Man kann den Umstand wohl außergewöhnlich nennen, der einen Schrift steller veranlaßt, seine ästhetischen und philosophischen Vorstellungen in Form einer Musiktheorie niederzulegen. Derartige Grenzüberschreitungen, die aus heutiger Perspektive eher als Dilettantismus abgetan werden, bildeten im Umfeld der avantgardistischen Kunstströmungen des frühen 20. Jh. s freilich keine Ausnahmeerscheinung. Alfred Döblins 'Gespräche mit Kalypso. Über die Musik'! erschienen nicht zufällig im 'Sturm', der Zeitschrift der gleichnamigen Künstlergruppe, die zu Literaten ebenso wie zu Malern Kontakte pflegte und von einem Kompo nisten, Herwarth Walden, gegründet worden war. Die exponierte Stellung, die die Musik in den Manifesten der damaligen Künstlerkreise einnahm, ver dankte sich ihrem Vorbildcharakter für die Realisierung einer reinen, gei stigen Kunst, die mittels Konstruktion ein immaterielles Lebensprinzip frei 2 setzen sollte. Überdies erschienen zu jener Zeit eine Reihe wichtiger philosophischer Abhandlungen über die Musik: Rudolf Kassners 'Moral der Musik' (1905)3, Ferrucio Busonis 'Versuch einer neuen Ästhetik der Ton kunst'(1907)4, Ernst Blochs 'Geist der Utopie'(1923)S und Max Webers Schrift über 'Die rationalen und soziologischen Grundlagen der Mu sik'(1921)6. Keineswegs vergessen werden dürfen die Nachwirkungen von 1 Zuerst erschienen in: 'Der Sturm'. l. Jg. Nr. 5 ff. , Berlin, 1910. In d~r vorliegenden Arbeit zitiert nach der neuen Ausgabe. Alfred Döblin: Schriften zu Asthetik, Poetik und Literatur. (V) Olten/ Freiburg i. B. , 1989; S. 11-112. Nachweise der Zitate im folgenden eingeklammert im Text. 2 S. Wasslily Kandinsky: Über die Formfrage (zuerst 1912). In: Der Blaue Reiter. Hg. v. Wassily Kandinsky und Franz Mare, München, 1965; S.
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