Kann man am Gesicht ablesen, was Menschen fühlen? Die moderne Psychologie glaubt daran, dass sich Affekte in dem zeigen, was man nicht kontrollieren kann: unbedachte Bewegungen und Nuancen der Mimik. Lesbar wird das expressive Gesicht nun durch Bilder von Affekten, die solche marginalen Körperbewegungen sichtbar machen. Dabei spielen technische Medien eine entscheidende Rolle: An Fotografien lassen sich noch die geringsten mimischen Details studieren, die filmische Großaufnahme exponiert mimische Bewegungen. Die Geschichte der Affektbilder ist gekoppelt an die Diskurse und Medien, die mimische Expressivität als Gegenstand des Wissens erst begründen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gustav Falke übt sich in herablassendem Mitleid gegenüber den Kulturwissenschaften: Wie bedauerlich, wenn man ohne konkreten Forschungsgegenstand auskommen auskommen muss, weil alles Kultur ist, und ohne spezifische Werkzeuge und Methoden, weil man ja die verschiedensten Fächer überspannen will. Wie unfruchtbar, wenn man machen kann, was man will, und zur Not eben die Richtung wechselt. Das Ergebnis, nach Falkes Erfahrung: immer gleiche "Weisheiten" (alles Text, nix wirklich und so) werden als Label an eine "rhapsodisch ausgebreitete Masse von Beobachtungen und Bemerkungen" geheftet. Kein Wunder also, dass auch Petra Löffler "keine These" habe, sondern nur Material, von dem sie hoffe, dass es Aufschlüsse darüber vermittle, wie sich das Selbstbild des Menschen sich mit der Fotografie verändert habe. Das aber, so Falke, sei viel zu weit gefasst, und folgendes komme dabei heraus: "In ungefährer zeitlicher Folge werden Texte zitierend referiert, die irgendwie von Ausdruck handeln und bei denen Beschreibungen, Zeichnungen oder Fotografien vorkommen." Merke: Für Erkenntnisse braucht es Disziplinen!
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2004Ach, Kamera
Petra Löffler unterwegs in der Mediengeschichte der Mimik
Auch bei ungünstiger Ausgangslage kann es einer zu etwas bringen. Aber man muß sagen, daß die Ausgangslage, um zu bedeutsamen Erkenntnissen zu gelangen, in den Kulturwissenschaften sehr ungünstig ist. Da fast alles als Kultur gilt, ist der Forscher aufgefordert, das Fernste in Beziehung zu setzen. Die Ergebnisse fallen entsprechend aus. Umgekehrt müssen schon zu Zwecken der institutionellen Selbsterhaltung die Fragen und Methoden der Fachwissenschaften übersprungen werden. Damit fehlt der Widerstand durch all die Erfordernisse und Einwände, die in den Fächern zum Standard geworden sind. Der Kulturwissenschaftler kann seinen Interessen frei nachhängen und kann, wenn es eng wird, die Richtung ändern. So stehen meist die gleichen Weisheiten - Wirklichkeit als Konstruktion, das Subjekt als Schein, der Sprachcharakter der Bilder, die Materialität der Zeichen - neben einer rhapsodisch ausgebreiteten Masse von Beobachtungen und Bemerkungen. Systematisch überprüfte Thesen zu bestimmten Gegenständen entfallen.
Auch Petra Löffler hat keine These. Es zeugt von intellektueller Redlichkeit, daß sie Material bereitstellt, um die These, die sie hätte exponieren können, als falsch auszuweisen. Ihr geht es um "die Abhängigkeit der Affekt-Ausdrucksbeziehung von Visualisierungstechniken, die seit dem Siegeszug der Fotografie die Macht über die bildliche Repräsentation des menschlichen Körpers erlangt haben". Am Beispiel des Wissens von den Affekten soll "das Verhältnis von Diskursen und Medien" als ein "historisch variables" greifbar werden. Bei Wilhelm Wundt oder Karl Bühler wird gezeigt, daß die wissenschaftliche Behandlung des Ausdrucks durch die Möglichkeit, das Mienenspiel fotografisch zu fixieren, gewann. Bei Honoré de Balzac oder Johann Caspar Lavater lernen wir, daß man schon vorher genau hinsah. Wir erfahren von den filmtheoretischen Diskussionen um die Nahaufnahmen von Gesichtern im Stummfilm. Wir erfahren, daß Diderot und Lessing in ihrer Theorie des Schauspielers der Mimik große Bedeutung beimaßen.
"Das ausdruckstheoretische Wissen soll als historisches rekonstruiert werden mit dem Ziel, Verfahren und Praktiken bei der Evidenzerzeugung bei der Visualisierung von Affekten aufzuzeigen." Das heißt: In ungefährer zeitlicher Folge werden Texte zitierend referiert, die irgendwie von Ausdruck handeln und bei denen Beschreibungen, Zeichnungen oder Fotografien vorkommen. Der Unterschied zwischen den Jahrhunderten ist bei den wissenschaftlichen Abhandlungen größer als bei den ästhetischen. Nicht ansatzweise ist zu sehen, wie die Medien die Inhalte verändern. Man kann über die Vernaturwissenschaftlichung der Psychologie nachdenken. Dann muß man Psychologie betreiben. Über das Verhältnis des Films zum Schauspiel gibt es viel zu sagen. Das fällt in die Filmästhetik. Die kulturwissenschaftliche Frage, wie die Erfindung der Fotografie das Wissen des Menschen von sich selbst veränderte, ist viel zu weit. Mit ihr bringt man es zu einer Stelle im üppig ausgestatteten Sonderforschungsbereich "Medien und kulturelle Kommunikation".
GUSTAV FALKE
Petra Löffler: "Affektbilder". Eine Mediengeschichte der Mimik. Transcript Verlag, Bielefeld 2004. 292 S., Abb., br., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Petra Löffler unterwegs in der Mediengeschichte der Mimik
Auch bei ungünstiger Ausgangslage kann es einer zu etwas bringen. Aber man muß sagen, daß die Ausgangslage, um zu bedeutsamen Erkenntnissen zu gelangen, in den Kulturwissenschaften sehr ungünstig ist. Da fast alles als Kultur gilt, ist der Forscher aufgefordert, das Fernste in Beziehung zu setzen. Die Ergebnisse fallen entsprechend aus. Umgekehrt müssen schon zu Zwecken der institutionellen Selbsterhaltung die Fragen und Methoden der Fachwissenschaften übersprungen werden. Damit fehlt der Widerstand durch all die Erfordernisse und Einwände, die in den Fächern zum Standard geworden sind. Der Kulturwissenschaftler kann seinen Interessen frei nachhängen und kann, wenn es eng wird, die Richtung ändern. So stehen meist die gleichen Weisheiten - Wirklichkeit als Konstruktion, das Subjekt als Schein, der Sprachcharakter der Bilder, die Materialität der Zeichen - neben einer rhapsodisch ausgebreiteten Masse von Beobachtungen und Bemerkungen. Systematisch überprüfte Thesen zu bestimmten Gegenständen entfallen.
Auch Petra Löffler hat keine These. Es zeugt von intellektueller Redlichkeit, daß sie Material bereitstellt, um die These, die sie hätte exponieren können, als falsch auszuweisen. Ihr geht es um "die Abhängigkeit der Affekt-Ausdrucksbeziehung von Visualisierungstechniken, die seit dem Siegeszug der Fotografie die Macht über die bildliche Repräsentation des menschlichen Körpers erlangt haben". Am Beispiel des Wissens von den Affekten soll "das Verhältnis von Diskursen und Medien" als ein "historisch variables" greifbar werden. Bei Wilhelm Wundt oder Karl Bühler wird gezeigt, daß die wissenschaftliche Behandlung des Ausdrucks durch die Möglichkeit, das Mienenspiel fotografisch zu fixieren, gewann. Bei Honoré de Balzac oder Johann Caspar Lavater lernen wir, daß man schon vorher genau hinsah. Wir erfahren von den filmtheoretischen Diskussionen um die Nahaufnahmen von Gesichtern im Stummfilm. Wir erfahren, daß Diderot und Lessing in ihrer Theorie des Schauspielers der Mimik große Bedeutung beimaßen.
"Das ausdruckstheoretische Wissen soll als historisches rekonstruiert werden mit dem Ziel, Verfahren und Praktiken bei der Evidenzerzeugung bei der Visualisierung von Affekten aufzuzeigen." Das heißt: In ungefährer zeitlicher Folge werden Texte zitierend referiert, die irgendwie von Ausdruck handeln und bei denen Beschreibungen, Zeichnungen oder Fotografien vorkommen. Der Unterschied zwischen den Jahrhunderten ist bei den wissenschaftlichen Abhandlungen größer als bei den ästhetischen. Nicht ansatzweise ist zu sehen, wie die Medien die Inhalte verändern. Man kann über die Vernaturwissenschaftlichung der Psychologie nachdenken. Dann muß man Psychologie betreiben. Über das Verhältnis des Films zum Schauspiel gibt es viel zu sagen. Das fällt in die Filmästhetik. Die kulturwissenschaftliche Frage, wie die Erfindung der Fotografie das Wissen des Menschen von sich selbst veränderte, ist viel zu weit. Mit ihr bringt man es zu einer Stelle im üppig ausgestatteten Sonderforschungsbereich "Medien und kulturelle Kommunikation".
GUSTAV FALKE
Petra Löffler: "Affektbilder". Eine Mediengeschichte der Mimik. Transcript Verlag, Bielefeld 2004. 292 S., Abb., br., 29,90 [Euro].
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»[Es] wird deutlich, dass Löfflers sorgfältig recherchierte und anschaulich rekonstruierte Mediengeschichte vor allem die Geschichte einer Temporalisierung ist. Vom statischen zum dynamischen Ausdrucksbegriff, von der Pose zur Bewegung, vom Symbol zur Sukzession von Nuancen erfolgt die (ungeachtet aller Differenzen und Ungleichzeitigkeiten) entscheidende Verschiebung, die sie in ihrer Studie nachzeichnet.« Stefanie Dieckmann, Fotogeschichte, 96 (2005) Besprochen in: Jahrbuch für Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis, (2006), Wolf-Dieter Ernst
Besprochen in:
Jahrbuch für Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis, (2006), Wolf-Dieter Ernst
Jahrbuch für Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis, (2006), Wolf-Dieter Ernst