschaft nicht dem Kapitalismus ausliefern. In der Wissenschaftsförderung müsse der nationale Kulturstaat um der Freiheit von Lehre und Forschung willen den Vorrang haben.

Photographien zeigen Harnack als tatkräftigen, bisweilen eitlen Meister der Selbstinszenierung. Die Rollen als Direktor der Preußischen Staatsbibliothek, Präsident des Evangelisch-Sozialen Kongresses und Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft konnte er souverän wahrnehmen, weil er in ihnen nicht aufging. Der theologische Lehrer und Forscher verschaffte sich durch ein hartes, asketisches Arbeitsethos eine starke Gelehrtenidentität, die ihn auch die traumatische Niederlage von 1918/19 und die Krisen der Weimarer Republik meistern ließ.

Theologische Reflexion diente, wie Trutz Rendtorff zeigt, der "Vermittlung zwischen Religionskultur und Wissenschaftskultur". Harnack formte die Theologie zu einer historischen Kulturwissenschaft des Christentums um, weil er die aktuelle kulturelle Relevanz protestantischer Religion stärken wollte. Der eifrige Goethe-Leser historisierte das Dogma, um aus einem idealen Ursprung des Christentums, dem einfachen Evangelium Jesu, Orientierungswissen zur Gegenwartsgestaltung gewinnen zu können. Gangolf Hübinger deutet diese Geschichtsschreibung als theologisch radikalisierten Historismus. Durch historisierende Verflüssigung alles Gegebenen wird Geschichte als Ort neuer Handlungschancen freier Individuen entworfen. Diese Freiheit sieht Harnack in religiöser Selbstreflexion des Individuums vor Gott fundiert. "Ohne den inwendigen Menschen sind wir Ufersand, den der Strom mit sich reißt." Als "Innerlichkeit" bezeichnet Harnack die Instanz radikaler Selbstunterscheidung vom amorphen Erlebnisstrom der Geschichte. Der Verdacht, er habe mit der Feier des "inwendigen Menschen" eine apolitische Seelenreligion verkündet, ist allerdings gänzlich falsch. Das "Inwendige" repräsentiert den Quellort einer starken gelehrtenpolitischen Praxis, die den Status quo transzendieren will.

Harnacks Analysen der "Kulturbedeutung" der Wissenschaften für Industriegesellschaft und Nationalstaat hat Bernhard Fabian nun zu "Wissenschaftspolitischen Reden und Aufsätzen" zusammengestellt. Ohne jeden Kommentar oder erläuternde Anmerkungen werden zunächst der bekannte Aufsatz "Vom Großbetrieb der Wissenschaft" und die Gutachten zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft präsentiert. Dem folgen Denkschriften zur Staatsbibliothek, Festvorträge vor der Akademie sowie Memoranden zur Lage der deutschen Universitäten. Nirgends macht der Herausgeber die Entstehungszusammenhänge der Texte transparent. Anspielungen und Bezugnahmen auf die zeitgenössische Debatte bleiben unverständlich.

Ärgerlich stimmt der Schlußteil mit "Würdigungen und Nachrufen". Denn mit Ausnahme zweier akademischer Gedenkreden handelt es sich bei den hier zusammengestellten Texten nicht um Nekrologe und Würdigungen wissenschaftlicher Werke, sondern um Predigten, die Harnack im Talar des evangelischen Pfarrers bei Trauerfeiern in Kirchen oder bei Beerdigungen am offenen Grabe hielt. Diese religiösen Reden als "wissenschaftspolitische Texte" tituliert zu sehen, ist peinlich.

Melancholisch äußerte Harnack bisweilen die Sorge, daß manche Wissenschaftler von allen guten Geistern verlassene Religionsbanausen seien. Nun ist er an einen Editor geraten, der Predigten, die mit dem Kanzelgruß beginnen und einem "Amen!" enden, für Kommentare zur Wissenschaftspolitik hält. "Dieser Nachdruck dient nur den Interessen des Verlegers, ist aber ohne wissenschaftlichen Wert", hat Harnack als Rezensent eines schlampig zusammengestellten Reprints von Klassiker-Texten 1904 erklärt.

Dem ist nur hinzuzufügen, daß die Beiträge zum Kolloquium die Wechselwirkungen zwischen Theologie und Wissenschaftspolitik sichtbar machen, die dem Herausgeber der "Wissenschaftspolitischen Reden" verborgen geblieben sind. Harnack selbst hatte seine Texte kunstvoll "Aus Wissenschaft und Leben" komponiert, um Zusammenhänge zwischen theologischer Kulturdeutung und generellem Wissenschaftsverständnis sichtbar zu machen. Der Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wollte die revolutionären Erkenntnisfortschritte der Naturwissenschaften in einen kulturellen Deutungshorizont integrieren, den Fixsterne des denkenden Geistes erleuchteten. Ungebildete Naturwissenschaftler waren ihm ebenso ein Greuel wie Philologen, die Texte ohne Sinn und Verstand nachdrucken.

FRIEDRICH WILHELM GRAF.

Kurt Nowak, Otto Gerhard Oexle (Hrsg.): "Adolf von Harnack". Theologe, Historiker, Wissenschaftspolitiker. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Band 161. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. 448 S., geb., 92,- DM.

Adolf von Harnack: "Wissenschaftspolitische Reden und Aufsätze". Zusammengestellt und herausgegeben von Bernhard Fabian. Verlag Olms-Weidmann, Hildesheim/Zürich/New York 2001. 333 S., geb., 78,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In diesem Sammelband, entstanden im Rahmen eines Kolloquiums, wird Adolf von Harnack als einflussreicher Mandarin, Diagnostiker der Moderne und genialer Wissenschaftsorganisator beschrieben, schreibt Rezensent Friedrich Wilhelm Graf. Den Autoren sei es dabei aber gelungen, ein heroisierendes Pathos zu vermeiden und stattdessen lebensgeschichtliche Kontexte, Harnacks theologisches Programm und sein wissenschaftliches Engagement zu beleuchten. Der gefeierte Gelehrte war, so Graf, seiner Zeit voraus. Stets wehrte er erfolgreich die Bemühungen der Industrie ab, die Wissenschaft zu vereinnahmen und setzte sich vielmehr für die Errichtung eines nationalen Kulturstaats ein, in dem die Freiheit der Lehre und Forschung oberstes Gebot sein sollte. Hervorragend würden in den Beiträgen die Wechselwirkungen zwischen Theologie und Wissenschaftspolitik und Harnacks Ansatz, Theologie als Kulturwissenschaft zu betreiben, herausgestellt, lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH