Wie kam der Ozean auf den Tisch? Wer reiste im 19. Jahrhundert zum Mond? Welche Ängste und Erwartungen schürten die Affen im Museum?Anhand von drei Fallstudien untersucht dieses Buch Strategien der Inszenierung von Wissen und Wissenschaft, wie sie die Modernisierungsprozesse des 19. und frühen 20. Jahrhunderts prägten. Es zeigt, dass mit dem Museum, der Sternwarte und dem Zoo Orte entstanden, an denen, zumindest temporär, Ängste konfrontiert und gebannt werden sollten und zugleich Wissen in sinnlich erfahrbare Formen transformiert wurde.In den untersuchten Wissen(schaft)sinszenierungen spiegelt sich dabei immer wieder der Versuch, Dinge und Ideen zu ordnen, um einer komplexer werdenden Realität zu begegnen. In dem Maße, in dem sich die bekannte Welt im 19. Jahrhundert vergrößerte, wuchs auch das Bedürfnis nach Erklärungen und Ordnungssystemen. Diesem Anliegen trugen die neuartigen Wissens- und Erlebnisinstitutionen Rechnung. Dafür wurden einerseits Räume des Lebendigen inszeniert, etwa in Zoos, Glashäusern und Aquarien. Andererseits wurde eine verschwindende Natur konserviert und musealisiert, wovon die Ausstellungskonzepte in Museen wie dem American Museum of Natural History zeugen. Eine Volksbildungsinstitution wie die Berliner Urania wiederum versuchte, in Theateraufführungen Naturerscheinungen zu simulieren und zu spektakularisieren.Mit interdisziplinärem Ansatz widmet sich das Buch dem komplexen Wechselverhältnis von Wissen, Wissenschaft und Populärkultur. Es untersucht die weiten Kreise, die bestimmte Motive und Inszenierungsformen zogen. Die neuen Orte und Instrumente des populären Wissens und die mit ihnen verbundenden medialen und kulturellen Vor- und Fortschreibungen besaßen sinnliche und symbolische Funktionen. In ihnen wurde nicht nur die Herrschaft über die Natur zelebriert, sie reflektierten auch koloniale Fantasien und reproduzierten gesellschaftliche Konventionen und soziale Kontrolle. Zugleich entstanden Narrative und Unterhaltungsformate, die das neue Wissen überhaupt erst für ein breites Publikum erfahrbar machten.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.04.2015Unterhaltende Wissenschaft
Die Naturwissenschaft wurde im neunzehnten Jahrhundert zum wichtigen gesellschaftlichen Faktor. Forschungsreisende wie Alexander von Humboldt brachten aufregende Neuigkeiten aus allen Ecken der Welt, technische Innovationen breiteten sich im Alltagsleben aus, und die Evolutionsbiologie erschütterte das Selbstverständnis vieler Menschen. In dem Maße, in dem sich die bekannte Welt vergrößerte, wuchs der Bedarf an Erklärungen und Ordnungssystemen für die breite Öffentlichkeit. Kristin Becker untersucht in ihrem Buch anhand von Fallstudien Strategien der Inszenierung von Wissen und Wissenschaft im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Sie schildert, wie mit dem Museum, der Sternwarte und dem Zoo Orte entstanden, an denen Wissen in sinnlich erfahrbare Formen gebracht wurde. Ihr interdisziplinärer Ansatz veranschaulicht gut das Wechselspiel von Wissen, Wissenschaft und Populärkultur. Wissen diente der Kontrolle der Natur, bot aber auch Nahrung für gesellschaftliche und koloniale Phantasien. Das neunzehnte Jahrhundert brachte einschlägige neue Erzählungs- und Unterhaltungsformate hervor, wie zum Beispiel die Science-Fiction. Die britische "scientific romance" der Jahrhundertwende, insbesondere Autoren wie Arthur Conan Doyle, H. G. Wells oder Edgar Rice Burroughs, gestalteten mit ihren fiktionalen Verarbeitungen der Evolutionstheorie verlorene Welten, vergessene Menschen und "missing links". Die Schauplätze der Inszenierung von Wissenschaft blieben seitdem weitgehend unverändert, aber "die" Wissenschaft zur Darstellung zu bringen wurde immer schwerer. Der Schlussteil des Buchs beschreibt Versuche, im Berliner Humboldt-Forum eine solche übergreifende Darstellung zu realisieren.
THOMAS WEBER
Kristin Becker: "Affe, Mond und Meer". Inszenierung von Wissen und Wissenschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Kadmos Kulturverlag, Berlin 2014. 416 S., Abb., br., 29,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Naturwissenschaft wurde im neunzehnten Jahrhundert zum wichtigen gesellschaftlichen Faktor. Forschungsreisende wie Alexander von Humboldt brachten aufregende Neuigkeiten aus allen Ecken der Welt, technische Innovationen breiteten sich im Alltagsleben aus, und die Evolutionsbiologie erschütterte das Selbstverständnis vieler Menschen. In dem Maße, in dem sich die bekannte Welt vergrößerte, wuchs der Bedarf an Erklärungen und Ordnungssystemen für die breite Öffentlichkeit. Kristin Becker untersucht in ihrem Buch anhand von Fallstudien Strategien der Inszenierung von Wissen und Wissenschaft im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert. Sie schildert, wie mit dem Museum, der Sternwarte und dem Zoo Orte entstanden, an denen Wissen in sinnlich erfahrbare Formen gebracht wurde. Ihr interdisziplinärer Ansatz veranschaulicht gut das Wechselspiel von Wissen, Wissenschaft und Populärkultur. Wissen diente der Kontrolle der Natur, bot aber auch Nahrung für gesellschaftliche und koloniale Phantasien. Das neunzehnte Jahrhundert brachte einschlägige neue Erzählungs- und Unterhaltungsformate hervor, wie zum Beispiel die Science-Fiction. Die britische "scientific romance" der Jahrhundertwende, insbesondere Autoren wie Arthur Conan Doyle, H. G. Wells oder Edgar Rice Burroughs, gestalteten mit ihren fiktionalen Verarbeitungen der Evolutionstheorie verlorene Welten, vergessene Menschen und "missing links". Die Schauplätze der Inszenierung von Wissenschaft blieben seitdem weitgehend unverändert, aber "die" Wissenschaft zur Darstellung zu bringen wurde immer schwerer. Der Schlussteil des Buchs beschreibt Versuche, im Berliner Humboldt-Forum eine solche übergreifende Darstellung zu realisieren.
THOMAS WEBER
Kristin Becker: "Affe, Mond und Meer". Inszenierung von Wissen und Wissenschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Kadmos Kulturverlag, Berlin 2014. 416 S., Abb., br., 29,80 [Euro].
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