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Dieser Band vereint sämtliche Titanic-Beiträge von Max Goldt aus den sogenannten "Hamburger Jahren" 1995 und 1996, darunter folgende Hits: Die Mitgeschleppten im Badezimmer Die Leutchen und die Mädchen Besser als Halme: Blutmagen, grob (mit der beliebten Passage "Über das Fotografieren") Veränderungen des Neigungswinkels von Hutablagen sind keine Hausmädchenarbeit Milch und Ohrfeigen sowie Zur Herzverpflanzung fährt man nicht mit dem Bus Die acht Farbtafeln mit vom Autor untertitelten Fotos sind in diesem Buch besonders gut.

Produktbeschreibung
Dieser Band vereint sämtliche Titanic-Beiträge von Max Goldt aus den sogenannten "Hamburger Jahren" 1995 und 1996, darunter folgende Hits:
Die Mitgeschleppten im Badezimmer
Die Leutchen und die Mädchen
Besser als Halme: Blutmagen, grob (mit der beliebten Passage "Über das Fotografieren")
Veränderungen des Neigungswinkels von Hutablagen sind keine Hausmädchenarbeit
Milch und Ohrfeigen
sowie
Zur Herzverpflanzung fährt man nicht mit dem Bus
Die acht Farbtafeln mit vom Autor untertitelten Fotos sind in diesem Buch besonders gut.
Autorenporträt
Max Goldt, geboren 1958 in Göttingen, lebt in Berlin. Zuletzt veröffentlichte er 'Räusper. Comic-Skripts in Dramensatz' (2015) und 'Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken' (2014). Im Jahr 2008 erhielt er den Hugo-Ball-Preis und den Kleist-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.1997

Aufblasbare Schreie
Max Goldts neue Kolumnen / Von Kristina Maidt-Zinke

Der anheimelnd blödsinnige Ausdruck "Leseratten", aus Kindertagen geläufig, scheint in der anschwellenden Flut der literarischen Produktion untergegangen zu sein, ist jedenfalls ganz aus der Mode gekommen. Dabei ließe sich gerade von diesen Tieren elegant behaupten, daß sie durch das Kolumnenschaffen Max Goldts über Jahre davon abgehalten worden seien, die leckgeschlagene "Titanic" zu verlassen. Mit den von Goldt erfundenen "Lesefröschchen" ist es schwieriger, weil man zuwenig darüber weiß, wie sich Frösche bei Schiffsuntergängen gebärden. Immerhin mehren sich neuerdings die Anzeichen dafür, daß es sich auch bei jener goldigsten Fracht des sinkenden Satiremagazins um verderbliche Ware handelt: Die einst zügellose Gier nach Onkel Maxens zartgestrichelten, arabesk verschlungenen Denkfiguren ist einem trägen Appetit gewichen, der es durchaus erlaubt, das eine oder andere Heft zu verpassen.

Um so dankbarer sind wir dann aber doch dem Verlag, der die Goldt-Stücke getreulich sammelt und in Buchform bringt, daß uns auch nicht eines fehle an der ganzen großen Zahl. Nach "Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau" und "Die Kugeln in unseren Köpfen" kommt die dritte Lieferung unter dem radikal minimalistischen Titel "Ä" daher. Die Wahl unter den Kolumnenüberschriften der Jahre 1995 und 1996 muß schwergefallen sein, denn es finden sich dort so titeltaugliche Juwelen wie "Der aufblasbare Schrei meiner Altstadt" und "Veränderungen des Neigungswinkels von Hutablagen sind keine Hausmädchenarbeit". Das "Ä" signalisiert weder Formulierungsschwierigkeiten noch Weltekel, sondern bezieht sich, wie der dazugehörige Monatsbeitrag erhellt, auf den launigen Umlaut der "muttergöttlichen Ä-Feiertage", als da sind Mariä Geburt, Lichtmeß, Empfängnis und Himmelfahrt. Daß unschuldige Pünktchen auf Vokalen die Stimmung heben können, ist einer jener Hinweise, die uns Onkel Max als Lebenshelfer lieb und unbezahlbar machen.

Viel ist schon über Goldts Kolumnenkunst geschrieben worden, schwärmerisch und mäkelig, mimetisch tändelnd und schulmeisterlich tadelnd - alles völlig zu Recht. Seine Methode der wildwuchernden Assoziation und hemmungslosen Selbstentblößung macht diesen Titanen des Themensprungs einzigartig, aber auch von allen Seiten angreifbar. Daß er das Genre zu nie gekannten Höhen geführt hat, kann ebensowenig bestritten werden wie seine Anfälligkeit für Manierismen und Marotten, die ihn immer wieder unter das erreichte Niveau zurückplumpsen lassen. Wer ihn aber des Biedersinns bezichtigt oder ihm gar vorwirft, am neudeutschen Spießerkodex zu basteln, hat nicht erfaßt, daß das kritische Potential seiner Satiren in einem wahnwitzigen und mildtraurigen Bekenntnis zur Antiquiertheit des Menschen liegt. Nur der, dem diese Gefühlslage vertraut ist, kann einen Satz wie den folgenden goutieren: "Es entsteht immer wieder Anlaß zu vorsichtiger Lebensfreude, wenn man sich vor Augen hält, was es alles nicht gibt, und was es daher vielleicht auch niemals geben wird."

Was es zuhauf gibt, sind Insignien einer ermatteten Zivilisation, die Max Goldt mit unvergleichlicher Empfindsamkeit beim Namen nennt: "resttröpfchengetränkte Toilettenumpuschelungen" zum Beispiel, den "Wagenwulst" als "Gesamtheit der ineinandergeschobenen Einkaufswagen", oder - in Hannover mal wieder - eine "Hardcore-Fußgängerhölle". In Hamburg hingegen gibt es ein "Grauer-Sack-Gebiet", das nicht von Goldt, sondern vom dortigen Stadtreinigungsamt erfunden wurde, aber erst durch die nimmermüde Aufmerksamkeit des Kolumnisten zur verdienten literarischen Verewigung gelangt ist, ebenso wie das Schild "Blutmagen, grob, 100 g 88 Pfennig" in einem Fleischereischaufenster, das der hochbegabte Hobbyfotograf unter den Blicken befremdeter Passanten im Bilde festhielt.

Onkel Maxens Umzug von der Spree an die Elbe und die damit verbundenen Erkenntnisse ("Hamburger können keine Schleife") fallen in die Laufzeit der hier versammelten "Titanic"-Beiträge. Mag sein, daß der Verlust des Berliner Milieus sein Verhältnis zum schönen Stil und zur kompositorischen Sorgfalt etwas abgekühlt hat. Vielleicht sind auch bloß alle ein wenig erschöpft, der Verfasser und die Lesefröschchen, nach nun insgesamt fünfundneunzig Mitteilungsschüben aus dem "Pleistozän der Kommunikation", wo der Internet-Verächter Goldt sich und sein altmodisches Kolumnierhandwerk beheimatet weiß. Jedenfalls scheinen die neueren Texte mehr Grauwerte, mehr Durststrecken aufzuweisen; man freut sich auffälliger über Fundstücke wie die retrospektive Spaltung der Sechziger-Jahre-Jugend in "katholisch-Pelikan-Nesquick" und "evangelisch-Geha-Kaba", die Wiederbegegnung mit der ausgestorbenen Spezies "Redaktionsigel" oder mit dem ungefähr gleichaltrigen Benimmbuch, "in dem ein Foto von einem Mann in Knickerbockern ist, unter welchem steht ,Knickerbocker töten die Theaterstimmung'".

Wenn Onkel Max irgendwann gar keine Lust mehr hätte, einmal pro Monat possierlich vom Hölzchen aufs Stöckchen zu hüpfen, würden seine Neffen und Nichten ihm das sicher nicht übelnehmen. So wie jede Ehe ein Stadium erreicht, in dem "die Billardkugel, die wir Sex nennen, von der Salzstange, die wir Verlangen nennen, nicht mehr angestoßen wird", so schreit auch die Beziehung zwischen dem Künstler und seinen Bewunderern bisweilen nach Auffrischung durch Abwechslung. Goldt schuldet uns einerseits noch einen Roman, andererseits die in Erwägung gezogene "private Zuckerstückchenedition mit aphoristischen Definitionen" nach dem Muster "Die Überbevölkerung sind alle, die dich nicht lieben". Bis dahin aber schütze Gott, mit dem der Kolumnist auf kumpelhaftem Fuße steht, "die kleine Zeitschrift, die mir zu erwähnen erlaubt, daß ich berühmte blaue Unterhosen aus der Schweiz trage".

Max Goldt: "Ä". Kolumnen. Haffmans Verlag, Zürich 1997. 188 S., zahlr. Abb., geb., 28,- DM.

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