Grundlegende Fragen der Übertragung von Botschaften durch Bilder werden erörtert. Jenseits des Bilderverbotes wurde im Mittelalter eine Fülle an Modellen für die Anwesenheit des unsichtbaren Jenseitigen im Diesseits erarbeitet.In der mittelalterlichen Ästhetik und Zeichentheorie bestand zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit keine absolute Trennung. Die AutorInnen dieses Bandes zeigen, dass jenseits des Bilderverbotes im christlichen Mittelalter wie in der Frühen Neuzeit differenzierte Modelle entwickelt wurden, um Unsichtbares und Sichtbares miteinander ins Verhältnis zu setzen. In ihren Beiträgen weisen sie nach, dass diese Modelle richtungsweisend wurden für Darstellungsformen, die Inszenierung von Bildern und den Bildkult.Aus dem Inhalt: Ästhetik des Unsichtbaren - Einführung - Das Zusammenspiel der Außen- und Innenseiten von Flügelretabeln - Die Wolke als Medium - Visuelle Metaphern von Sexualität in der christlichen Kunst des Mittelalters - Eine ikonographische Erfindung im Kontext diagrammatischer Bildformen des 12. Jhs. - Die Formaterweiterungen in den Très Riches Heures der Brüder Limburg - Exklusive Sichtbarkeit in Filippino Lippis Cappella Carafa - Zur Funktion mittelalterlicher Sternbilderdarstellungen - Zur antiken Tradition eines Marienbildes - Freundschaft, Verwandtschaft und kollektive Bildstiftung im spätmittelalterlichen Verona - Die Anfänge der spiritistischen Kunst. Victor Hugo und Victor Hennequin - Imaging the Invisible Trinity - Quelques remarques sur les relations entre confection eucharistique et création d'image - The Trope of Visibility in Images of Christian-Jewish Polemic.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2005Wie es im Off des Bildes blinkt
Der Dekalog gebietet, "sich kein Bildnis zu machen". Doch ist die Geschichte abendländischer Kunst ohne Religion, insbesondere ohne das Christentum und ohne das Bildnis Gottes undenkbar. An diesen Widerspruch hat vor sechs Jahren eine von Kunstwissenschaftlern, Theologen und Historikern getragene Forschergruppe zur "Kulturgeschichte und Theologie des Bildes im Christentum" angeknüpft und dabei die Frage nach dessen Theorie, Produktion und Gebrauch im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gestellt. Die Ergebnisse dieses interdisziplinären Gesprächs sind in vier Bänden zum "KultBild" erschienen. ("Ästhetik des Unsichtbaren". Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne. Herausgegeben von David Granz und Thomas Lentes. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2005. 375 S., zahlr. S/W-Abb., br., 69,- [Euro]).
Der erste Band dieser Serie führt in das Zentrum des Problems religiöser Bildpraxis, ist mit ihm doch die Frage nach der "Ästhetik des Unsichtbaren" gestellt. Denn geht das Christentum von einem verborgenen Gott, von einem "deus absconditus" aus, so müßte dieser in den Bildwerken unsichtbar bleiben. Thomas Lentes macht darauf aufmerksam, daß ästhetische Erfahrung, und damit das Sehen, gerade zum Kern von religiöser Erfahrung zählt. Ereignete sich mit der Geburt Christi eine Fleischwerdung und damit Materialisierung des Göttlichen und wird in der Feier der Eucharistie dieser Prozeß stets neu vergegenwärtigt, so sind es vor allem die Bilder, welche die Grenze zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit ausloten und zwischen Diesseits und Jenseits vermitteln.
Am ertragreichsten erweisen sich die Überlegungen zu einer Ästhetik des Unsichtbaren, wenn die Frage nach dem Bild nicht nur hinsichtlich seiner vielfältigen Funktionen gestellt wird, sondern wenn, mit Blick auf das Problem der Unsichtbarkeit, die medialen Bedingungen des Bildes zum Thema genommen werden. Denn nicht allein in einem theologischen, sondern auch in einem dinglichen Sinn gehört zur Sichtbarkeit des Bildes dessen Unsichtbarkeit. Valerie Möhle demonstriert ein solches Verhältnis anhand des spätmittelalterlichen Wandelaltars. Bekanntlich sind dessen Seiten in einem genau festgelegten Intervall nur zu aufeinanderfolgenden Zeiten sichtbar. Es sind liturgische Regeln, die über das Maß und die Dauer von Sichtbarkeit bestimmen: Mit der Unterscheidung von Werk- und Feiertagsseite geht der Entzug eines Teils dieser Bildsysteme einher.
Albrecht Dürer, der das Zeitalter des Museums und damit der simultanen Präsentation aller Seiten eines solchen Wandelaltars nicht abwarten konnte, mußte auf seinen Reisen in den Geldbeutel greifen, um sich die verschiedenen Seiten des Retabels vom Küster zeigen zu lassen. Streng genommen hat Dürer damit die Idee des Wandelaltars unterlaufen: Denn Aufgabe des Betrachters ist es, das jeweils aktuell Sichtbare auf den gerade nicht vor Augen stehenden Teil des Wandelaltars zu beziehen. Dabei ist das Vergleichen von stets nur partiell sichtbaren Bildteilen eine große intellektuelle Betrachterleistung, setzt ein solcher Bezug von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit doch eine intensive Memorierung der Bildteile voraus. Nicht nur durch das Öffnen und Schließen des Retabels zum festgelegten liturgischen Termin, sondern auch durch die erforderliche mentale Vermittlung der einzelnen Ansichten innerhalb einer solchen Bildermaschine wird das Mysterium der eucharistischen Wandlung in einer ästhetischen Ersatzhandlung nachvollzogen.
Ein Komplement findet diese Analyse des Verhältnisses von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit innerhalb großformatiger Bildwerke in Felix Thürlemanns Überlegungen zu den von den Brüdern Limburg geschaffenen Miniaturen der "Très Riches Heures". Die drei Künstlerbrüder nahmen den Auftrag des Herzogs Jean de Berry nicht nur zum Anlaß, ein Meisterwerk spätmittelalterlicher Buchmalerei zu schaffen, sie führten auch mit der Einrichtung der verschiedenen Seiten einen künstlerischen Diskurs über das durch Bilder ermöglichte oder verhinderte Sehen. In diesem Stundenbuch wird Sichtbarkeit zu einer Sache der Dimension des Bildes. Hatten die Brüder Limburg in ihren früheren "Belles Heures" mit den Möglichkeiten der Formaterweiterung eines rechteckigen Bildfeldes experimentiert, so wird diese Option in den "Très Riches Heures" zum künstlerischen Gestaltungsprinzip. Fast auf allen Bildfeldern finden sich an jeweils individuell festgelegtem Ort Erweiterungen des Bildfeldes, die meist in der Form einer Lünette, einer kunstvoll gestalteten Beule gleich, die ursprünglich rechteckige Grundform verlängern.
Überraschenderweise an André Bazins Theorie des Filmbildes anschließend, beschreibt Thürlemann den um diese Bildfelder gelegten Rahmen als eine flexible, zu jeder Seite hin potentiell verschiebbare Grenze, die das darin Eingeschlossene als einen vorläufigen Ausschnitt des Sichtbaren dem Betrachter begreiflich macht. Nur scheinbar ist ein solches "Off" des Bildes in ein Jenseits verschoben und damit dem Sehen entzogen. Es wird vielmehr in latenter Sichtbarkeit gehalten.
Sind Bilder, in einem geläufigen Sinn, selbstverständlich die Medien der Sichtbarkeit, so werden sie hier, in der Vielfalt der Beiträge über eine Ästhetik des Unsichtbaren, als privilegierte Medien des nicht Sichtbaren verständlich. Ein Bildersehen aber, das die Möglichkeit seines Gegenteils in sich einschließt, ist das weitreichendste Plädoyer für die Bedeutung und die Symbolisierungskraft der Bilder überhaupt.
STEFFEN SIEGEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Dekalog gebietet, "sich kein Bildnis zu machen". Doch ist die Geschichte abendländischer Kunst ohne Religion, insbesondere ohne das Christentum und ohne das Bildnis Gottes undenkbar. An diesen Widerspruch hat vor sechs Jahren eine von Kunstwissenschaftlern, Theologen und Historikern getragene Forschergruppe zur "Kulturgeschichte und Theologie des Bildes im Christentum" angeknüpft und dabei die Frage nach dessen Theorie, Produktion und Gebrauch im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gestellt. Die Ergebnisse dieses interdisziplinären Gesprächs sind in vier Bänden zum "KultBild" erschienen. ("Ästhetik des Unsichtbaren". Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne. Herausgegeben von David Granz und Thomas Lentes. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2005. 375 S., zahlr. S/W-Abb., br., 69,- [Euro]).
Der erste Band dieser Serie führt in das Zentrum des Problems religiöser Bildpraxis, ist mit ihm doch die Frage nach der "Ästhetik des Unsichtbaren" gestellt. Denn geht das Christentum von einem verborgenen Gott, von einem "deus absconditus" aus, so müßte dieser in den Bildwerken unsichtbar bleiben. Thomas Lentes macht darauf aufmerksam, daß ästhetische Erfahrung, und damit das Sehen, gerade zum Kern von religiöser Erfahrung zählt. Ereignete sich mit der Geburt Christi eine Fleischwerdung und damit Materialisierung des Göttlichen und wird in der Feier der Eucharistie dieser Prozeß stets neu vergegenwärtigt, so sind es vor allem die Bilder, welche die Grenze zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit ausloten und zwischen Diesseits und Jenseits vermitteln.
Am ertragreichsten erweisen sich die Überlegungen zu einer Ästhetik des Unsichtbaren, wenn die Frage nach dem Bild nicht nur hinsichtlich seiner vielfältigen Funktionen gestellt wird, sondern wenn, mit Blick auf das Problem der Unsichtbarkeit, die medialen Bedingungen des Bildes zum Thema genommen werden. Denn nicht allein in einem theologischen, sondern auch in einem dinglichen Sinn gehört zur Sichtbarkeit des Bildes dessen Unsichtbarkeit. Valerie Möhle demonstriert ein solches Verhältnis anhand des spätmittelalterlichen Wandelaltars. Bekanntlich sind dessen Seiten in einem genau festgelegten Intervall nur zu aufeinanderfolgenden Zeiten sichtbar. Es sind liturgische Regeln, die über das Maß und die Dauer von Sichtbarkeit bestimmen: Mit der Unterscheidung von Werk- und Feiertagsseite geht der Entzug eines Teils dieser Bildsysteme einher.
Albrecht Dürer, der das Zeitalter des Museums und damit der simultanen Präsentation aller Seiten eines solchen Wandelaltars nicht abwarten konnte, mußte auf seinen Reisen in den Geldbeutel greifen, um sich die verschiedenen Seiten des Retabels vom Küster zeigen zu lassen. Streng genommen hat Dürer damit die Idee des Wandelaltars unterlaufen: Denn Aufgabe des Betrachters ist es, das jeweils aktuell Sichtbare auf den gerade nicht vor Augen stehenden Teil des Wandelaltars zu beziehen. Dabei ist das Vergleichen von stets nur partiell sichtbaren Bildteilen eine große intellektuelle Betrachterleistung, setzt ein solcher Bezug von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit doch eine intensive Memorierung der Bildteile voraus. Nicht nur durch das Öffnen und Schließen des Retabels zum festgelegten liturgischen Termin, sondern auch durch die erforderliche mentale Vermittlung der einzelnen Ansichten innerhalb einer solchen Bildermaschine wird das Mysterium der eucharistischen Wandlung in einer ästhetischen Ersatzhandlung nachvollzogen.
Ein Komplement findet diese Analyse des Verhältnisses von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit innerhalb großformatiger Bildwerke in Felix Thürlemanns Überlegungen zu den von den Brüdern Limburg geschaffenen Miniaturen der "Très Riches Heures". Die drei Künstlerbrüder nahmen den Auftrag des Herzogs Jean de Berry nicht nur zum Anlaß, ein Meisterwerk spätmittelalterlicher Buchmalerei zu schaffen, sie führten auch mit der Einrichtung der verschiedenen Seiten einen künstlerischen Diskurs über das durch Bilder ermöglichte oder verhinderte Sehen. In diesem Stundenbuch wird Sichtbarkeit zu einer Sache der Dimension des Bildes. Hatten die Brüder Limburg in ihren früheren "Belles Heures" mit den Möglichkeiten der Formaterweiterung eines rechteckigen Bildfeldes experimentiert, so wird diese Option in den "Très Riches Heures" zum künstlerischen Gestaltungsprinzip. Fast auf allen Bildfeldern finden sich an jeweils individuell festgelegtem Ort Erweiterungen des Bildfeldes, die meist in der Form einer Lünette, einer kunstvoll gestalteten Beule gleich, die ursprünglich rechteckige Grundform verlängern.
Überraschenderweise an André Bazins Theorie des Filmbildes anschließend, beschreibt Thürlemann den um diese Bildfelder gelegten Rahmen als eine flexible, zu jeder Seite hin potentiell verschiebbare Grenze, die das darin Eingeschlossene als einen vorläufigen Ausschnitt des Sichtbaren dem Betrachter begreiflich macht. Nur scheinbar ist ein solches "Off" des Bildes in ein Jenseits verschoben und damit dem Sehen entzogen. Es wird vielmehr in latenter Sichtbarkeit gehalten.
Sind Bilder, in einem geläufigen Sinn, selbstverständlich die Medien der Sichtbarkeit, so werden sie hier, in der Vielfalt der Beiträge über eine Ästhetik des Unsichtbaren, als privilegierte Medien des nicht Sichtbaren verständlich. Ein Bildersehen aber, das die Möglichkeit seines Gegenteils in sich einschließt, ist das weitreichendste Plädoyer für die Bedeutung und die Symbolisierungskraft der Bilder überhaupt.
STEFFEN SIEGEL
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Instruktiv findet Rezensent Steffen Siegel diesen von David Granz und Thomas Lentes herausgegebenen Band über "Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne", der Erträge der Arbeit der Forschergruppe zur "Kulturgeschichte und Theologie des Bildes im Christentum" präsentiert. Als zentrale Frage des Bandes nennt er dabei die Frage nach einer "Ästhetik des Unsichtbaren", der eine Vielzahl von Beiträgen nachgeht. Eine Erkenntnis, die Siegel bei der Lektüre gewonnen hat, besagt, dass zur Sichtbarkeit des Bildes dessen Unsichtbarkeit gehört und zwar nicht allein in einem theologischen, sondern auch in einem dinglichen Sinn. In diesem Zusammenhang hebt er den Beitrag von Valerie Möhle hervor, die ein solches Verhältnis anhand des spätmittelalterlichen Wandelaltars demonstriert. Weiter erwähnt er Felix Thürlemanns Überlegungen zu den von den Brüdern Limburg geschaffenen Miniaturen der "Tres Riches Heures". Diesen wie weiterem Beiträge gelingt es nach Siegels Urteil, Bilder - in einem geläufigen Sinn Medien der Sichtbarkeit - "als privilegierte Medien des nicht Sichtbaren" verständlich zu machen. "Ein Bildersehen aber, das die Möglichkeit seines Gegenteils in sich einschließt", so der Rezensent abschließend, "ist das weitreichendste Plädoyer für die Bedeutung und die Symbolisierungskraft der Bilder überhaupt".
© Perlentaucher Medien GmbH
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