Eine Vielzahl von bisher unpublizierten Texten, Bildern und Dokumenten eröffnet eine neue und unerwartete Perspektive auf das Leben und Werk Theodor W. Adornos. Von den frühen Zeugnissen aus der Kindheit, wie etwa einem bisher unbekannten Jugendtagebuch, das transkribiert und z.T. faksimiliert vorgelegt wird, über Dokumente aus seinen Studien- und Exiljahren bis hin zur Rückkehr nach Frankfurt und seiner Arbeit am Institut für Sozialforschung und an der Frankfurter Universität verfolgt der Band das Leben Adornos am Leitfaden von überaus anschaulichen, prägnanten, im besten Sinne »sprechenden« Zeugnissen. Neben einem weiteren Tagebuch aus dem Jahr 1949 finden sich zahlreiche, hier erstmals veröffentlichte Briefe, Notizen, Kompositionen, Photographien und Skizzen aus seinem Nachlaß.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2003Allein ich bin verstiegen: Theodor W. Adorno in der Bildmonographie seines Archivs
„Gern hätte ich geschwiegen/Und schrieb auch bald nicht mehr” lauten zwei Verszeilen des neunjährigen Teddie Wiesengrund, mit denen er sein erstes Tagebuch beschließt, und die der dreizehnjährige Autor später ergänzt: „Allein ich bin verstiegen/Und solches fällt mir schwer, /Drum muß ich weiter schreiben /Und muß ein Schreiber bleiben.” So ist es gekommen, und bald schon entwickelt der junge Schreiber alle Eigenheiten seines persönlichen Stils, bald ist auch die Technik des später „parataktisch” genannten Schreibens, die er bis zur „Ästhetischen Theorie” perfektionieren wird, gefunden. Im Drama des Vierzehnjährigen kommt sie als „Hornberger Skelettmethode” erstmalig zum Zug: „Ich warf die wichtigsten Gedanken in Versen, aber ohne inneren Zusammenhang hin, und gruppierte darum die notwendigen Zwischenglieder.” Im Leben der Schreiber ist freilich das meiste innere Bewegung, und deshalb eignet es sich nur bedingt fürs visuelle Nachleben im Foto oder Film: Der Biograph muss Schreiber bleiben. Des ungeachtet haben sich in diesem festlichen Jahr einige Adorno-Biographen über den Amorbach der Schrift hinaus zum Bild verstiegen. Zu ihnen zählt das Adorno-Archiv, das jetzt eine umfängliche Sammlung von Bildern und Texten des Spätromantikers vorlegt. „Adorno. Eine Bildmonographie”, bearbeitet von Gabriele Ewenz, Christoph Gödde, Henri Lonitz und Michael Schwarz, Suhrkamp Verlag, 296 S., 39,90Euro, ist von Mittwoch an im Handel; wir entnehmen ihm das Bild des Denkers vor Schweizer Bergkulisse (© Th.W.Adorno Archiv, Frankfurt/Main).Da auch Bearbeiter Schreiber bleiben wollen, darf man sich jetzt über schöne Sätze wie diesen freuen: „Adornos Schulzeit, die eine glänzende genannt werden darf, ist außer den gelegentlichen Blicken, die seine frühen Tagebücher darauf zu werfen gestatten, wenig bekannt.” Neben solchen Pretiosen finden sich Briefe und Tagebuchauszüge des Autors, darunter höchst bemerkenswerte Passagen aus der Zeit der ersten Rückkehr des Emigranten nach Europa. Einen Faden erkennt man nicht, wohl aber den Wunsch, Appetit zu wecken auf die künftigen Editionen des Archivs.
ff
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
„Gern hätte ich geschwiegen/Und schrieb auch bald nicht mehr” lauten zwei Verszeilen des neunjährigen Teddie Wiesengrund, mit denen er sein erstes Tagebuch beschließt, und die der dreizehnjährige Autor später ergänzt: „Allein ich bin verstiegen/Und solches fällt mir schwer, /Drum muß ich weiter schreiben /Und muß ein Schreiber bleiben.” So ist es gekommen, und bald schon entwickelt der junge Schreiber alle Eigenheiten seines persönlichen Stils, bald ist auch die Technik des später „parataktisch” genannten Schreibens, die er bis zur „Ästhetischen Theorie” perfektionieren wird, gefunden. Im Drama des Vierzehnjährigen kommt sie als „Hornberger Skelettmethode” erstmalig zum Zug: „Ich warf die wichtigsten Gedanken in Versen, aber ohne inneren Zusammenhang hin, und gruppierte darum die notwendigen Zwischenglieder.” Im Leben der Schreiber ist freilich das meiste innere Bewegung, und deshalb eignet es sich nur bedingt fürs visuelle Nachleben im Foto oder Film: Der Biograph muss Schreiber bleiben. Des ungeachtet haben sich in diesem festlichen Jahr einige Adorno-Biographen über den Amorbach der Schrift hinaus zum Bild verstiegen. Zu ihnen zählt das Adorno-Archiv, das jetzt eine umfängliche Sammlung von Bildern und Texten des Spätromantikers vorlegt. „Adorno. Eine Bildmonographie”, bearbeitet von Gabriele Ewenz, Christoph Gödde, Henri Lonitz und Michael Schwarz, Suhrkamp Verlag, 296 S., 39,90Euro, ist von Mittwoch an im Handel; wir entnehmen ihm das Bild des Denkers vor Schweizer Bergkulisse (© Th.W.Adorno Archiv, Frankfurt/Main).Da auch Bearbeiter Schreiber bleiben wollen, darf man sich jetzt über schöne Sätze wie diesen freuen: „Adornos Schulzeit, die eine glänzende genannt werden darf, ist außer den gelegentlichen Blicken, die seine frühen Tagebücher darauf zu werfen gestatten, wenig bekannt.” Neben solchen Pretiosen finden sich Briefe und Tagebuchauszüge des Autors, darunter höchst bemerkenswerte Passagen aus der Zeit der ersten Rückkehr des Emigranten nach Europa. Einen Faden erkennt man nicht, wohl aber den Wunsch, Appetit zu wecken auf die künftigen Editionen des Archivs.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Eine "opulente Bildmonografie" nennt Andreas Platthaus diesen Band, den das Theodor W. Adorno Archiv zum hundertsten Geburtstag seines Namensgebers herausgegeben hat. Ansonsten enthält der Rezensent sich leider jedes weiteren und konkreteren Urteils zu dem Buch. Dafür erfährt man, dass der Band offenbar darstellt, wie sehr Adorno "dank seiner Physiognomie ein gefundenes Fressen für Karikaturisten" wurde, wie Platthaus schreibt. Das bedeutet wohl, dass er auch die Zeichnungen dokumentiert, von denen Platthaus berichtet und die F.W. Bernstein zu Eckhard Henscheids Anekdotensammlung rund um die Frankfurter Schule herausgegeben hat, auf denen Adorno etwa "gegenüber der Vaterfigur Max Horkheimer als Zwerg" erscheint, dem aber "unter der polierten Platte seines Schädels die Augen wie Hypnotisierscheiben aus den Höhlen treten".
© Perlentaucher Medien GmbH
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