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Richard Swartz, der einen Teil seines Lebens in Mitteleuropa verbrachte, erzählt von den Menschen, die ihm dort begegnet sind. Da ist der kleine Fotohändler Kralík, der auf seiner Flucht vor den Tschechen nach dem Krieg im österreichischen Mühlviertel hängen blieb, obwohl er sich sein ganzes Leben lang nach den böhmischen Wäldern sehnt. Oder der alte Kantor Ernster im ehemaligen Siebenbürgen, der an seiner eigentümlichen Sprache festhält, obwohl ihn in seiner Umgebung niemand mehr verstehen kann. Europäische Geschichten über das Thema Heimat und Fremde.

Produktbeschreibung
Richard Swartz, der einen Teil seines Lebens in Mitteleuropa verbrachte, erzählt von den Menschen, die ihm dort begegnet sind. Da ist der kleine Fotohändler Kralík, der auf seiner Flucht vor den Tschechen nach dem Krieg im österreichischen Mühlviertel hängen blieb, obwohl er sich sein ganzes Leben lang nach den böhmischen Wäldern sehnt. Oder der alte Kantor Ernster im ehemaligen Siebenbürgen, der an seiner eigentümlichen Sprache festhält, obwohl ihn in seiner Umgebung niemand mehr verstehen kann. Europäische Geschichten über das Thema Heimat und Fremde.
Autorenporträt
Richard Swartz, 1945 in Stockholm geboren, war Osteuropa-Korrespondent des Svenska Dagbladet, er lebt abwechselnd in Stockholm, Wien und Sovinjak (Istrien) und schreibt für verschiedene internationale Zeitungen. Bücher: u. a. Room Service. Geschichten aus Europas Nahem Osten (1997), Blut, Boden & Geld (2017) und bei Zsolnay Wiener Flohmarktleben (2015) und Austern in Prag (2019).

Verena Reichel, 1945 geboren, wurde für ihre Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis. Sie übersetzte u.a. Ingmar Bergman, Katarina Frostensen, Lars Gustafsson, Henning Mankell, Anna-Karin Palm, Hjalmar Söderberg und Märta Tikkanen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2005

Der beteiligte Beobachter
Richard Swartz erzählt Geschichten aus Europas Mitte

In den neunziger Jahren gelangte Richard Swartz mit dem Buch "Room Service" als Virtuose der literarischen Reportage zu internationalem Ruhm. Nach einem Roman legt der langjährige Osteuropa-Korrespondent des Stockholmer "Svenska Dagbladet" unter dem unscheinbaren Titel "Adressbuch" nun eine Sammlung von sieben "Geschichten" vor. Die wenig spezifische Gattungsbezeichnung ebenso wie der Titel des Buchs verweisen auf historische, soziologische, alltägliche Sujets. Es soll in diesen "Geschichten aus dem finsteren Herzen Europas" um Fahrpläne gehen, nicht um Oden, um die Konkretion bestimmter Straßennamen, Hausnummern, Vorkommnisse und Daten.

In einer Nachbemerkung zu "Adressbuch" verweist Richard Swartz jedoch zugleich auf die hochliterarischen Korrespondenzen schon im Titel der einzelnen Stücke, die auf Shakespeare anspielen und auf Joseph Conrad, auf Dylan Thomas und, so muß man ergänzen, auf das Bedeutungsgespinst, das eine Tradition politisch korrekter Reiseschriftstellerei der achtziger Jahre um Wortverbindungen wie "das Herz Europas" oder "die Mitte Europas" gerankt hat. Assoziationen der Verlorenheit, der unverdienten Vernachlässigung, der alten Kultur, der politischen Unterdrückung, des Kaffeehauses, der verkauzten Individualität, des untergegangenen österreich-ungarischen Vielvölkerstaats werden mit diesen Vokabeln herbeizitiert. "Europa", so könnte man ein Diktum Theodor Fontanes variieren, "ist eigentlich für sich schon eine Geschichte."

André Jolles hat in seinem berühmten Buch über "Einfache Formen" die erzähltechnische Verbindung aus polizeiberichtstrockener Konkretion mit frei flottierender literarischer Bedeutsamkeit als Gattungseigentümlichkeit des "Memorabile" analysiert. "Was Selbstmord bedeutet", schreibt Jolles, "geht nicht hervor aus den Tatsachen, daß jemand in Turkestan geboren ist oder eine Wodka-Fabrik besessen hat - auch nicht, daß er Kaiserallee 203 wohnt -, aber wohl aus Umständen wie, daß er allein ist und daß die Frau sich im Konzert befindet oder daß nebenan eine Künstlerin wohnt, die das alles oft genug gespielt hat, aber nun durch den Knall des Revolvers in ein wirkliches Geschehen hineingezogen wird. Letzten Endes versucht die Form noch einen weiteren Sinn zu geben: Selbstmord eines Kommerzienrats, eines Mannes, der früher reich war und der sich jetzt nicht mehr aus pekuniären Schwierigkeiten retten kann. So ist die Zeit! In diesem einmaligen Geschehen, das sich heraushebt, zeichnet sie sich."

Solche "Memorabilen" bilden den Erzählkern der früheren Reportagen wie auch der neuen "Geschichten" von Richard Swartz. Schwere Körperverletzung, verübt von unbekannten Tätern im volksdemokratischen Prag gegen einen farbigen Austauschstudenten: Dieses Vorkommnis aus den Polizeiakten zum Beispiel wird in der Geschichte "Das Herz der Finsternis" zum Anlaß eines literarisch hochambitionierten Monologs in der Rollenprosa eines unzuverlässigen Erzählers, der die skandalösen Ereignisse in analytisch-rückwärtsgewandter Manier enthüllt und zu der sentenzhaft-metaphorisch formulierbaren Lehre hintreibt, daß das Herz der Finsternis, schon Joseph Conrad wußte es, nicht in Kongo liegt, sondern eben in jenem Europa, dem auch anderweitig so vieles und so verschiedenes zugetraut wird. So war jene Zeit, so ist dieser Kontinent immer noch. Und in diesem einmaligen Geschehen, das sich heraushebt, wird diese Zeit im Rückblick von Richard Swartz aufgezeichnet.

Die erzähltechnisch anspruchsvolle Behandlung des unscheinbaren Erzählkerns dieser Geschichten zeigt sich auch in ihrer - durch avancierte Beispiele modernen literarischen Erzählens inspirierten - Konstruktion um eine Leerstelle herum. In "Das Herz der Finsternis" etwa ist es der von jenem unzuverlässigen Erzähler dem Leser nirgends offenbarte Satz des Rektors eines Ausländerstudentenwohnheims, "der alles zerstörte und uns unmißverständlich klarmachte, unter welchen Bedingungen wir uns in Prag aufhielten". In "Zu Hause", einer Geschichte über die Abneigung des Autors gegen die deutsche Sprache, ist es das altertümlich-ungebräuchliche schwedische Wort dymedelst, dessen Bedeutung der Autor, nachdem er es von seinem Großvater als Kind gehört hatte und nicht verstand, im späteren Leben allmählich vergißt. Erst im Widerstand gegen die "größere und fremde Sprache rings um mich her" geht ihm auf: "Kein einziges Wort, keine Wendung konnte ich entbehren, nicht einmal ein Wort wie dymedelst, dieses Wort, das erst mit den Jahren begreiflich geworden war, obwohl mein Großvater ihm mißtraute und es hatte loswerden wollen, vielleicht weil er sich nie hatte retten müssen und, statt Befehlen zu gehorchen, anderen Arbeit gab." Und wir Leser erfahren erst aus einer Anmerkung, was dymedelst bedeutet.

In der Geschichte "In der Schuhfabrik" vertritt der bevorstehende Bankrott des Vaters, den die Mutter des jungen Erzählers unbedingt vor diesem zu verbergen sucht, den verschwiegenen Angelpunkt des Erzählens. Und am Ende einer anderen Geschichte von Swartz über seinen Großvater, einen schwedischen Schuhfabrikanten und Liebhaber der deutschen Literatur, heißt es: "So hatte er in seinem Leben weniger an der Seite dieses Deutschland gestanden als ihm vielmehr gedient, ebenso flink wie diskret, und wenn etwas übriggeblieben war, was er in dieser Unterwerfung wirklich das Seine nennen konnte, ganz und gar sein eigen, dann war es etwas, das er nicht wahrhaben wollte, etwas, das er lieber endgültig und so tief in seinem Innersten vergraben hatte, daß niemand es wieder ausgraben könnte, um ihn an das allzu Offensichtliche zu erinnern - daß was vergraben war, nur ihm und sonst keinem gehörte."

"Ich sehe was, was du nicht siehst", scheint Richard Swartz seinen Lesern in diesen (schwächeren) Wendungen seines Erzählens zurufen zu wollen. In solchen Momenten vergißt er, vielleicht im Übermut, den ihm sein Können eingibt, jenes von Walter Benjamin formulierte "Grundgesetz des Schrifttums, dem zufolge der Wahrheitsgehalt eines Werkes, je bedeutender es ist, desto unscheinbarer und inniger an seinen Sachgehalt gebunden ist". Dieser Journalist ist als Erzähler so virtuos, daß nur noch Eleganz die Wirkung und die Wahrheit seiner Texte vermindern kann, eine Bedrohung seines Schreibens, die auch schon in einigen fast ausgelassen überinstrumentierten Passagen seines genialen Buchs "Room Service" sichtbar geworden ist. Die Konkretion des "Adressbuchs" tritt dann einen Moment lang in den Hintergrund, die Aura des literarischen oder philosophischen Buchs überstrahlt den schlichten Sachgehalt des Memorabile.

Nun kann man freilich schlimmere Vorwürfe gegen einen Schriftsteller erheben als den der Virtuosität. Unter den Autoren, die Mischformen aus Reportage, Essay und Erzählung in Deutschland seit einiger Zeit bekannt und als Genre langsam heimisch machen, ist Richard Swartz einer der elegantesten und literarisch vielseitigsten. Am stärksten sind diese sieben Stücke jedoch, wenn sie sich nicht in ihrer eigenen Brillanz verlieren, sondern ihrem Material folgen und dem Leser zeigen, wie, um noch einmal André Jolles zu zitieren, "das unentwegt und unaufhaltbar fortschreitende Geschehen sich an bestimmten Stellen verdichtet, erhärtet, wie das rinnende Geschehen an solchen Stellen gerinnt und wie es dort, wo es erhärtet, wo es geronnen ist, von der Sprache ergriffen wird, literarische Form bekommt".

Richard Swartz: "Adressbuch". Geschichten aus dem finsteren Herzen Europas. Hanser Verlag, München 2005. 198 S., geb., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Journalist, bleib bei deinen Reportagen, ruft Jörg Plath laut und deutlich. Vor allem, wenn sie so gut sind wie Richard Swartz' Texte aus Osteuropa. Doch der Schwede, so Plath, möchte auch Literat sein, genauer gesagt: "Literat in osteuropäischer Tradition". Und er meint, dass dazu etwas "Unausprechliches" gehört, ein erzählerisches Kreisen um ein Geheimnis. Doch erkennt Plath in Swartz' Bemühungen vor allem ein allzu angestrengtes - und leicht durchschaubares - Raunen; die Geschichten, schreibt er, wirken "literarisch überinstrumentiert, denn das Unausgesprochene ist für den Leser kein Geheimnis. Es liegt auf der Hand." Fazit: "Richard Swartz treibt umständlich Geheimniskrämerei."

© Perlentaucher Medien GmbH
"Richard Swartz vereint die Tugenden des Journalisten, der gewissenhaft recherchiert, mit denen des Erzählers, der sich mit den Fakten alleine nicht zufrieden gibt... In den Marotten, Obsessionen, Verstiegenheiten kleiner Leute wird das große geschichtliche Verhängnis fassbar. Swartz verdammt nicht und erklärt nicht, sondern zeigt seine Gestalten in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit..."
Karl-Markus Gauss, Falter, 11/05

"...literarisch ausgeformte und kunstvoll ausgefeilte Erzählungen."
Volker Breidecker, SZ, 14.03.05