»Die Geschichte meiner Familie. So viel ungelebtes Leben!« Reinhold Beckmann
»Reinhold Beckmanns Mutter war eine große Erzählerin. Und nun gibt Beckmann ihre Geschichte an uns weiter. Er erzählt sie uns auf völlig schnörkellose Weise, klar, einfach, eindringlich.« Senta Berger
Das Leben von Reinhold Beckmanns Mutter Aenne war früh von Verlusten gezeichnet. Ihre Mutter starb, als Aenne noch ein Baby war. Vier Brüder hatte sie, alle im Krieg gefallen. Anders als viele ihrer Generation hat Aenne über diese Zeit nie geschwiegen. Ihre Brüder und Eltern blieben immer gegenwärtig, in Gesprächen, Fotos und Erinnerungen.
Reinhold Beckmann erzählt die Geschichte von Aenne, Franz, Hans, Alfons und Willi, zwischen hartem Alltag auf dem Dorf, katholischer Tradition und beginnender Diktatur. Und davon, was der Krieg mit Menschen macht. wenn keiner zurückkehrt.
»Reinhold Beckmann erzählt mit Respekt und Liebe die Geschichte seiner Mutter. Ein aktuelles, ein lesenswertes Buch!« Gerhart Baum
»Ein Buch voller Liebe und Trauer. Ein Buch über die Verwüstungen des Krieges. Und ein Buch für den Frieden - das genau zur richtigen Zeit kommt.« Heinrich Wefing, Die Zeit
»Das Buch ist so berührend, weil es diese vier jungen Leben so sichtbar macht. Als ob es gestern gewesen wäre. Ja, es war gestern - und ist heute leider wieder so!« Udo Lindenberg
»Reinhold Beckmanns Mutter war eine große Erzählerin. Und nun gibt Beckmann ihre Geschichte an uns weiter. Er erzählt sie uns auf völlig schnörkellose Weise, klar, einfach, eindringlich.« Senta Berger
Das Leben von Reinhold Beckmanns Mutter Aenne war früh von Verlusten gezeichnet. Ihre Mutter starb, als Aenne noch ein Baby war. Vier Brüder hatte sie, alle im Krieg gefallen. Anders als viele ihrer Generation hat Aenne über diese Zeit nie geschwiegen. Ihre Brüder und Eltern blieben immer gegenwärtig, in Gesprächen, Fotos und Erinnerungen.
Reinhold Beckmann erzählt die Geschichte von Aenne, Franz, Hans, Alfons und Willi, zwischen hartem Alltag auf dem Dorf, katholischer Tradition und beginnender Diktatur. Und davon, was der Krieg mit Menschen macht. wenn keiner zurückkehrt.
»Reinhold Beckmann erzählt mit Respekt und Liebe die Geschichte seiner Mutter. Ein aktuelles, ein lesenswertes Buch!« Gerhart Baum
»Ein Buch voller Liebe und Trauer. Ein Buch über die Verwüstungen des Krieges. Und ein Buch für den Frieden - das genau zur richtigen Zeit kommt.« Heinrich Wefing, Die Zeit
»Das Buch ist so berührend, weil es diese vier jungen Leben so sichtbar macht. Als ob es gestern gewesen wäre. Ja, es war gestern - und ist heute leider wieder so!« Udo Lindenberg
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Den typischen Reinhold-Beckmann-Sound findet Rezensentin Anna Vollmer zumindest teilweise wieder in dem Buch über seine Familie, das der Fernsehmoderator geschrieben hat. Aufgefaltet wird die Geschichte einer Familie, die in einem kleinen, katholisch geprägten niedersächsischen Dorf die Jahre des Nationalsozialismus durchlebt. Im Zentrum steht Beckmanns Mutter, lernen wir, deren vier Brüder im Krieg starben und die selbst ein von harter Arbeit geprägtes Leben führte. Laut Vollmer beruht das Buch auf Erinnerungen der Mutter und Briefen der Brüder. Letztere drehten sich offenbar mehr um Alltägliches als um den Krieg. Vollmer bekommt einen durchaus reichhaltigen Eindruck von diesen jungen Männern, die wohl keine überzeugten Nazis waren, deren Berichte über den Krieg von Beckmann jedoch durchaus auch kritisch befragt werden. Gerne besser kennengelernt hätte Vollmer das Dorfleben sowie auch den jüngsten Bruder der Mutter, der erst kurz vor Kriegsende eingezogen wird. Der Ukrainekrieg macht dieses Buch aktuell, so das Ende der insgesamt positiven Besprechung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.09.2023So viel ungelebtes Leben
Alle ihre Brüder starben im Krieg: Reinhold Beckmann legt eine Familienchronik vor, in deren Mittelpunkt seine Mutter Aenne steht. Aber er erzählt auch vom Alltag in einem katholischen Dorf und von der Rolle der Kirche im Nationalsozialismus.
In seiner Talkshow lehnte sich der Moderator Reinhold Beckmann früher gern über den Tisch und fragte seinen jeweiligen Gast mit diesem ihm eigenen, ein bisschen verschwörerisch klingenden Sound: "Wie war das damals?" Solche Fragen, Beckmann-Fragen, stellt er in seinem Buch "Aenne und ihre Brüder" nun auch zu seiner eigenen Familiengeschichte. Beckmann hatte vier Onkel, Franz, Hans, Alfons und Willi, doch er lernte keinen von ihnen kennen. Alle vier starben im Zweiten Weltkrieg, der Älteste mit 31, der Jüngste mit 17 Jahren. Beckmanns Großeltern wiederum starben an den Folgen des Ersten Weltkriegs. An der Tuberkulose, heimgebracht von der Front: "So viel ungelebtes Leben." Aenne, Beckmanns Mutter, überlebte, wurde 98 Jahre alt und sprach mit ihrem Sohn über ihre Erfahrungen und die Toten. Beckmann stellte seine Fragen und ließ ein Tonband laufen. Diese Gespräche und ein Schuhkarton voller Feldpostbriefe der gefallenen Brüder dienten dem 1956 geborenen Journalisten als Grundlage seines Buchs.
Es ist nicht nur eine Familienchronik, sondern erzählt auch vom Alltag in einem katholischen Dorf Niedersachsens, von dessen Bewohnern, von der Rolle der Kirche im Nationalsozialismus und natürlich von Aenne. Einer Frau, die trotz widriger Umstände versuchte, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Auf einem der zahlreichen Fotos im Buch steht sie mit dreizehn Jahren neben einer Tafel. "Mein letztes Schuljahr 1934" ist darauf zu lesen. Wenig später wird für dieses Mädchen ein Leben harter körperlicher Arbeit beginnen.
Aenne hat ein enges Verhältnis zu ihren Brüdern. Sie schickt ihnen zahlreiche Päckchen und Briefe an die Front. In den Antworten, um die hundert sind erhalten, erzählen die drei jungen Männer (der jüngste, Willi, wird erst kurz vor Kriegsende eingezogen und schreibt nicht) von ihren Sorgen und Sehnsüchten. Es geht weniger um das Kriegsgeschehen als vielmehr um den Alltag zu Hause und die Hoffnung auf ein Leben danach. Die Brüder fragen, wie die Kirmes war und was die Frauen machen, sie freuen sich auf Post, spannen ihre kleine Schwester vom weit entfernten Russland aus als Kupplerin ein und bitten sie um Hilfe bei der Planung ihrer Hochzeit. Und sie träumen von einer Zukunft, die sie nie haben werden. Franz, der Älteste, schreibt fast verbittert davon, wie der Krieg ihnen die besten Jahre raubt. Er wird sechs Weihnachtsfeste an der Front verbringen und kurz vor Kriegsende sterben.
Beckmann kommentiert ("Ein bisschen mehr Poesie dürfte es schon sein, lieber Onkel Alfons, bei deinen Flirtversuchen mit Aennes Arbeitskolleginnen") und zieht neben den Briefen auch andere Quellen heran. Sie ergänzen das Bild, das die jungen Männer von der Front zeichnen. "Das Wetter ist heiter, die Temperatur steigt auf 0 Grad, das Gelände steht zum Teil unter Wasser", heißt es in einem Feldbericht. Eine "fast schon zynische Notiz", schreibt Beckmann. Auch der Zustand der Truppen kommt zur Sprache, im Feldbericht ist von "der Grenze der körperlichen und seelischen Leistungsfähigkeit", von Krankheit und "starker Verlausung" die Rede.
Hat man am Anfang noch deutlich Beckmanns Stimme im Ohr, so treten im Verlauf der Lektüre die Figuren des Buchs immer plastischer in den Vordergrund. Es mag deshalb leicht fallen, sich in die vier Brüder, insbesondere Franz, einzufühlen, weil sie für die Nationalsozialisten nichts übrig hatten und nicht über ihre eigene Beteiligung am Kriegsgeschehen schreiben. Wellingholzhausen war Beckmann zufolge für die Nationalsozialisten kein leicht zu erobernder Wahlkreis. Streng katholisch, stimmten die meisten Bewohner noch lange für die Zentrums-Partei bis sich auch die Kirche in den Dienst des Reiches stellte.
Die Brüder, so lassen die Briefe erahnen, ziehen kaum mit Überzeugung in den Krieg, und wenn doch, dann eher, weil sie sich, wie im Fall von Hans, berufliche Aufstiegschancen versprechen und nicht, weil sie einer Ideologie anhängen. Beckmann ist seinen Onkeln gegenüber trotzdem nicht unkritisch, verknüpft ihre Perspektive mit den historischen Ereignissen, stellt Fragen, auf die er nie eine Antwort bekommen wird, und legt damit offen, was seine Onkel in ihren Briefen alles nicht schreiben, aber vermutlich wussten und verschwiegen: "Auch wenn Hans und sein Regiment wohl nicht aktiv Teil der Massaker in Polen sind, so werden sie geahnt und vermutlich auch gesehen haben, wie kaltblütig Gestapo, SS und einheimische Milizionäre zu Werke gingen."
Es sind nicht nur die Schicksale der Brüder, von denen Beckmann erzählt, sondern auch die Geschichten um sie herum. Es geht um ein von Verlusten geprägtes Leben, das eine Frau, die erst vor wenigen Jahren gestorben ist, noch geführt hat. Es sind nicht jene Zwanzigerjahre, von denen gerade so oft die Rede ist, die goldene Berliner Zeit. Es ist ein kleiner, geschlossener Kosmos auf dem Land, in den mit dem Krieg, auch durch die Kriegsgefangenen, auf einmal eine andere Welt hereinbricht.
Beckmann beschreibt diesen Kosmos anhand der Dorfbewohner und ihrer Beziehungen zueinander. So sorgen etwa die Folgen des Ersten Weltkriegs bei der Schuster-Familie Haber für eine nicht ganz einfache Konstellation: Aennes Mutter stirbt im Kindbett, der Vater heiratet ein weiteres Mal. Seine Frau wird schwanger, doch bevor Aennes Schwester auf der Welt ist, stirbt auch er. Da sitzt nun seine neue Frau mit fünf Kindern, von denen vier nicht ihre eigenen sind. Sie heiratet den Gesellen aus dem Schusterbetrieb und bekommt ein weiteres.
Es gibt viele Persönlichkeiten in Beckmanns Buch, über die man beim Lesen länger nachdenkt, über die man eigentlich gern noch mehr erfahren würde. Da ist Pastor Riese, aus dessen Predigten und Pfarrberichten sich erahnen lässt, was er vom Nationalsozialismus hält. Da ist der humpelnde Organist und der beliebte, die eigene Gesundheit vollkommen vernachlässigende Dorfarzt Dr. Große-Schönepauck, genannt Paucken Heini, in dessen Haus auch andere Sender laufen als die Propaganda des NS-Regimes.
Auch Willi, der jüngste, schmächtigste der Brüder, bleibt in der Erzählung recht blass. Wir erfahren nur, dass er sich für keine klassische, sondern eine modernere Ausbildung entschied - er wurde Autoschlosser. Und welche Angst er vor seinem bevorstehenden Einsatz hatte: "Als die Feldjäger kommen, um Willi abzuholen, hat der sich im Kohlenkeller versteckt, in der dunklen Bunkerwelt des alten Fachwerkhauses. Er kauert dort, weinend vor Angst vor dem, was ihn jetzt erwartet." Auf dem Foto in seinem Soldbuch sieht man einen schmalen Jungen, von dem man sich kaum vorstellen kann, dass er zu dieser Zeit schon einen Beruf ausübt, dass er in den Krieg zieht, schießt und schließlich erschossen wird.
Es ist ein beklemmender Zufall, dass Beckmann, wie er in einem Interview sagt, die Arbeit an seinem Buch am 21. Februar 2022, drei Tage vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, begann. Wenig später werden die Orte, an denen seine Onkel waren, wieder in den Nachrichten sein. So ist "Aenne und ihre Brüder" ein Buch zur aktuellen Situation geworden. Und es lässt erahnen, wie lange uns all das, was gerade passiert, noch beschäftigen wird. ANNA VOLLMER
Reinhold Beckmann: "Aenne und ihre Brüder". Die Geschichte meiner Mutter.
Propyläen Verlag, Berlin 2023. 352 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alle ihre Brüder starben im Krieg: Reinhold Beckmann legt eine Familienchronik vor, in deren Mittelpunkt seine Mutter Aenne steht. Aber er erzählt auch vom Alltag in einem katholischen Dorf und von der Rolle der Kirche im Nationalsozialismus.
In seiner Talkshow lehnte sich der Moderator Reinhold Beckmann früher gern über den Tisch und fragte seinen jeweiligen Gast mit diesem ihm eigenen, ein bisschen verschwörerisch klingenden Sound: "Wie war das damals?" Solche Fragen, Beckmann-Fragen, stellt er in seinem Buch "Aenne und ihre Brüder" nun auch zu seiner eigenen Familiengeschichte. Beckmann hatte vier Onkel, Franz, Hans, Alfons und Willi, doch er lernte keinen von ihnen kennen. Alle vier starben im Zweiten Weltkrieg, der Älteste mit 31, der Jüngste mit 17 Jahren. Beckmanns Großeltern wiederum starben an den Folgen des Ersten Weltkriegs. An der Tuberkulose, heimgebracht von der Front: "So viel ungelebtes Leben." Aenne, Beckmanns Mutter, überlebte, wurde 98 Jahre alt und sprach mit ihrem Sohn über ihre Erfahrungen und die Toten. Beckmann stellte seine Fragen und ließ ein Tonband laufen. Diese Gespräche und ein Schuhkarton voller Feldpostbriefe der gefallenen Brüder dienten dem 1956 geborenen Journalisten als Grundlage seines Buchs.
Es ist nicht nur eine Familienchronik, sondern erzählt auch vom Alltag in einem katholischen Dorf Niedersachsens, von dessen Bewohnern, von der Rolle der Kirche im Nationalsozialismus und natürlich von Aenne. Einer Frau, die trotz widriger Umstände versuchte, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Auf einem der zahlreichen Fotos im Buch steht sie mit dreizehn Jahren neben einer Tafel. "Mein letztes Schuljahr 1934" ist darauf zu lesen. Wenig später wird für dieses Mädchen ein Leben harter körperlicher Arbeit beginnen.
Aenne hat ein enges Verhältnis zu ihren Brüdern. Sie schickt ihnen zahlreiche Päckchen und Briefe an die Front. In den Antworten, um die hundert sind erhalten, erzählen die drei jungen Männer (der jüngste, Willi, wird erst kurz vor Kriegsende eingezogen und schreibt nicht) von ihren Sorgen und Sehnsüchten. Es geht weniger um das Kriegsgeschehen als vielmehr um den Alltag zu Hause und die Hoffnung auf ein Leben danach. Die Brüder fragen, wie die Kirmes war und was die Frauen machen, sie freuen sich auf Post, spannen ihre kleine Schwester vom weit entfernten Russland aus als Kupplerin ein und bitten sie um Hilfe bei der Planung ihrer Hochzeit. Und sie träumen von einer Zukunft, die sie nie haben werden. Franz, der Älteste, schreibt fast verbittert davon, wie der Krieg ihnen die besten Jahre raubt. Er wird sechs Weihnachtsfeste an der Front verbringen und kurz vor Kriegsende sterben.
Beckmann kommentiert ("Ein bisschen mehr Poesie dürfte es schon sein, lieber Onkel Alfons, bei deinen Flirtversuchen mit Aennes Arbeitskolleginnen") und zieht neben den Briefen auch andere Quellen heran. Sie ergänzen das Bild, das die jungen Männer von der Front zeichnen. "Das Wetter ist heiter, die Temperatur steigt auf 0 Grad, das Gelände steht zum Teil unter Wasser", heißt es in einem Feldbericht. Eine "fast schon zynische Notiz", schreibt Beckmann. Auch der Zustand der Truppen kommt zur Sprache, im Feldbericht ist von "der Grenze der körperlichen und seelischen Leistungsfähigkeit", von Krankheit und "starker Verlausung" die Rede.
Hat man am Anfang noch deutlich Beckmanns Stimme im Ohr, so treten im Verlauf der Lektüre die Figuren des Buchs immer plastischer in den Vordergrund. Es mag deshalb leicht fallen, sich in die vier Brüder, insbesondere Franz, einzufühlen, weil sie für die Nationalsozialisten nichts übrig hatten und nicht über ihre eigene Beteiligung am Kriegsgeschehen schreiben. Wellingholzhausen war Beckmann zufolge für die Nationalsozialisten kein leicht zu erobernder Wahlkreis. Streng katholisch, stimmten die meisten Bewohner noch lange für die Zentrums-Partei bis sich auch die Kirche in den Dienst des Reiches stellte.
Die Brüder, so lassen die Briefe erahnen, ziehen kaum mit Überzeugung in den Krieg, und wenn doch, dann eher, weil sie sich, wie im Fall von Hans, berufliche Aufstiegschancen versprechen und nicht, weil sie einer Ideologie anhängen. Beckmann ist seinen Onkeln gegenüber trotzdem nicht unkritisch, verknüpft ihre Perspektive mit den historischen Ereignissen, stellt Fragen, auf die er nie eine Antwort bekommen wird, und legt damit offen, was seine Onkel in ihren Briefen alles nicht schreiben, aber vermutlich wussten und verschwiegen: "Auch wenn Hans und sein Regiment wohl nicht aktiv Teil der Massaker in Polen sind, so werden sie geahnt und vermutlich auch gesehen haben, wie kaltblütig Gestapo, SS und einheimische Milizionäre zu Werke gingen."
Es sind nicht nur die Schicksale der Brüder, von denen Beckmann erzählt, sondern auch die Geschichten um sie herum. Es geht um ein von Verlusten geprägtes Leben, das eine Frau, die erst vor wenigen Jahren gestorben ist, noch geführt hat. Es sind nicht jene Zwanzigerjahre, von denen gerade so oft die Rede ist, die goldene Berliner Zeit. Es ist ein kleiner, geschlossener Kosmos auf dem Land, in den mit dem Krieg, auch durch die Kriegsgefangenen, auf einmal eine andere Welt hereinbricht.
Beckmann beschreibt diesen Kosmos anhand der Dorfbewohner und ihrer Beziehungen zueinander. So sorgen etwa die Folgen des Ersten Weltkriegs bei der Schuster-Familie Haber für eine nicht ganz einfache Konstellation: Aennes Mutter stirbt im Kindbett, der Vater heiratet ein weiteres Mal. Seine Frau wird schwanger, doch bevor Aennes Schwester auf der Welt ist, stirbt auch er. Da sitzt nun seine neue Frau mit fünf Kindern, von denen vier nicht ihre eigenen sind. Sie heiratet den Gesellen aus dem Schusterbetrieb und bekommt ein weiteres.
Es gibt viele Persönlichkeiten in Beckmanns Buch, über die man beim Lesen länger nachdenkt, über die man eigentlich gern noch mehr erfahren würde. Da ist Pastor Riese, aus dessen Predigten und Pfarrberichten sich erahnen lässt, was er vom Nationalsozialismus hält. Da ist der humpelnde Organist und der beliebte, die eigene Gesundheit vollkommen vernachlässigende Dorfarzt Dr. Große-Schönepauck, genannt Paucken Heini, in dessen Haus auch andere Sender laufen als die Propaganda des NS-Regimes.
Auch Willi, der jüngste, schmächtigste der Brüder, bleibt in der Erzählung recht blass. Wir erfahren nur, dass er sich für keine klassische, sondern eine modernere Ausbildung entschied - er wurde Autoschlosser. Und welche Angst er vor seinem bevorstehenden Einsatz hatte: "Als die Feldjäger kommen, um Willi abzuholen, hat der sich im Kohlenkeller versteckt, in der dunklen Bunkerwelt des alten Fachwerkhauses. Er kauert dort, weinend vor Angst vor dem, was ihn jetzt erwartet." Auf dem Foto in seinem Soldbuch sieht man einen schmalen Jungen, von dem man sich kaum vorstellen kann, dass er zu dieser Zeit schon einen Beruf ausübt, dass er in den Krieg zieht, schießt und schließlich erschossen wird.
Es ist ein beklemmender Zufall, dass Beckmann, wie er in einem Interview sagt, die Arbeit an seinem Buch am 21. Februar 2022, drei Tage vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, begann. Wenig später werden die Orte, an denen seine Onkel waren, wieder in den Nachrichten sein. So ist "Aenne und ihre Brüder" ein Buch zur aktuellen Situation geworden. Und es lässt erahnen, wie lange uns all das, was gerade passiert, noch beschäftigen wird. ANNA VOLLMER
Reinhold Beckmann: "Aenne und ihre Brüder". Die Geschichte meiner Mutter.
Propyläen Verlag, Berlin 2023. 352 S., Abb., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main